Trotz Stimmungshoch mahnt Verband nachdrücklich Reformen an

Stimmung in der IT-Branche so gut wie lange nicht mehr

27.07.2007 von Werner Kurzlechner
Die Stimmung in der IT-Branche ist auf einen lange nicht da gewesenen Euphorie-Gipfel geklettert. Dennoch mahnt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) mit Nachdruck Reformen an. Denn der IT-Sektor boomt so sehr, dass ihm die Fachleute ausgehen. Der Schlüssel zur Wende liegt nach Ansicht der Bitkom in Bildung und Zuwanderung.
So entwickelte sich der Bitkom-Index seit 2001.

Frisch zum neuen Bitkom-Präsidenten gekürt, könnte sich August-Wilhelm Scheer eigentlich strahlend zurücklehnen und im güldenen Licht des Branchenerfolgs suhlen. Der vom Verband seit sechs Jahren erhobene Stimmungsindex erreichte mit 63,5 Punkten im zweiten Quartal einen neuen Rekordwert. Die Kurve begann 2001 mit seither unerreichten 62,3 Punkten, sackte zwei Jahre später auf einen Tiefstwert von 21 und zeigte vor drei Monaten einen Wert von 50,8 an.

78 Prozent der Unternehmen rechnen für dieses Jahr mit steigenden Umsätzen. Die Wirtschaftslage ist auf den ersten Blick bestens. Aber nur auf den ersten Blick - und deswegen macht es sich Scheer nicht gemütlich, sondern formuliert Forderungen an die Politik.

Es fehlt an Fachkräften - eben nicht nur an Ingenieuren, wie von Presse und Fernsehen schon ausgiebig thematisiert. Etwa 20.000 Stellen im IT-Sektor sind derzeit unbesetzt. Die Unternehmen suchen vor allem Software-Entwickler, IT-Projekt-Manager und IT-Berater mit Hochschulabschluss.

Und das in der ganzen Bundesrepublik, wenngleich der Bedarf im Süden und Westen am größten ist. Im Süden mit den Boom-Regionen München, Stuttgart und Karlsruhe entfallen laut Scheer auf 100.000 Einwohner 30 offene Stellen, im Norden ist es nur die Hälfte.

In Bayern und Baden-Württemberg stehen rund 6.900 Stellen offen, in Nordrhein-Westfalen 4.500 und im Rhein-Main-Gebiet 3.400. In Ostdeutschland sind es 3.100, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen 2.100.

Scheer fordert mehr Praxis und mehr Internationalität an die Unis

August-Wilhelm Scheer stellt vor diesem Hintergrund klar, dass er von der Politik Handeln erwartet. In seine Auslassungen zur Bildungspolitik packt er durchaus kritische Worte über die Reform-Bemühungen der letzten Jahre. "Die Hochschulen sollten nicht die Auslese der Besten, sondern die Förderung des Einzelnen anstreben", so Scheer.

Der Fachkräfte-Mangel: ein Problem, das eben nicht durch eine kleine neue Elite, sondern nur auf breiter Basis zu lösen ist. In den vergangenen sieben Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in Informatik um ein Viertel auf rund 28.000 eingebrochen. Scheer fordert mehr Praxis und mehr Internationalität an den Unis.

Internationalität ist das Stichwort für den zweiten Hebel, den der Bitkom-Präsident ins Spiel bringt: Scheer fordert eine Reform des Zuwanderungsgesetzes: "Deutschland muss für ausländische Spitzenkräfte attraktiver werden und ihnen eine langfristige Perspektive bieten."

Eine Arbeitserlaubnis auf Zeit wie vor einigen Jahren bei der Green Card hat sich nach Ansicht des Bitkom nicht bewährt. Die ausländischen IT-Spezialisten, die vor allem aus Indien nach Deutschland strömen sollten, blieben bekanntlich aus.

Neben der auf fünf Jahre beschränkten Aufenthaltserlaubnis sieht Scheer auch in der Einkommensgrenze von derzeit 85.000 Euro einen Anreiz für Fachkräfte von anderswo, um die Bundesrepublik einen großen Bogen zu machen. Seine Forderung: eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis schon ab der Hälfte des Jahreseinkommens erteilen.

Zuwanderer sollen jung und qualifiziert sein

Dass Deutschland dann ein höchst attraktiver Arbeitsort ist, scheint für den Bitkom festzustehen, denn sonst ergäbe eine weitere Forderung keinen Sinn. Die zielt nämlich darauf ab, ein übergroßes Angebot einzudämmen. Der Verband plädiert für ein Punktesystem bei der Auswahl von Zuwanderern. Jung sollen sie sein, hoch qualifiziert und firm in Fremdsprachen.