Change Management

Strategie-Experten noch ohne Einfluss

15.02.2010 von Michael  Leitl
Viele Vorstandsvorsitzende sind überfordert, wenn sie über einen Strategiewechsel entscheiden müssen. Das liegt nicht daran, dass sie es nicht können, sondern an der Fülle der Aufgaben, die sie bewältigen müssen. Häufig holen sie sich Hilfe von Experten.

Strategiewechsel gehören für einen Vorstand zum Geschäft. Linde-Chef Wolfgang Reitzle verordnete einen Umbau des Mischkonzerns zum Industriegasespezialisten. Steven K. Lee wurde im September 2006 Leiter des neuen Ressorts Unternehmensplanung und -strategie bei Leica - und kurz darauf Vorstandschef. Er sollte das angeschlagene Unternehmen in die digitale Zukunft führen.

Derlei Entscheidungen müssen Manager öfter und vor allem schneller treffen. Wettbewerber aus aller Welt zwingen selbst technologisch brillante Firmen wie Leica zu dramatischen Veränderungen. Das Management muss also in der Lage sein, die Firmenstrategie laufend zu hinterfragen.

Damit seien jedoch, so der Münchener Personalberater Hermann Sendele, viele Vorstandsvorsitzende überfordert. "Nicht weil sie das nicht können", sagt Sendele. "Sondern wegen der Fülle der Aufgaben und deren Komplexität, die rapide zunimmt." Der Druck von außen steigt, und auch die Aufsichtsräte mischen sich stärker als früher in die Geschäfte ein und hinterfragen die Firmenstrategie offensiver. "Die Ergänzung durch einen Strategievorstand ist deshalb sehr sinnvoll", urteilt Sendele.

Trotz des Bedarfs bei deutschen Unternehmen ist es in der Praxis mit dem strategischen Können offenbar nicht so weit her. So fand Hans-Christian Riekhof, Professor für Internationales Marketing an der Privaten Fachhochschule Göttingen, heraus, dass von 600 befragten Personalmanagern nur 54 Prozent strategische Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz von Führungskräften ansehen. Und: Nur jedes zweite Unternehmen misst die Wirksamkeit verabschiedeter Strategien.

Foto: Harvard Businessmanager

Gefunden im Harvard Business Manager

Entsprechend unterschiedlich ist die Position von Strategieexperten in deutschen Unternehmen. Konzerne wie Siemens oder BMW nehmen diese Aufgabe ernst. Deren Strategieverantwortliche Horst Kayser und Friedrich Eichiner entsprächen dem Bild des Chefstrategen in den USA sehr gut, so Paul Nunes, Forschungsleiter am Institute for High Performance Business von Accenture, der die Rolle des Chief Strategy Officers in den USA untersucht hat.

Strategie-Verantwortliche arbeiten oft nur versteckt in der Hierarchie

Es gebe jedoch auch Strategie-Verantwortliche, die irgendwo in der Hierarchie versteckt wirken - und kaum Einfluss haben, so Michael Mirow, ehemals Chefstratege bei Siemens. Die Bandbreite sei extrem groß.

Die Art und Weise, wie Strategiechefs im Unternehmen organisiert sind, variiert ebenfalls. Thomas Hutzschenreuter, Professor für strategisches Management an der WHU in Vallendar, beobachtet je nach Unternehmenstyp unterschiedliche Modelle. Manche Konzerne haben eine eigene Beratungsabteilung, die eng mit dem Aufsichtsrat und dem Vorstand zusammenarbeitet. In anderen Unternehmen, etwa wenn der Vorstand nach Funktionen wie Finanzen oder Personal aufgestellt sei, gehört der Strategiechef zum Stab des Vorstands. Und in Konzernen, die nach Regionen und Bereichen gegliedert sind, ist es häufig so, dass sich die einzelnen Bereichsvorstände jeweils einen Strategiechef leisten.

Generell, sagt Hutzschenreuter, arbeite der Chefstratege immer mit dem zusammen, der tatsächlich die Macht im Unternehmen habe. Das kann auch der Aufsichtsrat sein.

Anders als in den USA gehört der Strategiechef in Deutschland nicht zwingend zum Topmanagement. Denn neben der formalen spielt die informelle Hierarchie eine sehr wichtige Rolle. Manche Schlüsselfiguren sitzen auf der vierten Ebene - und werden, so Hutzschenreuter, blitzschnell vom Vorstand mit Legitimation ausgestattet. Deren Macht reicht bis in das letzte Büro.

Position des Strategiechefs mit anderen Funktionen gekoppelt

Michael Mirow bestätigt diese Praxis und kritisiert, dass häufig die Position des Strategiechefs mit anderen Funktionen wie der des Personalvorstands gekoppelt werde.

Dass strategische Fragen nicht nur für Konzerne eine zunehmende Bedeutung haben, zeigt das Beispiel der mittelständischen Werbeagentur Jung von Matt. Vorstandsmitglied Karen Heumann ist Strategiechefin des Unternehmens - was in diesem Fall bedeutet, dass sie für die Entwicklung der Markenstrategien für die Kunden zuständig ist.

Sie beobachtet zweierlei: Seit einigen Jahren steigt unter anderem durch die Entwicklung der neuen Medien auch der Bedarf an Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen, in denen über neu entstehende Geschäftsfelder diskutiert wird. Und zweitens fordern sowohl große als auch kleine Kunden mittlerweile grundsätzlich strategische Beratung in Bezug auf ihre Marken ein. Die Folge dieser Entwicklung: In Werbeagenturen existiert schon seit einigen Jahren die Position eines Chief Strategy Officers.