Ruhe für gutes Arbeiten gewünscht

Stressfaktor Großraumbüro

06.07.2020
Noch immer glauben Chefs, junge Leute säßen gern im Großraumbüro und liebten ständige Erreichbarkeit. Das Gegenteil stimmt, wie eine Studie zeigt.
  • Der Marktforscher Oxford Economics hat untersucht, welche Qualitäten des Arbeitsplatzes für Menschen verschiedener Altersklassen besonders wichtig sind
  • Millennials wollen nichts anderes als ihre älteren Kollegen: Ruhe!
  • 86 Prozent leiden unter Stressfaktoren im Job, besonders sind Menschen zwischen 18 und 39 Jahren gefährdet
  • Der Stress wächst durch Zeit- und Termindruck, zahlreiche Unterbrechungen im Arbeitsablauf sowie zu viele Aufgaben, die gleichzeitig erledigt werden müssen
Großraumbüro: Immer Blabla, immer Geräusche. Die meisten Menschen, egal in welchem Alter, macht das krank.
Foto: Monkey Business Images - shutterstock.com

Es gibt Studien, die räumen mit gleich mehreren Mythen auf. Eine davon heißt "When the Walls come down": Das Marktforschungsunternehmen Oxford Economics hat darin ermittelt, welche Qualitäten ihres Arbeitsplatzes für Menschen verschiedener Altersklassen besonders wichtig sind. Um dies herauszufinden, befragten die Forscher 600 Chefs und 600 Nicht-Chefs unterschiedlicher Branchen auf der ganzen Welt zu ihren Präferenzen. Die Hälfte der Antworten stammt von sogenannten Millennials, also von Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren.

Die überraschendste Erkenntnis daraus ist, dass die Jungen nichts anderes wollen als die Älteren, dass also die Geschichte von der Einzigartigkeit jeder Generation eher in die Welt der Mythen gehört.

Und das wichtigste, sozusagen der Schlüssel zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz, das sind ganz banale Dinge. Die Nummer 1 dabei: Ruhe! Für mehr als zwei Drittel der Befragten gehört "die Möglichkeit, sich ohne Unterbrechung zu konzentrieren und zu arbeiten" zu den drei wichtigsten Qualitätskriterien von Arbeit.

Auch Millennials wollen sich konzentrieren

Die große Sehnsucht nach der regelmäßigen Abwesenheit Anderer dürfte damit zusammenhängen, dass diese Abwesenheit in modernen Büros eher selten der Fall ist. Großraumbüros sparen Platz und ermöglichen eine permanente Kommunikation - aber in Zeiten der Corona-Pandemie ist das nicht gefragt.

Ein weiteres Problem von Großraumbüros ist, dass es fast allen dort Arbeitenden nervt. Abteilungsleiter und andere Führungsfiguren haben damit oft weniger Probleme, sie neigten dazu, "den negativen Effekt von Umgebungslärm zu unterschätzen", wie die Studienautoren schreiben. Was auch damit zusammenhängen dürfte, dass sie selbst solchem Lärm selten ausgesetzt sind, weil sie allein oder zu zweit hinter einer schließbaren Tür sitzen. Die Aufregung davor halten sie dann gerne für ein Zeichen von Kreativität und brodelndem Team Spirit.

Klischee-Goodies spielen keine Rolle

Millennials fühlen sich vom Krach in der Legebatterie genauso gestresst wie alle anderen, auch sie wollen Ruhe. Klischee-Goodies wie kostenlose Mittagessen oder eine allzeit gefüllte Süßigkeiten-Schubladen spielen für ihr Wohlbefinden im Büro dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Alles eine Frage der Wahrnehmung: Nur 26 Prozent der Chefs sagen, dass sie von ihren Leuten ständige Erreichbarkeit erwarten.
Foto: Oxford Economics

Großraumbüros, so die Autoren der Studie, förderten vermeintlich das Gemeinsame, tatsächlich aber das Trennende. Weil sie zur Abgrenzung zwängen, anderenfalls könnte niemand mehr seine Arbeit erfolgreich zu Ende bringen.

Überlastung wird zu spät erkannt

Spannend ist das auch deshalb, weil fast zeitgleich mit der Oxford-Economics-Studie eine weitere Studie auf den Markt kam, die die Erkenntnisse auf traurige Weise ergänzt. Für ihr Panel "Betriebliches Gesundheitsmanagement" hatte die Krankenkasse pronova BKK 1.660 Bundesbürger über ihre Arbeitssituation befragt. Ergebnis: 86 Prozent leiden unter Stressfaktoren im Job. Besonders gefährdet: Menschen zwischen 18 und 39 Jahren.

"Diese jungen Generationen sind von der Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt besonders betroffen", so Gerd Herold, Arbeitsmediziner der pronova BKK. "Gleichzeitig ist der Job für sie besonders identitätsstiftend, so dass sie vollen Einsatz bringen wollen und dabei die eigenen Belastungsgrenzen häufig zu spät erkennen."

Stresslevel steigt

Ins gleiche Horn bläst der Gesundheitsreport der Techniker-Krankenkasse (TK), der ähnlich wie die Oxford-Economics-Studie auch die Abläufe im Büro für den steigenden Stresslevel verantwortlich macht. Zitat: "Berichtet wird von hohem Zeit- und Termindruck, von zu vielen Aufgaben, die gleichzeitig erledigt werden müssen, sowie von zahlreichen Unterbrechungen und Behinderungen im Arbeitsablauf." Sechzig Prozent gaben an, dass in den vergangenen zwei Jahren dieser Stress stark angewachsen ist.

Chefs ignorieren das Problem

Hinzu kommt: Angestellte insgesamt - also nicht nur Millennials - sind davon überzeugt, dass sie mit weniger Lärm nicht nur weniger gestresst wären, sondern dass sie dann auch produktiver Arbeiten könnten. Insgesamt 64 Prozent der in der erwähnten Studie Befragten sagten dies.

Insgesamt 47 Prozent der Angestellten glauben, dass Erreichbarkeit von ihnen erwartet wird. Stellt sich die Frage: Sind die Chefs nicht aufrichtig? Oder setzen sich die Angestellten selbst unnötig unter Druck?
Foto: Oxford Economics

Dass die viele Ablenkung an suboptimalen Arbeitsplätzen unglücklich macht, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Umso erstaunlicher ist aber deshalb, dass sie immer noch von so vielen Unternehmenslenkern ignoriert wird, obwohl die sich damit tendenziell den eigenen Fuß schießen.

Ständige Erreichbarkeit setzt Mitarbeiter unter Druck

Andauernde Ignoranz gibt es allerdings auch auf anderen Gebieten, womit wir beim zweiten Mythos wären, mit dem die Untersuchung von Oxford Economics aufräumt: dem von den Vorteilen der permanenten Konnektivität.

Einerseits erwarten Angestellte, dass ihr Chef ihnen zeitgemäße Technik zur Verfügung stellt, mit der sie auch außerhalb des Büros auf die Arbeit zugreifen können. Andererseits fühlen sie sich aber durch die Erreichbarkeit auch stark unter Druck gesetzt: Mehr als ein Drittel der Befragten sagten, dass sie unterwegs mobile Geräte vor allem deshalb nutzen, weil sie sich dazu genötigt sähen und fürchten, anderenfalls im Job etwas Wichtiges zu verpassen.

Zwei Empfehlungen

Als Schlussfolgerung aus dem Genannten geben die Marktforscher von Oxford Economics Chefs zwei zentrale Empfehlungen.

Alternativen zur Gehaltserhöhung
Alternativen zur Gehaltserhöhung
Sicher, über Gehaltserhöhungen freut sich jeder. Aber nicht immer ist eine Gehaltserhöhung sinnvoll:
Kalte Progression
Etwa, wenn die kalte Progression zuschlägt und der Arbeitnehmer wegen der erhöhten Abgabenlast nichts mehr vom Zuschlag hat. Doch es gibt jede Menge Möglichkeiten, dem Mitarbeiter Gutes zu tun.
Einmal volltanken
Lange waren Tankgutscheine in Mode - doch die Handhabung erwies sich als zu kompliziert. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt. Inzwischen darf der Arbeitgeber seinem Angestellten Sachzuwendungen in Höhe von 50 Euro zukommen lassen - jeden Monat.
Bloß nicht auszahlen!
Auszahlen darf das Unternehmen die 50 Euro nicht - sonst wären Steuern fällig.
Selbst kochen statt Essen gehen
Besonders praktisch: Essenschecks können auch im Supermarkt eingelöst werden.
Dienstwagen
Nach wie vor heißgeliebt: der Dienstwagen. Doch nicht jeder Mitarbeiter ist schon auf einer Gehaltsstufe, die einen Dienstwagen erlaubt - und nicht jeder will einen. Zudem müssen Unternehmen oft mit ihren Mitarbeitern komplizierte Verträge schließen. Wie wäre es stattdessen ...
Dienstrad
... mit einem Dienstrad? Gerade in großen Städten ist das Rad eine umweltfreundliche und schnelle Möglichkeit, zur Arbeit und zurück zu kommen. Vorteil: Die Nutzung des Dienstrads ist privat uneingeschränkt möglich, ohne dass komplizierte Verträge geschlossen werden müssen.
Kleine Geschenke
Ein Unternehmen kann über "anlassbezogene Zuwendungen" dem Mitarbeiter etwas schenken.
Leasingverträge für Smartphones
Wenn der Arbeitgeber keine Diensthandys zur Verfügung stellt, gibt es zudem die Möglichkeit, dass der Mitarbeiter über das Unternehmen ein Smartphone least. Das gilt natürlich für allerlei Elektrogeräte, etwa ...
Tablets
... iPads und andere Tablet-Computer. Für Wartung und Reparatur ist aber der Mitarbeiter selbst zuständig - und schenken darf die Firma dem Angestellten nach Ablauf des Leasingsvertrags das Gerät auch nicht.
Die Rechnung, bitte!
Alternativ kann der Arbeitgeber sich auch an der Telefonrechnung des Mitarbeiters beteiligen.
Prepaid-Kreditkarten
Einfach mit 50 Euro jeden Monat aufladen - und der Mitarbeiter kann sie ausgeben, wofür er möchte.
Karte für den ÖPNV
Vorsicht: Zahlt der Arbeitgeber einen Zuschuss zur Monatskarte für den ÖPNV, kann er seinem Mitarbeiter die 50 Euro nicht mehr auf die Prepaid-Kreditkarte laden. Doch auch da gibt es Alternativen.
Geburtstags- oder Jubiläumsgeschenke
Drei Mal im Jahr kann das Unternehmen so im Wert von 60 Euro ein Geschenk machen.
Fast wie Bargeld
Rabatte auf die eigenen Produkte für Mitarbeiter sind bis zu 1.080 Euro im Jahr steuerfrei.
Kantinenessen
Gern genommen sind auch Zuschüsse zum Essen. Dabei gibt es viele Möglichkeiten.
Schlauer als vorher
Ein Arbeitnehmer kann auch in Weiterbildungen für seine Mitarbeiter investieren und für sie keine Steuern oder Abgaben zahlen, solange klar ist, dass die Weiterbildung direkt für den Job anwendbar ist.
Leere Kita
Ein Unternehmen kann außerdem anbieten, dem Mitarbeiter einen Zuschuss zu den Betreuungskosten für die Kinder zu leisten. Er ist ebenfalls steuer- und sozialabgabenfrei und kann das Budget einer Familie entlasten.
Gesundheit!
Auch für die Gesundheit des Mitarbeiters kann ein Unternehmen für 600 Euro im Jahr Ausgaben tätigen.
Und was ist im Alter?
Alle On-top-Leistungen werden nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Experten gehen nicht davon aus, dass der Rentenanspruch dadurch stark beeinflusst wird. Aber eine Rechnung aufstellen, schadet auf keinen Fall.