IT-MITARBEITER ÜBER VIERZIG

Verantwortung für Elder Statesmen

03.12.2001 von Christoph Lixenfeld
Bei Entlassungen trifft es zuerst die Generation der über Vierzigjährigen. Damit tun sich die Unternehmen nicht unbedingt einen Gefallen: Unter anderem in der Projektarbeit bringen gemischte Teams aus Jüngeren und Älteren Vorteile.

"WURZELGRUMPF" WAR WÜTEND. In einem Online-Forum zum Themaältere Fachleute machte der Diskutant mit dem knorrigenPseudonym seinem Ärger Luft: "Noch nie richtig gearbeitet,noch nie die Flossen dreckig gehabt, aber die Klappe offenwie eine Anakonda! Genau diese grünen Jungs haben noch vorzwei Jahren den 'IT-Jurassicpark' ausgelacht. Tja, und werlacht jetzt? Wer ist übrig? Wer wird gesucht? Genau dieseDinos!"

Gefährdete Spezies

Diese Annahme stellt sich zum Leidwesen vieler übervierzigjähriger IT-Dinosaurier häufig als Irrtum heraus:Noch immer sind sie eine gefährdete Spezies - auch inIT-Anwenderunternehmen. Wenn in diesen Monaten irgendwoEntlassungen anstehen, "dann fragt man sich in denUnternehmen wieder: Ist da jemand, der es sich leisten kann,das Arbeiten zu lassen?", sagt Peter Löcher, der bei SiemensBusiness Services für Umschulungsprogramme zuständigist. Das bedeutet dann, dass es die Älteren zuersttrifft. Dahinter steht die Annahme der unter Kostendruckstehenden Personalverantwortlichen, angegraute Mitarbeiterwürden ihr Schäfchen im Trockenen wähnen und sich nicht mehrso engagieren.

Das mag stimmen oder nicht; immerhin ist es aber ja auchdenkbar, dass erfahrene Experten, die familiäreVerantwortung tragen und ein Haus abbezahlen müssen, höhermotiviert sind als die 25- bis 30-Jährigen ohne derartigeLasten. Andererseits gibt es durchaus Gründe, die -zumindest auf den ersten Blick - dafür sprechen, ältereIT-Fachkräften zuerst zu entlassen: etwa, dass derenAusbildung schon relativ lange zurückliegt. Was damalsgelehrt wurde, ist heute bestenfalls veraltet,schlimmstenfalls nutzlos. "Es ist schwierig, Jahre späterDefizite auszugleichen, die in der Erstausbildung entstandensind", sagt Erich Staudt, Leiter des Bochumer Instituts fürAngewandte Innovationsforschung.

Deshalb trauen viele Personalverantwortliche der Generationvierzig plus nicht zu, zum Beipiel ein Projekt zu stemmen,das die Beherrschung der objektorientiertenProgrammiersprache "C++" erfordert. Nachschulungen kommenmeist nicht in Frage, was selbst Gewerkschafternachvollziehen können. Wolfgang Müller von der IG Metall:"Es gibt in der IT viele zeitkritische Projekte, und dawerden Plug-and-Play-Spezialisten gesucht: einstöpseln undloslegen." Wenn doch in Weiterbildung investiert wird, dannprofitieren davon eher die Jüngeren.

Die sollen ebenso belastbar wie ungebunden sein und etwadrei Jahre Berufserfahrung nachweisen. Fragt sich, ob dieseKriterien die gewünschten Ergebnissen bringen. "Neue Besenkehren gut - dieser Grundsatz ist weit verbreitet. Aberdabei wird oft viel Gutes rausgekehrt", warntUnternehmensberater Marc Minor. Er beschäftigt sich mitKonflikten, die bei der Zusammenarbeit von Expertenunterschiedlichen Alters entstehen.

IT-Experten jenseits der vierzig machen ihre eventuellgeringere Belastbarkeit durch ein Plus an Erfahrung oft mehrals wett. Wie Werner Heßler: Vor fünf Monaten heuerte der47-Jährige beim IT-Dienstleister Amdahl imGroßkundenvertrieb an. Seine Zwischenbilanz: "DieTeamstrukturen haben mir den Start sehr erleichtert. DieKollegen zeigen mir, dass sie meine Erfahrungen schätzen."

Eingestellt wurde Heßler nicht trotz, sondern wegen seinesAlters. "Im unternehmenskritischen Servicegeschäft wird sehrauf Erfahrung gesetzt", so Personalchef Michael Bub. "Beikomplexen Projekten bauen wir auf die richtige Mischung ausJugend und Erfahrung. Einem zu jungen Projektleiter würdeder Kunde nicht unbedingt zutrauen, allein einFünfzig-Millionen-Projekt zu meistern."

Schulungsbedarf akzeptieren

Dass technische Kenntnisse der Elder Statesmen unter denIT-Experten aufgefrischt werden müssen, wird bei Amdahlnicht bestritten, aber akzeptiert. "Wenn ein ältererBewerber alle persönlichen Voraussetzungen erfüllt, dannschulen wir ihn." In puncto Belastbarkeit ältererMitarbeiter macht sich Bub ebenfalls keine Sorgen. Manglaube bei Amdahl nicht an eine Notwendigkeit, permanentsiebzig Stunden in der Woche zu arbeiten. "Wir brauchenalle unsere Off-Zeit", so der Personalchef.

Das Beispiel der Fujitsu-Tochter Amdahl ist indes dieAusnahme. Viele Unternehmen lassen die Vorteile außer Acht,die erfahrene Mitarbeiter bei guter Motivation undausreichender Fortbildung bringen können. Andreas Albath,Vorstand des Online-Personalvermittlers Stepstone, hält dieFixierung auf den Nachwuchs langfristig noch unter einemanderen Aspekt für fatal: "Aus demografischen Gründen wirdsich der Expertenmangel in den kommenden Jahren weiterverschärfen", stellt er fest. "Und dann werden die Älterensicher wieder für mehr Arbeitgeber interessant."

Alte Hasen

Pro

Contra