Banken

Verschwinden jetzt die Filialen an der Ecke?

10.06.2014 von Cornelius Welp und Mark Fehr
Stirbt die klassische Filiale? Kostendruck und Digitalisierung bedrohen die Zweigstelle an der Ecke. Die Rettung sollen nun vor allem technische Spielereien bringen - ein riskanter Weg.

Ole Franke ist nicht sauer, wenn man ihn einen Nerd nennt. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die neuesten Tablet-Rechner, Smartphones und Laptops, über die behäbigen Dienstrechner und klassischen Blackberrys seiner Kollegen in der Commerzbank kann er nur milde lächeln. Franke ist neu in der Finanzbranche, vorher hat er für Mobilfunker und Elektronikhändler den digitalen Vertrieb auf Vordermann gebracht. Nun soll er dem bisher stiefmütterlich behandelten Online-Banking bei Deutschlands zweitgrößtem Geldhaus auf die Sprünge helfen.

Technikfreaks wie Franke sind die Hoffnungsträger der Banken im Kampf um private Kunden. Sind sie zugleich die endgültigen Totengräber der klassischen Bankfiliale? "Der große Vorteil von Filialen ist die Beratung", sagt selbst Online-Profi Franke. Doch seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Zweigstellen bundesweit von 57000 auf 36000 gesunken.

Nun verschärfen niedrige Zinsen, der harte Wettbewerb und strenge Vorschriften bei der Anlageberatung den Kostendruck. Etliche Banken reagieren, indem sie weitere Standorte dichtmachen. Ein allzu rabiater Abbau ist jedoch riskant. Denn aller Technikbegeisterung zum Trotz bleiben Filialen für Kunden vorerst unverzichtbar.

Wenig Erfolg mit Sperenzchen

Ungeachtet dessen holt die Münchner HypoVereinsbank besonders weit mit der Axt aus. In den kommenden zwei Jahren wird sie bis zur Hälfte ihrer knapp 600 Filialen dichtmachen. Vorstandschef Theodor Weimer bemüht sich, den Eindruck einer Kapitulation aus Kostengründen zu vermeiden, und erklärt den Schritt zur Reaktion auf verändertes Kundenverhalten. 300 Millionen Euro steckt er in neue Technik und die Modernisierung der verbliebenen Standorte. Die Kunden will die Bank nun vermehrt mit technischen Sperenzchen wie Videoberatung in einer "Online-Filiale" beglücken. Damit hatte die HVB bereits experimentiert, mit mittelmäßigem Erfolg.

Tatsächlich ist die Bedeutung digitaler Angebote nochmals rapide gewachsen. In einer Studie der Beratung Bain gaben 35 Prozent der befragten Bankkunden an, in den vergangenen drei Monaten zumindest eine Zahlung mobil per Smartphone erledigt zu haben - eine Verdopplung innerhalb eines Jahres. Insgesamt mehr als 60 Prozent aller Bankgeschäfte finden digital statt. Tendenz: weiter stark steigend.

Trotzdem scheuen die meisten Banken den großen Schlag. Die Commerzbank, deren Geschäft mit Privatkunden als eine der größten von vielen Großbaustellen im Konzern gilt, versucht einen Mittelweg zwischen Rückzug und Offensive. Sie dünnt nach der Schließung von rund 300 Filialen infolge der Übernahme der Dresdner Bank 2008 das Netz zwar nicht weiter aus, baut aber 1800 Stellen im Privatkundengeschäft ab. Die verbliebenen 1200 Filialen sollen für 120 Millionen Euro modernisiert werden und ihre Produkte stärker über das Internet vertreiben. "Wir schaffen die Trennung zwischen Filiale und Online-Banking ab", sagt Privatkundenvorstand Martin Zielke. Bis Ende 2014 will er alle Produkte online anbieten, die auch große Direktbanken im Programm haben. Den Abschluss von Verträgen über das Netz hat die Commerzbank ursprünglich vorwiegend über die Tochter Comdirect ermöglicht, die als digitale Speerspitze fungierte. Die Sphärentrennung soll nun fallen, auch in den Köpfen der Mitarbeiter.

Kunden wollen Ratgeber aus Fleisch und Blut

Diese möglichst sinnvolle Verbindung von Technik und Filiale gilt aktuell als aussichtsreichster Weg aus der Misere. "Auch die Großbanken unterschätzen noch die Bedeutung der digitalen Präsenz", sagt Oliver Mihm, Chef der Frankfurter Beratung Investors Marketing. So könnten sie sich über einen ansprechenden Online-Auftritt deutlich stärker von der Konkurrenz absetzen als über ein schickes Filialdesign oder das vage Versprechen einer besonders guten Beratung.

Gerade für diese brauchen die Kunden weiterhin Ratgeber aus Fleisch und Blut. "Die Filiale wird primär zur Beratung für komplexere Themen wie Altersvorsorge, Baufinanzierung oder Vermögensmanagement aufgesucht", sagt Mihm.

Filialen werden nicht verschwinden

Ein überhasteter Rückzug kann leicht dazu führen, dass weniger technikverliebte Kunden dem Institut den Rücken kehren. Trotz gestiegener Akzeptanz zählen die Deutschen zu den Skeptikern: 58 Prozent aller Einkäufe zahlen sie bar. Und immerhin ein Drittel aller Kunden nutzt die Filiale noch für sämtliche Dienstleistungen. Die meisten von ihnen sind Senioren, die sich nur zögerlich für Technik begeistern. Dabei sind sie eine attraktive Kundschaft: Sie haben oft viel Geld gespart, das sie für sich oder ihre Enkel anlegen wollen. Wenn ihre gewohnte Zweigstelle zumacht, weichen sie zur Konkurrenz nebenan aus.

"Die Filiale wird in absehbarer Zukunft nicht verschwinden", sagt Bain-Berater Walter Sinn. Allerdings sieht er im deutschen Markt mittelfristig etwa ein Drittel der derzeitigen Standorte bedroht. "In die verbleibenden Filialen werden die Banken die neuen Technologien deutlich stärker integrieren", sagt Sinn. Das geschieht etwa durch in der Filiale ausgelegte Tablet-Rechner, die die Kunden mit aktuellen Finanzinformationen versorgen, und die Zuschaltung von Experten aus der Zentrale über Videokonferenzen. Zudem werde sich das Angebot stärker als bisher differenzieren, so Sinn: "Es reicht von noch kleineren Anlaufstellen für grundlegende Dienstleistungen zu Flaggschiff-Filialen, die mit ihrem Auftritt nach außen nicht zuletzt dem Image der Marke dienen."

Schmerzhafte Wechsel für die Sparkassen

Einen solchen Imagegewinn konnte etwa die Deutsche Bank mit ihrer Renommier-Filiale in der Berliner Friedrichstraße verbuchen. In dem Gebäude finden sich eine Lounge, ein "Trendshop" mit Designerartikeln und Kinderbetreuung. Aktuell will der Branchenprimus erheblich in neue Technologien investieren, hält aber gleichzeitig den Filialen die Treue. "Für uns gibt es trotz des schwierigen Umfelds keinen Anlass, an der Strategie und dem bestehenden Netz etwas zu ändern", sagt Privatkundenvorstand Rainer Neske. Das gelte auch für die Anfang 2012 komplett übernommene Postbank. Weil dort auch Postdienste im Angebot sind, gibt es einen regen Kundenzustrom. Allerdings können die Postbanker nur einen Bruchteil der Brief- und Paket-Laufkundschaft für sich gewinnen.

Besonders schmerzhaft ist der Wandel für Sparkassen und Volksbanken. Denn diese überzeugen ihre Kunden nicht durch günstige Preise, sondern mit kostspieliger flächendeckender Präsenz auch in entlegeneren Ortschaften. Nach wie vor gewinnen sie auch viele Kunden über die Filiale. Um diesen Wettbewerbsvorteil zu halten, wird bei der Miete gespart. So hat etwa der ostdeutsche Sparkassenverband das Projekt "Große Emma" aufgesetzt: Dabei teilen sich eine Sparkasse, ein Postdienst und ein Sozialdienst ein Gebäude.

Verbesserungen für berufstätige Kunden

Radikalere Konzepte setzt die Commerzbank um. Die Ausstattung der Filialen mit Beratern und Experten wird sich je nach Standort stark unterscheiden. Ausgesuchte Filialen in Innenstädten werden zu Flaggschiffen ausgebaut, die dortigen Mitarbeiter müssen sich auf flexiblere Arbeitszeiten einstellen. In einer Berliner Filiale testet die Bank Öffnungszeiten von acht Uhr morgens bis halb acht abends - eine deutliche Verbesserung für berufstätige Kunden.

In der Testfiliale hat das Unternehmen auch einen Videoautomaten installiert, an dem sich Kunden von einem über die Zentrale zugeschalteten Mitarbeiter beraten lassen können, wenn an Wochenenden kein Filialpersonal vor Ort ist. Bei einer Kontoeröffnung am Schalter können Kunden ihre Bankkarte gleich mitnehmen, statt wie bisher auf den Versand per Post zu warten. Allerdings wird es dauern, bis dieser Sofortservice überall zu haben ist. Erst mal wird er nur auf eine Reihe weiterer Teststandorte ausgeweitet.

Die Düsseldorfer Targobank hingegen baut ihr Filialnetz gegen den Online-Trend sogar aus. "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Standorte bis 2017 von aktuell 350 auf 400 steigen wird", sagt Vorstandschef Franz Josef Nick. Die Bank ist auf Konsumentenkredite spezialisiert und muss daher in Fußgängerzonen Passanten auf dem Weg zum Einkauf anlocken. Wegen des Rückzugs der Konkurrenz dürfte Nick kein Problem haben, gute Lagen zu finden.

(Quelle: Wirtschaftswoche)