Selbst auferlegter Erwartungsdruck lähmt

Viele Manager haben Angst

30.03.2009 von Karsten Langer
Führungskräfte müssen heute bisher nicht gekannte Spannungsfelder managen. Die meisten sind aber nicht drauf vorbereitet und beherrschen das nicht, auch wenn sie in St. Gallen waren. Die Globalisierung holt sie jetzt erst mit voller Wucht ein.

mm.de: Herr Sollmann, unter Managern herrscht einer Studie zufolge der suchende Typ vor. Was genau ist das?

Sollmann: Der suchende Typ (laut Studie mit knapp einem Drittel die größte Gruppe) weiß nicht, wo er hin will. Er weiß sogar häufig nicht, ob er überhaupt irgendwohin will. Seine Unsicherheit leitet sich her aus dem Spannungsfeld von Arbeit, Privatleben und Gesellschaft. Dieser Zustand wird in der gegenwärtigen Krisensituation noch verstärkt und ist natürlich bei Entscheidungen äußerst kontraproduktiv. Zudem eignet er sich nicht als Vorbild für die Mitarbeiter.

mm.de: Wie reagiert der suchende Typ in der Krise?

Sollmann: Die alten Handlungsmuster des Managements greifen in der Krise nicht, und auch die herkömmlichen, vertrauten Alternativen funktionieren nicht mehr. Manager sind am Ende ihres Lateins, zurzeit herrscht die große Desillusionierung. Ein Suchender, der aufgrund der Desillusionierung keine verinnerlichten Ziele mehr hat, an die er selbst noch glauben kann, hat keinen inneren Piloten mehr und fällt ins Bodenlose.

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mm.de: Welcher ist denn der geeignete Typ für die Krise?

Sollmann: Der moderne Typ (laut Studie nur 19 Prozent der Männer) ist sich seiner sicher, er weiß, wo er hingehört, wagt aber auch neue Wege. Der ist verhaftet in seiner Familie und stabilisiert durch seinen Freundeskreis. Die Familie ist dabei wieder im Trend, während Arbeit gleichzeitig für ihn eine hohe Bedeutung hat.

mm.de: Ist die Familie für Manager als Rückzugsraum wichtig, oder ist sie einfach das effizientere Modell für den Alltag?

Sollmann: Die Gesellschaft besinnt sich wieder auf traditionelle Werte, also auch auf die Familie. Das gilt auch für Manager. Effizienz ist nachrangig.

mm.de: Manager, die viel arbeiten, sehen ihre Familie höchst selten. Warum wird trotzdem so viel Wert auf Familie gelegt?

Sollmann: Der Manager erfährt durch die Familie eine psychische Stabilisierung. Oft ist man nur wenig Zeit mit ihr zusammen, aber deswegen ist sie nicht weniger wichtig.

"Das Heimchen am Herd hat keinen Platz"

mm.de: Manager sind es gewohnt, zu entscheiden. Kommen Sie dann überhaupt mit einer gleichberechtigten Partnerin zurecht? Oder hat das Heimchen am Herd wieder Konjunktur?

Sollmann: Der moderne Mann hat eine emanzipierte Partnerin, die da ist, wenn man sie braucht. Manager wollen gefordert werden, das Heimchen am Herd hat da keinen Platz. Eine solche Bindung ist vor allem wichtig, wenn es gilt, schwere Zeiten zu überstehen.

mm.de: Krisen gab es immer. Was ist an der jetzigen anders als sonst?

Sollmann: Führungskräfte müssen heute unbekannte Spannungsfelder managen können, Ambiguitäten und komplexe Wirkungszusammenhänge. Da sind die meisten aber gar nicht drauf vorbereitet. Das beherrschen die nicht, auch wenn sie in St. Gallen waren. Die Globalisierung holt uns jetzt erst mit voller Wucht ein. Manager müssen nun die Zeche für das zahlen, was sie sich vor 15 Jahren eingebrockt haben.

mm.de: Manager sollten souverän sein. Warum gehen Führungskräfte bei den aktuellen Problemen in die Knie?

Sollmann: Die jetzige Krise ist kein Pappenstil. Die Männer sind zudem, und das ist das Beunruhigende, innerlich destabilisiert. Ein Beispiel: Ein Vertriebsleiter, seit einem Jahr geschieden, arbeitet bei einem Mittelständler sehr eng mit seinen Kollegen im Topmanagement zusammen, arbeitet auch an den Wochenenden und versucht, den Laden trotz Krise am Laufen zu halten. Plötzlich fällt der tot um, Herzinfarkt. Drei Monate später bekommt ein anderer Topmanager desselben Unternehmens eine sehr schwere Autoimmunerkrankung. Anstatt sich zu regenerieren, macht der vom Krankenbett aus weiter Geschäfte.

"Hart bis zur Selbstaufgabe"

mm.de: Warum?

Sollmann: Seiner Meinung nach würde sonst die Firma untergehen - das ist ein klassischer Grund. Der Manager hat sich aber auch hart gemacht bis zur Selbstaufgabe. Der Tod wurde verdrängt, das Funktionieren und die Illusion von der eigenen Allmacht in den Vordergrund gestellt.

mm.de: Das ist ungesund und fürs Unternehmen gefährlich.

Sollmann: Die meisten Manager haben keinen Zugang zu ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit. Auch dies bestätigt die Studie der EKD. Wenn es Stress gibt, läuft der Manager weiter bis zum Exzess. Irgendwann bricht das System zusammen, und der Burnout ist noch das harmloseste Symptom körperlicher und seelischer Verletzungen.

Angst davor, ein Vorbild sein zu müssen

mm.de: Wie können sich Manager dieser Dynamik entziehen?

Sollmann: Viele Manager haben Angst. Angst davor, ein Vorbild sein zu müssen, an vorderster Front zu stehen, Unsicherheit oder gar Ohnmacht zeigen zu müssen, das heißt: angreifbar zu sein. Führungskräfte denken, sie müssten immer alle Erwartungen erfüllen und erfolgreich sein. Tatsächlich lähmt die Angst und verhindert einen dringend nötigen Perspektivwechsel. Spätestens jetzt in der Krise funktioniert das aber nicht mehr. Heute ist es wichtiger, Farbe zu bekennen und zu sagen: "Ich weiß auch nicht, was morgen kommt. Aber lasst es uns trotzdem anpacken." Viele Führungskräfte können das nicht, das muss sich ändern.

Ulrich Sollmann arbeitet als Kommunikationsexperte, Managementcoach und Politikberater. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Körperpsychotherapie, Beratung und Coaching von Führungskräften in Bezug auf ihre berufliche Rolle und Analyse, Kommunikation und Gestaltung der medialen Inszenierung von öffentlichen Personen, Politikern, Topmanagern und Unternehmen. Zu seinen Kunden zählen unter anderem Daimler, die Deutsche Bank, RWE und die Vereinten Nationen.