Interview mit Zukunftsforscher Horx

Von apokalyptischen Spießern und Angst-Kaskaden

20.07.2012 von Sascha Alexander
Tunnelblick, Zynismus, Passivität - groß sind die Hindernisse, die einer offenen und systematischen Sicht auf Gesellschaft und globale Probleme entgegenstehen. Zukunftsforscher Matthias Horx ist dennoch überzeugt, dass sich etablierte Denkweisen durchbrechen lassen.
Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher: "Es geht letztlich um ein besseres, komplexeres Welt-Erkennen".
Foto: Klaus Vyhnalek

Matthias Horx gilt als einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Nach einer Laufbahn als Journalist (bei der Hamburger ZEIT, MERIAN und TEMPO) gründete er zur Jahrtausendwende das Zukunftsinstitut, das heute zahlreiche Unternehmen und Institutionen berät.

Seine Bücher wie "Anleitung zum Zukunftsoptimismus" oder "Das Buch des Wandels" wurden Bestseller. Seit 2007 lehrt er Prognostik und Früherkennung als Dozent an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen.

CFOworld-Chefredakteur Sascha Alexander sprach mit ihm über die eigentümliche Art wie hierzulande die Zukunft betrachtet wird und warum Zukunftsforscher auch Führungskräften eine andere Sicht auf die Welt und Veränderungen vermitteln sollten.

Sie sagten kürzlich, wir leben in einer "Peak Time", in einer Gipfelzeit des industriellen Verbrauchs, des menschlichen Zugriffs auf die Natur. Aber viele dieser "Gipfel" hätten längst eine positive Wendung eingeschlagen - was macht Sie da so sicher?

Horx: Der Zugriff auf gewaltigen Mengen von Daten, die das Internet heute ermöglicht, aber auch neue Erkenntnisse der systemischen Zukunftsforschung. Letztere ermöglicht uns heute weitaus bessere und komplexere Modelle als die alten Alarm-Bilder, wie sie zum Beispiel der Club of Rome aufgestellt hat. Dazu kommt die Erfahrung, dass die Welt nicht linear verläuft, im Sinne von: Immer mehr Menschen, immer höherer Rohstoffverbrauch.

Wir haben es vielmehr mit dynamischen Systemen zu tun, deren Parameter sich ständig ändern. So wird zum Beispiel die Energieeffizient ständig besser, der CO2-Ausstoß in Europa stagniert, und da ist noch viel mehr drin. Die Menschheit kann durchaus "über den Berg" ihres Naturverbrauchs kommen, wenn wir konsequent Innovation betreiben. Auch glaube ich, dass Menschen immer dann lernfähig sind, wenn sie müssen. Das ist auch der Grund, warum es uns als Spezies überhaupt noch gibt.

Also betrachten Sie gesellschaftliche Entwicklungen als Wellenbewegungen, in denen nach einem Abschwung auch wieder ein Aufschwung kommen muss?

Horx: Momentan geht es beispielsweise aufwärts, auch wenn das viele Menschen anders sehen wollen. Wir leben im größten Wirtschaftsboom der Geschichte, auch wenn das meiste Wachstum heute nicht mehr in Europa und Amerika, sondern in Asien und Südamerika stattfindet. Wir können auch langsam lernen, "Wohlstand" anders zu definieren als nach "Verbrauchstonnen" oder "Wachstumsraten".

Das industrielle Zeitalter geht zu Ende. Wirtschaft wird immer mehr entmaterialisiert. Gleiches gilt für die Energiediskussion. Es gibt gewaltige Energiemengen, die täglich auf die Erde gelangen - Das Fünftausendfache von dem, was wir Menschen täglich weltweit als Strom verbrauchen! Es ist aus meiner Sicht also letztlich nur eine Frage von intelligenten Systemen der Konversion.

Evolutionssystematik

Sie sind also gegen augenblicksbezogene Beurteilung von Entwicklungen und deren Bewertung nach volkswirtschaftlichen Größen.

Horx: Ich bin kein Volkswirtschaftler, sondern ein Evolutionssystemiker. Unser Team geht von einer erweiterten Evolutionstheorie aus, die sich bei allen Unschärfen in der Vorhersage - die es natürlich auch bei uns gibt - mit den Wirkweisen evolutionärer Prozesse in unserer Wirklichkeit beschäftigt. Das ist eine andere, dynamischere Denkweise als die der Ökonomen oder auch der Umweltschützer.

Die Evolutionstheorie kann ein guter Schlüssel sein, um die stark vereinfachten Weltmodelle zu überwinden, die heute vorherrschen. Es ist immer auch eine Frage, von wem man sich inspirieren lässt. Charles Darwin hat uns noch viel zu sagen, allerdings müssen wir die Erkenntnisse der Evolution auch auf ökonomische, gesellschaftliche, politische Systeme übersetzen. Oder auf Firmenkulturen. Unternehmen, die evolutionär adaptiv sind, die sich im Umfeld ihrer Kunden ständig verändern, überleben. Unternehmen, die ein autistisches Eigenleben führen, stürzen ab.

Zynische Haltung in Deutschland

Das klingt zunächst einmal nach einem neutralen, wenn nicht gar positiven Weltbild. Doch was passiert, wenn die Menschen nicht mitmachen? Sie beklagen ja selbst eine zunehmende zynische, im Grunde der Zukunft gegenüber gleichgültige Haltung vieler Menschen hierzulande.

Horx: Mein Alarmismus bezieht sich auf die kollektive Psyche insbesondere in unserer deutschen Kultur mit ihren traumatischen Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, die immer wieder zu neuen Angst-Kaskaden führen. Wir haben eine gewisse hysterische Tendenz zu Populismen. Und das Problem ist, dass Hysterien auch Fakten schaffen, siehe Banken- und Europakrise. Wenn alle ihr Geld abheben, ist die Krise real. Doch bezieht sich meine Sorge nicht grundsätzlich auf die Entwicklung in der Welt.

Bei Ihrer evolutionären Sicht der Welt und dem Glauben an die Fähigkeit zur Veränderung müssten Sie solche "apokalyptischen Spießer" wie Sie sie gerade hierzulande ausgemacht haben, doch kalt lassen?

Horx: Global betrachtet stimmt das auch. Aber Deutschland spielt schon eine große Rolle in der Welt.

Mach uns mal einen Trend!

Wer will heute eigentlich in einer scheinbar überinformierten Welt noch die Prognosen eines Zukunftsforschers hören? Die Industrie und deren Marketingabteilungen?

Horx: Mit dem Marketing haben wir eher Probleme, weil dort oft opportunistische Trendforschung verlangt wird, nach der Devise: "Macht uns mal einen Trend, mit dem wir unser produktbesser verkaufen können."

Mir geht es darum, intelligente Menschen aus Politik und Wirtschaft in einer produktiven Weise so zu spiegelt, anzuregen und positiv zu "verunsichern", dass sie komplexer denken lernen.

Wir können heute zum Beispiel mit den Methoden unserer Prognostik ganz gut voraussagen, welche Technologien am breiten Markt ein Erfolg, welche ein Flop und welche eine Nische werden.

Viele Firmen wollen das aber gar nicht wissen, sie beharren auf ihren "Tunnelwahrheiten" und verbrennen sich dann die Finger im Markt. Zukunftsforscher sind die positiven Kassandras, die etwa Technologieunternehmen vor falschen Entwicklungen warnen müssen.

Und nimmt man Sie Ernst?

Horx: Nein (lacht). Aber manchmal kommt man auch in Umwegen zum Erfolg.

Gerade Finanzentscheider wie der CFO haben heute große Schwierigkeiten verlässliche Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung abzugeben. Wie gelingen Ihnen denn sichere Prognosen?

Horx: Das wäre jetzt eine komplexe methodische Diskussion. Aber grundsätzlich geht es in der integrierten Zukunftsforschung auch nicht darum, immer "verlässliche Prognosen" abzuliefern. Das geht eben in vielen Bereichen gar nicht, weil wir es mit dynamischen, manchmal auch chaotischen Systemen zu tun haben. So kann man zum Beispiel keine Börsenkurse voraussagen, obwohl tausende von Analysten behaupten, das zu können. Man kann aber sehr wohl die Dynamik von Sozialen Prozessen wie Alterung, Feminisierung, Ökologisierung, Wandel der Arbeitswelt voraussagen.

Ich könnte einem Finanzvorstand nicht sagen, wo er genau investieren soll, aber ich könnte ihm Kriterien an die Hand geben, mit denen er seine Wahrnehmung, seine Matrix von Prozessen und Systemwissen schulen und besser anwenden kann. Es geht letztlich um ein besseres, komplexeres Welt-Erkennen, und da gibt es durchaus ein Netzwerk von Managern und Politikern, die daran Interesse haben, systemische Zukunftsforschung anzuwenden.

Wie weit würden Sie sagen beeinflusst die Weltsicht von Führungskräften den wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmen?

Horx: Die Antwort muss doppeldeutig ausfallen: Manchmal viel weniger als man denkt. Es gibt Untersuchungen über den Beitrag von Führung zum Unternehmenserfolg, die sind eher ernüchternd. Das Top-Management hat oft einfach nur Glück. Es saß gerade dann am Ruder, als die Märkte quasi automatisch boomten, und sie haben dann einfach keine groben Fehler gemacht. Am gefährlichsten ist es für Manager, die ständig von "Visionen" sprechen. Visionen führen leicht zu einer Tunnelsicht auf die Zukunft.

Markt-Gewalt-Phantasien

Man denke an die Vision vom "globalen Autokonzern", der die Daimler-Chrysler-Mannschaft jahrelang hinterhergerannt ist. Der Job eines guten Zukunftsforschers ist, die Visionen auf ihre Zukunftswirklichkeit auseinanderzunehmen.

Oft zeigt sich dann, dass hinter solchen Visionen eine ziemlich mickrige Marktdominanz-Idee steckt. "Wir wollen der größte werden!" Das ist eigentlich eine Markt-Gewalt-Phantasie, hat aber mit echter Innovation, mit wirklicher Adaptivität, nichts zu tun. Es gibt allerdings auch sehr kompetente Manager, die komplex handeln, denken und agieren und uns Zukunftsforscher gar nicht brauchen. (CFOWorld)