Ausgehungertes Betriebssystem

Warum der Windows Nano Server das Rechenzentrum revolutioniert

28.09.2015 von Jonathan Hassell
Alle Augen sind derzeit auf Windows 10 gerichtet, aber Microsofts neuer Nano Server dürfte viel weitreichendere Auswirkungen haben.

Im April präsentierte Microsoft heimlich, still und leise, woran seine Windows Server Engineering Teams bereits geraume Zeit gearbeitet haben. Man könnte als eine weitere Veröffentlichung aus einer langen Reihe von Produkten betrachten, aber der Nano Server hat das Potential, die Rechenzentren dieser Welt ganz neu aufzustellen.

Was ist der Windows Nano Server?

Windows Nano Server hat ursprünglich auf den Projektnamen Tuva gehört (an dieser Stelle Dank an Microsoft, dass es nicht mit der Tradition gebrochen hat, wirklich coole Codenamen zum Release durch brutal langweilige Produktnamen zu ersetzen) und ist im Wesentlichen Windows ohne GUI und andere Anhängsel. Anders als der Server Core, einer GUI-losen Installationsmöglichkeit des Windows Server 2008, kommt der Windows Nano Server wirklich ohne jede Verbindung zur grafischen Benutzeroberfläche oder zu GUI-basierten Applikationen aus.

Beim Server Core wurde einfach das GUI weggelassen, die dahinterliegenden Win32 API-Oberfläche wurde aber weitgehend beibehalten, so dass man mittels Haken in einer Checkbox sämtliche Komponenten reaktivieren konnte - zumindest ab dem Windows Server 12. Man musste nichts nachinstallieren. Der Windows Nano Server kommt dagegen komplett ohne 32-Bit Application Support aus, auch die Microsoft Installer (MSI)-Applikationen sucht man vergeblich, genauso wie viele andere Anwendungen, die im Laufe der Zeit entstanden sind und heute bei Cloud-Rechnern für mehr Probleme denn Lösungen sorgen.

Windows Nano Server wird als "headless" und "sessionless" angepriesen: Wie erwähnt findet sich kein GUI. Es gibt auch kein lokales Login, keine Möglichkeit, Maus oder Keyboard anzuschließen oder ihn irgendwie auf dem Desktop zu verwalten. Stellen Sie sich ihn als Linux Box in der Cloud vor, zu der Sie keinen SSH-Zugang haben - Sie müssen ihn remote nutzen und verwalten. Außerdem kann er nichts außer Services und Applikationen hosten. Er ist sehr kompakt und verfügt über wenige Anschlüsse - gerade genug, um als Server-Betriebssystem für ganz bestimmte Fälle zu fungieren.

Beim Windows Nano Server geht es einzig darum, Applikationen darauf laufen zu lassen - "kopflose" Applikationen, die speziell für den Nano designt wurden, ihre Verwaltungswerkzeuge remote offerieren und Nutzeranfragen ohne großes hin und her beantworten. Solche Applikationen, die ganz speziell für den Nano Server gebaut werden und in Containern laufen können, nutzen Runtimes wie C#, Java, Node.js oder Python.

Auf dem Windows Nano Server können auch Infrastructure-Services wie ein Scale-out File Server, DNS, DHCP, in eingeschränktem Maße Hyper-V, Hyper-V Failover Clusters und einiges mehr laufen. Es gibt nur eingeschränkt Unterstützung für Standard-Windows-APIs. Kurz gesprochen funktioniert alles, was keine großen Interaktionen oder Support für GUIs oder 32 Bit Application benötigt.

Wie wirkt sich das Weglassen des GUI Application Support Framework in der Realität aus? Antwort: In vielen Beziehungen. Im handelsüblichen Windows Server findet sich jede Menge überflüssiger Programmiercode - trotz der hochklassigen Qualitätsanmutung jüngster Server-Releases. Im Nano Server findet sich nichts mehr davon. Das lässt sich an folgenden Fakten ablesen:

Warum der Windows Nano Server wichtig ist

Aktuell wurde der Windows Nano Server für die Cloud entwickelt. Man kann sich aber auch vorstellen, dass verschiedene Nano Server VMs mit Gastanwendungen in Container wie etwa Docker laufen und das ganze einfach und ohne nennenswerte Hürden zwischen Azure-Umgebungen und Ihrem eigenen Rechenzentrum hin- und hergeschoben werden. Zumal diese VMs gerade mal einen Bruchteil der Größe von vergleichbaren Windows Server Images ausmachen.

Entwickler- und Ihr Betriebssystem-Team können nun unter Einsatz der Container-Technologie noch enger zusammenarbeiten, um Applikationen und vorkonfigurierte Versionen des Nano Server als Einheit noch besser kooperieren zu lassen. Für Web Applikationen und definierte Infrastrukturrollen könnte der Windows Nano Server ab kommenden Jahr eine gute Wahl sei, wenn er zeitgleich mit dem Windows Server 2016 vorgestellt wird.

Noch viel wichtiger ist aber die längerfristige Perspektive: Windows Nano Server stellt die Zukunft von Windows dar. Eine Zukunft, in der man einen Schluss-Strich unter den Support von Uraltanwendungen und Legacy-Infrastruktur gezogen hat, eine Zukunft, in der ein abgespecktes Windows remote verwaltet wird, und zwar auf einfachste Art und Weise.

Windows Nano Server soll Windows Server 2012 R2 oder Windows Server 2016 in keiner Weise ersetzen, aber man kann sich ausrechnen, dass bald kein großer Bedarf mehr für mächtige Server bestehen wird, da mehr und mehr Legacy-Anwendungen ausgemustert werden und immer mehr Workloads in die Cloud wandern. Wir werden es mit einer völlig neuartigen Welt zu tun bekommen, in der der Windows Server mehr und mehr die Rolle von Windows 10 einnimmt. Es wird keine großen Revisionen mehr geben oder Betriebssystemnummern a la x.123, sondern nur noch solide Updates, die direkt aus Redmond verschickt werden.

Noch ist der Windows Nano Server ein Exot, aber mit Sicherheit wird er zum wichtigsten Betriebssystem überhaupt werden. Dann werden all die anderen Windows Server-Betriebssysteme die Exoten sein.