Rechtstipps für CIOs

Was Crowdsourcing Unternehmen bringt

04.08.2011 von Riem Sarsam
Dank Internettechnik lässt sich der Mechanismus der Schwarmintelligenz nutzen. Auch Unternehmen können von der neuen Spielart der Entscheidungsfindung profitieren. Ein Gespräch mit Thomas Schildhauer, Direktor des Institute of Electronic Business.
Thomas Schildhauer Direktor, Institute of Electronic Business: "Mit einem Crowdsourcing-Tool hat der CIO eine Art Seismografen an der Hand."
Foto: Institute of Electronic Business e.V.

CIO: Herr Professor Schildhauer, was versteht man unter Crowdsourcing?

Schildhauer: Der Begriff ist eine Kombination aus Crowd, also Masse, und Sourcing, dem Hereinholen, Besorgen. Die Grundidee von Crowdsourcing ist, bestimmte Aufgaben an viele Menschen zu verlagern. Damit macht man sich die sogenannte Schwarmintelligenz zunutze.

Open Source wäre demnach eine Unterform des Crowdsourcings?

Wir unterscheiden mehrere Formen des Crowdsourcings. Es gibt die Crowd-Collaboration, darunter fällt die Open-Source-Software-Entwicklung. Dabei arbeiten viele an einer bestimmten Aufgabenstellung. Eine andere Form ist Crowdvoting, wo etwas zur Abstimmung gestellt wird. Das reicht von politischen Fragen bis hin zu Produkt- oder Designideen. Dann gibt es das Crowdfunding, also Sourcing im Sinne von Geldbeschaffen. Beispielsweise stellt jemand ein bestimmtes Projekt auf eine Crowdfunding-Plattform und versucht so, die nötige Geldsumme einzusammeln. Neben solchen thematisch gesteuerten Formen steht gewissermaßen als oberste Ausprägung die Collective Intelligence. Ohne eine konkrete Aufgabenstellung entwickeln die Menschen hier selbstständig etwas Neues.

Sie sind der Meinung, Unternehmen könnten die Schwarmintelligenz oder Weisheit der Masse auch intern nutzen. Wie soll das aussehen?

Das Prinzip, viele Menschen dazu zu bringen, gemeinsam Lösungen zu finden, eignet sich hervorragend für die interne Kommunikation. Über die Plattform lassen sich leicht Abteilungsgrenzen aufheben.

Aber es gibt doch schon das seit Jahrzehnten - mehr oder weniger erfolgreich - eingeführte Betriebliche Vorschlagswesen ...

Das Betriebliche Vorschlagswesen läuft häufig über einen hierarchischen Prozess. Wer einen Vorschlag macht, bekommt ein Feedback von seinem Vorgesetzten. Das Geniale an den Plattformen ist ja, dass nicht nur Ideen entstehen, sondern dass sie weiterentwickelt werden. Durch die Kommentare und Diskussionen tauchen Aspekte auf, die der Ideengeber nicht bedacht hat. Nach und nach verbessert sich so die Ursprungsidee. Diese Rückkoppelungsschleife haben und hatten wir beim Betrieblichen Vorschlagswesen nicht.

Im Social Web bestätigt sich immer wieder die 90-9-1-Regel: Ein Prozent der Leute ist aktiv, neun Prozent reagieren, und 90 Prozent sind passiv. Gilt dieses Verhältnis auch für Crowdsourcing-Plattformen?

Ich will mich nicht auf die exakte Prozentzahl festlegen, das Verhältnis dürfte aber ähnlich sein. Beim Crowdsourcing spielen allerdings die neun Prozent Reaktiven eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie greifen die Ideen und Ansätze auf, bringen neue Aspekte und Gedanken ein und sorgen damit für das Heranreifen einer guten Lösung. Insofern sind sie auf jeden Fall dem aktiven Potenzial zuzurechnen.

Aber wie motiviert man die Leute, sich zu beteiligen?

Wenn man jetzt nicht gleich den ganz hohen Anspruch daran stellt, sondern das Projekt zunächst als Experiment, also eher spielerisch anlaufen lässt, stehen die Chancen für eine rege Beteiligung nicht schlecht. Wenn die Leute keine Angst haben, ausgelacht zu werden, und feststellen, dass andere mitgehen, kommentieren, überlegen, wie man ihre Idee verfeinern kann, beinhaltet Crowdsourcing sogar einen enormen Spaßfaktor.

Inwieweit kann denn der CIO Crowdsourcing für sich nutzen?

Der CIO beziehungsweise die IT-Abteilung kann es sehr gut für das eigene Angebot, die eigene Leistungen nutzen. Die Anwender können dort beispielsweise vorschlagen, was sich besser machen lässt, oder äußern, was ihnen fehlt. Vielleicht taucht ja auch die eine oder andere charmante Idee auf, wie sich etwas lösen lässt. Ich glaube, dass an dieser Stelle noch ein unglaubliches Potenzial schlummert. Gerade für diese kleinen Geschichten, die den Anwender nerven, was der CIO aber unter normalen Umständen überhaupt nicht mitbekommt. Mit einem Crowdsourcing-Tool hat er auf einmal eine Art Seismografen an der Hand.

Sehen Sie noch weiteres Potenzial für Crowdsourcing in der IT?

Das Crowdvoting beispielsweise kann der CIO als Entscheidungshilfe für seine Projekte nutzen. Angenommen, er hat eine Prioritätenliste für seine Projekte. Wie üblich erlaubt das Budget aber nicht, alles zu machen. Einige Vorhaben sind gesetzt, aber bei anderen kann die IT sich öffnen und flexibilisieren. Der CIO stellt eine Liste zur Wahl und lässt die Mehrheit darüber abstimmen beziehungsweise die Vorhaben kommentieren.

Besteht nicht die Gefahr, sich in einer Fülle aus Vorschlägen zu verzetteln?

Der CIO sollte nicht gleich mit der höchsten Stufe, also einer ungesteuerten Plattform, beginnen. Irgendwelche Vorschläge zu allen Themen einzufordern kann natürlich in einem Chaos enden. Stattdessen empfiehlt es sich, in kleineren, niedrigeren Stufen anzufangen, etwa indem der CIO zunächst eine begrenzte Liste an Themen und Projekten vorschlägt. Er kann aber auch bestimmte Aufgaben stellen oder einen Wettbewerb ausrufen und die Reaktionen kommentieren lassen. Wichtig ist, sich sukzessive und vorsichtig dem Prinzip zu nähern und ein Community-Management einzusetzen, um gegenzusteuern, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Crowdsourcing - Acht Beispiele aus dem Netz

Pling.de verbindet Projektideen mit Geldgebern. Über den Dienst Flattr können Medien für ihre kostenlosen Inhalte Einnahmen sammeln. Und Sellaband beispielsweise bietet Bands, denen es noch am Finanziellen fehlt, eine Sammelplattform. Bei Tchibo Ideas wiederum stellen Leute ihre Produktideen vor, andere feilen daran, und wenn die Begeisterung groß genug ist, lässt der Kaffeeröster das Ergebnis sogar produzieren. Einen gezielteren Weg hat IT-Anbieter Dell eingeschlagen: Unter Dellideastorm diskutieren Interessierte die Verbesserung oder Erweiterung der eigenen Produkte.

Nicht für jedermann, sondern als Treffpunkt für professionelle Designer haben sich inzwischen die Sites Jovoto oder 99Designs etabliert. Hier können Organisationen Kreativaufträge ausschreiben für Logos, Web-Seiten oder neue Verpackungen. Die Lösung für alle Probleme wiederum bietet Innocentive, eine der bekannteren Open-Innovation-Plattformen, auf der Experten unterschiedlicher Fachbereiche nach Lösungen für diverse Probleme suchen.

Welche ist zurzeit Ihre Lieblings-Crowdsourcing-Plattform?

Ein sehr schönes, nicht kommerzielles Projekt, das meine höchste Achtung hat, ist der Aufruf, ein Logo für die Menschenrechte zu entwerfen. Hinter humanrightslogo.net steht eine Initiative aus zehn Ländern mit diversen berühmten Persönlichkeiten, unter anderem Friedensnobelpreisträgern, in der Jury. Die Aktion läuft bis zum Herbst dieses Jahres. Meiner Ansicht nach ist es nicht nur ein ehrenwertes Anliegen, sondern ich bin überzeugt, dass das in kaum einer anderen Form vorstellbar wäre. Welche Agentur aus welchem Land hätte ein global akzeptiertes Logo erfinden können, das weltweit akzeptiert ist? Übrigens: Wenn es funktioniert, kann das auch multinationale Unternehmen interessieren. Es gibt ja einige, die Schwierigkeiten haben, ihre Mitarbeiter hinter ein Thema zu kriegen, vielleicht sollten sie es einfach mal mit Crowdsourcing probieren.

Rechtliche Fallstricke bei Open-Innovation-Plattformen

Was CIOs beachten müssen*

Kreativität und Erfindungsreichtum treffen auf die Generation Facebook - "Open-Innovation"-Plattformen haben in der deutschen Unternehmenslandschaft Konjunktur. Große Player wie Osram, Henkel, Deutsche Post/DHL oder Lufthansa beflügeln bereits ihre Innovationsprozesse durch Social Media. Die Plattformen bringen hunderte interne und externe Experten zusammen. Miteinander vernetzt entstehen dabei mitunter hochwertige Verfahren, Produkte und Anwendungen.

Für die Unternehmen liegt darin ein mächtiges Werkzeug, den Innovationsprozess im Unternehmen zu steuern und zu anzufeuern. Allerdings eines, bei dem rechtliche Fehler teuer zu stehen kommen können. Denn für das Unternehmen entscheidend ist, dass die Ergebnisse der Kollaboration später auch genutzt werden dürfen. Das ist keine triviale Aufgabe und erfordert die frühzeitige Einbindung rechtlicher Berater bei der Konzeptionierung der Plattform.

Freier Wettbewerb der Ideen vs. Schutzrechte

Allgemeine Ideen (zum Beispiel eine bestimmte Geschäftsidee) sind zwar grundsätzlich schutzfrei, um den Wettbewerb zu fördern. Häufig entstehen an den gemeinsam geschaffenen Innovationen aber Schutzrechte. Betrifft der "Geistesblitz" beispielsweise ein Verfahren zur Fertigung eines bestimmten Bauteils, kann dies eine Erfindung darstellen, die als Patent oder Gebrauchsmuster schutzfähig ist. Wird gemeinsam eine Software geschaffen, ist das Programm urheberrechtlich geschützt. Diese Schutzrechte bedeuten, dass ohne Erlaubnis der Schöpfer kein Dritter das Verfahren oder das Computerprogramm benutzen darf.

Rechtliche Absicherung notwendig

Für "Open Innovation"-Plattformen heißt das: Der Betreiber muss sicherstellen, dass er an den auf der Plattform geschaffenen Ergebnissen Rechte erhält. Wer das Schutzrecht eines Dritten widerrechtlich verletzt, muss nicht nur in teuren Gerichtsverfahren Nutzungsverbote hinnehmen und aufhören Produkte zu vermarkten, die auf der geschützten Innovation basieren. Es drohen darüber hinaus Schadensersatzzahlungen. Unter dem Strich verliert das Unternehmen somit im schlimmsten Fall nicht nur ein wertvolles Produkt und das damit verbundene Marktrenommee, sondern auch eine Menge Geld. Dieses Risiko ist nicht nur theoretischer Natur: Beispielsweise verfolgt die Open-Source-Gemeinde mitunter durchaus wehrhaft die eigenen Rechte, wie einige Unternehmen vor deutschen Gerichten schon schmerzhaft erfahren mussten. So urteilte das Landgericht Bochum kürzlich zugunsten eines Programmierers, dessen Programm unter den Open-Source-Lizenzbedingungen der Lesser General Public License (LGPL) stand. Die kommerzielle Verwertung des Programms war dem Beklagten - dem Anbieter einer Wirtschaftssoftware - untersagt.

Nutzungsbedingungen

Am besten schützen kann man sich vor diesem Risiko, indem jeder Nutzer der Plattform über entsprechende Nutzungsbedingungen die Rechte an seinen Beiträgen dem Plattformbetreiber einräumt. Bei externen Nutzern, die sich online registrieren, stellen sich hier beispielsweise Fragen nach deren Identität. Kann das Unternehmen im Zweifelsfall nachweisen, dass der Nutzer seine Rechte abgetreten hat, wenn sich dieser unter falschem Namen registriert hat? Sind die Klauseln in den Nutzungsbedingungen rechtlich wirksam, oder verstoßen sie gegen die AGB-rechtlichen Kontrollregeln, die im deutschen Recht für vorformulierte Verträge gelten?

Sondersituation bei eigenen Arbeitnehmern

Noch komplexer wird es, wenn sich - wie das regelmäßig der Fall ist - eigene Arbeitnehmer an der Plattform beteiligen. Nach deutschem Arbeitsrecht steht dem Arbeitnehmer für im Dienst gemachte Erfindungen eine Sondervergütung zu sobald der Arbeitgeber die Erfindung nutzt. Dazu kann es Sonderregeln in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder den einzelnen Arbeitsverträgen der Mitarbeiter geben. Diese arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften lassen sich nicht ohne Weiteres umgehen und müssen bei der Konzeption der Plattform berücksichtigt werden. Bei multinationalen Unternehmen sind zusätzlich die jeweiligen lokalen Rechtsordnungen zu beachten. Wenn auf einer "Open-Innovation"-Plattform über Log-Dateien auch eine Kontrolle der Mitarbeiter möglich ist, unterliegt die Einführung zudem dem Mitbestimmungsrecht, so dass der Betriebsrat oder die Mitarbeitervertretung rechtzeitig eingeschaltet werden muss.

Fazit

"Open Innovation" kann ein nützliches Tool für Unternehmen darstellen, die die Kreativität ihrer eigenen Mitarbeiter mit der Expertise externer Fachleute bündeln möchten. Damit am Ende auch verwertbare Ergebnisse stehen, sollten CIOs die rechtliche Ausgestaltung schon beim Aufbau der Plattform mit in den Fokus nehmen. Viele Mechanismen, die für die rechtliche Absicherung erforderlich sind, müssen technisch auf der Plattform umgesetzt werden. Wer hier vorschnell vollendete Tatsachen schafft, riskiert, dass dem Unternehmen wertvolle Ergebnisse für die produktive Nutzung verloren gehen oder teuer wieder erkauft werden müssen.

* Der Autor Jens Nebel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei der Essener Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare.