Karriere neu überdenken

Was Führungskräfte künftig können müssen

22.03.2010 von Helene Endres und Klaus Werle
Graue Söldnertypen und flatterhafte Karrieristen braucht jetzt niemand. Benötigt werden die Leader mit dem Mut, Neues zu wagen. Und Leute, die ihrem Arbeitgeber den Rücken kehren.

Die Veränderung kommt auf leisen Sohlen mit Gummiprofil. Diskret und fast unscheinbar arbeitet sie sich durch Deutschland, es wäre leicht, sie zu übersehen. Und doch steht sie auf einmal da, im wuseligen Hamburger Hauptbahnhof, lächelt und sagt leise "Guten Tag, Suchanek mein Name".

Andreas Suchanek trägt graues Haar und grauen Vollbart, die Brille ist dezent, die Aktentasche prall gefüllt und wetterfest. Der Wirtschaftsethik-Professor ist Vorstandsvorsitzender des Wittenberg-Zentrums für globale Ethik. Sein Vorzeigeprojekt ist ein Moralkodex für die Chemiebranche, unterzeichnet von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Das war im August 2008, einen Monat vor Lehman. Seither reist er noch mehr als zuvor durchs Bundesgebiet, emsig, in freundlicher Verbindlichkeit und mit Bahncard 100, um Dialoge in Gang zu bringen. Die führt man jetzt gern, doch irgendwie ist das auch das Problem: "Über Verantwortung, Fairness, Respekt und Ähnliches zu reden ist einfach", sagt Suchanek, "aber dann kommt das Alltagsgeschäft, und man denkt nicht mehr daran."

So gestalten sie sich mühsam, die Reisen des Herrn Suchanek. Ethik in der Wirtschaft, das war noch nie leicht in einer cc-Kultur, in der Mails stets an möglichst viele verschickt werden, weil keiner Verantwortung tragen will. Es ist noch schwieriger geworden, seit durch die Republik dieses unterschwellige Gefühl wabert, es müsse sich durch den Wirtschaftseinbruch etwas verändern - aber keiner so recht anfangen will.

Fast anderthalb Jahr schon hält die Krise die Republik im Würgegriff. Nun, da die Indikatoren zaghaft wieder nördlichen Kurs setzen, ist das Wort, das die Lage des Landes am ehesten trifft, nicht Erleichterung. Sondern Irritation: Viele fragen sich, ob überhaupt etwas anders ist. War's das schon?

Foto: manager-magazin.de

Gefunden im manager-magazin

"Die Krise wurde so gut gemanagt, dass ein Umdenken erst gar nicht in Gang kommen konnte", sagt Roger de Weck, Wirtschaftsphilosoph und Buchautor ("Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus?"). Sicher, ein paar Regulierungen werden verschärft, ein Gesetz soll die Gehälter von Topmanagern ein bisschen regeln, Firmen wie die Commerzbank verkündeten öffentlichkeitswirksam neue Vergütungskriterien für Vorstände. Eine Addition von Krümeln ist das, mehr nicht.

Wie die Krise die Manager verändert

Leistungsdruck

Arbeitsintensität

Die Auswirkungen der Krise auf das Privatleben

Persönlicher Rechtfertigungsdruck

Rechtfertigungsdruck in bestimmten Situationen

Ein paar Monate nur ist es her, da war kein Superlativ zu groß, kein Paradigmenwechsel zu gewaltig, um die Folgen des größten Einbruchs seit 1929 zu beschreiben: Von der "Kernschmelze des Systems" war die Rede, von monströsen Arbeitslosenzahlen, von einem neuen Kapitalismus, der ohne Wachstum auskommt. Manager wurden zu Geiseln, die Ex-Milliardärin Madeleine Schickedanz fand sich auf Hartz-IV-Niveau wieder, britische Boulevardblätter gaben Tipps zum Kartoffelanbau im eigenen Garten - für die in Bälde erwartete Rückkehr zur Naturalwirtschaft. Alles schien vorbei.

Karriere am Limit

Und jetzt? Der Finanzsektor verbucht Rekordgewinne, es darf wieder Champagner geordert werden. "Bislang habe ich keine wesentliche Veränderung im Verhalten der Marktteilnehmer gesehen", bilanzierte EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark trocken. Die Realwirtschaft hat restrukturiert, Konzerndiäten verordnet, Stellhebel verschoben. "Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass deutsche Unternehmen im Vergleich gut aufgestellt waren. Deshalb waren einschneidende Maßnahmen nicht erforderlich", formuliert Bayer-Vorsteher Werner Wenning die Stimmung.

Hurra, wir leben noch!

Die Frage ist: Wie geht es weiter? Wie sehen die Leitlinien aus, persönlich und firmenpolitisch, für die Überlebenden des großen Knalls?

Unter der scheinbar glatten Oberfläche brodelt es. Wachstum ist kein Perpetuum mobile mehr, sondern oft Stop and go. Geschäftsmodelle stehen zur Disposition, Führungskräfte wurden entlassen, Boni gekippt, fein ziselierte Karrierepläne durchkreuzt. Die Art zu managen wird nicht mehr dieselbe sein wie vor der Krise, da sind sich alle Akteure einig. Über den Horizont lugt eine merkwürdige Zwischenzeit, in der die Nachhaltigkeit gefeiert und gefordert wird, während gleichzeitig alle auf die nächsten Quartalszahlen starren.

Leise, doch stetig verschieben sich auf zwei Ebenen die Gewichte: Die Wirtschaft muss sich einrichten im viel zitierten "new normal", der pragmatischeren, rundum ernüchterten Post-Krisen-Ära. Und einzelne Firmen oder Führungskräfte nutzen die Gelegenheit, ihre Prozesse oder Karrierepläne umzubauen.

"Jetzt wird die Zukunft gebaut", sagt Linda Pelzmann, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Universität Klagenfurt. "Der große Wandel steht noch aus, aber die Weichen werden jetzt gestellt. Niemals in den vergangenen 80 Jahren war es so wichtig, die richtigen Leute an der Spitze zu haben."

Aber wer sind die richtigen Leute für dieses "new normal"? Welche Fähigkeiten werden Manager künftig brauchen, wie können sie sich klug positionieren? Gibt es eine Karriere in und nach der Krise?

Zuerst die schlechte Nachricht: Für die breitbeinigen "Hoppla, hier komm' ich"-Typen wird es jetzt eng. Wer in Beförderungen immer nur die Zwischenstation für den nächsten Schritt nach oben sieht und Karriere vor allem als Anhäufung von Statusmeilen und Übernachtungen im "Adlon" begreift, fliegt schnell auf in einer Zeit, da die Firmen mit Argusaugen ihre Führungsebenen screenen und die Gelegenheit nutzen, Schönwetterkapitäne über Bord gehen zu lassen. "In guten Zeiten fällt der Karrierist gar nicht auf, denn er macht ja einen ordentlichen Job. In der Krise zeigt sich, dass ihm die Substanz fehlt", sagt Wolfgang Walter.

Die drei Phänotypen unter Topmanagern

Der Leiter der Coaching-Praxis der Personalberatung Heidrick & Struggles hat unter Topmanagern drei Phänotypen ausgemacht: Noch vor den "Karrieristen" vom Schlage eines Thomas Middelhoff stellt der "Technokrat" die größte Gruppe: Fachlich exzellent, trifft er in schwierigen Zeiten effiziente Entscheidungen von granitener Solidität. Er ist der Ingenieurstyp, einer wie Martin Winterkorn von Volkswagen oder auch der legendäre Ferdinand Piëch, der mit Cost Cutting und Umstrukturieren das Weiterso am Laufen hält. Bisweilen wundert er sich über die merkwürdige Stimmung in der Firma, lässt sich davon jedoch nicht weiter irritieren. "Die Probleme kommen, wenn die Krise vorbei ist", prophezeit Walter. "Dann wird ihm die Organisation seine Kühle übel nehmen."

Leader wie der BASF-Chef sind gefragt

Ideal, leider jedoch viel zu selten in freier Wildbahn anzutreffen, agiert der "Leader", der dritte Phänotyp. Im Gegensatz zum Karrieristen denkt er inhaltlich, bezieht aber anders als der Technokrat seine Mannschaft mit ein. Er führt durch Vorbildlichkeit. Natürlich verschont die Krise auch ihn nicht, "doch er merkt, dass er in seinem Umfeld tatsächlich etwas bewegen kann - Arbeitsplätze retten etwa oder die Lage nutzen, um strategische Veränderungen schnell umzusetzen", wie Change-Management-Experte Klaus Doppler sagt. Das Anmanagen gegen die Krise erlebt er nicht selten sogar als befriedigend, weil er positiv gestalten kann.

BASF-Chef Jürgen Hambrecht gilt als ein solcher Leader, ähnlich wie Bayer-Mann Wenning. Der Typus findet sich jedoch auch weit unterhalb der Dickschiff-Liga Dax; dort, wo zuletzt nicht um einige verlorene Umsatzpunkte gefochten wurde, sondern um die nackte Existenz. Bei Odelo zum Beispiel. 2007 aus einem Teil der Traditionsfirma Schefenacker entstanden, startete der Rück- und Bremsleuchtenhersteller (Umsatz: rund 180 Millionen Euro) gleich mit einem Einsparziel von 25 Millionen Euro.

Dann kam die Krise mit Einbrüchen von zeitweise 50 Prozent. Geschäftsführer Zeljko Matijevic (48) verlagerte die Produktion großenteils nach Slowenien, aber er tat noch mehr. Er nutzte die Umbruchzeit, um den Entwicklungsprozess grundlegend zu optimieren, kappte das Reisebudget (keine Flüge, keine Züge mehr) und verhandelte einen gestaffelten Gehaltsverzicht - 10 Prozent für die Belegschaft, 15 für die erste Führungsebene, 20 für die Geschäftsführung, also auch für sich selbst: "Wenn man in so einer Lage nicht vorangeht, hat man schon verloren", sagt der Odelo-Chef, der wie alle im Betrieb den Anzug gegen ein Polo-Shirt mit Firmenlogo getauscht hat.

Authentizität, Solidarität, Transparenz - das braucht, wer wie Matijevic in einer Betriebsversammlung tausend Mitarbeitern sagen muss, dass jeder Zweite den Job verliert. "Ganz bittere Wochen" waren das, aber es gab keine Buhrufe, keine Sekunde Streik. Und das gute Gefühl, "dass es uns noch gibt, weil wir gemeinsam an das Unternehmen glauben".

Wie viele andere Unternehmen zeigt der Fall Odelo, wie sich das Managen in der Krise verändert hat - und noch viel mehr, welche Fähigkeiten künftig von Führungskräften verlangt werden. Graue Söldnertypen und flatterhafte Karrieristen kann jetzt niemand brauchen; benötigt werden die Leader mit dem Mut, Neues zu wagen. "Daran, wie ein Topmanager jetzt reagiert, wird sich entscheiden, ob er in die Geschichte als Held eingeht oder als Looser", sagt Professorin Pelzmann, die über die Psychologie der Krise ein Buch geschrieben hat.

Und hier ist die gute Nachricht: Nie war es so einfach für die Firmen, diese Couragierten zu identifizieren. Denn mit der Qualität eines Managers ist es wie mit einem Auto: Wenn sie frisch lackiert in der Sonne blitzen, sehen alle Modelle gut aus. Erst im Crashtest zeigt sich, welcher Wagen etwas aushält.

Wen Headhunter gerade suchen

Erste Anzeichen sind schon da, in den Auftragsbüchern der Headhunter. Keine glamourösen, beliebig einsetzbaren Jongleure gewaltiger Etats sind derzeit gefragt, sondern Fachleute mit inhaltlicher Substanz sowie viel Branchen- und Restrukturierungserfahrung. Nur: Das reicht noch nicht. "Ein guter Manager passt seine Kostenstruktur an und motiviert gleichzeitig die verbleibende Mannschaft", sagt ein Personalberater.

Studien zeigen, dass fast zwei Drittel aller Veränderungsprozesse mittelfristig scheitern - das aber kann sich künftig kein Unternehmen mehr leisten. Motivation, Empathie, Nachhaltigkeit: All die soften Faktoren, die erst belächelt und dann merkwürdig beziehungs- und lustlos neben vermeintlich "klassische" Managertugenden gestellt wurden, sie rücken stärker in den Fokus. "Modernes Management führt heute stärker über inhaltliche Ziele als durch Hierarchien", sagt Friedrich Joussen, der Vodafone-Deutschland-Chef. Im "new normal" werden holistisch denkende und flexibel mit Unwägbarkeiten umgehende Sowohl-als-auch-Führungskräfte verlangt, die "nicht nur wissen, was zu tun ist, sondern auch, wie man es am besten vermittelt", sagt Oliver Triebel, Personalexperte bei McKinsey. Gesucht: eine Mischung aus Jack Welch und Barack Obama.

Derzeit, meint Triebel, teile sich die Wirtschaft in zwei Gruppen: Unternehmen mit kurzfristigem Fokus auf Kostensenkung stellen die überwältigende Mehrheit, Motto: Augen zu und durch. Das passt zu einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, wonach nur jeder Dritte glaubt, dass sich die Wirtschaft künftig weniger an kurzfristigen Gewinnen orientiert. Und doch tut sich etwas, leise wie die Auftritte des Herrn Suchanek. "Manche Unternehmen nutzen die Gelegenheit zur Reflexion, um ihr Führungs- und Wertesystem an eine Zukunft anzupassen, die Mitarbeiter und die Gesellschaft mehr einbindet", sagt Triebel.

So setzt die Krise neue Standards - und ehemalige Sonntagsreden-Themen auf die Agenda. Rund ein Drittel der deutschen Firmen bekennt sich laut einer Studie des Agenturnetzes Ecco zu "sozialer Verantwortung" - mehr als doppelt so viele wie noch vor drei Jahren. "Vorher brauchte man immer einen Business-Case", sagt Oliver Maassen, Personalchef der HypoVereinsbank (HVB), "heute gibt es eine größere kollektive Sensibilität dafür, wie man als Firma von außen und den Mitarbeitern wahrgenommen wird."

Maassen nutzte die Erfahrungen aus der Krise, um der Bank eine neue "HR-Agenda" zu schneidern. Darin macht sich die HVB ernsthaft daran, die Macht der Männer zu beschränken. "Diversity", noch so ein Ex-Sonntagsreden-Begriff, heißt hier: Es gibt jetzt einen Frauenbeirat, der den Vorstand berät, und bis 2012 soll unter den obersten hundert Führungskräften jede fünfte weiblich sein; derzeit sind es 7 Prozent. Auch Erfolg wird bei der HVB nun neu bewertet und vergütet: Kundenzufriedenheit ist ebenso wichtig wie Vertriebserfolg, Prämienzahlungen orientieren sich am Ergebnis der ganzen Gruppe, der volle Bonus wird für die Topführungskräfte erst nach drei Jahren gezahlt. Langfristigkeit soll sich lohnen.

Noch mögen das vereinzelte Schritte sein, doch Topmanager wie Thomas Sattelberger beobachten zumindest in Teilen der Wirtschaftselite ein beginnendes Umdenken: "Die latente Skepsis gegenüber dem angelsächsischen Modell verschärft sich", sagt der Telekom-Personalvorstand. "Die Prioritäten haben sich vom reinen Aktionärsdenken stärker in Richtung Gesellschaft, Kunde und Mitarbeiter verschoben."

Bundes-Mikado-Republik

Solange es gut lief, sah niemand die Notwendigkeit zur Veränderung. Die Euphorie machte blind für die Risiken. Eine fatale Kettenreaktion: Erst verhindert der Erfolg das Nachdenken über Neues, dann steht der Misserfolg allem im Weg, was eine Alternative zu sturem Kostendrill sein könnte.

Ein Mechanismus, mit dem sich nicht alle abfinden. So mancher wirft der ZF Friedrichshafen Sozialromantik vor, wenn er hört, wie der Zulieferer mit der Krise umgeht: Er hält sich mit Entlassungen zurück und nutzt die Zeit zur Weiterbildung. Wer nichts zu tun hat, kann den Gabelstapler-Führerschein machen oder sich in einem Sabbatical zum Meister, Bachelor oder Techniker weiterbilden lassen - mit Stipendium. Kurzarbeitergeld wird über einen Sozialfonds aufgestockt. Paradiesische Zustände.

"Auch wenn das auf den ersten Blick nicht so aussieht: Wir machen das aus unternehmerischen Gründen", sagt Personalvorstand Thomas Sigi, "wir wollen nach der Krise stärker sein als vor der Krise. Das geht in einer so spezialisierten Branche nur, wenn wir die Stammbelegschaft halten und weiterbilden." Denn was die jetzt entwickelt, ist in etwa sieben Jahren im Einsatz. Vorerst allerdings trägt die Bildungsoffensive nicht gerade zur Entspannung der Finanzlage bei; immerhin rechnet die ZF mit einem Verlust von etwa 400 bis 500 Millionen Euro. "Aber jetzt an Forschung und Entwicklung zu sparen wäre fatal", so Sigi. Und gibt weiter Geld aus, das er nicht hat.

Konkreter noch als in komplexen Firmenstrukturen geben die Krisenereignisse den Führungskräften selbst Gelegenheit zum Überdenken eingefahrener Muster und zur Selbstreflexion. Obwohl sich die Manager-Community nach außen stoisch-zupackend präsentiert, sitzt die Verunsicherung tief. Über Ereignisse, die man kaum beeinflussen konnte, die sich aber in hässlichen Phänomenen wie Beförderungsstopp und Freistellung manifestierten. "Gerade die manische Aktivität des 'Weiter so' einiger Manager überdeckt oft nur eine latente depressive Verstimmung", sagt der Psychologe und Coach Joachim Wanik.

Kein Wunder: Ganze Lebensentwürfe wurden in der Krise geschreddert; jede fünfte Führungskraft gab in einer Umfrage von manager magazin an, die persönlichen Karriereperspektiven hätten sich seit Mitte 2008 deutlich verschlechtert. Nicht wenige Manager stehen - gezwungenermaßen oder aus freien Stücken - vor der Frage, ob sie wirklich weitermachen sollen wie bisher.

Das Nachdenken über sich selbst, einst als weicheierische Eso-Marotte verlacht, gewinnt derzeit enorm an Auftrieb. "Die Unsicherheit, mit der Manager umgehen müssen, wird immer stärker", sagt Andreas Hackethal, Dekan der Goethe Business School (GBS). "Statt sich an Fünfjahresplänen festzuhalten, müssen sie immer kurzfristiger und flexibler agieren - und zugleich die langfristigen Folgen abschätzen können." Da hilft es, wenn man erst einmal sich selbst kennenlernt. Die GBS hat sich deshalb von der reinen Wissensvermittlung verabschiedet: Ein Viertel des kürzlich umgebauten Curriculums widmet sich der Persönlichkeitsentwicklung, inklusive Coaching.

Draußen in der Realwirtschaft ist der Veränderungswille noch die Ausnahme. Sicher, die Großsprecher haben Sendepause, aber die meisten ducken sich unter ihre Schreibtische und hoffen, dass der Sturm vorüberzieht. Der Mensch ist ein Verdrängungskünstler. So wie die Firmen ihre Riskmanagement-Abteilungen aufgestockt und überall doppelte Sicherungen eingezogen haben, so vorsichtig agieren auch die meisten Führungskräfte. Jetzt bloß nichts falsch machen, wer sich bewegt, verliert. Deutschland, die Bundes-Mikado-Republik.

Mut zu neuer Karriere

Claudia Vogel (42) hatte den Mut zum Schnitt. 13 Jahre arbeitete die studierte Energie- und Verfahrenstechnikerin bei einem großen deutschen Automobilkonzern, zuletzt als interner Consultant für Veränderungsprozesse. Man bot ihr an, ihr letztes Projekt auszuweiten auf den gesamten Personalbereich. Mehr Verantwortung, Bericht direkt an den Vorstand - doch Vogel lehnte ab. Der grassierende Sparzwang und die mittelfristigen Aussichten einer Branche, die nur langsam in Richtung Klimaschutz umschwenkt, brachten sie ins Grübeln. "Mir war es zu wenig, immer nur mehr vom Selben zu erleben, statt in der Krise einen Katalysator zu sehen, um auf lange Sicht etwas zu verändern", sagt Vogel.

Motivation durch eigene Kündigung

Die ehemalige Greenpeace-Mitarbeiterin kündigte und heuerte im September bei der Deutschen Energie-Agentur an, als Bereichsleiterin Regenerative Energien, ausgerechnet. Kein Dienstwagen mehr, geringeres Gehalt - und trotzdem ist Vogel glücklich. Wie für so viele, die in den vergangenen Monaten den Job wechselten, fungierte die Krise paradoxerweise als Motivationsschub: "Für mich war das die Initialzündung, Dinge anzugehen, die ich schon lange überlegt hatte, mich aber unter normalen Umständen nie dazu aufraffen konnte."

Eine kluge Entscheidung, meint Veränderungsexperte Klaus Doppler: "Wer sich jetzt an seinem Posten festklammert, auch wenn er eigentlich lieber etwas anderes machen würde, tut genau das Falsche." Wem Arbeitsplatzsicherheit wichtiger ist als persönliche Weiterentwicklung, der verpasst die Gelegenheit zum Neustart. Ob im neuen Job oder in der alten Firma - wie jede Umbruchsituation stößt auch diese neue Türen auf: Es gibt wieder echte Probleme, mit deren Lösung man sich profilieren kann. Die Budgets sind so knapp, dass ungewöhnliche Ideen plötzlich wieder Chancen haben. Und ein Bruch im Lebenslauf wird eher verziehen, sodass auch persönliche Experimente leichter fallen.

Mut zur Karriere, das bedeutet natürlich nicht Wechseln um jeden Preis. Es kommt darauf an, Ruhe zu bewahren und sich nicht unter Wert zu verkaufen.

Entsprechend gründlich hat Jan Van Riet (50) überlegt. Elf Jahre arbeitete der Diplomingenieur, ein gelassener Mann mit Stoppelhaar und sonorer Stimme, bei Procter & Gamble. Es folgten diverse Stationen im Topmanagement mittelständischer Unternehmen wie Herlitz und Rotring. Zuletzt amtierte Van Riet als Chef des Stofftierherstellers Nici. Haupteigentümer war und ist der Finanzinvestor Strategic Value Partners.

Immer unrealistischer wurden damals die verlangten Wachstumsraten, immer schärfer das Durchgreifen der Investoren ins Operative, der Begriff "langfristige Strategie" kam auf die rote Liste der bedrohten Arten. Bonusüberlegungen dominierten. "Es war genau die Art von Mechanismen, die wenig später die Finanzkrise mit verursachten", sagt Van Riet. "Für mich ist diese einseitige Shareholder-Perspektive aber nicht die Lösung."

Wer sich jetzt nicht ändert, wiederholt alte Fehler

Im Sommer 2008 warf er nach nur einem Jahr den Bettel hin, absolvierte eine Ausbildung zum systemischen Managementcoach und arbeitet seitdem mit einer Unternehmensberatung als freier Partner zusammen. "Hier kann ich selbstbestimmter agieren und langfristig etwas entwickeln." Das Unternehmen verbindet klassische Beratungsansätze mit Change-Management-Prozessen. Tut also genau das, was Van Riet in früheren Positionen immer anstrebte: Veränderungen nicht von oben anordnen, sondern zusammen mit den Mitarbeitern entwickeln. Zudem coacht Van Riet quasi im Nebenberuf andere Führungskräfte. "Manager brauchen die Spiegelung durch einen Sparringspartner", sagt er. "Gerade das fehlende Denken in unterschiedlichen Perspektiven hat die Krise mit verursacht."

Wer in oder kurz nach der Krise nicht damit anfängt, wiederholt den Fehler. Ob als Firma oder als Manager auf der Suche nach dem richtigen Karrierepfad. Wahrscheinlich hat Andreas Suchanek, der Reisende in Sachen Ethik, recht, wenn er sagt: "Rezessionsjahre werden meist als verlorene Jahre betrachtet. Aber sie bergen die große Chance, die Krise nicht nur mit Sparen und Kostensenkung zu bewältigen, sondern mit Neuorientierung, Reformen und nicht zuletzt mit persönlicher Weiterentwicklung."