Künstliche Intelligenz ohne Benefits?

Was KI nicht für uns tun sollte

Kommentar  von Mike Elgan
Unternehmen können von Künstlicher Intelligenz in vielfacher Art und Weise profitieren. Auf eine bestimmte Form der KI-Unterstützung sollten Sie allerdings getrost verzichten.
Intelligente Software kann vieles, sollte aber nicht alles für uns tun.
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Software kann immer besser schreiben: Sie beendet unsere Sätze, beantwortet unsere E-Mails, schreibt News und sogar komplette Romane. Aber nur weil das möglich ist, heißt das nicht, dass es auch sinnvoll ist.

Artificial-Intelligence-Lösungen haben eine Technologie-Revolution losgetreten, die das Unternehmensumfeld im Laufe des nächsten Jahrzehnts umwälzen wird. Das derzeit interessanteste Einsatzgebiet für Künstliche Intelligenz ist die Entscheidungsfindung - beziehungsweise deren Support über Algorithmen, die uns mit Zusatzwissen und Ratschlägen impfen. Nach Überzeugung der Marktforscher von Gartner wird allein dieser Bereich im Jahr 2021 ein Marktvolumen von circa 2,9 Billionen Dollar erreichen.

Mit Blick auf die IT-Sicherheit in Unternehmen ist diese KI-Evolution unabdingbar - und wenn es nur deshalb ist, weil kriminelle Hacker die Technologie nutzen werden, um intelligentere und bessere Malware zu entwickeln. Dennoch sollten wir bei allen Vorteilen, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz verspricht, nicht vergessen, wie wichtig menschliche Intelligenz ist. Denn diese ist in Gefahr - und zwar durch Software, die schreibt.

Wie der Abstieg mit AI begann

Der Übertritt schriftlicher Business-Ergüsse aus KI-Feder in den Mainstream nahm vor vier Jahren mit Googles "Smart Reply" seinen Lauf. Dabei wurden den Nutzern einige wenige (und ziemlich farblose), automatisierte Antwortmöglichkeiten auf E-Mails feilgeboten. Noch heute können G-Mail User auf dieses Feature zurückgreifen und mit einem Mausklick E-Mails mit generischen Phrasen beantworten. Im vergangenen Jahr wurde das "Smart Compose"-Feature hinzugefügt, das der Software ermöglicht, Sätze zu vervollständigen.

Solche Features sparen wertvolle Zeit, aber die Botschaften selbst verlieren dadurch enorm an Wert. Das liegt einerseits daran, dass Google die automatisierten Antworten so gestaltet, dass keine Person sich angegriffen, beleidigt oder in irgendeiner Weise verletzt fühlt. Andererseits werden die Kommunikationsinhalte aber auch entwertet, weil Millionen von Google-Nutzern auf das exakt selbe Wording zurückgreifen.

Künstliche Intelligenz - ein Ratgeber
KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind.
Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln.
Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren.
Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen.
Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender.
KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind.
Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren.
Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen.
Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben.
Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.

Google steht mit diesem "kommunikativen Entwertungsservice" nicht allein: Lightkey etwa bringt dieselben Funktionen in Windows-App-Form. Mit Quillbot steht auch ein cloudbasiertes Tool zur Verfügung, das geschriebene Inhalte (oder solche, die im Copy-Paste-Verfahren entstanden sind) neu formulieren kann. Die Ergebnisse sind typischerweise eher verstörend - Software hat eben kein Sprachgefühl. Sogar komplette Geschichten lassen sich von einer artifiziellen Intelligenz verfassen: Das Tool StoryAI übernimmt das für Sie. Sie müssen sich lediglich ein paar einleitende Sätze aus dem präfrontalen Kortex leiern. Wie gut das in der Praxis funktioniert? Überzeugen Sie sich selbst.

Ein wenig grotesk könnte auch der Umstand anmuten, dass KI-Lösungen für KI-Lösungen schreiben. Bestes Beispiel: Der Finanzmarkt. In diesem Bereich entstammen zum Beispiel Börsennachrichten, die von Menschen konsumiert werden sollen, immer öfter der Feder von KI-Instanzen. Diese Stories werden auch von anderen Software Bots "gelesen", die die Informationen ihrerseits zur Weiterverarbeitung nutzen. Dabei wird automatisiertes Schreiben nicht nur kontinuierlich besser, sondern auch immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Software-Werkzeuge, die wir zu diesen Zwecken verwenden.

Wo die größte KI-Gefahr lauert

Wenn Künstliche Intelligenz für uns Texte produziert, liegt das Problem aber nicht nur im Schreiben an sich, denn die Fähigkeiten zu Lesen und zu Denken stehen damit in direktem Zusammenhang. Menschen schreiben etwas, lesen es und entdecken so eventuell vorhandene Denkfehler. Im Anschluss feilen sie so lange am geschriebenen Wort, bis ein konsistentes Gesamtbild entsteht.

Das Verfassen von Texten zwingt uns quasi in eine Konfrontation mit unseren eigenen Gedanken - was unsere Fähigkeit klar zu denken kultiviert. Zudem unterstützt kreatives Schreiben unser Gedächtnis. Wenn wir KI stellvertretend für uns kommunizieren lassen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommunikationsinhalte nicht richtig erfasst werden oder in Vergessenheit geraten, hoch. Das gilt auch, wenn es um Business E-Mails geht.

Kreative Prozesse an eine artifizielle Intelligenz auszulagern, lässt unsere Fähigkeit zu schreiben und zu reflektieren mehr und mehr verkümmern. Das wird letztlich dazu führen, dass wir unsere Entscheidungen von oberflächlichen Eindrücken abhängig machen, statt von kritischem oder analytischem Denken. Einige gehen sogar so weit, zu behaupten, dass dieser Prozess längst im Gange ist: Wir ersetzen beispielsweise viele unserer Worte bereits durch die allgegenwärtigen Emojis - und kommunizieren damit vage Eindrücke statt spezifischer Gedanken. Mit Chatsprache, SMS-Kürzel, Autokorrektur, Emojis und Co. steuern wir direkt in die Idiotie. KI-Lösungen, die unsere Business-Kommunikation übernehmen, stellen dabei quasi die Pro-Version der Verdummungssoftware dar.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Angst- und Panikmache gehört im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz inzwischen ja fast schon zum "guten Ton": Sie klaut unsere Jobs, macht uns überflüssig und hält uns in der Zukunft als Haustiere. Diese technologiegetriebene Panikmache fußt auf der Annahme, dass Software immer schlauer wird. Dabei sollten wir eher Angst davor haben, dass wir immer dümmer werden.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.