BOSCH REXROTH

Weg mit den alten Systemen

01.04.2002 von Andreas Schmitz
Im Mai 2001 brachte die Robert Bosch GmbH ihren Geschäftsbereich Automationstechnik in den gemeinsamen Betrieb der Rexroth AG ein. Zu Jahresbeginn übernahm sie den Maschinenbauer von Atecs Mannesmann vollständig. Ein 15-köpfiger Stab der Bosch Rexroth AG bringt jetzt die IT-Systeme auf Linie.

NOCH IMMER VERFÜGEN NICHT alle Mitarbeiter über die neuen Visitenkarten. Bei einigen steht Mannesmann Rexroth, bei anderen Bosch Rexroth AG. „Das ist nicht so wichtig“, sagt Christian Hahn aus dem Zentralbereich Informationsverarbeitung der neu formierten Robert-Bosch-Tochter. Viel dringlicher als diese Äußerlichkeiten sei die Einheitlichkeit der IT-Landschaft.

Und das ist nicht gerade einfach bei einem derart verschachtelten Unternehmen, wie es Mannesmann Rexroth gewesen ist. 60 Regionalgesellschaften mit 102 Standorten betrieben bis 1996 insgesamt 66 individuelle Systeme für die betriebswirtschaftlichen Prozesse. Noch heute kreuzen deshalb Unternehmensberater der KPMG und von Untersee in der IT-Zentrale von Bosch Rexroth in Langenprozelten zwischen Würzburg und Aschaffenburg auf. In dieser unscheinbaren 2000-Seelen-Gemeinde am Main hat sich der IT-Chefstratege einquartiert, seit der Firmenhauptsitz in Lohr - zehn Kilometer mainaufwärts - nicht mehr genügend Platz bietet.

Vertriebsnahe Prozesse im Fokus

In einem provisorischen Kastenbau aus weißem Klinker am Rande von Langenprozelten arbeitet CIO Dieter Hug mit seinem 15-köpfigen Stab. Hug ist Betriebswirt und Wirtschaftsinformatiker. Der zurückhaltende Analytiker hat im Spessart strategische Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen. „So viel standardisieren wie möglich“, gibt er als Direktive aus. „Jede Modifikation ist auf höchster Ebene genehmigungspflichtig.“ Jetzt heißt es „weg mit den alten Systemen“, ob sie sich nun SAP/R2 oder AS/400 nennen. Selbst die lokal eingesetzten R3-Systeme passen nicht mehr ins neue Konzept. Die anstehenden Standardisierungsprojekte sind gewaltig, 15 600 Mitarbeiter sollen die Migration in eine gemeinsame R/3-Welt mitmachen - 11600 auf der Rexroth-, 4000 auf Bosch-Seite.

Den Fokus beim Standardisierungsprozess legt Hug auf „vertriebsnahe Prozesse“. Für die „Power Packs“ genannten hydraulischen Aggregate etwa, die beispielsweise als Antrieb in Schleusentoren eingesetzt werden, definierte das Bosch-Rexroth-Team alle Vertriebsprozesse auf einer „Geschäftsbereichsscheibe“. Hier sind jene Eckdaten des Produktions- und Lieferprozesses abgebildet, die für den Vertrieb wichtig sind - von Schaltplänen über Stücklisten bis hin zu Orderprozessen. So genannte Templates in einer SAP-R/3-Standardlandschaft sind Hugs wichtigstes Vehikel auf dem Weg zur Einheit. Templates sind kleine effiziente Zusatzprogramme, die für typische Standardprozesse geschrieben werden und sich deshalb vielfach einsetzen lassen. Wo vor kurzem noch 38 Individualsysteme ihren Dienst taten, ersetzt der Standard teilweise aufwendige Sololösungen. Die Vorteile liegen für Dieter Hug auf der Hand: „Wenn Sie 66-mal SAP R/3 ohne Vorarbeiten wie Templates oder einen Roll-out- Masterplan einführen, dann haben Sie höhere Projektund Betriebskosten.“ Bis zu 20 Prozent spart Bosch Rexroth durch den Einsatz von Templates.

Berater von Ernst & Young hatten im Rahmen des Business Case „Rainbow“ (Rexroth Application Integration Business Optimization Worldwide) noch für Mannesmann Rexroth errechnet, dass sich jährlich 0,5 Prozent des Umsatzes durch die Standardisierung einsparen lassen. Das sind bei einem Jahresumsatz von mehr als 3,8 Milliarden Euro über 19 Millionen. „Die Vorstandsleute sind aufgesprungen, ans Telefon gerannt und haben nachgefragt, ob die Höhe der Einsparungen stimmt“, erzählt ein Mitarbeiter. Doch durch die Untersuchungen der Ernst-&-Young-Berater in den dezentralen Einheiten war nun jene Transparenz gegeben, die zuvor fehlte. Und schnell bestätigte sich, dass die Zahlen von Ernst & Young nicht aus der Luft gegriffen waren. Bevor gespart werden kann, entstehen durch die vorgeschlagene Umstrukturierung zunächst Kosten, die Hug nicht beziffern will. Er berichtet aber, dass drei Sitzungen und 20 Stunden Diskussion nötig gewesen sind, um den Vorstand vom Standardisierungskonzept zu überzeugen - und damit auch den Schritt von einer IT, die sich an täglich wechselnden Erfordernissen orientierte, hin zu einer strategischen Ausrichtung zu ermöglichen. Mit IT-Kosten von 2,7 Prozent des Umsatzes lag Rexroth bis zur Fusion über dem vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ermittelten Durchschnitt im Maschinenbaugewerbe, der bei knapp zwei Prozent liegt.

Als Kostentreiber erwiesen sich in der Vergangenheit vor allem die 66 getrennt arbeitenden Rechenzentren.Der Wildwuchs war in den letzten 15 Jahren durch Akquisitionen weiter gewuchert. Die Identität der Unternehmen wurde belassen, kaum integriert.“ So entstand eine sehr heterogene IT-Struktur“, erläutert Hug. Das machte aus Produktionssicht durchaus Sinn: Rexroth verstand und versteht sich als Konzern, der projektbezogen arbeitet. Benötigen Veranstalter der Bayreuther Wagner-Festspiele neue Hebebühnen, ein Windpark spezielle „Pitch“-Getriebe, mit denen die Rotorblätter für jede Windstärke eingestellt werden, oder eine Werft die Steuerung für eine Schiffshebebühne, dann setzen sich aus allen Rexroth-Gesellschaften die Experten für Hydraulikstempel, Elektroantriebe und elektronische Steuerung zusammen und entwickeln das Gesamtkonzept.

Keine Standards im Produktionsablauf

Und so denkt Hug auch nicht an eine Standardisierung der teilweise hoch spezifischen Produktionsprozesse. „Zwischen linearen Führungssystemen, etwa Maschinen, die Aluminiumplatten zusammenschrauben, und einer Axialkolbenmaschine, die große Drücke erzeugt, lässt sich nichts vereinheitlichen“, erläutert Hug.

Für den Vertrieb allerdings macht die Standardisierung Sinn. Denn einzelne Komponenten werden von verschiedenen Geschäftsbereichen wie Industrial Hydraulics, Pneumatics oder Electronic Drives and Controls produziert. Datenobjekte, Materialnummern, Klassifikationsbegriffe oder Kontenpläne aus dem Rechnungswesen werden deshalb jetzt vereinheitlicht. „Warum“, fragt Dieter Hug, „soll ich den Komponentenverkauf vom Geschäftsbereich abhängig machen?“

RZ-Auflösung für mehr Transparenz

„Bei 66 IT-treibenden Stellen haben Sie nicht die nötige Transparenz für Entscheidungen“, meint Hug. „Welcher ist der Objekt-, welcher der Betriebsanteil, wie hoch sind die Kosten für Netze, für das Rechenzentrum? Das ist alles unklar.“ Fast die Hälfte der 60 Rechenzentren ist inzwischen aufgelöst. „Reintegration“ heißt das im Fachjargon. Hug: „Die Abwicklungskosten sinken, zudem optimieren wir die Beschaffung und sparen so durch Bündelungseffekte.“ Die Zentralisierung der IT auf nur drei Rechenzentren ist aber erst in zwei Jahren vollständig abgeschlossen. Dann wird sich bestätigen, ob die im Business Case prophezeiten, teilweise zweistelligen Einspareffekte tatsächlich erreicht worden sind.

Der gesamtheitliche Einsatz der IT rückt bei Bosch Rexroth mehr und mehr in den Vordergrund. Dabei weiß Hug, dass das Geld heute weit weniger in der Produktion verdient wird als noch vor Jahren: „Wenn wir eine Supply Chain nicht ordentlich hinkriegen, büßen wir Umsatz gegenüber der Konkurrenz ein.“ Die Grundlage für Einsparungen soll die Standard-Software SAP R/3 bieten.

Dass die Entscheidung nun auch bei Bosch Rexroth für SAP R/3 fiel, ist kein Zufall. Zwei Drittel der 14600 Nutzer bei Bosch Rexroth arbeiteten bereits auf der Basis der Vorgängerversion. Migrations-Tools vereinfachen den Umstieg auf den R/2-Nachfolger. „Da diskutiert man kein Baan, keine Oracle-Applications, auch kein Peoplesoft“, sagt Hug. „Wir haben inzwischen sehr viel Skill in SAP gebunden, dass wir den Weg weitergehen.“ Hug ist indes Realist genug, um in der Umstellung auf SAP R/3 nicht die Universallösung zu sehen: „Die IT ist im Fluss, man muss die Systeme ständig anpassen und verbessern.“

Inzwischen ergänzen ein noch nicht verklinkerter Anbau und ein Pavillon den Kastenbau des IT-Stabs in Langenprozelten. Der Stellenwert der IT ist mit dem 450-seitigen Business Case von Ernst & Young größer geworden. Das große SAP-Projekt ist auch für die 31 Milliarden Euro Umsatz schwere Muttergesellschaft Robert Bosch in Stuttgart interessant. Deren Haushaltsgeräteproduktion ist noch schwerer zu standardisieren. Sollten Hugs IT-Pläne fruchten, dann wird sich sicher auch die Zentral-IT von Robert Bosch im kleinen Spessart-Dorf Langenprozelten Rat holen.