Aufsichträte zweifeln an ihren Managern

Welche Führungskräfte Headhunter und Personalchefs jetzt suchen

25.05.2009 von Michael  Machatschke
Die Finanzkrise eröffnet Chancen für einen neuen Typus von Aufräumer. Saniererqualitäten sind gefragt. Sture Kostenschleifer bleiben trotzdem außen vor.

Depression sieht anders aus. "Die aktuelle Lage hat für uns den Vorteil", frohlockt Norbert Kireth, Personalchef bei Ferrero Deutschland, "dass exzellente Talente leichter zu gewinnen sind." Viele junge Manager fühlten sich gerade jetzt in ihren Unternehmen vernachlässigt. Kireth nutzt das aus. "Ich suche gezielt nach Leuten mit Potenzial, die ich ansprechen kann."

Doch auch etablierte Kräfte können dieser Tage mit Offerten rechnen. "Die Nachfrage nach Topleuten nimmt spürbar zu", berichtet Hermann Sendele, einer der profiliertesten Headhunter der Republik. In den Aufsichtsräten wüchsen die Zweifel, dass die alte Führungsgarde mit der Krise fertig werde. Beim Zweifel bleibt es selten. Für Sendele und andere Personalberater springen reichlich Suchaufträge heraus.

Mitten in der Rezession herrscht Konjunktur - für neue Hoffnungsträger. Die Suche gilt Erfahrenen wie Nachrückern, vor allem aber einem neuen Typus. Personalchefs, Headhunter und Berater halten Ausschau nach einer Art hybrider Führungskraft. Sie soll vereinen, was gegensätzlich scheint: Härte und Empathie, Spontanität und Weitsicht. "Gefragt ist weder der Sanierer alter Schule noch der großartige Visionär", umschreibt Vorstandsjäger Sendele den Trend. Gefragt sind jetzt die handfesten Allrounder.

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Der erste Impuls bei verunsicherten Eigentümern und Firmenaufsehern geht freilich oft über die bloße Suche nach Kompetenz hinaus. "Da wabert schon mal die Sehnsucht nach einem Heilsbringer durch die Aufsichtsräte", berichtet der Darmstädter Managementcoach Wolfgang Looss, "am liebsten hätte man einen charismatischen Helden à la-Obama." Schnell jedoch setze sich die Einsicht durch, dass bedrängte Unternehmen in der Regel keinen Helden brauchten, sondern einen ruhigen, verständigen Kärrner.

Gelegentlich flackert auch die Erinnerung an die Retter der 80er und 90er Jahre auf, an die Brachialsanierer vom Schlage eines Kajo Neukirchen. Doch auch dieser Gedanke verfliegt schnell. Zu deutlich blieb im Gedächtnis, dass nach vielen Radikalkurenvom eigentlichen Unternehmen wenig übrig blieb schon gar keine Perspektive für die Zeit nach der Krise.

Utz Claassen sanierte Seat, Sartorius und EnBW

Und doch: Ein bisschen Kajo und eine Spur Obama muss auch in den neuen Aufräumern stecken. Denn sie sollen durchgreifen und gleichzeitig den Mitarbeitern Mut zusprechen.

Ganz ohne Sanieren geht es selten ab,wenn jetzt eine andere Topkraft engagiertwird. "Jede größere Management-Aufgabe birgt in diesen Tagen Elemente einer Sanierung", meint Utz Claassen,der früher selbst bei Seat, Sartorius und EnBW sanieren musste.

An Härte, da sind sich die Experten einig, darf es auch den Hoffnungsträgern nicht fehlen. "Gerade in der derzeitigen Krise ergeben sich schnell Situationen, die konsequente Einschnitte erfordern", glaubt Christian Veith, Deutschland- Chef des Beratungshauses Boston Consulting Group. Dann müssten die frisch Bestellten zunächst das übliche Instrumentarium aufbieten: Kosten kürzen und Randgeschäfte kappen, vermeintliche Heiligtümer schleifen und die unvermeidlichen internen Widerstände überwinden.

"Wie viel vom klassischen Sanierer dabei zum Vorschein kommt", sagt Veith, "hängt ganz von der Lage des jeweiligen Unternehmens ab." Je röter, desto mehr neukircht es im Konzern.

Die Obama-Komponente kommt spätestens dann ins Spiel, wenn die ärgsten Gefahren abgewendet sind. "Man verlangt von den Sanierern und Restrukturierern immer auch, dass sie eine langfristige Perspektive für die Zeit nach der Krise aufzeigen und der Organisation vermitteln können", meint Berater Veith. Dazu bräuchten die Manager ausgeprägte menschliche und kommunikative Qualitäten.

Kein Zweifel: Für emotionslose Optimierer wie den ehemaligen Conti-Chef Manfred Wennemer ist in der Rezession kein Platz. Nicht von ungefähr verlor der roboterhafte Mathematiker die Rückendeckung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, als die Schaeffler-Gruppe eine Übernahme einfädelte. Wennemer hatte es zuvor in harten Sanierungsrunden versäumt, persönlichen Kredit aufzubauen.

Manager müssen durch Glaubwürdigkeit überzeugen

"Persönliche Glaubwürdigkeit ist für mich ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl der richtigen Manager in dieser Zeit", meint Joachim Kayser, der beim 450.000-Leute-Arbeitgeber Deutsche Post die Führungskräfte-Entwicklung verantwortet.

Zur persönlichen Glaubwürdigkeit zählten Authentizität, Bescheidenheit und Angemessenheit des Auftritts. "Die Schaumschläger", behauptet Kayser, "sind jetzt wirklich weg vom Fenster.

"Für wolkige Selbstinszenierungen sind die Aufgaben der neuen Chefs wohl auch zu handfest. Absatzeinbrüche und Kreditklemmen lassen sich kaum mit Blendwerk beheben. Profundes Finanzwissen ist besonders gefragt: genaue Kenntnisse komplexer Finanzierungen und der Tücken von Übernahmen und Fusionen.

Headhunter registrieren eine regelrechte Sonderkonjunktur für Finanzvorstände. Von ihnen werde weit mehr als früher Kreativität und Verhandlungsgeschick verlangt, obendrein sollen sie als ebenbürtige Sparringspartner der Vorstandsvorsitzenden dienen. Tatsächlich hatten es versierte Finanzvorstände zuletzt leicht, einen neuen Arbeitgeber zu finden. So konnte der scheidende Conti-Finanzmann Alan Hippe, der nun zu ThyssenKrupp geht, gleich unter mehreren Angeboten wählen.

Als unverzichtbar führen die Jobprofile jetzt auch genaue Kenntnisse des operativen Geschäfts an. Die Neuen sollen mehr als nur oberflächlich wissen, womit das fragliche Unternehmen sein Geld verdient, welche alltäglichen Herausforderungen in Produktion und Vertrieb stecken.

Finanzakrobaten, wie sie beispielhaft unglücklich der scheidende Arcandor-Chef Thomas Middelhoff verkörperte, haben ausgedient.

Aufstieg zum CEO im Unternehmen öfter möglich

"Jetzt sind die am Zug, die das Geschäft wirklich kennen", glaubt Post-Personaler Kayser. Das begünstige interne Karrieren. "Wenn die neue Führungskraft aus dem eigenen Hause kommt", erläutert Kayser, "weiß man genau, wen man sich holt und was er schon geleistet hat.

Wer hingegen von außen kommt, muss sich Fragen gefallen lassen, die an Inquisition grenzen. "Es wird sehr kritisch nachgefragt, welche Erfahrungen und Leistungen wirklich vorliegen", beobachtet Personalberater Sendele. Die Verantwortlichen wollten von den Kandidaten haarklein wissen, welchen persönlichen Anteil sie an vergangenen Erfolgen hatten. "Wer hier flunkert oder sich in Phrasen flüchtet“, warnt Sendele, "fliegt schnell auf."

Wo praktische Erfahrung verlangt wird, hat Jugendkult keinen Platz. "Eine erstaunliche Folge der Krise liegt darin, dass Seniorität jetzt wieder mehr gilt", stellt Walter Droege fest, Unternehmensberater aus Düsseldorf. Für reifere Kandidaten spreche ihr Fachwissen, dass sie in der Praxis und nicht in Schnellkursen an der Business School erworben haben. Den erfahrenen Managern falle es zudem leichter, mutig zu sein und trotzdem rechtzeitig zu merken, wann die Grenze zum Übermut überschritten sei.

Erfahren, versiert, umgänglich, durchsetzungsstark - so einmütig die Fachwelt die Forderungen an die neuen Krisenmanager formuliert, so schwer fällt es ihr doch, prominente Konzernlenker zu nennen, die das Ideal verkörpern.

Peter Löscher zeigt demonstrative Demut

Häufig genannt wird Siemens-Chef Peter Löscher, obgleich seine Berufung nicht mit der Finanzkrise zusammenhing und inzwischen auch er Kritik einstecken musste. Immerhin: Die demonstrative Demut, die Löscher zum Amts antritt zeigte, sein volles Eingeständnis der Korruptionsaffäre haben Eindruck gemacht und gelten vielen Auguren als vorbildlich.

Andere sehen Karl-Gerhard Eick, bisher Finanzchef der Telekom und künftig Arcandor-Chef, als den Aufräumer neuen Typs an. Tatsächlich hat Eick wesentlich dazu beigetragen, dass aus dem scheinbar hoffnungslosen Fall Deutsche Telekom ein Konzern wurde, der sich in seiner Branche achtbar schlägt. An seiner neuen Wirkungsstätte dürfte er allerdings mehr als Abwickler denn als wirklicher Sanierer auftreten.

Eine Musterkarriere machen Kenner auch bei Tchibo aus. Dort übernahm Peter Rikowski (45) im Januar das Vertriebsressort. Rikowski war schon als Jungmanager beim Hamburger Kaffee- und Gemischtwarenhändler; vor sieben Jahren ging er zur Bitburger Braugruppe, wo er einen anerkannt guten Job erledigte und bis zum Chef aufstieg. Kundige Beobachter loben ihn als Fachmann und Motivator - ganz von der Sorte, wie sie jetzt gebraucht werden.

Die Suche nach dem Mustermanager führt aber womöglich in die Irre. "Es wäre verhängnisvoll, sich jetzt wieder auf einen einzigen Typus festzulegen", warnt die Kölner Managementberaterin Sabine Dembkowski. Die Krise sei auch durch Gleichschritt entstanden - gleiche Geschäftsmodelle, gleiche Managementmethoden, gleiche Manager. "Es kommt jetzt darauf an, den alten Fehler nicht zu wiederholen", mahnt Dembkowski.

Eigenständige Persönlichkeiten für CEO-Posten gesucht

Ferrero-Personaler Norbert Kireth jedenfalls will auch in der Rezession Vielfalt wagen. "Wir suchen eigenständige Persönlichkeiten", sagt er. Willkommen seien auch Querdenker, die in ihrer Karriere schon einmal einer Modewelle widerstanden hätten, etwa dem hemmungslosen Outsourcing.

Originale, so scheint es, finden auch in der Krise ihren Platz