DM-Drogeriemärkte

Wenn alle Bescheid wissen

07.10.2002 von Horst Ellermann
Zulieferer und Mitarbeiter aller Filialen können auf das Data Warehouse der DM-Drogeriekette zugreifen. Eine Server-Web-Lösung liefert tagesaktuelle Zahlen.

In Karlsruhe-Waldstadt ist das Thema Business Intelligence zwischen Friseur- und Blumenladen gelandet. Markus Oberacker, Leiter der DM-Filiale im Waldstädter Einkaufszentrum, greift auf das Data Warehouse der Drogeriekette zurück, um sein Sortiment zu optimieren. Zwar geben die Marketing-Profis in der DM-Zentrale vor, wie die Produkte in den Regalen zu präsentieren sind; die Vorschläge lassen sich jedoch aus Platzmangel nicht überall realisieren. Mitdenker wie Oberacker entscheiden deshalb vor Ort, wo bei der nächsten Promotion-Aktion die Rasiercreme oder das Shampoo stehen soll.

Der Filialleiter klinkt sich dazu über das Intranet in die Karlsruher DM-Zentrale ein. Dort startet er eine Daten-abfrage darüber, wie die Kollegen aus vergleichbaren Filialen gestern das Sonderangebot verkauft haben. Bevor er dieses an exponierter Stelle parkt, überschlägt Oberacker, wie viel Umsatz damit zu machen sei. Dabei vergleicht er seinen 320-Quadratmeter-Laden ungern mit den im Schnitt 450 Quadratmeter großen Filialen, zumal viele davon in Innenstädten liegen. "Wir sind Nahversorger", sagt Oberacker, "da gehen Putzmittel und all das gut, was schwer zu tragen ist."

Früher hat der Filialleiter einmal pro Monat aus der Zentrale Verkaufszahlen auf Papier geschickt bekommen; heute recherchiert er bei dringenden Fragen selbst. Oberacker greift dabei auf die netztaugliche Software von Microstrategy zurück, die ihm eine eingeschränkte Analyse der Daten erlaubt. Wenn in der Waldstädter Filiale die Grußkarten oder Damenstrümpfe liegen bleiben, kann er belegen, dass diese Artikel in allen kleinen Läden wenig Umsatz bringen. "In einem Unternehmen, wo die Entscheidungen von oben nach unten laufen, sind Sie mit einer solchen Lösung wahrscheinlich verkehrt", erklärt Erich Harsch, Mitglied der Geschäftsleitung.

Harsch und Oberacker kennen sich, da der IT-Manager Harsch neben seinem Fachressort auch ein Vertriebsgebiet verantwortet. Jeder seiner Kollegen aus der Führungs-etage betreut rund 80 Filialen; einen klassischen Vertriebsleiter gibt es nicht. Harsch reist selbst durch Franken und Baden, um regelmäßigen Kontakt zu Mitarbeitern wie Oberacker zu pflegen. Dessen Verkaufszahlen kann Harsch natürlich auch analysieren, ohne vor Ort zu sein. Er klappt seinen Laptop auf (in der DM-Zentrale sind mobile Geräte mittlerweile zahlreicher als Desktops), er startet die Abfrage zur Sortimentsübersicht und zieht seine Schlüsse: "Da haben uns letzte Woche in Waldstadt wohl die Mütter im Stich gelassen."

Hinweisen muss er seinen Filialleiter darauf nicht mehr, denn "Power User" Oberacker kennt die Zahlen bereits. Zwei bis drei Stunden pro Woche hält er sich nach eigenen Angaben im DM-System auf. Einen Nachmittag hat er gebraucht, um die Menüführung zu lernen. Dann begann das Stöbern in den Daten, deren Menge inzwischen auf 1,2 Terabyte angeschwollen ist. Alle Abverkäufe der vergangenen 25 Monate kann Oberacker natürlich nicht analysieren. Soll er auch nicht. "Wir wollen ja nicht, dass die Mitarbeiter in den Filialen nur vor dem Monitor sitzen", sagt Harsch. "Die sollen sich um die Kunden kümmern."



Im Juni hat Filiadata das letzte der mehr als 600 DM-Geschäfte in Deutschland an das Data Warehouse angeschlossen. Werkzeuge zum Extrahieren, Transformieren und Laden von Daten aus den operativen Systemen (ETL-Tools) haben die Mitarbeiter von Filiadata mit der Programmiersprache C++ selbst entwickelt. Als Rolap-Tool kommt der DSS-Agent von Microstrategy zum Einsatz. Was Produktmanager und Marketing-Fachleute schon seit langem nutzen, steht in einfacherer Form jetzt auch den Mitarbeitern aus den Filialen zur Verfügung. Die DM-Geschäftsführer versprechen sich von der Datendemokratisierung, dass "Leichen", also Artikel, die nicht mehr nachgefragt werden, rechtzeitig aus dem Sortiment genommen werden. "Wir können so schneller Platz schaffen und neuen Produkten eine Chance geben", lobt Harsch. "Finanziell ist das ein enormer Vorteil."

Mit dem Software-Anbieter Microstrategy konnte Harsch 1997 zwar ein günstiges Angebot aushandeln, da man eine Art Pilotkunde gewesen sei. Die Kosten der skalierbaren Lösung für Echtzeitanalysen liegen für bislang 1000 Mitarbeiter und rund 300 Zulieferer jedoch immer noch im siebenstelligen Bereich. "Wir sehen das als eine strategische Entscheidung", sagt Harsch. "1979 hat zum Glück auch niemand gefragt, was Scanning bringt."

DM ist daraus ein strategischer Vorteil erwachsen. Die Kassiererinnen freuen sich schon ein paar Jahre länger als Kolleginnen in anderen Einzelhandelsketten darüber, dass sie Waren einfach über einen Scanner ziehen können. Harsch erwähnt dieses Beispiel gern, weil es belege, wie schnell die junge Drogeriekette neue Technik für sich umzusetzen wisse. 1985 habe man auch schon eine relationale Datenbank installiert, die - sehr viel stärker verdichtet - die gleichen Informationen beinhalte wie die heutige Lösung; nur habe das damals noch nicht Data Warehouse geheißen, sagt Harsch: "Bei uns hat das Kind erst seit Einführung von Microstrategy diesen Namen."

Harsch ist es egal, wie die Technik heißt: "Ich kann mit den ganzen Begriffen nichts anfangen. Auch das Schlagwort Business Intelligence halte ich für viel zu abstrakt." Für die DM-Geschäftsführer jedenfalls bedeutet es, dass sie Tag für Tag den Warenfluss samt Bestellungen bis zu jeder Filiale oder jedem Artikel zurückverfolgen können. Bondaten aus 30 repräsentativen Filialen liefern ihnen Einblicke in die Warenkörbe. Mit der Einführung von Payback-Karten im Herbst 2000 reicherte DM seine Business Intelligence noch um zielgruppenspezifische Kundeninformationen an.

IT-Manager Harsch verbindet damit die Hoffnung, Streuverluste in der Werbung zu mindern. Insgesamt führten Kunden-Cluster-Daten zu sehr viel spannenderen Erkenntnissen als die Analyse anonymer Warenkörbe. "Da finden Sie nur Dinge heraus, die Sie sowieso schon wissen", sagt Harsch - zum Beispiel, dass in Läden auf der grünen Wiese immer mehr Mütter kommen. Harsch findet das banal. Oberacker auch. Vielleicht lässt sich daraus aber die einfachste Definition für einen inflationär gebrauchten Begriff ableiten: Business Intelligence ist, wenn es alle wissen.