Buch "The Second Machine Age"

Wenn der Computer einem den Job wegnimmt

08.05.2015 von Christof Kerkmann
Ob am Steuer des Autos oder beim Jeopardy: Der Computer kann immer mehr, was lange dem Menschen vorbehalten war. Das Buch "The Second Machine Age" zeigt packend, wie das die Wirtschaft umkrempelt – mit Folgen für jeden.

Verwirrung kann ein sehr produktiver Zustand sein. Zumindest, wenn sie Menschen wie Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson befällt. Die beiden forschen seit Jahren am renommierten Massachusetts Institut of Technology (MIT) über die Auswirkungen der Digitalisierung, werden aber trotzdem immer wieder von der rasanten Entwicklung überrascht. "Wie kam es, dass die digitale Technik mit einem Mal richtig gut wurde?", fragten sich die beiden - und schrieben gemeinsam ein Buch, das vielen Menschen einige erhellende Antworten geben dürfte.

Das Resultat der Recherche heißt "The Second Machine Age". Die Autoren beschreiben darin, wie die rasante Entwicklung der Computertechnik eine neue industrielle Revolution auslöst. Und sie warnen: Nicht jeder wird bei dieser Entwicklung mitkommen, die Gesellschaft weiter auseinanderdriften. Die Lektüre lohnt für jeden, der sich dafür interessiert, wie die Digitalisierung unsere Wirtschaft verändern wird.

The Second Machine Age
Foto: secondmachineage.com

"Computer und andere digitale Errungenschaften haben auf unsere geistigen Kräfte die gleiche Wirkung wie die Dampfmaschine und ihre Ableger auf die Muskelkraft", erklären McAfee und Brynjolfsson - sie sehen ein zweites Maschinenzeitalter anbrechen. Dabei habe die Technologie noch längst nicht ihre ganze Leistungsfähigkeit gezeigt. "Der digitale Fortschritt, den wir in letzter Zeit erlebt haben, ist sicherlich beeindruckend, doch er ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommt."

In der Tat ist die Entwicklung beeindruckend. Autonome Autos galten früher als Science Fiction, heute sind Prototypen bereits auf den Straßen unterwegs. Spracherkennung galt ebenfalls als Zukunftstechnologie, heute funktioniert sie bereits in Smartphones leidlich. Und beim Jeopardy schlägt das IBM-System Watson die besten menschlichen Spieler. Der Computer ist inzwischen nicht nur ein Recheninstrument, sondern bewältigt auch komplexe Aufgaben, die bislang nur Menschen beherrschten.

Dass die Technik derartige Wunderdinge kann, hat mit dem Moore'schen Gesetz zu tun, dass die Verdopplung der Rechenleistung im Abstand von 18 Monaten beschreibt. Diese Entwicklung, so die MIT-Forscher, schaffe eine Welt, "in der in nur wenigen Jahren Spielzeugen die Leistung eines Supercomputers zur Verfügung steht, in der immer billigere Sensortechnik bezahlbare Lösungen für vordem unüberwindliche Probleme ermöglicht und in der Science-Fiction zur Realität wird".

Dies, so sind die beiden Amerikaner überzeugt, wird unser Gesellschaft umkrempeln. Denn die Digitaltechnik sei eine Basistechnologie, ähnlich wie die Elektrizität. Damit treibe sie die wirtschaftliche Entwicklung in allen Sektoren voran, nicht nur der IT. Und das Tempo der Innovationen wird ihrer Ansicht nach sogar noch zunehmen - was diverse Forscher übrigens anders sehen.

Die Ungleichheit wächst

Das muss sich auch auf die Arbeitswelt auswirken. Routine-Aufgaben, die sich automatisieren lassen, kann eines Tages Kollege Computer übernehmen, ob die Lohn- und Gehaltsabrechnung, die Berechnung der Bonität von Kreditkunden, oder Jobs am Fließband in der Fabrik. "Was bleibt, sind Aufgaben, die ungleich mehr Urteilsvermögen, Kompetenz und Vorbildung erfordern" - wer Big-Data-Analysen beherrscht, hat heute einen sicheren Job.

Die Autoren schlagen zwar einen optimistischen Grundton an, aber sie warnen auch, dass die Gesellschaft dadurch auseinanderdriftet: "Gesamtwirtschaftlich sind Produktivität und Einkommen gestiegen - das ist aber wenig tröstlich für alle, die ins Abseits geraten sind." Denn die Digitalisierung macht Jobs überflüssig oder aber drückt aufs Lohnniveau. "Technischer Fortschritt, vor allem bei digitalen Technologien, löst eine beispiellose Umverteilung von Vermögen und Einkommen aus", lautet das Fazit der Autoren im Gegensatz zur Meinung vieler anderer Ökonomen.

Was also tun? Ein Patentrezept haben auch diese beiden renommierten Forscher nicht, aber einige Empfehlungen. Da der Mensch bei der Ideenbildung besser sei als die Maschine, müsse er sich auf diese Aufgaben konzentrieren - am besten im Zusammenspiel mit dem Computer. So könne die künstliche Intelligenz des IBM-Systems Watson, das einst beim Jeopardy gewann, einem Arzt bei der Sichtung von Patientendaten helfen. Auch sensomotorische Aufgaben beherrschen Roboter noch nicht so gut - Köche, Mechaniker und Zahnärzte hätten einen relativ sicheren Job, beruhigen die Experten.

Der Politik empfehlen sie das kleine Einmaleins der Wirtschaftswissenschaften: ein gutes Bildungssystem und Impulse für Start-ups sollen ebenso für die Digitalisierung rüsten wie eine moderne Infrastruktur und eine gezielte Anwerbung von Einwanderern. Viel konkreter wird es nicht. Fazit: "Indem wir unsere Systeme und Denkmodelle möglichst flexibel gestalten, bringen wir uns in die beste Ausgangsposition, um diese Veränderungen zu erkennen und umzusetzen. Die Bereitschaft, aus den Ideen anderer zu lernen und unsere Praxis entsprechend anzupassen - aufgeschlossen zu denken und unsere Systeme zu öffnen - wird entscheidend sein für den Erfolg."

Die beiden Autoren liefern eine packende Beschreibung, was die exponentielle Entwicklung der digitalen Technologie bedeutet. Auch ihre Erläuterungen, warum dadurch sowohl der Wohlstand auch das gesellschaftliche Gefälle wachsen, überzeugen, auch wenn sich der Leser in diesen Abschnitten durch viele Zahlen kämpfen muss. Ein Grundinteresse an der Ökonomie schadet hier nicht. Die Empfehlungen an die Politik geraten indes sehr allgemein - vermutlich geht es nicht anders.

Bleibt nur die Frage an den Verlag: Waren die deutschsprachigen Titel aus? Vermutlich waren den Lektoren bei Plassen schon zu viele Bücher auf dem Markt, die den gängigen deutschen Begriff verwenden - hier ist ja eher von der industriellen Revolution die Rede. (Handelsblatt)