Smart Markets

Wie Blockchain die Energiebranche umkrempelt

25.04.2018 von Dirk Röder  IDG ExpertenNetzwerk
In den letzten Jahren hielt die Blockchain vor allem den Finanzsektor in Atem. Nun erforschen auch andere Branchen die Möglichkeiten des Protokolls. Die Energiebranche ist ganz vorne mit dabei.

Die Blockchain-Technologie erfindet die manipulationssichere Dokumentation von Transaktionen in wettbewerbsintensiven Märkten neu. Innerhalb der Energiebranche forscht man bereits eifrig an Anwendungsfällen: Neben der Digitalisierung von Geschäftsmodellen und der Dekarbonisierung der Stromquellen hält die Dezentralisierung des Strommarkts des Strommarkts die Branche in Atem.

Die Blockchain schickt sich an, den Energiemarkt rasant auf den Kopf zu stellen. Wie? Das erfahren Sie hier.
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Blockchain in der Energiebranche: Status Quo

Der Strommarkt kämpft mit diversen Ineffizienzen. Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern findet in dezentralen Kleinkraftwerken statt. Das stellt das quasi-zentrale System von heute vor große Herausforderungen: Die Zentralisierung erschwert die Anpassungsfähigkeit an neue Trends wie Batteriespeicher. Dazu kommt, dass Marktinformationen meist nur in stark aggregierter Form vorliegen und zum Teil sogar noch händisch bearbeitet werden. Diese Umstände machen die Branche für Startup-Unternehmen attraktiv. Sie wollen die Datenintegrität im Energiemarkt über Blockchain-Technologie sicherstellen, Unmengen an Daten (Transaktionen) verarbeiten und gleichzeitig validieren.

Übersicht: Blockchain-Vorhaben auf dem Energiemarkt
Foto: N-Ergie / MaibornWolff

Die beispielhaft gewählten 56 Unternehmen in dieser Übersicht lassen sich in unterschiedliche Kategorien unterteilen. Auf den ersten Blick scheint die Blockchain ihre Vorteile im Peer-to-Peer-Handel auszuspielen. Dabei ist der Fokus auf Buchhaltung à la Bitcoin nur einer von vielen Ansätzen. Es ist indes davon auszugehen, dass die Blockchain für die Bereiche Großhandel und Smart Markets wichtiger wird. Nachfolgend stellen wir Ihnen drei Unternehmen mit Geschäftsmodellen für Blockchain-basierte Smart Markets vor.

Priogen und yuso

Die Energiehandelsunternehmen Priogen Trading und Yuso nutzen Enerchain auf der EMART in Amsterdam für den ersten Blockchain-basierten Energiehandel in Europa. Enerchain ist eine Blockchain von Ponton für die Energiebranche. Ein Teilnehmer sendet mit Enerchain eine Bestellung anonym über ein Börsenhandelssystem, eine interessierte Gegenpartei nimmt sie an. Transaktionen werden direkt zwischen den Handelspartnern abgewickelt. Das Peer-to-Peer-Verfahren ersetzt den zentralen Marktplatz.

Es soll die Funktionalität des Short-Term Marktes verbessern: Solarbetreiber, Elektrofahrzeuge und Batteriespeicher sollen Energieüberschüsse schneller untereinander handeln können. In einem Energiemarkt, der immer kleinteiliger wird, nehmen die Transkationen zwischen kleineren Parteien in den kommenden Jahren stark zu. Die Blockchain verringert die Markteintrittsbarrieren, indem sie Handel, Dokumentation und sichere Transaktionen vereinfacht. Dadurch öffnet sie den Energiemarkt für mehr Teilnehmer. Darüber hinaus sorgt die Kryptografie der Blockchain für sichere und unveränderbare Transaktionsdaten.

Die Funktionsweise von Blockchain
Blockchain
Blockchain wird in den kommenden Jahren zur Schlüsseltechnologie in der IT werden.
(1) Transaktion
Die Transaktion ist die elementare Grundeinheit der Blockchain. Zwei Parteien tauschen Informationen miteinander aus. Dies kann der Transfer von Geld oder Vermögenswerten, der Abschluss eines Vertrags, eine Krankenakte oder eine Urkunde sein, die digital gespeichert wurde. Transaktionen funktionieren im Prinzip wie das Versenden von E-Mails.
(2) Verifizierung
Die Verifizierung prüft, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für die Transaktion hat. Die Prüfung erfolgt augenblicklich oder es wird in eine Warteschlange geschrieben, die die Prüfung später durchführt. An dieser Stelle werden Knoten, also Computer oder Server im Netzwerk, eingebunden und die Transaktion verifiziert.
(3) Struktur
Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, wobei diese mit einer Hash-Funktion als Bit-Nummer verschlüsselt werden. Die Blöcke können durch die Zuweisung des Hash-Wertes eindeutig identifiziert werden. Ein Block enthält einen Header, eine Referenz auf den vorhergehenden Block und eine Gruppe von Transaktionen. Die Abfolge der verlinkten Hashes erzeugt eine sichere und unabhängige Kette.
(4) Validierung
Bevor die Blöcke erzeugt werden, müssen die Informationen validiert werden. Das am meisten verbreitete Konzept für die Validierung von Open-Source-Blockchains ist das „Proof of Work“-Prinzip. Dieses Verfahren stellt in der Regel die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe durch den Nutzer beziehungsweise dessen Computer dar.
(5) Blockchain Mining
Der Begriff Mining stammt aus der Bergbau und meint das „Schürfen“. Bei diesem Vorgang wird der Block erzeugt und gehasht. Um zum Zug zu kommen, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen. Wer als Erstes die Lösung hat, wird als Miner akzeptiert. Der Miner erhält für seine Arbeit ein Honorar in Form von Kryptowährung (Bitcoin).
(6) Die Kette
Nachdem die Blöcke validiert wurden und der Miner seine Arbeit verrichtet hat, werden die Kopien der Blöcke im Netzwerk an die Knoten verteilt. Jeder Knoten fügt den Block an der Kette in unveränderlicher und unmanipulierbarer Weise an.
(7) Verteidigung
Wenn ein unehrlicher Miner versucht, einen Block in der Kette zu ändern, so werden auch die Hash-Werte des Blockes und der nachfolgenden Blöcke geändert. Die anderen Knoten werden diese Manipulation erkennen und den Block von der Hauptkette ausschließen.

Volt markets

Auf der Plattform Volt markets werden Ökostrom-Zertifikate gehandelt. Ziel ist ein System, das mehr Transparenz im Ökostrom-Markt bereitstellt. Dieser Markt benötigt derzeit noch Dritte - sogenannte Intermediäre - die den Herkunftsnachweis validieren und dokumentieren, sowie die Echtheit bei jeder Transaktion bestätigen.

Das soll mit dem Blockchain-Projekt auf Ethereum-Basis von Volt Markets einfacher werden: Die Blockchain wird zum unveränderbaren, transparenten und letztlich auditierbaren Kassenbuch für alle Transaktionen. Das führt zu einer Verbindung zwischen Energie- und Kapitalmarkt.

Zum Video: Wie Blockchain die Energiebranche umkrempelt

Wien Energie

Wien Energie beteiligt sich mit anderen international tätigen Energieunternehmen an einem Blockchain-Pilotprojekt der BTL GROUP. BTL betreibt schon jetzt die Handelsplattform Interbit: eine Blockchain basierte Lösung für Interbanken-Netzwerke, Settlement und Asset Trading. Interbit dient der Verrechnung und Dokumentation von Transkationen in Echtzeit, was Potenziale zur Prozessoptimierung und Kosteneinsparung birgt. Mit diesen Vorteilen ist sie Basis eines Pilotprojekt für den Gashandel.

Ziel ist die Entwicklung dezentraler Energieliefersysteme, die Blockchain soll zum Beispiel Handel und Portfolio-Abgleich effektiver machen - unter Einhaltung aller Regularien versteht sich. Ein langfristiges Ziel ist die Entwicklung einer Peer-to-Peer-Handelsplattform. Dabei sollen im agilen Umfeld mit jeder Iteration des Projekts die Potenziale der Blockchain-Technologie für eine internationale Gas-Handelsplattform ausgelotet werden.

Energiemarkt vor Disruption

Das Engagement von Wissenschaft, Risikokapitalgebern, Startups und vor allem etablierten Unternehmen zeigt: Interesse am Thema Blockchain ist im Energiesektor ohne Zweifel vorhanden. Die gesamte Industrie ist überraschend neugierig auf die Mechaniken hinter der Blockchain und viele Player beschäftigen sich mit den Auswirkungen auf das Stammgeschäft.

Derzeit schützt eine starke Regulierung viele Geschäftsmodelle vor der Disruption. Doch Protektionismus konnte den technischen Fortschritt noch nie aufhalten. Während sich Konsumenten zu Prosumenten wandeln, könnte eine erfolgreiche Umsetzung der hier skizzierten Ideen das Aus für viele Zwischenhändler, Dienstleister und Versorgungsunternehmen bedeuten. (fm)