4 Accenture-Prognosen

Wie Chefs im digitalen Unternehmen führen

28.02.2017 von Christiane Pütter
Wer künftig in Unternehmen führen will, muss Netzwerke managen und sich von Künstlicher Intelligenz unterstützen lassen. Mit der neuen Organisation sollten Führungskräfte schon jetzt anfangen.
  • Analyst Thomas schätzt, dass Führungskräfte derzeit oft noch nicht einmal jeden zweiten wichtigen Netzwerker in ihrem Haus kennen
  • Die 1980er-Jahre-Technik des Mind Mapping hat sich mit neuen Collaboration Tools zum "Share your brain" entwickelt
  • Führungskräfte brauchen künftig "spirituelle Intelligenz"

Um die Begriffe Komplexität, Dezentralität und Vernetzung kreist die Studie "Leading the Digital Enterprise" von Accenture. Managing Director Robert Thomas skizziert die ideale Führungskraft der Zukunft. Diese muss ein Unternehmen managen, das von den Standorten und Mitarbeitern her global verteilt ist und das Partner wie Kunden zwecks Aufspüren neuer Geschäftsideen möglichst eng an sich zu binden versucht.

Damit geht es künftigen Chefs vor allem um Kommunikation und den Austausch von Wissen und Informationen. Thomas beleuchtet das organisatorisch und technologisch. Er spricht folgende vier Prognosen aus:

1. Führen heißt, Netzwerke zu managen

Eigene Netzwerke aufzubauen und bestehende zu orchestrieren, ist die Schlüsselqualifikation kommender Chefs. Mit dem Ist-Zustand ist Thomas nicht zufrieden: Er schätzt, dass Entscheider oft noch nicht einmal jeden zweiten wichtigen "Verbinder" innerhalb des eigenen Firmennetzes kennen.

In Netzen innerhalb und außerhalb des Unternehmens aber findet nicht nur Meinungsbildung und Markenaufbau statt. Dort sind auch Wünsche, Anregungen und Kritik von Mitarbeitern, Kunden und Konkurrenten zu finden. Wichtig ist, Transparenz herzustellen und den Kommunikationsfluss kanalisieren zu können. Als Beispiel nennt Thomas den Microsoft-Chef Satya Nadella, der Analyse-Tools in seinem Yammer Collaboration Space einsetzt. Marc Benioff, der CEO von Salesforce.com, schaltet sich immer wieder aktiv in Gespräche ein. Er wolle, dass ihn jeder einschätzen kann. Jeder Netzwerk-Teilnehmer soll Vorschläge unterbreiten können.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

2. Der Chef erklärt sich dem gesamten Team

Im englischen Original klingt es dramatisch. "Share your brain", verlangt der Analyst von Führungskräften. Strategieentwicklung findet immer weniger in geschlossenen Zirkeln statt, sondern wird immer offener. Chefs müssen bereit sein, die "blinden Flecken" in ihrem Denken zu erkennen. Accenture knüpft hier an die These an, dass eine Unternehmensführung umso erfolgreicher ist, je "diverser" ihr Input.

Wer den Input aller Kunden und Mitarbeiter aus den verschiedenen Kulturen, Altersgruppen, Bildungsschichten nutzen will, bediene sich des Mind Mapping, rät Thomas. Er bezieht sich dabei auf die 1980er-Jahre-Technik in ihrer heutigen technologisierten Form. Lösungen für den virtuellen Desktop erlauben jedem Nutzer, teilzunehmen und seine Ideen einzubringen. Smarte Maschinen oder Avatare werden künftig "leader brains" entstehen lassen.

3. Die smarte Maschine rückt in die Firmenleitung auf

Insbesondere mit der Möglichkeit, Szenarien zu simulieren, unterstützt Künstliche Intelligenz (KI) Entscheider. Thomas sieht intelligente Maschinen bereits mit in der Unternehmensleitung sitzen.

4. Führungskräfte definieren "Intelligenz" neu

Die Leistung, die Führungskräfte bei der Integration und Motivation der global verstreuten Mitarbeiter und Partner erbringen, bekommt einen eigenen Namen. Thomas spricht von "spiritueller Intelligenz". Das Ganze kann mit einem Wertewandel in den Industrienationen erklärt werden, demzufolge gutausgebildete junge Leute nach dem Sinn fragen. Ein so traditionsreiches Unternehmen wie Unilever beispielsweise kommuniziert heute nicht mehr Umsatzsteigerung als höchstes oder einziges Ziel. CEO Paul Polman spricht öffentlich gern über Umweltschutz, Frauenförderung und faire Bedingungen kleiner Produzenten.

Thomas betont, dass seine Prognosen zwar in die Zukunft gerichtet sind, der Change aber bereits stattfindet. Er rät Unternehmen, sich lieber früher als später mit den vier Punkten auseinanderzusetzen.