Analysten-Kolumne

Wie IT-Systeme dem Veränderungsdruck standhalten

19.02.2009 von Dirk Möbus und Benjamin Strehl
Branchenspezifische Anforderungen ergeben sich aus gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Allerdings ändern sich auch Prozessschritte in Produktion, Logistik sowie Marketing & Vertrieb. Wie die Pharmabranche darauf mit ihren IT-Systemen reagiert.
Roland-Berger-analyst Dirk Möbus. "Auch die IT-Lösungen bleiben vom Veränderungsdruck in der Pharmaindustrie nicht verschont."

Entscheidender Erfolgsfaktor für eine gute IT-Strategie in einem Unternehmen ist die Anpassung an die spezifischen Herausforderungen der jeweiligen Branche. Wie sehr neue Rahmenbedingungen auch die Anforderungen an die IT verändern und welche Probleme sich daraus für den verantwortlichen CIO ergeben, zeigt das Beispiel von IT-Anforderungen der Pharmaindustrie sowie Herstellern medizinischer Geräte.

Die gesamte Branche war lange Zeit auf Grund hoher Margen und stabiler Einnahmen weniger stark von Kostendruck betroffen als andere Branchen. Allerdings sinken durch den verstärkten Einsatz von Generika oder Re-Importen aus anderen EU-Ländern sowie neuen Vergütungssystemen auch in dieser Branche inzwischen die Umsätze. Die Folge: Die Margen werden geringer, und der Veränderungsdruck nimmt zu.

Die IT-Lösungen bleiben davon nicht verschont. Sie müssen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens ihren Beitrag zu den nötigen Kostensenkungen leisten. Branchenspezifische Anforderungen ergeben sich einerseits aus den gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, andererseits aber auch in den Prozessschritten Produktion, Logistik sowie Marketing & Vertrieb zu beachten. Die Prozesse in Forschung, Entdeckung und Entwicklung sind darüber hinaus sehr unternehmensindividuell und stehen daher hier nicht im Fokus.

Gesetzliche und regulatorische Rahmenbedingungen

Der Gesetzgeber verlangt sowohl von Pharmaunternehmen als auch Herstellern medizinischer Geräte eine detaillierte Validierung für jede einzelne im Einsatz befindliche IT-Komponente in Verbindung mit einer expliziten Dokumentation aller Unternehmensprozesse. Die Anforderungen an die Dokumentation kann das Knowledge Management zum Beispiel mit der elektronischen Verwaltung von Sicherheitsdatenblättern und Dossiers in Verbindung mit einem automatisiertem Datenaustausch zu Drittsystemen erfüllen. Kollaborationslösungen wie WebEX ermöglichen es, in verteilten Organisationen gemeinsam an einem Vorgang zu arbeiten.

Ein sicherer Validierungsprozess für IT-Systeme setzt voraus, dass vor der Einführung jeder neuen IT-Komponente geeignete Mittel für Systemtests und Abnahmen zur Verfügung stehen. So ist einen lückenloser Abgleich mit der ursprünglichen Anforderung gewährleistet. Der Aufwand, der zu Beginn nötig ist, um die nötigen Hilfswerkzeuge für die Tests zu planen und einzuführen, zahlt sich langfristig aus, weil der weitere Aufwand für Tests und Validierungen, die Änderungen an den bestehenden Systemen erfordern, dadurch sinkt.

Produktion

Roland-Berger-Analyst Benjamin Strehl: "Die effiziente Steuerung des Vertriebsaußendiensts ist von großer Bedeutung für die Pharmaindustrie."

In der Produktion hat die IT hauptsächlich die Aufgabe, Qualitätsprüfungen zu unterstützen und auftretende Ausnahmefälle wie etwa erforderliche Rückrufaktionen zu unterstützen. Die Software muss hierzu in der Lage sein, jede verwendete Materialcharge sowohl für fertige als auch für halbfertige Produkte zu erfassen. Das ist beispielsweise mit einem elektronischen Chargenprotokoll möglich.

Idealerweise ist dieses in ein bestehendes ERP-System integriert, so dass alle verkauften Erzeugnisse bis hin zu den verwendeten Materialchargen so zeitnah wie möglich zurück verfolgt werden können. Der immense Schaden, der dem Unternehmen durch eine verzögerte Abwicklung von Rückrufaktionen entstehen kann, macht deutlich, wie wichtig es ist, Chargendaten ohne Zeitverlust elektronisch bereitzustellen.

Logistik

Gerade in der Pharmaindustrie ist es unerlässlich, jederzeit eine ausreichende Menge von Fertigprodukten wie etwa spezieller Präparate für Hochrisikoindikationen auf Vorrat zu haben, um die Versorgungssicherheit für die Patienten jederzeit sicher zu stellen. Ähnliches gilt für die Bereitstellung von Verbrauchsmaterialien medizinischer Geräte, z.B. Blutschläuche in der Dialyse. Das führt zu einem hohen Umlaufvermögen und entsprechend hohen Kapitalkosten für das Unternehmen.

Um die Lagermengen in einem akzeptablen Rahmen halten zu können, muss das jeweilige Warenwirtschaftsystem ein strukturiertes Vorgehen für die Auslieferung und Nachbefüllung aller Waren unterstützen (etwa "first-expire, first-out"). Ist die Lagerverwaltung durch die IT mangelhaft, werden möglicherweise auslaufende Chargen nicht rechtzeitig ausgeliefert und müssen als Ausschuss vernichtet werden.

Der Warenvorrat lässt sich vor allem mit einer möglichst genauen Bedarfsprognose steuern. Dafür müssen mit Hilfe der IT die jeweilige Vertriebs-, Produktions- und Logistikplanungen eng miteinander verzahnt werden. Das erfordert Schnittstellen zwischen den einzelnen Planungssystemen, die auf einer einheitlichen Datenbasis aufsetzen und die oftmals vorhandenen "Insellösungen" für die Planung einzelner Bereiche gezielt vernetzen.

IT kann aber auch den eigentlichen Sales-Forecast unterstützen, indem sie beispielsweise kontinuierlich historische Daten zu Verkaufszahlen, Lieferzeiten und Auftragseingängen bereitstellt und daraus automatisch Vorschläge für die Planung ableitet. Hierfür haben sich in der Praxis vor allem kontinuierlich aktualisierte, stochastische Modelle bewährt.

Marketing & Vertrieb

Die effiziente Steuerung des Vertriebsaußendiensts ist von großer Bedeutung für die Pharmaindustrie. Darüber hinaus stellen sich speziell für Hersteller medizinischer Geräte neue Herausforderungen durch die Ausweitung des bestehenden Produktgeschäfts um zusätzliche Dienstleistungen. Zu diesen "Paketgeschäften" gehören beispielsweise Wartungen und Schulungen für die eigenen Geräte. Diese erfordern von der IT ein verbessertes Management der Kunden- und Vertriebsinformationen.

Die IT kann den Vertrieb unterstützen, indem sie alle Informationen über Kunden und Transaktionen im Unternehmen bündelt und einheitlich aufbereitet. Dazu können sowohl Data Warehouse Lösungen als auch Customer Relationship Management (CRM)-Systeme einen Beitrag leisten. Auch Electronic Territory Management Systeme (ETMS) unterstützen die systematische Vertriebs- und Außendienststeuerung, indem sie die Verkaufsgebiete nicht nur rein geografisch einteilen, sondern auch nach Kriterien wie Kundengröße oder Kundentyp.

Ein integriertes, elektronisches Vertragsmanagement ist erforderlich, um die neuen Geschäftsmodelle abzubilden und die Profitabilität von "Paketgeschäften" zu ermitteln. Zusätzliche Transparenz für den Vertrieb entsteht, wenn die IT-Werkzeuge im Vertriebscontrolling länderübergreifend aufeinander abgestimmt sind.

Dirk Möbus ist Projektmanager, Benjamin Strehl Berater im Kompetenzzentrum InfoCom bei Roland Berger Strategy Consultants GmbH.