Mitarbeiter einbeziehen

Wie man ITler entstresst

23.06.2010 von Andrea König
ITler werden entlastet, wenn sie im Team einen Stresskalender einführen. Ein Forschungsteam hat diese und andere Methoden für Gesundheitsprävention in Unternehmen getestet.

Bei dem Forschungsprojekt "Demografischer Wandel und Prävention in der IT" (DIWA-IT) geht es darum, wie Beschäftigte in der IT-Branche trotz ihrer hohen Belastung gesund bleiben können. Im Rahmen des Projekts erkannten Soziologe Dr. Tobias Kämpf und seine Kollegen vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München), wie sich die Gesundheitsproblematik in der IT-Branche verschärft hat. Nun haben Sie erste Pilotprojekte durchgeführt.

CIO: Im letzten Gespräch mit CIO im November 2009 haben Sie angekündigt, nun in Firmen Pilotprojekte zur innovativen Gesundheitsförderung zu starten.

Der Soziologe Tobias Kämpf.
Foto: Kämpf

Kämpf: Das ist richtig. Wir haben in unserer Analysephase erkannt, dass Mitarbeiter in der IT häufig einer neuen Belastungskonstellation ausgesetzt sind. Burnout und Stress sind da oft nur die Spitze des Eisbergs. Für viele haben sich die Belastungen grundlegend verschärft.

CIO: Welches Ziel haben Sie bei den Pilotprojekten verfolgt?

Kämpf: Wir wollten erreichen, dass sich die Gesundheitssituation in den Unternehmen verbessert. Das erfordert mehr als nur klassische Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Die soll nicht mehr länger ein Randthema sein, sondern integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik werden.

CIO: Wie sind Sie vorgegangen?

Kämpf: Wir haben fünf zentrale Handlungsfelder definiert. Bei den Pilotunternehmen vor Ort haben wir diese dann vorgestellt. Was umgesetzt wird, haben die Teams der Unternehmen selbst entschieden. Diese Beteiligung der Mitarbeiter ist ein wichtiger Punkt für den Erfolg von Gesundheitsförderung.

Stresskalender einführen

CIO: Sie haben von fünf zentralen Handlungsfeldern gesprochen. Welche sind das?

Kämpf: Das erste besteht in der Schaffung von geeigneten Monitoringinstrumenten, damit die Mitarbeiter sich artikulieren können und ihre Belastungen transparent machen können. Nur die Arbeitsunfähigkeitstage zu zählen, greift nicht weit genug.

CIO: Was wäre besser?

Kämpf: In einem Pilotprojekt mit Software-Entwicklern wurde ein Stresskalender eingeführt. In Meetings haben die Teammitglieder gezielt gesagt, wie sie ihre individuelle Stressbelastung einstufen. Diese Maßnahme wurde positiv aufgenommen und läuft noch.

CIO: Welche weiteren Handlungsfelder sehen Sie?

Kämpf: Im zweiten Handlungsfeld geht es darum, im Unternehmen eine Kultur zu etablieren, in der Verbesserungsvorschläge und Anregungen von Mitarbeitern ernst genommen werden. Wer mit ineffizienten und komplizierten Prozessen arbeiten muss und sie nicht verbessern darf, fühlt sich schnell entmündigt. Auch das dritte Handlungsfeld geht mehr auf die Mitarbeiter ein. Hier geht es darum, lebensphasensensible Karrierekonzepte anzubieten. Beschäftigte in der Familienphase oder Ältere haben spezielle Bedürfnisse. Wenn das Unternehmen darauf eingeht, entlastet es die Mitarbeiter.

Weg zur Führungskultur

CIO: Wie wichtig ist das Team?

Kämpf: Eine Stärkung der Teamkultur ist das vierte Handlungsfeld. Bei Belastung kann das Team der größte Freund sein, um mit dem Druck fertig zu werden. Läuft es im Team jedoch nicht rund, kann es zu Mobbing und Gruppendruck kommen.

CIO: Welche Rolle spielen Führungskräfte?

Kämpf: Die Führungskultur macht das fünfte und letzte Handlungsfeld aus. Wir nennen die Führungskräfte Gatekeeper. Oft sind sie besonders belastete Beschäftigte. Neben der eigenen Belastung sind sie das Ventil, das den Druck in den Teams steuert. Nur sie können nach oben funken und sagen, dass ihr Team überlastet ist.

CIO: Das passt zu einer aktuellen Schweizer Studie von sciencetransfer. Die kam zum Ergebnis, dass Chefs ihre Mitarbeiter durch persönliche Ansprache und rechtzeitige Arbeitsentlastung vor Burn-Out schützen können.

Kämpf: Chefs fühlen sich zwar häufig für ihr Team verantwortlich, können jedoch ihre Schutzfunktion immer öfter nicht mehr wahrnehmen, da sie selbst stark unter Druck stehen. Hier müssen Führungskräfte wieder handlungsfähig gemacht werden - ein zentrales Stichwort lautet deshalb ‚Empowerment’.

Mitarbeiter einbeziehen

CIO: Wie geht das?

Kämpf: Eine Möglichkeit sind Führungskräfteseminare. Um grundlegendere Veränderungen, zum Beispiel im Bereich der Führungskultur, anzustoßen, sollten Maßnahmen der Gesundheitsförderung idealerweise in eine Reorganisation integriert werden, die sowieso stattfindet. Wer die Dynamik betrieblicher Veränderungsprozesse nutzt, geht mit der Welle statt gegen sie.

CIO: Gibt es konkrete Veränderungen, die Ihre Pilotprojekte in Unternehmen bewirkt haben?

Kämpf: Wir haben den Teams keine fertigen Vorschläge präsentiert. Sie haben sich selbst erarbeitet, was sich in ihrem Unternehmen und in ihrem Arbeitsbereich ändern muss. Bereits umgesetzt wurde zum Beispiel der Einbau einer Lärmschutzdecke in einem Raum, in dem viel telefoniert wird. In einem anderen Fall wurden Mitarbeiter durch einen zweiten Bildschirm entlastet.

CIO: Besteht das Erfolgsrezept der Gesundheitsprävention also darin, dass die Mitarbeiter sich die Maßnahmen selbst erarbeiten?

Kämpf: Man muss eine Beteiligung ermöglichen. Es ist zu passiv, über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg zu entscheiden. Wenn sie aktiv mitwirken, merken Sie, was sie bewirken können und empfinden das als Wertschätzung.

CIO: Was haben Sie noch aus den Pilotprojekten mitgenommen?

Kämpf: Wir haben überwiegend positive Erfahrungen damit gemacht, das Management für Veränderungen zu gewinnen. Wichtig ist es, dass das Thema Gesundheitsförderung dauerhaft auf der Agenda gehalten wird. Dabei können auch Betriebsräte eine positive Rolle spielen. Wir sind zuversichtlich, dass die Unternehmen sich auch weiterhin dem Thema annehmen werden.