Snapchat

Wie Medien an die Millennials kommen wollen

08.06.2016
In den Archiven deutscher Verlagshäuser schlummern Millionen von Artikeln. Auf Snapchat verschwinden Inhalte spätestens nach einem Tag. Passt das zusammen - und wie können Redaktionen die gehypte App nutzen?

Kaum haben sich die Pressehäuser mit Facebook und Twitter arrangiert, wird das nächste große Ding angesagt: Snapchat. Die App mit den schnell vergänglichen Inhalten ist der Renner bei den jungen Nutzern - also denen, die eine gedruckte Zeitung oder feste Sendetermine im TV manchmal nur noch von ihren Eltern kennen. Einige deutsche Redaktionen wagen daher erste Gehversuche mit Snapchat. In den USA legen einige Medien vor und versuchen, von der Andersartigkeit von Snapchat zu profitieren.

Zur Fallhöhe: "2016 ist für mich ganz klar das Snapchat-Jahr", sagte kürzlich der Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert. "Ich treffe keinen Jugendlichen mehr unter 25, der nicht bei Snapchat ist." Erwachsene lässt die App häufig verwirrt zurück. Im Schnelldurchlauf: Kern ist die Nachrichtenfunktion, die Bilder, Text und Videos an Freunde verschicken kann, dekoriert mit Emojis und Text. Der Clou: Nach spätestens zehn Sekunden löschen sich die Nachrichten von selbst. Bis zu 24 Stunden sind "Storys" dagegen öffentlich einsehbar, Ansammlungen von einzelnen Snaps.

Und besonders interessant für Verlage: die "Discover"-Funktion. Hier präsentieren ausgewählte Medien wie CNN, MTV, Vox.com und Vice aufwendiger gemachte Snaps, teils mit längeren Artikeln - und Werbung. Bislang sind es fast nur englischsprachige Kanäle aus den USA, dabei sind aber etwa auch die englische "Sun" und "Sky News". 60 Millionen Nutzer schauten sich jeden Monat die "Discover"-Sektion an, heißt es vom Unternehmen - die besten Kanäle kämen auf sechs bis sieben Minuten pro Snapchatter pro Tag.

Das ist bei 100 Millionen aktiven Nutzern täglich allerdings noch nicht so viel. Mit einem Update will Snapchat "Discover" attraktiver machen: Jetzt werden gleich mit großen Symbolen Inhalte geteasert statt nur wie bisher Namen gezeigt, dazu kann man die Kanäle abonnieren. "Discover" ist jetzt auch mit den beliebten "Live"-Storys durchmischt, für die Snapchat selbst Inhalte von Usern zu bestimmten Themen oder Events kuratiert.

Gibt es Pläne für ein deutsches "Discover"? Kein Kommentar, teilt eine Snapchat-Sprecherin mit. Ohne Teil von "Discover" und Partner von Snapchat zu sein, gibt es auch keine Beteiligung an Werbeeinnahmen - die Werbung auf Snapchat sei "hinreißend" anzusehen, schwärmt das Unternehmen selbst.

"Snapchat ist das Hype-Thema 2016", sagt auch Holger Kansky, Multimedia-Referent beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). "Denn die Frage ist: Wie erreicht man die Millennials noch?" Doch noch sind nicht viele Redaktionen auf Snapchat zu finden.

Beispiele: "Bild" tritt recht systematisch auf, bietet Blicke hinter die Kulissen und Nachrichten-Schnipsel. Gerade Jugend-Redaktionen sind auf Snapchat aktiv, etwa "bento" ("Spiegel"), "BYou" ("Bild") und "ze.tt" ("Zeit"). Auch WDR-Reporter snappen, das ZDF experimentiert damit und lässt Protagonisten einer Dokumentation einen Kanal übernehmen. Das Computermagazin "Chip" zeigt Teaser auf seine Inhalte, auch "Brigitte", "Gala" und "Zeit Magazin" sind dabei. Zudem sind einige Journalisten mit persönlichen Profilen vertreten.

Das alles wirkt noch weitaus weniger ausgefeilt, spontaner und persönlicher als bei Twitter und Facebook - aber das ist die Natur der App. Die vergänglichen Inhalte müssen keinen Likes, Favorites oder Retweets hinterherhecheln - viele Nutzer finden das regelrecht entspannend. Doch Medien arbeiten traditionell anders und setzen auf Verweise, Zweitverwertung, Chronistenpflicht. Für lange Reportagen und ausführliche Texte eignet sich Snapchat ohnehin nicht, eher für Videoschnipsel, Überblicke, schnelle Information.

"Es geht dabei nicht in erster Linie ums Geldverdienen, sondern auch um Markenwahrnehmung und Reichweitenaufbau", sagt Kansky. Und neue Erkenntnisse, auch abseits der Plattform: Wie tickt die Jugend - und wie kann man sie ansprechen? "Snapchat bindet die Aufmerksamkeit einer Zielgruppe, die für klassische Medien deutlich schwerer zu erreichen ist", sagt Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Die Frage: "Wie binde ich Menschen an meine Marke?" Mögliche Antwort: Gute Inhalte könnten neugierig auf die anderen Angebote eines Verlags machen. "Snapchat kann als Teaser funktionieren", sagt Scherzer.

Doch bisher spielen News kaum eine Rolle auf Snapchat. Null Prozent der Internetnutzer gaben bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Interessenverbands nextmedia Hamburg an, dass Snapchat das soziale Netzwerk sei, auf dem sie vor allem auf Nachrichteninhalte stoßen - Facebook kam auf fast 50 Prozent. Umfragen in den USA legen immerhin nahe, dass doch einige Snapchatter auch Nachrichten sehen - vor allem die jüngeren. (dpa/rs)