Innovation Accelerator

Wie Startups den Welthunger besiegen wollen

07.02.2018 von Simon Lohmann
Startups haben oft innovative Ideen, doch fehlt es ihnen meist an Erfahrung und finanziellen Mitteln. Deshalb bekommen manche Unterstützung vom World Food Programme der UN, welches mit Techniken wie Blockchain und autonomes Fahren den Welthunger bis 2030 beenden will. Bernhard Kowatsch, Leiter des Innovation Accelerator, verrät CIO.de, mit welchen Innovationen dies gelingen soll.
  • 815 Millionen Menschen leiden weltweit unter Hunger, Tendenz fallend
  • Startups gelang erfolgreiche Umsetzung innovativer Blockchain-Technologie für syrische Flüchtlinge
  • Autonomes Fahren soll zukünftig humanitäre Hilfe in Krisengebieten ermöglichen
In der Theorie könnte der Welthunger in den nächsten zwölf Jahren beendet sein - allerdings unter schwierigen Bedingungen.
Foto: Suzanne Tucker - shutterstock.com

Über der Backstube eines traditionellen Münchener Bäckereiunternehmens befinden sich die Räumlichkeiten des Innovation Accelerator. Riesige, schräge Dachfenster durchfluten die offenen Büroräume mit natürlichem Licht, überall hängen beschriebene Plakate mit bunten Notizzetteln oder Whiteboards, auf denen die Mitarbeiter ihre Ideen sofort niederschreiben können. Sogar an den Wänden sind extragroße, transparente Flächen angebracht, auf denen man seine Gedanken schnell aufschreiben und wieder wegwischen kann - selbst die Bullaugen in manchen Zimmern bleiben davon nicht verschont und werden als Schreibfläche genutzt.

Eine feste Sitzordnung gibt es anscheinend nicht: Wer mag, kann mit seinem Laptop an einem freien Tisch in der Küche, an Gruppentischen oder im Konferenzraum Platz nehmen. Das Klischee eines gerade neu eingerichteten Startups wird auf jedem Quadratmeter bedient, doch erfüllt es seinen Zweck: Allein beim Betreten des Innovation Accelerator beschleicht einen das Gefühl, Teil von etwas Innovativem zu sein. Denn die Räume erinnern eher an ein Unternehmen aus dem Silicon Valley als an eine Organisation der Vereinten Nationen.

Innovation Bootcamp im Office des WFP Innovation Accelerator in München.
Foto: WFP Innovation Accelerator

Dass sich der Innovation Accelerator die Räumlichkeiten im Herzen der Bayerischen Hauptstadt überhaupt leisten kann, ist der Bäckerei ein paar Stockwerte weiter unten zu verdanken. Dank eines Mietpreisnachlasses können hier innovative Ideen verwirklicht werden, um dem Hunger auf der Erde ein Ende zu bereiten.

Als größte humanitäre Organisation weltweit ist das UN World Food Programme (WFP) mit 15.000 Mitarbeitern in 84 Ländern aktiv und hilft im Schnitt 80 Millionen Menschen pro Tag. Das Spektrum reicht von der klassischen Nothilfe in Krisengebieten, in denen die Menschen unter Krieg und Armut leiden, bis hin zur Versorgung von Regionen, in denen Naturkatastrophen Notstände verursacht haben.

Im Innovation Accelerator in München werden innovative Ideen, die über ein Online-Formular geschickt werden können oder von internen Mitarbeitern stammen, in die Tat umgesetzt. Seit 2016 wurden etwa 1.500 Ideen beim Accelerator eingereicht, welche meist von Startups, NGOs oder aus der Forschung stammen. "Von den 1.500 Ideen haben wir 60 zu einem Innovation-Bootcamp hier in München eingeladen. Daraus haben wir bisher wiederum 30 ausgewählt, die wir unterstützt haben", erzählte Bernhard Kowatsch, Leiter des Innovation Accelerator.

Bernhard Kowatsch, Leiter des WFP Innovation Acclerator
Foto: WFP Innovation Accelerator

Da das UN World Food Programme gänzlich freiwillig finanziert wird, ist die Organisation auf Spenden von Regierungen, Firmen und Individualspenden angewiesen. 2017 verfügte das WFP somit über ein Budget in Höhe von 5,5 Milliarden US-Dollar. Mit einem Teil des Geldes kann auch der Innovation Accelerator Projekte finanzieren - bis zu 100.000 US-Dollar pro Projekt.

Den Accelerator in München fördern das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Auswärtige Amt und das Bayrische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. "Bei den eingereichten Konzepten achten wir darauf, wie innovativ die Ideen sind und wie groß das Potenzial ist, wenn man diese global verwirklichen würde", so Kowatsch. "Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Team und welche Erfahrungen es mitbringt. Gibt es bereits Prototypen? In welchem Stadium befindet sich die Idee? Das sind für uns wichtige Auswahlkriterien."

Oftmals fehle den Teams aus Westeuropa oder Amerika das Verständnis dafür, was wirklich in Entwicklungsländern oder Flüchtlingslagern passiert und ob ihre Idee überhaupt helfen kann. Das umgekehrte Problem besteht bei Teams und Startups aus Entwicklungsländern, denen beispielsweise der Zugang zu den neuesten Technologien oder Netzwerken fehlt. Der Accelerator müsse an diesen Punkten anknüpfen und durch seine Mitarbeiter für das notwendige Gleichgewicht sorgen.

Welthunger bis 2030 beendet?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte 1990 noch über eine Milliarde Menschen als hungernd ein. "Hungern" bedeutet in diesem Fall, dass den Menschen nicht genügend Kalorien zur Verfügung stehen, um ein gesundes Leben zu führen. Rund 2.300 Kalorien pro Tag gibt die WHO diesbezüglich als Schwellenwert an.

"Letztes Jahr waren es 815 Millionen Menschen, die unter Hunger litten", erklärte Kowatsch. "De Facto machen wir also schon Fortschritte." Eines der globalen Ziele des WFP lautet, den Welthunger in den nächsten zwölf Jahren zu beenden.

In München arbeiten rund zwei Dutzend Mitarbeiter im WFP Innovation Accelerator.
Foto: WFP Innovation Accelerator

Schaue man sich allerdings die Entwicklung der vergangenen 25 Jahre an und schreibe sie linear fort, ohne weitere Faktoren mit zu berücksichtigen, so sei die Erreichung dieses Ziels bis 2030 äußerst schwierig, meint Kowatsch: "Ist es möglich, eine Welt ohne Hunger zu erreichen? Absolut. Und ich glaube auch, dass das gerade durch solche Innovationen, die wir mit unterstützen, möglich sein wird. Man kann relativ einfach feststellen, ob unsere Tätigkeiten tatsächlich sinnvoll sind. Natürlich ist Hunger ein sehr großes Problem, aber gleichzeitig wissen wir auch, dass es lösbar ist."

Im August 2015 startete der Innovation Accelerator mit ursprünglich fünf Mitarbeitern. Einen Standortwechsel später sind es heute bereits 23 Mitarbeiter: Die eine Hälfte habe einen Hintergrund als Startup-Gründer in der Privatwirtschaft, die andere konnte bereits Innovationen in Entwicklungsländern, wie im Libanon, Irak, Südsudan, El Salvador oder Kambodscha, umsetzen.

Dass bereits sehr einfache Ideen den Menschen in Notsituationen helfen können, zeigt beispielsweise ein Projekt in Uganda. Dort ist es keine Seltenheit, dass Kleinbauern bis zu 50 Prozent ihrer Ernte verlieren. Grund dafür sind oftmals unzureichende Lager- und Verarbeitungsmethoden.

Der Innovation Accelerator unterstützte ein Projekt, bei dem luftdichte Metall- und Plastik-Silos genau dies verhindern sollten. Die Silos wurden direkt in Uganda hergestellt, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Anschließend wurden die Silos an die lokalen Kleinbauern verkauft, die bereits nach der ersten Ernte wieder im Plus waren. "Solange sie die Silos haben, können die Kleinbauern ihr Haushaltseinkommen verdreifachen", so Kowatsch.

Auch wenn es sich hierbei um Low-Tech-Lösungen handle, zeige allein dieses Beispiel, dass - sofern entsprechende Innovationen gefunden und unterstützt werden - der Hunger beendet werden kann.

Mit selbstfahrenden LKWs in Krisengebiete

Es gibt natürlich auch Projekte, bei denen IT eine viel bedeutendere Rolle spielt. So sind Kriegsgebiete für Hilfsorganisationen mit einem besonders hohen Risiko verbunden. Aber auch durch Naturkatastrophen verursachte Wegblockaden erschweren die Arbeit zunehmend. Laut Kowatsch gebe es verschiedene Möglichkeiten, wie man mit derartigen Situationen umgehe. Da Essensabwürfe aus Flugzeugen vergleichsweise teuer und über Stadtgebieten nicht möglich sind, ging aus einem Thought-Leadership-Programm die Idee von selbstfahrenden Lastkraftwagen in Krisenregionen hervor.

Wenn zum Beispiel Kampfhandlungen gestoppt haben und die Straßen noch vermint sind, muss man warten, bis die Straßen geräumt wurden. "Wir werden sicherlich keinen LKW mit einem Fahrer durch solches Gebiet fahren lassen, bis wir nicht genau wissen, dass keine Gefahr mehr besteht", erklärte Kowatsch. Bei selbstfahrenden LKWs könnte das aber schon wieder anders aussehen: "Vielleicht gibt es in manchen Notsituationen auch Spender, denen das Risiko wert ist, dass auf dem Weg zu den bedürftigen Menschen ein LKW in die Luft fliegen könnte."

Kooperation mit dem DLR

Neben der Suche nach potenziellen Industriepartnern hat der Innovation Accelerator gemeinsam mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) ein Projekt gestartet. Laut DLR sei es möglich, für solche humanitäre Zwecke autonome LKWs zu bauen, selbst wenn in solchen Gebieten größere Herausforderungen gemeistert werden müssen: "In Krisenregionen gibt es meist kein zuverlässiges Internet und mobiles Datensystem. Oder aber vom einen auf den anderen Tag ist plötzlich eine Straße nicht mehr da."

Die LKW-Fahrer des WFP werden im Alltag mit verschiedenen Gefahrensituationen konfrontiert.
Foto: WFP / Hukomat Khan

Um die Voraussetzungen für selbstfahrende LKWs auszuloten, hat der Innovation Accelerator zusammen mit dem DLR eine Testfahrt in Uganda organisiert. Kleinkameras, wie die von GoPro, sollen dabei die notwendigen Daten liefern. Man müsse sowas im Vorhinein erstmal testen, um zu sehen, ob die Idee überhaupt funktionieren kann.

Laut Kowatsch befindet sich das Projekt allerdings noch im Anfangsstadium, die Explorationsphase habe aber bereits gestartet. "Wir sind auch weiterhin offen für Startups, Firmen- oder Technologie-Partner, die in diesem Bereich arbeiten, weil wir wissen, dass die Entwicklungen auch gerade im kommerziellen Feld weiter voranschreiten", so Kowatsch.

Erfolgreiches Blockchain-Projekt in sechs Monaten

Es gibt aber auch Technologien und Innovationen, die deutlich kosteneffizienter helfen. Das Konzept rund um das Projekt "Building Blocks" stammte ursprünglich von einem Mitarbeiter aus der WFP-Finanzabteilung, welches zusammen mit einer Mitarbeiterin beim Accelerator umgesetzt wurde.

"Von den 30 Projekten unterstützen wir derzeit sieben in der Scale-Up-Phase. Dazu zählt auch "Building Blocks" - ein Projekt, bei dem wir Blockchain für Essensgutscheine für rund 10.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien nutzen", erklärte Kowatsch. "Mit einer Ethereum Wallet können die Menschen dort nun ihr Essen im Supermarkt bezahlen."

Das erfolgreiche Blockchain-Projekt wurde anschließend in die Geschäftsprozesse des UN WFP integriert.
Foto: WFP / Farman Ali

Vom ersten Testen und Starten des Projekts bis zum Piloten vergingen nur etwa sechs Monate. Doch wieso funktioniert diese Technik bei dem WFP in so kurzer Zeit, während hierzulande viele Unternehmen noch endlos Blockchain-Projekte evaluieren?

"Wir sind natürlich auf die Innovationen oder die Startup-Gründer angewiesen, die so etwas machen wollen", erklärte Kowatsch. "Wir haben eine Partnerschaft mit der Singularity University. Wir haben ein Team ins Silicon Valley zu einem Workshop geschickt und anschließend global nach Startups gesucht, die in dem Bereich Blockchain arbeiten. Durch Zufall kam das ausgewählte Startup aus München." Das Projekt war so erfolgreich, dass die mit Blockchain-Technologie entwickelten E-Wallets rund 98 Prozent der Bankgebühren einsparten.

Wenn ein Projekt wie dieses erfolgreich verläuft, ist die Arbeit des Accelerators allerdings noch lange nicht beendet - Stichwort "Scaling". In manchen Fällen können Projekte auch in die Kerngeschäftsprozesse des UN World Food Programme übergehen. Alternativ sucht der Accelerator nach weiteren Investoren oder Partnern, damit die Projekte global verbreitet werden und die Nachhaltigkeit des gesamten Geschäftskonzeptes gesichert ist. Dabei stehe vor allem der Beschleunigungsprozess im Vordergrund. Egal, ob High-Tech oder Low-Tech-Projekt.

Worauf es ankommt

Startups und Innovationen aus Entwicklungsländern haben es meist schwieriger, langfristig erfolgreiche Projekte zu entwickeln, da ist sich Bernhard Kowatsch sicher. Völlig unmöglich sei dies aber keineswegs. Die Herausforderung bestehe vor allem darin, in den ersten Schritten die besten Ideen und die dazu passenden Köpfe zu identifizieren.

Das größte Potenzial sieht Kowatsch im Internet als Basistechnologie. Der Zugang zu Wissen, Informationen und Märkten zeige bereits heute wichtige Resultate in Entwicklungsländern. Sprachassistenten und künstliche Intelligenz seien ein wichtiger Schlüsselpunkt, um Analphabeten mit notwendigen Informationen zu versorgen. Mit dem Internet Transparenz schaffen - so lautet das Erfolgsrezept.

Die Voraussetzungen sind da. Eine Tatsache, die Institutionen wie der WFP Accelerator auch in Zukunft berücksichtigen müssen. In den nächsten Jahren werde die Verbreitung von Smartphones und Internet vor allem in den Entwicklungsländern stark zunehmen.

"Bei manchen Projekten ist Technologie zwar nicht der heilige Gral, aber eine der Möglichkeiten, wie solche Projekte eine noch höhere Wirkung erzielen können", meint Kowatsch und führt gleich ein Beispiel an. "Thema Mobile: Aktuell hat jede zweite Person auf der Welt Zugang zum Internet. Im Libanon, ein Land mit sehr vielen Flüchtlingen, haben 76 Prozent der Libanesen auch heute schon einen Internetzugang. In Kolumbien sind es 56 Prozent, in Kenia 46 Prozent. Es gibt prinzipiell keinen Grund, warum nicht auch in Kenia ein Startup entstehen kann, was dort die Probleme über die ihnen verfügbare Technologie angeht."

Davon profitieren derzeit auch Kleinbauern in Entwicklungsländern. Bei einem vom Innovation Accelerator unterstützen Projekt haben die Bauern die Möglichkeit, über eine App ihre Überschussproduktionen an Händler zu verkaufen. "Das klassische Problem von Kleinbauern äußert sich oft in mangelndem Wissen über faire Preise", so Kowatsch. Sie könnten schlecht einschätzen, ob die Preise der Händler zum bestimmten Zeitpunkt wirklich fair sind. Dank der App entscheiden die Kleinbauern nun selbst, ob sie ihre Güter an den Händler verkaufen oder lieber einen Transport organisieren und in der nächst größeren Stadt auf dem Markt anbieten möchten.

"Meiner Erfahrung nach kann man selbst unter schwierigen Bedingungen nachhaltige Geschäftskonzepte entwickeln, auch wenn es - wie zum Beispiel Blockchain - neue Technologien sind", meint Kowatsch. "Es kommt aber vor allem auf die Teams an."