Tablet-PCs und Smartphones

Wie Touchscreens das Denken verändern

26.08.2010 von Thomas Pelkmann und Dan Tynan
Mit Smartphones und Tablet-PCs verändert sich die Bedienung von Geräten dramatisch. Es steht zu befürchten, dass auch unsere Gehirne davon nicht verschont bleiben.
Sind wir eigentlich alle bescheuert?!?

Haben Sie auch schon mal gedacht, dass Ihr Autoradio kaputt ist, weil es nicht den Namen und Interpreten des gerade laufenden Stücks anzeigt? Oder wundern Sie sich, dass Sie mit dem Finger auf ein Wort in der Tageszeitung tippen und es poppt dahinter nicht sofort eine Definition des Begriffs auf? Erwischen Sie sich manchmal, wie Sie über das Display Ihres Handys wischen und als einziges sichtbares Resultat schmierige Abdrücke hinterlassen?

Dann sollten Sie daran denken: Sie haben kein Internetradio, Sie lesen eine richtige Zeitung, und Ihr Handy ist kein Smartphone, sondern bloß ein Handy.

"Heutzutage wollen wir einfach nur mit unseren Spielzeugen Schritt halten", kommentiert Christine Louise Hohlbaum, Autorin des Buches "Die Kraft der Langsamkeit - 101 Wege, um in unserer 24/7-Welt Zeit zu sparen" die Wirrungen des modernen Alltags. "Technologie durchdringt jeden Winkel unseres Lebens. Unsere ‚Touchscreen-Existenz’ hat unsere Gehirnzellen buchstäblich neu verdrahtet. Unser Verhalten wird von der Technik bestimmt, die wir benutzen. Wir tippen, doppelklicken und simsen den ganzen Tag."

So mancher Zeitgenosse unter uns wirkt mitunter etwas verwirrt, wenn er auf etwas stößt, das noch nicht digitalisiert ist - eine Tür zum Beispiel, für die man noch einen Schlüssel benötigt, oder ein Buch, dessen Seiten nicht automatisch umblättern. Oder auf den Fernseher, der Shows in Echtzeit abspielt, ohne dass man vorspulen kann, um die Werbung zu überspringen.

Kennen Sie das auch, oder sind wir einfach nur durchgeknallte Freaks? Wir haben rumgefragt, und es hat sich herausgestellt, dass wir (glücklicherweise?) nicht die einzigen mit solchen Problemen sind. Hier ein paar Beispiele.

Das Radioprogramm vorspulen

Festplattenrekorder sind so eine Sache: Man nimmt einfach auf, was man sehen möchte, und schaut es sich an, wann man will. Lästige Werbeunterbrechungen sind kein Thema mehr, aber wenn die Erbtante anruft, hält man das Programm einfach an.

Bei unseren Recherchen haben wir festgestellt, dass Menschen, die sich an diese Art von Fernsehkonsum gewöhnt haben, solche Geräte am liebsten überall verwenden würden: im Kino, bei Autoradios und sogar bei Unterhaltungen.

"Seitdem ich so leicht Fernsehsendungen vor- und zurückspulen kann, versuche ich das ständig mit meinem Radio, um verpasste Songs noch einmal zu hören", meint zum Beispiel Kim Dushinski, Autorin eines Buches über mobiles Marketing. "Aber ich habe erst gemerkt, dass ich ziemlich durcheinander bin, als ich versucht habe, das auch in einem Gespräch zu machen. Ich wusste, meine Gesprächspartnerin hatte mir vor zwei Sekunden ihren Namen gesagt, aber ich habe ihn schon wieder vergessen. Moment, ich spule zurück...Mist!"

Noch ein Beispiel? "Ich fuhr auf der Autobahn und sah ein total witziges Plakat", erinnert sich Joe Paone, Chef einer PR-Firma. "Aber meine Frau hatte es nicht gesehen. Meine spontane Reaktion war: Drück auf den Rückwärts-Knopf und zeig es ihr noch mal."

Bedauerlicherweise - solange Sie nicht im Adam Sandler-Film "Click" leben, gibt es keine Fernbedienungen für das richtige Leben. Ob man das gut findet, oder nicht: Wir hängen (noch) an der Echtzeit.

Volltextsuche im Hardcover

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als Verlage fast alles auf Papier druckten? Tatsächlich machen sie es noch meistens so. Aber das kann man auch schon mal vergessen: "Letzte Nacht habe ich ein Buch gelesen und hatte plötzlich ein ‚Deja vu": Irgendwo hatte ich das doch schon mal gelesen", schildert Dianne Smith, ein Vertriebsprofi aus Massachusetts.

"Ich hätte gerne danach in den vorangegangenen Kapiteln gesucht. Aber dann ist mir eingefallen, dass ich ja ein richtiges Buch vor mir hatte und Seite für Seite zurückblättern müsste. Trotzdem: Irgendwie mag ich dieses altmodische Blättern immer noch."

"Durch die Arbeit mit iPhone, iPad und Notebook bin ich einfach daran gewöhnt, komplette Texte oder einzelne interessante Abschnitte mit anderen zu teilen, um mit ihnen im Dialog zu bleiben", meint der Web 2.0-Spezialist Matthew Kammerait. "Ich ertappe mich beim Lesen eines gedruckten Buches immer häufiger dabei, dass ich nach den Icons zum Kopieren und Verschicken suche."

Das ist in Ordnung, Matt. Wir sagen es nicht deinem Chef.

Kaum haben Sie sich an Ihr Smartphone mit Touchscreen gewöhnt, fällt es Ihnen schon schwer, ihre Finger von einem normalen Bildschirm zu lassen, ohne wenigstens einmal darauf geklickt oder darüber gewischt zu haben.

Fingerabdrücke auf jedem Bildschirm

"Ich bin so an mein Smartphone mit Touchscreen gewöhnt, dass ich jedes Mal, wenn ich einen Blackberry in der Hand habe, versuche, ihn über den Bildschirm zu bedienen", bekennt Dan Nainan, Komiker, Schauspieler und selbst ernanntes Computer-Genie. "Ich habe sogar meinen Bildschirm am Laptop berührt, obwohl ich wusste, dass es kein Touchscreen ist."

Vielleicht sollte Nainan das mit dem Genie noch mal überdenken... Allein ist er mit dieser Verhaltensauffälligkeit aber nicht. Auch Gleb Budman erwischt sich mitunter bei dem Versuch, alles mit der Hand zu machen: "Neulich war ich in einem Buchladen auf der Suche nach einem bestimmten Autor und fand niemand, der mir helfen konnte", erinnert sich der CEO eines Backup-Dienstleisters. "Plötzlich sah ich einen großen Bildschirm im Kundencenter und fing an, darauf rumzutappen." Immerhin: Irgendwann gab er es auf und suchte sich einen Mitarbeiter, der ihm besser helfen konnte.

Sollte es sich bei einem Monitor tatsächlich um einen Touchscreen handeln, gibt es trotzdem keine Garantie dafür, dass er so reagiert, wie man es vom iPad oder anderen berührungsempfindlichen Geräten kennt. "Als stolzer Besitzer eines HTC Evo habe ich ständig versucht, die Android-Gesten auf meinem iPad auszuführen und umgekehrt", gesteht Jeff Sass, Chef-Evangelist bei einem Anbieter für mobiles Entertainment.

"Ich bin immer furchtbar frustriert, wenn das nicht so geht, wie ich mir das vorstelle." Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Er ist so mit den Gesten vertraut, die er gelernt hat, dass es ihn umhaut, wenn die nicht überall funktionieren.

Sie erzählen in trauter Runde einen Ihrer geschmacklosen Witze und nähern sich gerade der Pointe zum Wegschmeißen, als plötzlich eine unheilvolle Stille eintritt? Die unbezahlbare Vase Ihrer Frau aus dem Nachlass ihrer Tante befindet sich gerade im freien Fall ins Bodenlose, und der nahende Scherbenhaufen gründet sich allein auf Ihre unendliche Tollpatschigkeit?

Wo ist der Undo-Button, wenn man ihn wirklich braucht?

Eine der größten Tragödien menschlichen Lebens ist die fehlende Undo-Funktion. Aber das hält Menschen nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen. Josh Kelly, Chef einer Design-Gruppe, kann ein Liedchen davon singen: "Aus unserer Arbeit mit Photoshop sind wir so an das Tastenkürzel gewöhnt, das die letzte Aktion rückgängig macht. Ich habe am Telefon Situationen erlebt, in denen ich etwas falsches gesagt habe, bin beim Fahren falsch abgebogen und habe mich dabei erwischt, wie ich mir einen Undo-Button gewünscht habe. Ich habe auch Entscheidungen mit dem Hintergedanken getroffen, dass ich sie ja rückgängig machen kann, wenn sie nicht funktionieren. Und es stimmt ja: Viele Dinge lassen sich tatsächlich rückgängig machen." Aber so einfach, wie mit Strg-Z ist es in den wenigsten Fällen.

Die Schlüsselfragen der Moderne

Autofahren war früher ganz leicht: Man steckte den Schlüssel ins Türschloss, öffnete die Tür, steckte den Zündschlüssel ein und startete den Wagen. Heute gibt es für all das eine Fernbedienung - na, ja, für fast alles.

Harry E. Keller, Präsident einer Software-Firma, fährt seit 2004 einen Toyota Prius, den er mit dem Druck auf einen Knopf des Schlüsselanhängers startet. Aber immer wenn sich der Präsident auf Reisen ein Auto mietet, ertappt er sich hinterm Lenkrad fummelnd in der Hosentasche und wundert sich, dass das Auto nicht anspringt.

Es geht ja nicht nur um Autos: In der heutigen "Drücken Sie hier"-Welt erwarten wir doch geradezu, dass Türen sich ohne manuellen Krafteinsatz öffnen. Schlüssel? War das nicht das, was Ihre Eltern immer mit sich rumgeschleppt haben?

"Es kommt schon mal vor, dass ich auf die Knöpfe meines Autoschlüssels vor der Wohnungstür drücke und erst merke, dass das nicht funktioniert, wenn ich vor die geschlossene Tür renne", bekennt Martha Ciske, ansonsten durchaus wach mit Social Media in Kalifornien beschäftigt. "Bei angedatschtem Gemüse ist das ja kein großes Ding, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass dabei auch mein Stolz einige Dellen erlitten hat."

Mach dir nichts draus, Marta, du bist in deiner Firma in guten Händen!

Das Internet ist ja schön und gut, aber...

Das Internet hat uns universelle Informationen unter die Fingerkuppen gelegt. Jetzt wollen wir das überall haben. Und wenn wir es nicht kriegen, werden manche von uns, nun, sagen wir, etwas dysfunktional.

"Ich kann kein Fernsehen mehr gucken", meint zum Beispiel Richard Laermer, Co-Autor des Buches "Punk-Marketing". Wenn die Serie Drop Dead Diva läuft, denke ich: ‚Ich habe Brooke Elliot doch schon mal irgendwo anders gesehen. Wo war das denn noch?’ und suche nach etwas, wo ich klicken kann, um die Antwort zu kriegen."

Blöd nur, dass es nichts zu klicken gibt. Der Fernseher steht einfach so da und macht nichts. NICHTS! "Ich äußere in die Richtung des Geräts Sachen, für die mir meine Mutter früher den Mund mit Seife ausgewaschen hätte. Seit drei Monaten habe ich das Ding nun schon nicht mehr eingeschaltet." Er wird nichts verpasst haben, außer seiner Lieblingssendung vielleicht.

Cameron Crotty, im richtigen Leben Marketing-Experte, ist genervt, dass er seine Realität nicht in die Umgebung einbetten kann. "Vor ein paar Jahren während einer Fahrt übers Land war ich für kurze Zeit völlig verwirrt, weil ich nicht einfach auf die Stadt am Horizont tippen konnte - oder wenigstens auf die entsprechende Stelle meiner Windschutzscheibe. Ich suchte den kleinen Ballon, der mir verrät, wie das Kaff heißt und was es dort zu sehen oder zu essen gibt."

Merken Sie sich eins: Fahren Sie nicht mit Crotty übers Land. Und wenn doch: Lassen Sie ihn nicht ans Steuer!

Alles maßgeschneidert

Zu guter Letzt: Das Internet hat aus uns Konsumenten gemacht, die alles nach ihrem persönlichen Geschmack maßgeschneidert haben wollen, meint Danny Wong, Hersteller von - na, was? - individuellen T-Shirts. "Als jemand, der seine eigene Kleidung gestaltet, möchte ich alles personalisiert haben. Angefangen bei dem Programm meines Lieblingssenders über meine iTunes-Playlists bis hin zur persönlichen Schokolade oder zum individuellen Müsli. Sogar meine eigenen Unterhosen lasse ich mir alle drei Monate ins Haus schicken."

Alles klar, Danny. Aber das mit der Unterwäsche - das wollten wir gar nicht wissen. Ein paar Dinge, nur ein paar, sollten dann doch so bleiben, wie wir sie in Erinnerung haben...

Der Artikel von Dan Tynan erschien zuerst bei CIO.com. Übersetzung: Thomas Pelkmann.