Wenn man schon Phantomklingeln hört

Abhängig von iPhone & Co.

13.06.2012 von Patrick Thibodeau
In Deutschland sollen 18 Millionen Menschen ihr Handy klingeln hören, obwohl es stumm ist. Ein Psychologie-Professor hat jetzt das Buch iDisorder geschrieben.

Viele haben sicher schon einmal selbst Phantomklingeln oder Phantomvibrationen erlebt. 2011 veröffentlichte der Branchenverband Bitkom Zahlen, nach denen 18 Millionen Deutsche ihr Handy klingeln hören - obwohl es das überhaupt nicht tut. Patrick Thibodeau von unserer amerikanischen Schwesterpublikation Computerworld hat ein Interview mit Larry Rosen, Psychologie-Professor an der California State University, geführt. In seinem aktuellen Buch iDisorder untersucht Rosen unter anderem dieses Phänomen. Darin stellt er Untersuchungen und Erfahrungen vor, warnt vor der obsessiven Nutzung von Technologien und gibt Betroffenen Tipps.

Computerworld: Was genau verstehen Sie unter iDisorder oder technologischer Abhängigkeit?

Professor Rosen empfiehlt, alle paar Stunden einen Tech-Break einzulegen.
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Larry Rosen: iDisorder ist eine psychologische Störung, die durch unser Verhältnis zu Medien und Technologien verursacht oder verschlimmert wird. Die Forschung zeigt, dass Technologien, wenn wir nicht auf uns achten, viele unterschiedliche Symptome zeigen können: Anzeichen von Depression, Manie, Narzissmus oder Voyeurismus.

Computerworld: Warum gibt es das Phantomklingeln?

Larry Rosen: Die Forschung steht bei diesem faszinierenden Phänomen noch sehr am Anfang. Ich führe das Phantomklingeln auf ein Angstgefühl, eine Sorge zurück. Unser Körper ist immer in Wartestellung für technologische Interaktionen, die meist von unseren Smartphones ausgehen. Gibt es dann einen neurologischen Anreiz, streift zum Beispiel der Hosenstoff am Bein entlang, könnte man das für eine Handyvibration halten.

Wirkt sich auf soziale Beziehungen aus

Computerworld: Muss das Phantomklingeln uns denn beunruhigen?

Larry Rosen: Beunruhigend wird es dann, wenn die Sorge etwas zu verpassen die sozialen Beziehungen beeinflusst. Also wenn man sich zum Beispiel nicht mehr auf das Abendessen mit Kindern und Familie konzentrieren kann, weil man ständig an sein Smartphone denkt und es immer wieder auf Neuigkeiten prüft.

Computerworld: Ab wann ist die eigene IT-Nutzung denn Besorgnis erregend?

Larry Rosen: Wenn sie viele andere Lebensbereiche negativ beeinflusst - das Sozialleben, die Leistungen im Job oder die Aufgaben in der Familie zum Beispiel.

Manager-Tipp: Tech-Break im Meeting

Computerworld: Woran erkennt man solche Probleme bei Kollegen?

Larry Rosen: Zum Beispiel daran, dass sie in einem Meeting alle fünf Minuten auf ihr Smartphone sehen. Oder wenn sie sich nicht auf eine Aufgabe konzentrieren können, sondern sich sehr schnell von E-Mails, SMS oder einer Internetrecherche ablenken lassen.

Computerworld: Was können Manager dagegen tun?

Larry Rosen: Wenn Teammitglieder bei Meetings ständig mit Blackberrys, iPhones und iPads beschäftigt sind und das nicht zum Mitschrieben von Notizen, empfehle ich die Einführung sogenannter Tech-Breaks. Zu Beginn des Meetings dürfen alle für ein bis zwei Minuten ihre Smartphones benutzen, dann legen sie die Geräte 15 Minuten lang zur Seite, bevor sie sie wieder für ein bis zwei Minuten nutzen dürfen. Der 15-minütige Tech-Break kann man in kleinen Schritten auf eine halbe Stunde erhöhen. Es braucht ein bisschen, bis Mitarbeiter sich an diese Regelung gewöhnt haben, aber danach funktioniert sie hervorragend.

Computerworld: Sind IT-Experten denn gefährdeter als andere Bevölkerungsgruppen?

Larry Rosen: Nein, das glaube ich nicht.

BYOD wird das Problem verschärfen

Computerworld: Wird die BYOD-Entwicklung die Problematik verstärken?

Larry Rosen: Ich halte BYOD für eine gute Entwicklung, doch sie wird das Problem in der Tat verschärfen. Benutzt man ein Gerät 24 Stunden am Tag sowohl für Berufliches als auch Privates, wachsen die Sorgen, etwas zu verpassen.

Computerworld: Was raten Sie Betroffenen?

Larry Rosen: Ich schlage vor, dass man auch außerhalb von Meetings eigene Tech-Breaks einführt. Alle paar Stunden würde ich mich mindestens für zehn bis 15 Minuten von allen technischen Geräten fernhalten. Neurowissenschaftler bezeichnen dies als eine Erholung für das Gehirn. Das können viele unterschiedliche Dinge sein, zum Beispiel ein Spaziergang in der Natur, ein Buch (kein E-Book), ein paar Gymnastikübungen, ein Gespräch, das Sprechen einer Fremdsprache oder das Spielen eines Instruments. So verschaffen wir unserem Gehirn einen Moment Erholung von den Technologien und können Informationen anschließend wieder besser aufnehmen.

Smartphones gefährlicher als Facebook

Computerworld: Viele Menschen nutzen Linkedin oder Facebook für Berufliches und Privates. Warum vertreten Sie die Meinung, dass die intensive Nutzung zu Problemen führen kann?

Larry Rosen: Ich bin ein großer Fan von Social Media. Doch die Plattformen verleiten einen dazu, sich ständig dort einzuloggen, um neue Kommentare zu lesen oder zu beantworten. Mir selbst geht das auch so.

Computerworld: Wo liegen die Gefahren bei der Social Media-Nutzung?

Larry Rosen: Die Social Media-Forschung betont mehr die positiven Seiten. Wir scheinen von unserem Engagement auf diesen Plattformen mehr zu bekommen als zu verlieren. Mich beunruhigt unsere Smartphone-Nutzung deutlich mehr. Ich finde es bedenklich, Zeit mit der Familie oder Freunden zu verbringen und dabei gleichzeitig Nachrichten auf dem Smartphone zu lesen oder zu beantworten. Niemand kann dies tun und seinem Gegenüber gleichzeitig die notwendige Beachtung schenken. Auch in Familien sollte man Regeln einführen, wann das Smartphone benutzt werden darf und wann nicht. Das sollte man unbedingt auch dann tun, wenn man seinen Kindern ein solches Gerät gibt.