Satelliten-Entwicklung

Aeolus ante portas

03.03.2003 von Andreas Schmitz
Rund 400 Experten des Weltraumkonzerns Astrium arbeiten derzeit am 250 Millionen Euro teuren Satelliten Aeolus. Über das Ingenieurportal „Collaborative Engineering Environment tauschen britische, deutsche und französische Forscher in 20 Communities Projektdaten und Software aus.

Aller Anfang ist schwer: Kurz nachdem der Weltraumtechnikkonzern Astrium begonnen hatte, für den Entwicklungsbereich eine schicke Eingangstür zu schaffen, war schon wieder alles vorbei. „Kaum nutzten die ersten 100 Anwender das neue Projektportal, ging das dafür zuständige Unternehmen Mesa Systems Guild in die Insolvenz", sagt Manfred Hocher, verantwortlicher Portalspezialist bei Astrium in Friedrichshafen. Das war vor knapp drei Jahren - unmittelbar nach der Fusion des französisch-britischen Unternehmens Matra Marcioni Space mit Daimler Chrysler Aerospace zu Astrium. Der Lizenz-Code, der gebraucht wurde, um das System nach dem Jahreswechsel 2000/2001 betreiben zu können, war nicht mehr zu bekommen. "Nur über das Zurückdatieren des Server-Datums konnten die wichtigsten Daten ge-rettet werden", sagt der ins Management aufgestiegene Elektrotechnikingenieur Hocher.

Wende in der Portalpolitik

Mit Bernd Rieth, der vor zwei Jahren als CIO bei Astrium einstieg, kam die Wende in der Portalpolitik. Er löste Mesa Vista, das Portal für die Produktentwicklung, endgültig ab. Nur erfahrene Anbieter kamen jetzt noch als Nachfolgekandidaten infrage: "Für drei Systeme, darunter das von Hummingbird und das von Plumtree, haben wir Testinstallationen gemacht", sagt Hocher. „Die technischen Voraussetzung: Die Portallösung sollte zu den bereits vorhandenen Integrationswerkzeugen von Tibco passen. Zudem sollten Microsoft Exchange, das SAP-Framework, das Content-Management-System Panagon von Filenet und das gesamte Community Board eingebunden werden können." Die Entscheidung fiel für das englische Unternehmen Plumtree, das Gartner-Analyst Nikos Drakos der Rubrik „Pure-Play Vendors" zuordnet, also jenen Anbietern, die sich vollständig auf Portale spezialisiert haben. Auch der Mutterkonzern von Astrium, der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, ist Plumtree-Kunde, eine engere Anbindung damit auf lange Sicht nicht ausgeschlossen. Plumtree grenzt sich sowohl von Konkurrenten wie Computer Associates und Hummingbird ab, die auch im Bereich Wissensmanagement- und Integrationslösungen vertreten sind, also auch von Bea oder IBM, deren Spezialität Gartner eher im Bereich der Application Server sieht.

Hocher startete Collaborative Engineering Environment, ein Pilotprojekt für das 8400 Mitarbeiter starke Unternehmen Astrium, im Rahmen des 250 Millionen Euro teuren Weltraumunternehmens Aeolus. Das Portal dient den Ingenieuren als Entwicklungs- und Managementplattform. So soll die Bauzeit verkürzt, die Produktion effizienter gestaltet werden. Der nach dem griechischen Gott der Winde benannte Wissenschaftssatellit Aeolus wird durch Dopplermessungen die Strömung der Luft in der Atmosphäre erkunden; die Astrium-Forscher wollen diese dann in einem dreidimensionalen Modell darstellen.

400 Mitarbeiter bereits aktiv

Jeder der bislang 400 auf dem Portal aktiven Mitarbeiter ist seit Oktober berechtigt, sich seinen Bildschirm so zu gestalten, wie er es für nützlich hält. So lässt sich beispielsweise auf der linken Seite des Fensters Aktuelles aus dem Datenmanagement auflisten, während rechts die im Requirements Engineering anfallenden Aufgaben stehen. „Das Portal erlaubt es uns, den Mitarbeitern die für sie wichtigen Informationen zu geben. Das erleichtert jedem Einzelnen die Arbeit", sagt Hocher. Auf Budgetdaten etwa haben nur die Projektleiter Zugriff, System-konfiguration und Satellitendatenbank sind dagegen Sache der Entwickler. Besonders stolz ist Hocher auf den Community-Bereich: „Die Satellitenprojekte, die Management- und Matrixorganisation erhalten je eigene Communities. In den 20 englischsprachigen arbeiten Aeolus-Wissenschaftler und verantwortliche Manager aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen", sagt Hocher. „Die Vision der Entwicklung des Satelliten aus dem Internet-Cafe ist inzwischen ein Stück weit Realität“, so der Portalspezialist. Der weltweite Zugang ist sehr wichtig, da die Fachleute oft Monate auf den Weltraumbahnhöfen in Französisch Kourou oder im russischen Baikonur verbringen.

Projektdatenbanken als Pool

Die Mitarbeiter bilden Newsgroups, verabreden sich zu Online-Treffen oder Videokonferenzen. Sie fragen den Status ihres Projekts ab und setzen Ingenieurwerkzeuge für Anforderungen und Konfigurationen ein. Projektleiter haben zudem Einsicht in die Kosten für Teilprojekte. „Sämtliche Daten liegen in gemeinsamen Projektdatenbanken, die über Enterprise Integration Application verbunden sind und an das Dokumentenmanagementsystem des Konzerns andocken“, erläutert Hocher. Ein Führungs-Layer, der so genannte Process Guide, verbindet Groupware, Datenbanken und Ingenieurprogramme miteinander. Änderungen in den Projektdatenbanken etwa bekommen die Mitarbeiter sofort auf dem Desktop zu sehen. Projektleiter können prüfen, wie weit die Mitarbeiter mit ihren Aufgaben sind. Auch Kooperationspartner wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder die Europäische Raumfahrtbehörde ESA können sich jetzt an Projekten beteiligen. Doch noch immer warten die Astrium-Mitarbeiter auf den Web-Zugang zum Portal - und zwar ohne lästige Einwahl und langwierige Zugangsprozeduren. Aus Sicherheitsgründen ist der Zugang bislang allein per Remote Access möglich - mitsamt dem üblichen Einwahlprozedere aus der Ferne. „Inzwischen hat sich jedoch unsere Tool-Strategie geändert; wir bevorzugen nun Web-Anwendungen“, sagt Hocher.

Integration fast schon Routine

Zehn Monate benötigte die Astrium-Mannschaft, um das Portal von Plumtree in die Unternehmenslandschaft zu integrieren. Voraussetzung: „Der Einsatz eines EAI-Busses“, so Hocher, für den die Integration von Systemen mittlerweile zur Routine gehört. Seit er vor knapp 13 Jahren bei der Dornier Luftfahrt in Friedrichshafen in die Luftfahrttechnik einstieg, hat er viele Systemlandschaften gesehen, denn die Firma wechselte häufig sowohl ihren Namen - von DASA, über Daimler Benz Aerospace und Daimler Chrysler Aerospace bis zum heutigen Astrium - als auch ihre Struktur. Über das Integrationswerkzeug von Tibco verbindet Astrium jetzt die auf Matra Marcioni zurückgehenden Finance-Datenbanken von Oracle mit den ERP-Systemen der ehemaligen Daimler Chrysler Aerospace sowie Daten- und Content-Management-Systeme wie Crawler und Panagon miteinander. „Erst als diese Infrastruktur stand, haben wir im Januar 2002 mit der Portalumgebung begonnen. Die Integration war als Vorbereitung für das Portal sehr wichtig“, betont Hocher. Zwischen 60 und 70 Prozent der anfallenden Kosten von 1,6 Millionen Euro stecken nach den Erfahrungen bei Astrium in den Vorbereitungen - der Vorstudie, dem Vorentwurf und dem Design. „Leider hatten wir keine 15 Millionen Euro im Jahr“, sagt Hocher.

Französischer Geheimdienst hatte Bedenken

Knapp drei Jahre liegt die Fusion von Matra Marcioni Space und Daimler Chrysler Aerospace nun zurück. Doch noch immer herrscht Uneinigkeit über die sichere Übertragung von Daten. Unterschiedliche Standards in den beteiligten Nachbarländern machen die Post-Merger-Integration zu einem Staatsakt. „Man hat den Eindruck, der französische Geheimdienst verlange Einsicht in sämtliche Daten“, sagt Hocher. Mit der sicheren, aber in Frankreich nicht freigegebenen 128-Bit-Verschlüsselung, noch dazu auf Basis eines Open-Source-Produkts, hatten die Agenten tatsächlich ihre Probleme. Mittlerweile hat man sich auf eine „gelistete SSL-Verschlüsselung“ geeinigt.