Warum Einführungen scheitern

Albtraum Dashboard

03.03.2010 von Jörg Hild
Der Aufbau eines Dashborads hinterlässt vielfach nicht mehr als verbrannte Erde: zu viele Kennzahlen, zu viele Beteiligte und schlechte Daten. Mit Transparenz und richtiger Steuerung können CIOs das Dashboard aber sehr wohl erfolgreich nutzen, meint Jörg Hild von Compass Deutschland.
Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.
Foto: COMPASS Deutschland GmbH

Es war wie so oft: Was als gute Idee begann, entwickelte sich schließlich zum Albtraum. Die Idee entsprang dem Ansatz der Balanced Scorecard (BSC): Nicht nur im Finanzwesen sondern allen Unternehmensbereichen werden wichtige Performance-Kennzahlen erhoben und aktuell auf einer "Anzeigentafel" präsentiert, damit das Management die Unternehmensentwicklung stetig verfolgen und bei Bedarf rasch eingreifen kann.

Doch abgesehen davon, dass sich weiterhin mehr als die Hälfte der Kennzahlen auf den Finanzbereich bezogen, führte der reine Bottom-up-Ansatz, der meist angewandt wurde, in die Sackgasse. Jeder Bereich forderte die Zahlen, die er für richtig hielt, und alles Gewünschte wurde implementiert, ohne dass die Ziele klar definiert waren.

Die Entwicklung der Kennzahlensysteme in der IT.

Die Folge: Es gab zu viele Beteiligte und zu viele Kennzahlen, so dass sich die angestrebte Übersicht ins Gegenteil verkehrte. Teilweise waren sie auch widersprüchlich, weil Eingabewerte unterschiedlich definiert waren; welche Leistungen sind beispielsweise in der IT Kategorien wie "Management-Service" oder "Administrations-Support" tatsächlich zuzurechnen?

Zudem wurden verschiedene Methoden zur Verdichtung angewandt. Deshalb waren die daraus abgeleiteten Kenngrößen nicht immer unternehmensweit vergleichbar. Oft wurde auch der Aufwand für die regelmäßige Erfassung der Basisdaten falsch eingeschätzt, so dass die Dashboard-Werte nicht aktuell waren – was die Akzeptanz nicht gerade förderte.

Dashboards, die akzeptiert und gelebt werden, müssen allen Unternehmensebenen Mehrwert bieten.

Vor allem aber waren die Kennzahlen für geschäftsorientierte Steuerung nicht wirklich aussagekräftig, weil nicht zielorientiert zusammengestellt. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bereich Sourcing: Ein Unternehmen hatte den Support ausgelagert, erhob aber weiterhin Kennzahlen zu der Zahl der Mitarbeiter an den Helpdesks, wann wie viele Anrufe eingingen, dem Zeitaufwand etc.

Es wurde also nach wie vor die Prozedur gemessen – die mittlerweile von anderer Seite verantwortet wurde – anstatt das für das Geschäft relevante Ergebnis, nämlich die Lösung von Problemen: Wie viele Anfragen gab es, wie viele davon wurden sofort gelöst, wie zufrieden sind die Kunden?

Das Hauptproblem vieler Dashboards

Hier liegt das Hauptproblem vieler Dashboards: Sie basieren vorwiegend auf verfügbaren, einfach zu messenden Daten – und orientieren sich nicht daran, welche Ziele das Unternehmen erreichen will, welche Steuerungsinstrumente dafür benötigt werden und ob Richtung und Weg stimmen. Solche Messbereiche sind freilich wesentlich schwerer aufzubauen und stetig mit Input zu füllen.

Die Tool-Welle zementierte diese Fehlentwicklung. Ob DSS, MIS, BI oder andere Kürzel gerade angesagt waren – das Chaos der Begrifflichkeit spiegelt das Chaos der Realität. Die Systeme wurden in großen Projekten implementiert, wobei der Fokus auf der Technik lag. Man erfreute sich an Frontends mit bunten Ampeln und Tachos, konzentrierte sich darauf, Reports zur Verfügung zu stellen – vergaß aber die zentrale Frage, was denn eigentlich berichtet werden muss, nämlich an der geschäftlichen Steuerung ausgerichtete Inhalte.

Das Ergebnis waren oft regelrechte Monster: groß und teuer. Ein solches Projekt erreicht schnell mehrere hunderttausend Euro – die ihre strategische Wirkung verfehlen. 65 bis 75 Prozent der Kennzahlen-Projekte werden abgebrochen, nicht im geplanten Zeitrahmen durchgeführt oder leiden nach der Einführung unter mangelnder Akzeptanz. Kein Wunder, dass "Dashboard" im Topmanagement vielfach zum Unwort geworden ist.

Nicht immer sind die verfügbaren Kennzahlen auch diejenigen, die das Management zur strategischen Unternehmensentwicklung braucht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Wie lassen sich nun kennzahlenbasierte Dashboards aufbauen, die den strategischen Anforderungen genügen? Zunächst ist der BSC-Ansatz hilfreich: basierend auf der Unternehmensstrategie die strategischen, taktischen und operativen Ziele zu definieren und daraus die Messgrößen abzuleiten, mit denen man den Erfolg der Zielerreichung überprüfen und die Schwachstellen transparent machen kann. Dabei sollten auf der obersten Ebene nicht mehr als 20 Kennzahlen produziert werden – alles andere wäre nicht handhabbar.

Man kann von den vier Dimensionen der Balanced Scorecard ausgehen, sollte allerdings die Perspektiven individuell ergänzen. Nehmen wir die IT: Hier sind zunächst die klassischen Messgrößen wie die Verfolgung der SLA/OLA-Einhaltung, des finanziellen Aufwands (Stückkosten, IT-Kosten im Verhältnis zum Umsatz und pro Nutzer) sowie der Budget-Treue sehr verbreitet. Wichtig sind aber auch Kennzahlen für komplexere Ziele, die nicht sofort auf der Hand liegen, wie die Umsetzung von Change-Maßnahmen, Prozesstreue und Innovation.

Zum aktiven Management von Outsourcing-Beziehungen sind etwa die Dimensionen "Transition" (der Übergang der Aufgaben vom Kunden an den Dienstleister) und "Transformation" (die Optimierung der Prozesse nach dem Übergang) aussagekräftig. Insgesamt hat sich der Schwerpunkt verlagert: von reinen Finanzkennzahlen hin zu Bewertungsgrößen für Qualität, Kundenzufriedenheit und den Wertbeitrag der IT zum Business.

Kreativität und Methodik

Solche abstrakteren, strategisch orientierten Größen erfordern einerseits Kreativität, anderseits die richtige Methodik. Wie kann man zum Beispiel eine Kennzahl für Innovation entwickeln? Etwa indem man misst, wie viele Mitarbeitervorschläge zur Optimierung interner Prozesse in bestimmter Zeit eingehen, wie viele Patente das Unternehmen (oder der Bereich, die Abteilung, die Arbeitsgruppe) anmeldet, wie viele neue Produkte und Systeme daraus entstehen und wie die Wahrnehmung auf der Kundeseite aussieht.

Die Zielwerte sollten strategischen Prioritäten folgen. Gibt es diese noch nicht, bietet sich hier eine gute Gelegenheit dazu, sie zu entwickeln. So kann etwa für die IT festgelegt werden, in welchen Bereichen eine Verfügbarkeit von 100 Prozent im Interesse des Gesamtgeschäfts unbedingt notwendig ist, wo hingegen ein solches Maximalziel aus Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht angebracht ist.

Um handhabbar zu sein, müssen Dashboards je-der Ebene eine überschaubare Zahl wirklich aus-sagekräftiger Kennzahlen anbieten.

Erneut helfen Unternehmensvergleiche, am Markt übliche Größenordnungen kennenzulernen, an denen man sich orientieren kann. Allerdings sollte das Management bei der Festlegung der Werte das eigene Potenzial realistisch einschätzen. Notfalls sollten sie eine Zeitachse hinterlegen, innerhalb derer die Zielgrößen – beispielsweise die per Benchmark ermittelten Stückkosten für einzelne IT-Disziplinen – erreicht werden sollen.

Die als Steuerungsinstrumente ausgewählten Kenngrößen werden dann top-down auf die Einzelebenen des Unternehmens herunter gebrochen. Nehmen wir erneut ein Beispiel aus dem Bereich Outsourcing: Ein Unternehmen hat das strategische Ziel gesetzt, ein Dashboard solle es sowohl ihm selbst als auch den Dienstleistern erlauben, den Mehrwert der Partnerschaft kontinuierlich zu kontrollieren und zu steigern. Daraus abgeleitete operative Ziele und Messbereiche sind unter anderem Budgettreue, Kundenzufriedenheit, Service-Level-Einhaltung, Vertragstreue und gute Kommunikation.

Innerhalb der Budgetüberwachung wiederum lautet eins der Unterziele, die durchschnittliche Entwicklung der Stückkosten zu verfolgen. Hierzu müssen die einzelnen IT-Disziplinen wie Applikationsmanagement, Betrieb, Service-Desk, Storage, Server usw. die Basisdaten liefern.

Mangelnde Akzeptanz für Dashboards

Eines der Grundprobleme mit Dashboards besteht darin, dass die Abteilungen, die später den Input liefern sollen, dies meist nur sehr widerwillig tun: Sie erkennen darin für sich keinen Mehrwert und sehe die Arbeit als reinen Overhead an. Deshalb muss das Top-Management dafür sorgen, dass jede Unternehmensebene aus dem Kennzahlensystem einen eigenen Mehrwert ziehen kann.

Um die notwendige Akzeptanz zu sichern, muss es die Top-down-Definition um Bottom-up-Anforderungen ergänzen und operative Ziele einbeziehen. Das System muss also Sichten, Mess- und Steuerungsgrößen bieten für Konzern, Segmente, Geschäftseinheiten, die einzelnen Bereiche wie etwa die IT und hier wiederum die einzelnen IT-Disziplinen.

So hat beispielsweise ein weltweit tätiges Industrie-Unternehmen ein Kennzahlensystem implementiert, das den lokalen IT-Organisationen genau zeigt, wo Potenziale zur Optimierung bestehen und mit welchen Methoden diese am besten erreicht werden können. Das Management der verschiedenen Konzernebenen erhielt verdichtete, am Ampelprinzip orientierte Zahlen zu Technik, Governance und Risiken. Die Werke und Segmente können sich sowohl mit dem Markt als auch untereinander vergleichen und daraus Schlussfolgerungen ziehen.

Davon hat beispielsweise das SAP-Hosting profitiert. Viele Konzernunternehmen entschieden sich, bestimmten SAP-Initiativen des Konzerns zu folgen. Auf der Ebene der Geschäftsbereiche diskutierte das Management, wie Unternehmen besser zusammenarbeiten können und ob weiteres Outsourcing von Leistungen oder auch Re-Insourcing sinnvoll ist. Auf Konzernebene wiederum wurde deutlich, wo Verträge mit Outsourcing-Partnern über den Marktpreisen lagen und wo Economies of Scale zu erzielen waren. Damit konnte der Konzern insgesamt die Kosten deutlich senken.

Das Aggregieren der Basisdaten aus einzelnen Abteilungen zu Größen, die auf Business-Unit, Segment- und Konzernebene als aussagekräftige Entscheidungsgrundlagen dienen können, stellt in den meisten Fällen eine erhebliche methodische Herausforderung dar, weil Leistungen oft sehr heterogen verrechnet werden.

Die richtigen Basisdaten für Dashboards

Auch müssen die Kenngrößen der oberen Ebene wirklich strategische Rückschlüsse erlauben. So sagt zum Beispiel eine SLA-Einhaltung von 99 Prozent nichts aus, wenn gerade das eine Prozent Ausfall den Geschäftsbetrieb des Kunden in einer kritischen Betriebsphase lahmlegt.

Bei der Implementierung von Kennzahlensystemen ist es deshalb empfehlenswert, externes Know-how einzubinden. Berater, die den Markt kennen, können helfen, die Konsistenz der Basisdaten sicherzustellen, beispielsweise durch vordefinierte Checklisten zur Datenaufnahme mit erprobten Definitionen (was zugleich die internen Diskusionen abkürzt und die Umsetzung beschleunigt).

Sie können Empfehlungen geben, welche Kennzahlen andere Unternehmen verwenden und welche sich bewährt haben, womit auch eine spätere Vergleichbarkeit in Benchmarks möglich wird. Sie wissen aus ihrer Erfahrung, welche Kennzahlen wie durchgängig zu verknüpfen sind, damit das Ergebnis aussagefähig ist, und können entsprechende Algorithmen zur Konzern- und Zeitaggregation anbieten. Nicht zuletzt können sie dem Management helfen, geschäftsorientierte Steuerungsgrößen zu entwickeln, etwa IT-Produktkosten (IT-Kosten pro Ticket, pro Produkt etc.).

Das Dashboard für den täglichen Einsatz

Damit ein Dashboard als tägliches Steuerungssystem angenommen wird, muss die Konzernleitung mit gutem Beispiel voran gehen. Lässt sie sich nur einmal im Jahr die Zahlen vorlegen, wird das System in der Regel kurz vorher in einer Hau-Ruck-Aktion aktualisiert. Während der restlichen Zeit liegt es brach und die Akzeptanz fehlt.

Das Top Management muss deshalb nicht nur in den gelieferten Ergebnissen den Nutzen für die operativen Ebenen sicherstellen, sondern das System in die tägliche Managementpraxis integrieren, zum Beispiel als Arbeitsgrundlage für Besprechungen oder Gremiensitzungen.

Ein so aufgebautes, gelebtes Dashboard kann als umfassendes Steuerungsinstrument eingesetzt werden. In der IT etwa kann der CIO neben der Infrastruktur und dem Betrieb auch andere Bereiche damit effizient managen:

Das Applikationsportfolio. Hier kann ein Dashboard unter anderem Redundanzen, Überlappungen und Doppelimplementierungen von Funktionen messbar machen und helfen, diese zu beseitigen. Ebenso kann es das Mapping von Anwendungen auf Businessprozesse unterstützen.

Das Projektmanagement. Ein Dashboard kann unterschiedliche Projektziele kontrollieren:

Erstens die Zeit und Budgettreue, die in dem meisten Projekten heute schon überprüft wird.

Zweitens die Kenngröße INSPEC (In Specification), die nachverfolgt, ob das Projekt auch die gewollte Funktionalität bietet oder gegenüber den Business-Anforderungen abweicht. Dies wird heute nur in rund 20 Prozent der Projekte angewandt.

Erfolgsmessung am Dashboard

Drittens kann ein Ergebnis gemessen werden, das derzeit noch stark vernachlässigt wird: die Erfolgsmessung, ob der angestrebte – geschäftliche oder technische - Nutzen auch eingetreten ist. Ob zum Beispiel eine neue Anwendung – wie im Projektantrag postuliert – tatsächlich neue Geschäftsfelder oder mehr Umsatz erschlossen hat, ob der Aufwand auf der Fachseite reduziert, die Durchlaufzeit verkürzt, die Fehlerquote verringert wurde etc.

Das Personal. Auch im HR-Bereich kann das Kennzahlensystem dazu beitragen, die Mitarbeiterstruktur strategisch zu steuern. Die Verantwortlichen können zum Beispiel die Zielstruktur von IT-Projekten definieren - etwa: 10 Prozent erfahrene Mitarbeiter, 40 Prozent mittlere und 50 Prozent Junior-Mitarbeiter - dies mit den vorhandenen Skills abgleichen und auf dieser Grundlage auf der operativen Ebene die fortlaufende Personalrekrutierung und -entwicklung managen.

Richtig implementierte IT-Dashboards des 21. Jahrhunderts können sowohl die Effizienz der IT als auch ihre Effektivität (den vielzitierten Mehrwert für die Kunden) umfassend und nachvollziehbar abbilden. Damit werden sie zugleich das wichtigste Instrument des CIOs für das Selbstmarketing der IT.

Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.