Analysten-Kolumne

Alleinstellungsmerkmale weltweiter Dienstleistungen

30.01.2008 von Hartmut Lüerßen
Die großen Anbieter im IT-Dienstleistungsmarkt profitieren von der Globalisierung. Doch weltweit verteilte Service-Zentren und die Fähigkeit, Kosten durch das Lohngefälle reduzieren zu können, reichen inzwischen als einzige Argumente für mehr Outsourcing nicht mehr aus. Die IT-Dienstleister stehen vor der großen Herausforderung, neue Alleinstellungsmerkmale für ihre weltweiten Service-Organisationen zu finden.
Hartmut Lüerßen ist Geschäftsführer der Lünendonk GmbH: "Das Thema Nearshore/Offshore darf nicht unterschätzt werden."

International operierende Unternehmen erwarten zunehmend von ihren IT-Dienstleistern die Fähigkeit, ihre Leistungen an allen Standorten des Unternehmens anbieten zu können. Inzwischen gehört ein sogenanntes Global-Delivery-Modell zum Standard bei großen Ausschreibungen. Ohne diese Fähigkeit verlieren Anbieter leicht ihren Status als sogenannter First-Tier-Supplier und damit auch Budget-Anteile.

Dass das Thema Nearshore/Offshore nicht unterschätzt werden darf, zeigte schon eine Management-Befragung der Lünendonk GmbH aus dem Jahr 2006, bei der CIOs und führende Einkäufer großer Konzerne in Deutschland zu ihren Nearshore-/Offshore-Aktivitäten befragt wurden. Bereits zum damaligen Zeitpunkt nutzten mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen Nearshore-/Offshore-Kapazitäten, durchschnittlich waren es bereits zehn Prozent des Projektvolumens, Tendenz steigend.

Dieser Trend hat sich nachhaltig fortgesetzt mit der Konsequenz, dass die weltweit führenden IT-Dienstleister ihr Portfolio sukzessive ergänzt haben - sowohl in Bezug auf internationale Präsenz als auch in Bezug auf das Leistungsspektrum. So hat sich beispielsweise CSC mit der Übernahme von Covansys in 2007 wichtige Ressourcen in Indien gesichert und mit der Übernahme der First Consulting Group darüber hinaus Kompetenz für den Healthcare-Services-Sektor eingekauft. IBM beschäftigte Stand Februar 2007 mehr als 53.000 Mitarbeiter in Indien. Accenture plante, bis August 2007 auf 35.000 Mitarbeiter in Indien zu kommen. Capgemini dürfte über etwa 13.000 Beschäftigen verfügen. Dabei stehen die Aktivitäten in Indien gewissermaßen symbolisch für den Offshore-Markt, obwohl auch Osteuropa, China, Vietnam oder Südamerika strategisch an Bedeutung gewinnen.

Internationalität der Dienstleistungen nimmt zu

Für die führenden Anbieterunternehmen hat das Global Delivery hohe Priorität, schließlich verändert sich die Organisationsstruktur, die Umsatzverteilung sowie die Zusammenarbeit mit den Kunden nachhaltig. Gleichzeitig erhoffen sich die Anbieter mehr Planbarkeit und Stabilität, können doch Schwankungen im Wirtschaftswachstum in einer Region durch mehr Wachstum beispielsweise in China oder Südamerika kompensiert werden.

Die längerfristige Prognose der führenden IT-Beratungs- und Systemintegrations-Unternehmen in Deutschland ergibt, dass im Jahr 2012 bei den meisten Projekten nennenswerte Anteile durch Nearshore-/Offshore-Kapazitäten gedeckt sein werden. Bei fast jedem dritten Projekt soll der Nearshore-/Offshore-Anteil dann mehr als 20 Prozent des Umsatzes ausmachen. Bei den IT-Services-Unternehmen dürfte der Nearshore-/Offshore-Anteil sogar noch größer sein.

Umsatz-Anteil der Nearshore-/Offshore-Kapazitäten bei den Projekten der IT-Beratungs- und Systemintegrations-Unternehmen.

Diese Erwartungen wurden vor dem Hintergrund geäußert, dass der deutsche Markt im Vergleich zu Großbritannien oder den USA in Bezug auf Nearshore-/Offshore-Dienstleistungen in der Software-Entwicklung wie auch in Bezug auf Business Process Outsourcing bisher weniger Dynamik aufweist. Dabei sind BPO und Software-Entwicklung zwei der wesentlichen Treiber des Global Delivery Modells. Verglichen mit der Entwicklung in diesen beispielhaft genannten Ländern, ist der deutsche Markt mindestens zwei bis drei Jahre zurück.

Best Practices aufzeigen

Die Tatsache, dass Projekte insbesondere bei großen Unternehmen zunehmend international vergeben werden, lässt die Anforderungen an das Portfolio- und Delivery-Management stark steigen. Nachdem die erste Generation von internationalen BPO-Verträgen durch die Übernahme von Unternehmensteilen großer Unternehmen geprägt war, kommt es für die Anbieter in der zweiten Phase verstärkt darauf an, die internen Delivery-Prozesse zu optimieren und daraus Mehrwert für die Kunden zu schaffen. Diese interne Prozessoptimierung steigert nicht nur die Profitabilität des Anbieters. In diesen Best Practices liegt ein nachhaltiges Differenzierungspotential zusätzlich zu der Chance, sich über branchenspezifische BPO-Themen zu positionieren.

Denn inzwischen haben viele IT-Dienstleiter die notwendige Lernkurve durchlaufen, um zu entscheiden, ab welcher Projektgröße und bei welchen Themen welche Arbeitspakete wo Nearshore oder Offshore entwickelt oder als Service geleistet werden. Diese Vorgehensmodelle sind für die Kunden bisher jedoch kaum transparent. IT-Dienstleister, die an einer ähnlich strategischen Partnerstellung wie ein Systemlieferant in der Automobilbranche arbeiten, sollten diese Chance nutzen.

Hartmut Lüerßen ist Geschäftsführer der Lünendonk GmbH.