Agiles Unternehmen

Alte Management-Methoden reichen nicht mehr

27.02.2019 von Sebastian Olbert
Agile Führung setzt flache Hierarchien voraus, bei denen auch die Führungskräfte die Verantwortlichkeiten zunehmend dezentralisieren. Um dem befürchteten Machtverlust auszugleichen, müssen sie wieder mehr inhaltliche Rollen in Projekten übernehmen.
Viele Führungskräfte sind noch in ihren alten Management-Gewohnheiten verhaftet und nehmen die Anpassung an neue Arbeitsweisen nicht ausreichend ernst.
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Groß wie ein Konzern und doch beweglich wie ein Start-up - das ist das neue Management-Mantra. Dabei gehören zur Agilität nicht zwangsläufig nur agile Tools wie Scrum oder Kanban. Vielmehr geht es um die umfassende Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens zum eigenen ökonomischen Vorteil: Inwiefern verstehen es Unternehmen, Megatrends wie Digitalisierung oder Globalisierung gewinnbringend für sich einzusetzen?

Um hierfür ein skalierbares Messinstrument zu schaffen, führt goetzpartners alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit der Neoma Business School den "Agile Performer Index" durch, der untersucht wie Agilität und Leistungsfähigkeit von Unternehmen zusammenhängen, wie verbreitet agile Vorgehensweisen sind und welche Maßnahmen Unternehmen in der dynamischen Wirtschaft von heute voranbringen. Dabei kristallisierte sich bisher klar heraus, dass Agilität und Erfolg in direktem Zusammenhang stehen: Die agilsten Unternehmen einer Branche sind im 10-Jahres-Vergleich 2,7 Mal erfolgreicher als ihre Wettbewerber.

In der turbulenten Wirtschaft von heute lautet die Frage für Unternehmen also längst nicht mehr, ob sie agil werden sollen - sondern wie. Aber wie wird ein Unternehmen eigentlich "agil" und welche Hürden stellen sich dem Management und den Mitarbeitern auf dem Weg dorthin?

1. Das Management-Paradigma "Agilität" als ganzheitlichen Prozess verstehen

Agilität macht es Organisationen möglich, sich stetig im Einklang mit den Wandlungen in ihrer Systemumwelt zu bewegen. Unternehmen können die Herausforderungen des digitalen Zeitalters nur dann bestehen, wenn sie sich zu agilen Unternehmen entlang aller unternehmerischen Design-Dimensionen wandeln. Denn die Digitalisierung eines Unternehmens erschöpft sich nicht nur allein darin, Unternehmensprozesse und Geschäftsmodelle mit neuer Software und Hardware zu renovieren.

Vielmehr kann eine Digitalisierungsstrategie in einem Unternehmen nur dann mit nachhaltigem Erfolg umgesetzt werden, wenn habituelle Veränderungsresistenzen, organisationsstrukturelle und kulturelle Barrieren im Unternehmen durch einen Prozess der Agilisierung aufgebrochen werden. Denn Agilität ist eine Haltung - zum Leben und zur Arbeit. Der Prozess der Agilisierung muss deshalb ganzheitlich konzipiert und realisiert werden.

Viele Führungskräfte sind aber noch in ihren alten Management-Gewohnheiten verhaftet und nehmen die Anpassung an neue Arbeitsweisen nicht ausreichend ernst. Um ein Unternehmen wandlungsaffin, wandlungsoffen und wandlungsfähig zu gestalten, ist es unerlässlich, agile Strukturen zu schaffen. Dabei helfen zum Beispiel Coworking-Räume für Teammitglieder aus unterschiedlichen Organisationsbereichen. Diese fördern die Kommunikation in den Teams, vor allem aber auch zwischen den Teams und den Hierarchieebenen.

Hierbei sind die Motivation und Mitarbeit der Teammitglieder entscheidend - denn Führungskräfte können zwar neue Wege bereiten, zu beschreiten sind diese jedoch durch die Mitarbeiter selbst. Wichtig für diesen Prozess ist auch, dass Unternehmen genügend Freiräume zum Experimentieren bereitstellen und begreifen, dass der Wandel nicht von heute auf morgen geschehen kann. Er erfordert nicht bloß ein Umdenken - und eine gewisse Portion Mut - sondern neue Führungsmethoden und eine neue, fehlertolerante Unternehmenskultur.

2. Agilitäts-Management ist eine Aufgabe der agilen Führung

Agile Führung setzt flache Hierarchien voraus, bei denen auch die obersten Führungskräfte die Verantwortlichkeiten zunehmend dezentralisieren. Konkret geht es dabei darum, ein Milieu zu schaffen, in dem die Kultur der partnerschaftlichen, barrierefreien, offenen Kooperation und Kommunikation gefördert wird. Das Innovationspotenzial, das in den Mitarbeitern steckt, soll auch tatsächlich abgerufen werden.

Dazu ist zweierlei erforderlich: Erstens müssen Führungskräfte die Mitarbeiter ermutigen, eigene Ideen zu äußern. Und zweitens müssen sie ihnen die Verantwortung für die Realisierung ihrer Ideen übertragen. Sowohl für Führungskräfte als auch für das Mittelmanagement birgt die Dezentralisierung Herausforderungen: Führungskräfte fürchten den zunehmenden Macht- und Kontrollverlust und sind teils damit konfrontiert, wieder mehr inhaltliche Rollen in Projekten zu übernehmen, um selbst eine Daseinsberechtigung zu behalten. Die Mitarbeiter stehen vor der Herausforderung, mit dem neu gewonnenen Freiraum umzugehen und diesen zu nutzen.

Doch die Vorteile für alle Akteure liegen klar auf der Hand: Im Unternehmen entsteht so ein Milieu der Partizipation, in dem Verantwortung und Entscheidungsgewalt delegiert wird und die Mitarbeiter Freiräume für selbstbestimmtes Denken und Handeln finden. Zudem wird ein Regel-Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die endogenen Kräfte des Systems zur Selbstorganisation und Nutzenmaximierung, zur Adaption und Evolution stimuliert werden können. CxOs sollten das "Führen" wortwörtlich nehmen und sich zunehmend vom "Managen" verabschieden.

Führungskräfte erfüllen diese Aufgabe im agilen Unternehmen, indem sie Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens zielführend vernetzen, Budgets und Ressourcen zur Verfügung stellen und Hindernisse aus dem Weg räumen. Hierarchien werden abgeflacht, indem Mitarbeiter für die Generierung und Umsetzung von Ideen mehr Verantwortung erhalten. Dies stellt eine wirkliche Veränderung der Unternehmenskultur und des Führungsstils dar und ist eine für alle Beteiligten oftmals nicht leichte Veränderung des Verantwortungsgrads.

3. Agilisierung bedeutet Vernetzung nicht Abschottung

In der VUCA (Volatility' Uncertainty, Complexity ' Ambiguity)-Systemumwelt des 21. Jahrhunderts ist die Logik des Scheiterns von Unternehmen eng verbunden mit der Logik der Abschottung. In heutigen, traditionellen Organisationen werden vielfältige Formen der Abschottung gelebt und sogar gefördert und prämiert. Jede dieser Formen der Abschottung programmiert in der jeweiligen Organisation Fehlleistungen und Defizite:

Gegen diese Syndrome der Abschottung setzt Agilitäts-Management auf eine umfassende Vernetzung mit der Umwelt sowie im Unternehmen. Umweltvernetzung meint dabei die systematische Vernetzung möglichst vieler Akteure im Unternehmen mit allen relevanten Facetten der Systemumwelt. Gefördert wird eine Kultur der Extrovertierung im gesamten Unternehmen. Unter Binnenvernetzung versteht man die Schaffung einer dualen Organisation mit einer hierarchischen Aufbauorganisation und einer heterarchischen Netzwerkorganisation, die Förderung von Partizipation (Betroffene werden Beteiligte), die Kultivierung von Diversität, Interdisziplinarität und grenzüberschreitendem Denken und Handeln. Gefördert und gefordert werden barrieren- und bereichsübergreifender Wissenstransfer, Informationsaustausch und Lernen.

Agilität ist keine flüchtige Management-Mode

So verstanden ist Agilität keine flüchtige Management-Mode mit geringer Halbwertszeit. Vielmehr markiert Agilität den Kern der Anforderungen, die sich heute in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts für das Management von Organisationen stellen.

Aber die wenigsten Unternehmen werden in kurzer Zeit rein agile Strukturen bilden, wie wir sie zum Beispiel von Spotify kennen, wo Scrum-Teams, Squads, Tribes und Lean Startup Standard sind. Vergessen Sie daher erst einmal die große Umstrukturierung. Denn Agilität benötigt vor allem eines: die Veränderung hin zu einer agilen Unternehmenskultur.

Allerdings trägt Agilität erst dann wirklich zum wirtschaftlichen Erfolg bei, wenn sie alle Gestaltungsdimensionen einer Organisation erfasst: vom klar kommunizierten Unternehmensziel über flache Strukturen und vereinfachte Prozesse der Produktentwicklung bis hin zu offener, wechselseitiger Kommunikation und entwicklungsförderndem Führungsverhalten zusammen mit Anreizsystemen, die motivieren und den Teamerfolg fördern.