Apple-Chef Steve Jobs - Die Napoleon-Analogie

Apples Allüren

07.07.2011 von Jan Schulze
Mit iCloud könnte es Apple-Chef Steve Jobs ein weiteres Mal gelingen, die Massen hinter sich zu vereinen. Das Ganze könnte aber auch ein Russland-Feldzug werden - also der Anfang vom Ende.
Napoleon
Foto: sdmix - Fotolia.com

"Victoire!" Zufrieden streift der Blick des Korsen über das Schlachtfeld bei Jena. An diesem Oktobertag des Jahres 1806 steht Napoleon Bonaparte, französischer Kaiser und faktisch Herrscher über Kontinentaleuropa, auf dem Gipfel seiner Macht.

Schnitt.

"Victory!" Zufrieden streift der Blick des Kaliforniers über die aktuellen Marktdaten. Mit der Einführung des iPad im April 2010 steht Steve Jobs, Chef von Apple Inc. und faktisch Herrscher über das Mobile Computing, auf dem Gipfel seiner Macht.

Die Schlachtfelder unserer Zeit sind - zumindest in der westlichen Welt - die Märkte. Macht, Einfluss und Reichtümer werden nicht mehr mit Säbeln und Kanonen verteilt. Musste Napoleon Bonaparte noch blutig die Völker Europas unter seine Kontrolle zwingen, benötigen die heutigen Feldherren nur Produkte, die die Menschen begeistern. Der Kaiser und der Computer-Pionier - auch wenn sich die Methoden geändert haben, drängen sich doch einige Parallelen auf.

Napoleon 1796

Steve Jobs 1998

Mitten in den Revolutionswirren kehrt ein verstoßener Offizier zurück zu seiner Einheit. Entschlossen kämpft er sich an die Spitze der Macht und startet mit schnellen Entscheidungen seine ersten Eroberungen.

Waffen

iMacs

Stärken

hippes Design

Schwächen

teuer, wenig innovativ

Gegner

HP, IBM, Dell - eigentlich alle PC-Bauer

Analogie

Italien-Feldzug

Beide - Steve Jobs und Bonaparte - zeigten sich wenig zimperlich, wenn es darum ging, die eigenen Ziele zu erreichen. Der Kaiser war als junger Offizier nicht nur in blutige Unruhen auf Korsika verwickelt und wurde nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Beschwerden aus Korsika aus dem Militärdienst entlassen. Durch Wahlmanipulation stieg Napoleon zum Führer der Nationalgarde der Mittelmeerinsel auf.

Steve Jobs zeigte sich in jungen Jahren weniger kriegerisch: Jobs und sein Freund Wozniak bekamen von Atari den Auftrag, das Spiel "Breakout" zu entwickeln. Die Entwicklungsarbeit übernahm Wozniak. Die 700 Dollar Honorar, die Jobs offiziell dafür kassierte, teilten beide brüderlich. Doch es bleibt ein kleiner Schönheitsfehler: Das Honorar betrug laut Wikipedia 5000 Dollar ... Das erste "Produkt" von Jobs und Wozniak waren übrigens sogenannte "Blue Boxes", mit denen man im amerikanischen Telefonnetz illegalerweise umsonst telefonieren konnte.

Die wichtigsten Stationen im Leben des Großen Korsen: rasanter Aufstieg in der Armee, faktisch Diktator der Republik und letztlich Kaiser, erfolgreicher Feldherr und Herrscher über Europa. Dann folgten Rückschläge: das Desaster des Russland-Feldzugs, Absetzung und Exil in Elba. Seine Rückkehr auf den Thron währte gerade 111 Tage, bis Napoleon nahe der belgischen Stadt Waterloo von den Koalitionstruppen unter dem Befehl des Herzogs von Wellington vernichtend geschlagen wurde. Napoleon wurde auf die Insel St. Helena im Südatlantik verbannt, wo er vermutlich an Magenkrebs starb.

Ähnlich das Auf und Ab im Leben von Steve Jobs: Gründung der Apple Computer Company mit Steve Wozniak, Einführung des ersten kommerziell erfolgreichen Computers mit grafischer Oberfläche, Abgang bei Apple nach internen Machtkämpfen. Mit seiner zweiten Firma NeXT Computer bringt er einige sehr fortschrittliche Technologien zur Marktreife und schafft die Basis für das spätere MacOS. Noch erfolgreicher: Jobs’ Zeichentrickstudio Pixar. Schließlich Rückkehr zu Apple und Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, die auch von Jobs’ Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht aufgehalten wird: iMac, iPod, iPhone, iPad. iErfolg reiht sich an iErfolg - von vereinzelten Misserfolgen wie Lisa, Newton oder Apple-TV abgesehen. Der nächste Zug des Apple-Strategen: die iCloud. Wird es eher eine zweite Schlacht bei Friedland oder ein Russland-Feldzug?

Napoleon 1806

Steve Jobs 2009

Die alten Mächte fühlen sich zu sicher. Keiner rechnet damit, dass ein Marktneuling sie durch schnelle, punktuelle Vorstöße überrumpelt.

Waffen

iPhones

Stärken

hippes Design, Apps auch für Entwickler interessant

Schwächen

teuer, lausige Batterielaufzeit

Gegner

Nokia, Microsoft, Palm

Analogie

Schlacht von Jena und Auerstedt

Smartphone-Krieg

Auf den meisten anderen Schlachtfeldern sind die Fronten klar verteilt, so etwa beim Kampf um die Vormachtstellung am Smartphone-Markt 2007: Auf der einen Seite die Grande Armée von Steve Jobs. Beweglich, auf dem neuesten Stand und von einem weitsichtigen und klugen Feldherrn dirigiert. Auf der anderen Seite die Feldherren Ed Colligan (Palm), Olli-Pekka Kallasvuo (Nokia) und Steve Ballmer (Microsoft). Deren Truppen sind leicht in die Jahre gekommen und über das Aufmarschgebiet verteilt.

Der Angriff trifft die Gegner völlig unerwartet. Nach heftigen und zähen Gefechten ziehen sich die Armeen von Colligan, Kallasvuo und Ballmer zurück und überlassen Jobs - zunächst - das Schlachtfeld. Wie bei Napoleons Schlachten bei Jena und Auerstedt gilt auch beim Smartphone-Krieg: Die Schlacht musste nicht zwangsläufig durch die Überlegenheit der Apple-Armee gewonnen werden. Das Risiko, das Jobs einging, war groß. Immerhin konnte sein Unternehmen auf keinerlei Erfahrung in diesem Bereich zurückblicken. Die Gegner dagegen hatten einst eine starke Position inne: Microsoft als Quasi-Monopolist bei PC-Betriebssystemen war auch auf dem Mobile-Markt ein ernst zu nehmender Gegner. Nokia konnte in der Pre-Smartphone-Zeit fast schon unanständige Marktanteile für sich reklamieren. Und Palm als Pionier des Handheld-Geschäfts hatte zwar eine veraltete Produktphilosophie, aber durchaus Potenzial.

In der Rolle der Preußen: Microsoft

Der Ausgang der Schlacht wirkt nach: Nokia als ehemaliger Platzhirsch ist in der Defensive. Das Unternehmen sucht sein Heil in einer Partnerschaft mit Microsoft. Gewinnwarnungen folgen, die Rating-Agentur Fitch senkt Anfang Juni 2011 die Kreditwürdigkeit um zwei Stufen. Der ehemalige Vorreiter Palm wird trotz eines hervorragenden und in der Fachpresse gelobten Produkts von HP geschluckt. Und Microsoft? Mit dem aktuellen Windows Phone legt das Unternehmen ein Betriebssystem vor, das zwar Zukunft hat, aber noch einige Schwächen aufweist.

Im Kampf um die Vormachtstellung am Markt für Tablets zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Der große Kalifornier eröffnet aus einer starken Position mit seiner altbewährten Strategie die Schlacht: "Das Konzept des iPad selbst ist nicht neu, Slate-Formfaktoren gab es schon früher. Aber Apple macht diesen Gerätetyp für den Endanwender benutzbar", kommentiert Eszter Morvay, Research Manager beim Marktforschungsunternehmen IDC, die Taktik. Apple erzeuge mit seinen Geräten neue Märkte und werde hier in den kommenden zwei Jahren noch wachsen. Auch andere Kriegsberichterstatter beurteilen so die Lage an der Tablet-Front: "Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt, dass Apple den Zenit überschritten hat", so Carlo Velten, Senior Advisor der Experton Group. "Das scheint aber nicht so zu sein. Apple wird in den kommenden zwei Jahren viele iPads verkaufen, erst dann haben sich die Mitbewerber richtig formiert."

Die Fronten sind klar: Auf der einen Seite Steve Bonaparte, der mit dem iPad ein mächtiges Geschütz ins Feld führt. Auf der anderen Seite das bereits weit abgeschlagene Heer von HP Palm und die große Armee von Microsoft. Es scheint alles auf ein Patt hinzudeuten: Apple hat den Vorteil, den Markt der Tablets durch ein gelungenes Produkt und ein vom iPhone her bekanntes Betriebssystem für sich zu besetzen. Das Lager der Widersacher ist zersplittert: Android sei derzeit als Plattform noch zu fragmentiert, um für den Unternehmenseinsatz geeignet zu sein, konstatiert Velten. Hier müssten erst der Wildwuchs der Derivate beseitigt und eine verlässliche Roadmap geschaffen werden.

Zudem gebe es noch keine wirklich überzeugenden Geräte. Ähnlich beurteilt IDC-Analystin Morvay die Situation: "Android könnte bis zum Jahresende Apple überflügeln, aber ich halte das für sehr unwahrscheinlich." Auch HP mit dem Palm-Betriebssystem WebOS oder Microsoft sind noch nicht so weit, einen ernsthaften Angriff auf Apple eröffnen zu können. Für Microsoft spricht laut Morvay, dass die Unternehmen bevorzugt Microsoft-Betriebssysteme einführen und deswegen eher auf Windows-Tablets warten, um möglichst wenig unterschiedliche Plattformen unterstützen zu müssen.

Napoleon 1807

Steve Jobs 2010

Vorstoß auf unbekanntes Terrain. Die Grande Armée erobert Neuland, wird dieses aber nicht verteidigen können. Die Alliierten organisieren sich.

Waffen

iPads

Stärken

hippes Design (wie immer), einfache Bedienung, kein langes Hochfahren

Schwächen

teuer (auch wie immer), proprietär

Gegner

HP, Microsoft und die Armee der Androids

Analogie

Analogie Schlacht in Preuß. Eylau

So ähnelt die Situation im Kampf um Tablet-Marktanteile der Schlacht von Preußisch Eylau: Die Gegner sind gut aufgestellt, keiner kann einen klaren Vorteil für sich verbuchen. Apple hat ein erfolgreiches Produkt im Markt, der aber zumindest für Unternehmensanwender eher eine Nische bleiben wird. Dazu kommt, dass Apple einige Schwachstellen in seinen Geschützen hat, die zwar Privatanwender nicht weiter zu interessieren scheinen, jedoch für Unternehmenskunden von erheblicher Relevanz sind: zu teuer, zu unsicher, proprietär.

Auch wenn Apple-Produkte deutlich an Exklusivität verloren haben und mittlerweile in jedem Elektronikfachmarkt zu bekommen sind: "Für Apple muss noch immer ein Aufpreis bezahlt werden", beobachtet Morvay. Zudem konnte Apple seinen Ruf nicht aufrechterhalten, eine überdurchschnittlich sichere Plattform anzubieten. Denn die Schattenseite einer hohen Marktdurchdringung ist, dass die Plattform damit auch ins Visier der organisierten Online-Kriminalität gerät. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Cyber-Kriminellen und Malware-Jägern hat längst auch in die Apple-Welt Einzug gehalten - und weder Anwender noch der Hersteller selbst scheinen gut darauf vorbereitet.

Napoleon 1812

Steve Jobs 2011

Aufbruch in ein riesiges Reich mit zahlreichen, aus dem Volk rekrutierten Soldaten. Aber die Versorgungswege werden länger ...

Waffen

iCloud

Stärken

kostenlos, einfach zu bedienen

Schwächen

schlechte Rückzugsmöglichkeiten

Gegner

Google, Microsoft und andere Cloud-Anbieter für private Nutzer

Analogie

Russland-Feldzug

Neues Schlachtfeld: Cloud

Microsoft verfügt in dieser Schlacht über ein starkes Geschütz: Sowohl Apples iOS als auch Googles Android sind aus Sicht der IT-Verwaltung Fremdkörper in einer Windows-dominierten Client-Welt. Wobei durch die zunehmende Verbreitung von Cloud Computing die Plattformfrage immer weniger eine Rolle spielt. Zudem kann für die kommenden Monate als sicher angenommen werden, dass Tablets vor allem im privaten Umfeld genutzt werden. Große iPad-Rollouts gab es zwar bereits, sind jedoch bislang eine seltene Ausnahme. Die Entscheidung um die Vorherrschaft steht aus.

Im Bereich der mobilen Endgeräte konnte sich die Grande Armée aus Cupertino zumindest bis jetzt durchsetzen: "Apple hat derzeit noch die Marktführerschaft im Highend-Bereich der mobilen Kommunikation und mit dem iPhone und iPad Standards gesetzt", so Velten.

Wie es mit Apple weitergeht, wird sich auf einem ganz anderen Schlachtfeld entscheiden. "Cloud-Services und Streaming werden künftig die wichtigen Einnahmequellen sein", ist sich Velten sicher. "Bereits heute werden rund 80 Prozent des Internet-Verkehrs durch Video erzeugt." Apple, Google und Microsoft bringen ihre Armeen in Stellung für die nächste, vielleicht entscheidende Schlacht. Wird es ein Russland-Feldzug, in dessen Folge Napoleon abdanken und ins Exil gehen musste? Oder kann der Große Kalifornier einen "Frieden von Tilsit" erzwingen und damit seine Vormachtstellung ausbauen?

Anfang Juni 2011 fuhr Apple auf der Entwicklerkonferenz WWDC in San Francisco seine Geschütze auf: iCloud. Mit diesem Cloud-Angebot sollen Daten, Apps und Einstellungen zwischen verschiedenen Apple-
Geräten synchronisiert werden. Mit dem Update auf iOS 5 im Herbst soll es so weit sein. Eine Sensation? Wahrlich nicht. Android-Anwender nutzen bereits seit geraumer Zeit die Cloud-Dienste von Google. Etwa das automatische Synchronisieren von Fotos mit Apples "PhotoStream": Picasa von Google macht das auch - und es ist verfügbar. Und auch Microsoft oder Amazon haben längst entsprechende Angebote im Markt. Zudem hat der Ruf von Apple durch die Sammelwut von Benutzerdaten in jüngster Zeit deutlich gelitten. Viele Anwender werden es sich zweimal überlegen, ob sie Steve Jobs alle Daten anvertrauen und auf die Kontrolle verzichten. Auch dürfte durch die jüngsten Angriffe gegen Sony vielen Benutzern klar geworden sein, dass auch große Unternehmen die Sicherheit persönlicher Daten nicht garantieren können.

Napoleon 1815

Steve Jobs 2015

Alle etablierten Kräfte vereinigen sich gegen den Eroberer. Die Volksmassen solidarisieren sich ein letztes Mal, weil alles so schön einfach ist. Aber auch teuer. Der Unmut siegt.

Waffen

iEverything

Stärken

hipper Auftritt (sicher), einfache Bedienung (wahrscheinlich)

Schwächen

proprietär, unsicher und teuer (ganz sicher)

Gegner

alle

Analogie

Waterloo

Apple-Cloud vorerst kostenlos

Der Vorteil der iCloud: Fünf Gigabyte Speicherplatz gibt es gratis. Musik, Bücher und Apps werden dabei nicht mitgerechnet. Damit lassen sich doch einige Dokumente in der Wolke speichern. Apple-Fans werden das Angebot sicher zu schätzen wissen, Apple-Skeptiker und Datenschützer hingegen werden es wohl recht kritisch beäugen. Die iCloud wird den bislang kostenpflichtigen Cloud-Dienst MobileMe ablösen.
Damit geht Apple einen anderen Weg als Google oder Microsoft. Apples Cloud synchronisiert nur die Daten im Hintergrund, die Anwendungen selbst wandern nicht in die Wolke. Microsoft und Google hingegen
bieten auch verschiedene Anwendungen aus der Cloud. Apple setzt hier offensichtlich wie gewohnt auf die einfache Bedienbarkeit durch die Anwender - und erzeugt damit eine Abhängigkeit der Benutzer von Apples
Ökosystem. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die iCloud ganz gegen die Gepflogenheiten des Herstellers kostenlos ist.

Aber vor allem Google und Microsoft werden sich nicht kampflos ergeben. Beide verfügen über die nötigen Betriebssysteme und bieten Cloud-Dienste an. Microsofts Vorteil ist, neben der guten Verankerung in den Unternehmen, dass Ballmers Truppen neben Cloud-Diensten für Endkunden auch Services für Unternehmenskunden bereitstellen und so einen recht großen Bereich abdecken. Android wiederum ist ein sehr offenes System, die Cloud-Dienste von Google sind in jede Plattform integrierbar.

Der Ausgang dieser Schlacht ist offen. Apple steht zwar nicht mit dem Rücken zur Wand, hat aber den Trend zur Cloud verschlafen. Hier konnten die Gegner Erfahrungen sammeln - und mit ihnen die Nutzer von Android und Windows Phone 7. Das zeigt sich auch in den Marktzahlen: Android legte laut IDC im vierten Quartal 2010 deutlich beim Marktanteil zu, während das iPhone stagnierte. Ob mit der iCloud wirklich ein starkes Geschütz vorliegt, bleibt abzuwarten.