Finanzindustrie teilweise im Schlafmodus

Banken und Versicherungen müssen Digitalisierung nutzen

12.12.2014 von Stefan Pechardscheck  
Kunden wollen mit Banken und Versicherungen digital interagieren. Doch die meisten Banken und Versicherungen sind noch nicht bereit dazu.

Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und mit ihr interagieren. Treiber ist die verfügbare Technologie. Alleine die Anzahl der Internetnutzer stieg nach Angabe vonstatista.comin Deutschland von 37 Prozent im Jahr 2001 auf 77 Prozent im Jahr 2013. Dadurch verändern sich die Erwartungen und das Nutzerverhalten im Alltag eines Jeden. Einige Branchen mussten dies schon schmerzhaft erfahren. Wer erinnert sich nicht an Kodak, Agfa, Weltbild oder den Brockhaus? Auch die Medienindustrie hat die Digitalisierung fast "verschlafen". Einige sind rechtzeitig aufgewacht - andere nicht.

Und die Finanzindustrie? Wie tief hat die Digitalisierung diese Branche erfasst? Ich habe dazu in den letzten Monaten Zahlen aus verschiedenen Medien gesammelt. Hier eine Kostprobe: 765 Millionen US Dollar haben Risikokapitalgeber in FinTech-Firmen gesteckt - nur in 2014. 3500 dieser Bankkonkurrenten gibt es bereits. Alipay, das Zahlsystem des chinesischen Providers Alibaba hat 300 Millionen Nutzer, PayPal alleine in Deutschland 15 Millionen. Eine Million Kunden meldeten sich innerhalb einer Woche nach Launch von ApplePay beim kontaktlosen Zahlverfahren an. Besonders aber schockt die Meinung der Millienials, also der Generation, die zwischen 1981 und 2000 geboren wurde. Nach dem "Millennial Disruption Index" ist die Bankenindustrie die Branche, die am ehesten von Branchenverwerfungen betroffen ist. In der Versicherungsbranche sieht es nicht wesentlich besser aus. 45 Prozent aller Versicherungskunden werden ihre KFZ-Police online abschließen. So haben sich in den USA zwei ehemalige Google Manager mit dem Vertrieb von Landwirtschaftsversicherungen selbstständig gemacht - Vertrieb und Schadensabwicklung erfolgen ausschließlich digital.

Die Zahlen sprechen für sich. Doch hat man wirklich Vertrauen in diese Angebote? Auch das ist untersucht worden. Cofinpro und Investors Marketing befragten dazu über 1000 Kunden unter 35 Jahren, in welche Finanzdienstleister sie hohes oder sehr hohes Vertrauen haben. Das Ergebnis: Zwar hinter den Sparkassen gelegen, vertrauen mit 66 Prozent doppelt so viele der Befragten PayPal im Vergleich zu Privat- und Direktbanken. Wie kommt das? Entsteht Vertrauen nicht durch Sicherheit? Ich nehme an, dass die großen FinTech-Anbieter bewusst auf eine hundertprozentige Sicherheit verzichten - die Schäden werden glattgestellt, sind im Geschäftsmodell vernachlässigbar und das Vertrauen ist zurück- Technologische Unsicherheit wird damit zum Marktvorteil.

Aus alt mach neu

Diese Situation ist für IT-Bereiche von klassischen Finanzdienstleistern doppelt schwierig: Auf der einen Seite müssen sie Business Enabler sein, um ihre Institutionen in die neue digitale Welt zu führen - vom Generieren neuer digitaler Angebote, der Adaption bestehender Services, durch Partizipieren an der FinTech Szene bis zur Einführung neuer Formen des Kundenmanagements (in Echtzeit etc.). Auf der anderen Seite sind sie Schützer des operativen Betriebs, die eine hohe Verfügbarkeit und Vertraulichkeit von Online-Transaktionen sicherstellen müssen.

Das Umfeld ist alles andere als günstig: Neue Wettbewerber drängen mit neuen Geschäftsmodellen in den Markt, wachsende Cyberangriffe werden durch jeden IT-Verantwortlichen gemeldet, die regulatorischen Anforderungen sind durch MaRisk und das geplante IT-Sicherheitsgesetz hoch. Finanzprodukte etablierter Marktteilnehmer werden häufig als emotionslos empfunden und das Modernisieren der oftmals veralteten IT-Infrastruktur, der Architekturen und Datenmodelle ist eine Herausforderung.

Doch was ist zu tun?
Ich empfehle folgende Anpassungen an den bestehenden Geschäftsmodellen für die Wandlung zum digitalen Finanzdienstleister:

Die digitale Transformation - die Hürden und Chancen -
Frühe Starter und skeptische Nachzügler
Die Forscher haben vier Gruppen klassifiziert. Die "Digirati" sind die Unternehmen, die am weitesten fortgeschritten sind. Hier treibt der CEO die Entwicklung voran. Die Digitalisierung in den Organisationen der "Beginners" beschränkt sich zumeist auf E-Mail-Nutzung und Web-Auftritt.
Was Unternehmen aufhält
Auf die Frage nach dem Grund der Zurückhaltung sagten die Meisten, es gebe keine zwingende Notwendigkeit. Auch die fehlenden Gelder und die Grenzen der vorhandenen IT werden oft genannt. Vor allem den ersten Grund erachten die Forscher als fahrlässig. Die Digitalisierung sei für nahezu jedes Unternehmen erfolgskritisch.
Das Tagesgeschäft bremst
Die Forscher haben noch etwas tiefer gebohrt und dabei herausgefunden, dass die Mitarbeiter neue Aufgaben scheuen, weil sie mit ihrem Tagesgeschäft ausgelastet sind oder sich mit dem Geforderten nicht auskennen.
Die Digitalisierung kommt zügig
Auch die befragten Manager rechnen damit, dass die Veränderungen sich schon bald bemerkbar machen. Insofern ist die Einschätzung einiger Unternehmenslenker, das Thema habe keine Dringlichkeit, zumindest erstaunlich.
Schleppende Transformation
Die Umsetzung in den Unternehmen ist nach Einschätzung aller Befragten überwiegend langsam. Allerdings finden sich unter den CEO mehre Studienteilnehmer, die die Geschwindigkeit als angemessen, wenn nicht sogar als hoch einstufen. Die Belegschaft sieht das tendenziell etwas anders.
Chancen des Wandels
Den größten Nutzen stiften digitale Technologien im Kundenkontakt. Hier lassen sich neue Erlebniswelten, Produkte und Services erschaffen. Aber auch im Betrieb und Geschäftsmodell können sich Verbesserungen einstellen.
Mehr Umsatz, mehr Profit
Die Forscher wollen herausgefunden haben, dass die fortschrittlichen Unternehmen auch mehr Gewinn und Profit sowie einen höheren Marktwert erzielen.

Und: Nehmen Sie Ihre Mitarbeiter mit. Schaffen Sie Digitalisierungsstrukturen, aber die richtigen, für Sie passenden. Konzentrieren Sie sich auf das Geschäftspotential - Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Schaffen Sie eine Vision für Mitarbeiter in Ihrer neuen digitalen Realität.

Es gibt hinsichtlich der digitalen Transformation in der Finanz- und Versicherungsbranche bereits positive Beispiele: So hat etwa die Commerzbank den Main-Inkubator gegründet. Traxpay, ein Anbieter einer sogenannten "Dynamic Payment"-Lösung, ist eine der ersten Gründungen, die hiervon profitieren. Auch die Deutsche Bank hat ihre Digitale Agenda, die Allianz ihre Digital-Strategie und die HypoVereinsbank (HVB) entwickelt die Internet-Filiale der Zukunft.

Trotzdem gibt es für die Finanzindustrie noch viel zu tun, wenn zukünftig nicht Apple, Google oder Paypal den Kampf um die netzaffinen Kunden gewinnen sollen. Wie bemerkte dazu kürzlich Theodor Weimer, Chef der HVB?: "Die wahre Schlacht wird nicht zwischen den Banken geschlagen".