Zentrale Beschaffung in der Chemie-Industrie

Bayer kauft groß ein

03.02.2003 von Lars Reppesgaard
Eine Milliarde Euro hat Bayer gespart, weil der Konzern sein E-Procurement seit 1996 zentral koordiniert: Die Tochtergesellschaft Bayer Business Services hält beim Einkauf die Fäden in der Hand.

"Wir haben ein Beschaffungskonzept entwickelt, das rund um den Globus, über Zeitzonen, Landes- und Sprachgrenzen hinweg, für alle Teile des Konzerns funktioniert", erklärt Gerhard Römer, Leiter der Beschaffung bei Bayer Business Services (BBS). Die Lösung gilt als wegweisend: 2002 zeichnete der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) das von der BBS maßgeblich gestaltete Einkaufssystem von Bayer mit seinem Innovationspreis aus.

Das Einkaufswesen des Chemiekonzerns setzt im Jahr 13 Milliarden Euro um. Es ist als hybride Organisation aufgestellt, das heißt, es weist sowohl dezentrale als auch zentrale Elemente auf. "Die BBS managt sämtliche übergreifenden Einkaufsfunktionen und -prozesse. Der weltweite Bedarf von Bayer wird zentral bearbeitet, der lokale Bedarf jeweils dezentral", umreißt BME-Vorstandsmitglied Andreas Voegele das preisgekrönte Konzept.

Eine Million Bestellungen pro Jahr

Die BBS agiert wie eine Spinne im Netz. Sie bestimmt, welche Fäden wo ausgeworfen werden. Die Einkäufer in den Betriebsstätten handeln zwar eigenverantwortlich. Dass es trotzdem zu Synergien kommt, dafür sorgt ein konzernweites Informations- und Controlling-System mit einheitlichen Stammdaten und Prozessen. Die BBS fungiert als Leitungs- und Clearing-Stelle für die jährlich eine Millionen Bestellpositionen und stellt Informationen für die Einkäufer bereit. Systemgrundlage ist das vor vier Jahren eingeführte SAP R/3. "Das ist für uns ein Vehikel, mit dem wir die Beschaffung organisationsunabhängig steuern können", sagt Römer.

Die ersten Online-Orders tätigte Bayer 1995. Schon zu den Zeiten, als dazu noch die oft umständlich zu handhabenden Technologien für Electronic Data Interchange (EDI) erforderlich waren, erreichten die Leverkusener im Bestellwesen einen Automatisierungsgrad von 80 Prozent. Mit dem Internet ist noch mehr Dynamik in den Beschaffungsprozess gekommen. "Wir haben E-Business von Anfang an unter kaufmännischen Gesichtspunkten betrieben. Welche Möglichkeiten das Internet bietet, hat uns überrascht", so Thomas Berrang, Mitbegründer des Chemiemarktplatzes Elemica und heute bei BBS verantwortlich für die E-Business-Koordination.

Auf Internet-Basis hat BBS unter anderem das Informationssystem Global Contract Server entwickelt. Bayer-Mitarbeiter können sich so darüber informieren, welche Produkte und Dienste von welchen Lieferanten verfügbar sind und - wichtiger noch - wie Kollegen diese Güter und Services beurteilen. Alle greifen dabei auf einheitliche Produktklassifizierungen und ein standardisiertes Lieferantenbewertungssystem zurück.

Über die B2B-Lösung von SAP werden mittlerweile jährlich 700000 Transaktionen im Bereich Hilfs- und Betriebsstoffe getätigt. Von 12000 PCs aus bestellen die Mitarbeiter alles, was sie benötigen: Beratungsleistungen, Büromaterial, Bau- und Rohstoffe. Im Vordergrund steht dabei die Senkung der Prozesskosten, aber es hilft auch, als umsatzträchtiger "Best Buyer" aufzutreten. 72 Prozent der Beschaffungsvorgänge wickelt Bayer mit nur zwölf Lieferanten ab.

Lehrgeld für zu viele B2B-Engagements

Die Bestellkataloge gleichen den Seiten von Internet-Händlern wie Amazon. Schulungsaufwand für die Einkäufer ist kaum erforderlich. Für fast alle Produkte lassen sich Bilder aufrufen. Suchfunktionen machen die eine Million aufgeführten Artikel gut auffindbar. "Man drückt den Button und bestellt. In 70 Prozent der Fälle war es das", erklärt Bernd Jördens, Abteilungsleiter E-Procurement bei BBS. "Bei der Beschaffung des 300sten PCs derselben Konfiguration muss niemand mehr Hand anlegen." Ergänzungen in dem System werden von "Sourcing-Teams" vorgenommen. Die BBS ruft dafür Experten aus allen relevanten Unternehmensteilen zusammen.

Bayer musste jedoch auch Lehrgeld zahlen. Das Unternehmen hatte sich früh als Investor bei mehreren B2B-Technikanbietern engagiert. Manche dieser Plattformen fusionierten oder stellten ihr Sortiment derart um, dass sie plötzlich konkurrierten. Gleich auf vier Chemie-marktplätzen - CC-Chemplorer, Chematch, Elemica und Omnexus - war Bayer aktiv. An Chematch, einem Marktplatz, auf dem petrochemische Grundstoffe gehandelt werden, beteiligte man sich, ohne dass der Konzern hier großen Bedarf gehabt hätte. Mit der Telekom entwickelte man Chemplorer, während die Mitbewerber BASF und Henkel mit SAP als Partner CC-Markets ins Leben riefen. Im März 2001 fusionierten die Plattformen schließlich.

Als sich abzeichnete, dass einige Plattformen wie Chematch die eigenen Prozesse nicht genau genug abbildeten, wurde Bayer vom reinen Investor zum Mitentwickler. Beispiele dafür sind Omnexus, eine Handelsplattform für thermoplastische Grundstoffe, und Bayers bisher erfolgreichstes E-Procurement-Projekt, das Chemienetzwerk Elemica. Rund um die Vertragsplattform hat sich heute praktisch die gesamte chemische Industrie formiert.

An Elemica wird deutlich, warum sich die Bayer-Strategie trotz einiger Fehlschläge ausgezahlt hat. Die Leverkusener nutzten ihr Engagement, um alle wesentlichen Digitalstandards der Chemie-Industrie mitzudefinieren und können deshalb heute digitale Prozesse reibungslos abwickeln. Neben Alcatel und Siemens hat Bayer die auf dem offenen Standard XML basierende Katalogspezifikation BME-Cat entscheidend mitgestaltet. Das gilt auch für das Format CIDX, das zur Lingua franca für den Datenaustausch in der Chemie geworden ist: Beschaffungsprofis aus 15 Chemie-Unternehmen definierten heute damit ihre E-Business-Dokumente. "Insgesamt werden es mehr als 300 Spezifikationen sein. Bis jetzt sind rund 100 fertig", sagt Berrang. "Das kostet zunächst, aber entscheidend ist für uns, da mitzugestalten. So müssen wir uns später nicht an Gegebenheiten anpassen, die nicht genau auf uns zugeschnitten sind."

Erst Bleistifte, bald auch Investitionsgüter

Dank CIDX funktioniert Elemica heute als Schaltzentrale und Konvertierungsinstanz, wenn Daten aus diversen Warenwirtschaftssystemen direkt ausgetauscht werden. Ein- und Verkaufstransaktionen werden im Rahmen von bestehenden Verträgen automatisiert und damit günstig. Bayer setzt zudem weitere Beschaffungswerkzeuge ein, etwa die Plattform des Auktionsanbieters Protum. Hier werden großvolumige Aufträge für nicht strategische Güter (zum Beispiel Werkzeuge, Ersatzteile, Bürobedarf, Dienstreisen) oder Verpackungsmaterial vergeben. Baudienstleistungen schreibt Bayer über die Plattform "4build" aus. Daten aus beiden Plattformen werden in das Backend integriert.

"Bleistifte können wir seit Jahren", so Jördens. Doch das reicht nicht mehr. Seit einiger Zeit arbeiten die Bayer-Beschaffungsprofis daran, die Voraussetzungen für das digitale Procurement komplexester Produkte zu schaffen. Heute hinterlegen Bayer-Mitarbeiter in "Teamrooms" Entwürfe von Spezialgeräten, zum Beispiel "200000 Euro teure Pumpen", sagt Jördens. Diese sind allerdings nicht standardisiert, sodass die Güter nicht voll E-Procurement-fähig sind. Noch müssen also Spezialisten aufseiten der Lieferanten helfen, die Geräte online fertig zu entwickeln.