Vorbilder Zalando, Spotify, Adidas und Otto

Bis 2022 ist Plan-Build-Run abgeschafft

22.08.2019 von Christiane Pütter
Derzeit verfahren noch knapp zwei Drittel der deutschen IT-Entscheider nach dem Schema Plan-Build-Run. Sie erwarten jedoch, dass sich ihre Betriebsmodelle schon binnen fünf Jahren massiv in Richtung Agile wandeln. Das belegt eine aktuelle Studie von Kienbaum. Vorreiter auf diesem Weg sind Firmen wie Adidas, Otto, Spotify und Zalando.
  • Acht von zehn CIOs halten bimodale IT nur für eine Übergangslösung
  • Jeder Dritte sagt, Agile schaffe das mittlere Management ab
  • 59 Prozent der Unternehmen planen hohe bis sehr hohe Investitionen in den Aufbau agiler Skills
  • Gut jedes fünfte Unternehmen hat seine IT-Rollen komplett agile ausgerichtet, also Release Train Engineer, Scrum Master und Product Owner besetzt

Binnen fünf Jahren werden deutsche CIOs ihre IT massiv in Richtung Agile verändern. Davon sind jedenfalls die Teilnehmer der Studie "All-agile IT" des Beraters Kienbaum überzeugt. Insgesamt 95 Prozent der Teilnehmer entwickeln ihr Betriebsmodell bereits in diese Richtung. Dabei sprechen manche Befragte nicht von "all-agile", sondern von "Multi-Speed IT".

Binnen fünf Jahren wird das IT-Betriebsmodell Plan-Build-Run fast verschwinden, erwarten die Teilnehmer einer Kienbaum-Studie.
Foto: Kienbaum

Kienbaum hat die rund 250 Entscheider aus verschiedensten Branchen zunächst einmal nach dem Status Quo gefragt. Demnach verfahren aktuell 64 Prozent nach dem traditionellen Modell Plan-Build-Run. Bis zum Jahr 2022 sinkt dieser Anteil auf fünf Prozent, erwarten die Befragten. Während derzeit 31 Prozent eine bimodale IT (auch "IT der zwei Geschwindigkeiten") fahren, werden es 2022 mutmaßlich 60 Prozent sein. Der Anteil an agiler IT, aktuell bei nur fünf Prozent, wird 2022 auf mehr als ein Drittel (35 Prozent) wachsen, schätzen die Studienteilnehmer.

5 Probleme beim Wandel zur agilen IT-Organisation

Die Befragten verbinden diesen Wandel mit fünf Schwierigkeiten. Da sind erstens technologische Probleme mit Alt-Systemen (Legacys) und zweitens mangelnde Veränderungsbereitschaft im Unternehmen. Drittens beklagen sie fehlendes Know-How und viertens hierarchische Strukturen sowie fünftens das Fehlen eines Product Owners.

Bimodel-IT höchstens eine Übergangslösung

Wer sich in Richtung Agile verändert, beginnt meist mit den Prozessen und Rollen. Zwei Drittel der Unternehmen richten ihre Abläufe - zumindest teilweise - nach agilen Prinzipien aus. Das reicht den Befragten nicht, sie erkennen Agile als übergreifendes Ziel an. So erklären 78 Prozent, bimodale IT-Strukturen könnten nur eine Übergangslösung sein. 33 Prozent denken, dass Agile das mittlere Management überflüssig macht.

So gut wie alle Studienteilnehmer wollen in den Ausbau agiler Fähigkeiten investieren.
Foto: Kienbaum

Fast jeder Befragte (99 Prozent) will in den Aufbau agiler Fähigkeiten investieren. Davon planen 59 Prozent große bis sehr große Investitionen.

Wer bereits auf Agile umgestellt hat, sieht positive Ergebnisse. Die Studienteilnehmer sprechen von deutlich höherer Liefergeschwindigkeit (Time to Market), von starken Produktivitätssteigerungen, von höherer Software-Qualität und höherer Kundenzufriedenheit.

Vier Beispiele für "agile Champions"

Kienbaum nennt Beispiele für "agile Champions" unter den Firmen. Dazu zählen die jungen Unternehmen Spotify und Zalando ebenso wie der traditionsreiche Konzern Otto und der Sportartikelhersteller Adidas. Im Einzelnen:

Spotify - Squads und Product Owner

Spotify: Die Mitarbeiter organisieren sich als "Squads" von sechs bis maximal 20 Personen selbst. Sie agieren als "Mini-Startups" eigenständig und berichten an einen Product Owner, der die Themen vorgibt. Dieser Product Owner organisiert auch die wöchentlichen Sitzungen, zu denen alle Mitarbeiter zusammenkommen. Die Sitzungen finden jeweils am Freitagnachmittag statt und ziehen eine Bilanz der vergangenen Woche. Außerdem gibt es noch einen Agile Coach im Unternehmen, der darauf achtet, dass die Regeln eingehalten werden.

Zalando - Autonome und freie Teams

Zalando: Das Unternehmen startete als reiner Online-Shop und versteht sich heute als digitale Mode-Plattform. Es gibt keine klassischen Abteilungen mehr, sondern die Kollegen arbeiten Projektbezogen in kleinen interdisziplinären Teams mit zwei Chefs: dem Delivery Lead und dem People Lead. Dabei verantwortet der Delivery Lead die fachliche Seite und der People Lead disziplinarische Themen. Nach eigenen Worten erreicht Zalando durch diese dezentralen Entscheidungsprozesse mit hoher Autonomie und Freiheit der Teams heute kürzere Entwicklungszyklen und entfaltet mehr Innovationskraft. Das Unternehmen spricht von "Radical Agility".

Otto - cross-funktionale Teams verantworten virtuelle Blöcke

Otto: Seit fast siebzig Jahren gibt es den Versandhändler Otto in Deutschland. Michael Müller-Wünsch, Bereichsvorstand Technology und CIO, hat die IT nach agilen Prinzipien ausgerichtet. Ansatzpunkt war insbesondere die IT-Architektur. Müller-Wünsch hat die bestehende monolithische Systemlandschaft in virtuelle Blöcke unterteilt. Jeden dieser Blöcke verantwortet eines von 25 cross-funktionalen Teams.

Otto-CIO Michael Müller-Wünsch: "Eine Arbeitshypothese war, dass die über lange Jahre stark auf Effizienz ausgerichtete IT-Organisationsstruktur wahrscheinlich nicht die Geschwindigkeit erzielen wird, die wir in cross-funktionalen, agilen Teams erwarten."
Foto: Otto

Diese Teams arbeiten marktorientiert und agil. Sie haben eine Kraft entwickelt, die den Umbau mit hohem Tempo vorantreibt, beobachtet Kienbaum. Otto-CIO Müller-Wünsch sagt: "Eine Arbeitshypothese war, dass die über lange Jahre stark auf Effizienz ausgerichtete IT-Organisationsstruktur wahrscheinlich nicht die Geschwindigkeit erzielen wird, die wir in cross-funktionalen, agilen Teams erwarten."

Adidas - Agilität ist eine Frage der Führung

Adidas: Der Markenartikelhersteller setzt beim Thema Führung an. Führungskräfte sollen flexibel agieren, statt sich an Routinen und Standards zu orientieren. Adidas bricht das auf vier Faktoren herunter.

Der erste Faktor ist die Kompetenzerhöhung der Mitarbeiter. Jedes Team legt selbst fest, wie Leistung zu bewerten ist. Zweitens geht es um Schnelligkeit. Ein Team namens "Speedfactory" entwickelt flexible und lokale Produktionsmöglichkeiten, um den Kunden schneller individualisierte Produkte in die Hände geben zu können. Zum Dritten bilden sich Mitarbeiter auf allen Ebenen unter dem Stichwort Flexibilität selbst fort. Sie wählen ihre Trainingsinhalte selbst aus - und nehmen je nach Kompetenz mal die Rolle des Lerners und mal die des Lehrers ein. Punkt vier schließlich soll die Reaktionsfähigkeit steigern. In sprint-basierten Reflexionszyklen stellen sowohl Führungskräfte wie Mitarbeiter ihre Haltung zum Thema Veränderung immer wieder auf den Prüfstand.

Schenker will schon 2020 fertig sein

Otto und Adidas sind nicht die einzigen Dickschiffe mit Kursänderung. Kienbaum zitiert Markus Sontheimer, Member of the Board und CIO/CDO bei der Schenker AG. Er nimmt sich vor: "Bis 2020 werden wir alle Bereiche der IT im Zielzustand haben. DB Schenker wird als klarer digitaler Treiber und Pionier der Logistikindustrie positioniert sein."

Markus Sontheimer, CIO DB Schenker: "Bis 2020 werden wir alle Bereiche der IT im Zielzustand haben."
Foto: DB Schenker

Aus Sicht der Berater zeigen die unterschiedlichen Ansätze, dass es auf dem Weg zum agilen Unternehmen kein "One size fits all" gibt. Jeder Entscheider muss für sein Haus die richtige agile Roadmap entwickeln.

Jeder Zweite sieht sich als "agile Beginner"

Doch noch stellen die genannten Beispiele Ausnahmen dar. Kienbaum hat die Studienteilnehmer um eine Selbsteinschätzung anhand von vier Stufen gebeten. Demnach zählt sich lediglich eines von hundert Unternehmen zu den Digital Champions, die bereits Stufe vier erreicht haben. Eine relative Mehrheit von 47 Prozent sieht sich als "agile Beginner", das entspricht Stufe zwei. Weitere 38 Prozent verharren als "Laggards", Nachzügler, auf Stufe eins. Die verbleibenden 14 Prozent haben als "agile Practioners" schon erste praktische Erfahrung gesammelt (Stufe drei). Der Durchschnitt aus diesen Angaben sieht die Unternehmen bei einem Wert von 1,9 auf der vierstufigen Skala.

Laut eigener Einschätzung steht die Mehrheit der Unternehmen noch am Beginn der agilen Transformation.
Foto: Kienbaum

Kienbaum hat sich dieses Ergebnis näher angesehen, um Stärken und Schwächen herauszufiltern. Demnach hapert es in puncto Agilität vor allem an der technischen Umgebung. Hier erreichen die Unternehmen mit 1,3 den geringsten Wert. Ganz anders bei den agilen Rollen, Fähigkeiten und Kompetenzen: hier liegen sie bei 2,7. Dazu ein paar Zahlen: Gut jeder Fünfte (22 Prozent) gibt an, die IT-Rollen seien vollständig oder zumindest überwiegend agil ausgerichtet. 67 Prozent sehen ihre IT-Rollen teilweise agil ausgerichtet und eine Minderheit von elf Prozent nutzt agile IT-Rollen noch gar nicht. Agile IT-Rollen sind für Kienbaum beispielsweise Release Train Engineer, Scrum Master und Product Owner.

Dass die IT-Rollen so häufig nur teilweise agil ausgerichtet sind, hält Kienbaum für problematisch. Laut dem Berater kann eine solche Situation zu Verunsicherung und Rollenkonflikten führen. Insgesamt sollten Unternehmen agile Methoden nicht isoliert nutzen, "da hierdurch die agile Transformation auf dem Entwicklungsstand einer methodischen Plattitüde verharren würde", so Kienbaum.

Nur fünf Prozent der Studienteilnehmer rechnen nicht damit, dass der Anteil agil durchgeführter IT-Projekte steigt.
Foto: Kienbaum

Die Studienteilnehmer selbst sehen konkrete Veränderungen auf sich zukommen. Beispiel Durchführung von IT-Projekten: 95 Prozent erwarten, dass der Anteil agile durchgeführter Projekte - im Vergleich zu traditionell durchgeführten Projekten - steigt. Lediglich fünf Prozent erwarten das nicht. Kienbaum versteht dies als eine Bestätigung der These von der zunehmenden Bedeutung der agilen Transformation. "Die erfolgreiche Nutzung agiler Methoden und Prozesse in anfänglich singulären Projektkontexten kann die nachgelagerte Veränderung des gesamthaften IT-Operating Modells anstoßen", sagt der Berater.

Kienbaum umreißt das jetzige und kommende Marktumfeld mit dem Kürzel VUKA. Das steht für Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität (englisch VUCA: volatility, uncertainty, complexity, ambiguity). Das klassische IT-Betriebsmodell mit langfristiger Planung, standardisierten Vorgehensmodellen und dem Ziel Effizienzsteigerung werde dem nicht gerecht.

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