Streitfall Public IT

Booz-Chef reagiert auf Kritik

21.09.2010 von Christiane Pütter
Wolfgang Zink von Booz & Co. antwortet Jürgen Renfer, IT-Leiter der Bayerischen Landesunfallkasse. Dieser sagte im Juni-Heft des CIO-Magazins, eine Analyse von Booz über IT-Projekte in Behörden greife zu kurz.

CIO: Der IT-Leiter der Bayerischen Landesunfallkasse hat Ihnen vorgeworfen, Sie machten es sich mit Ihrer Kritik an Behörden zu einfach. Wie sehen Sie das?

Zink: Ich fürchte, es entsteht der falsche Eindruck, wenn man nur seine Thesen liest. So behauptet Herr Renfer, dass wir die gesamte Verwaltung auf einen Mega-Konzern reduzieren würden. Zudem schreibt er, dass Booz die Auffassung vertrete, IT-Projekte scheiterten einfach aufgrund der niedrigeren Gehälter im öffentlichen Dienst. Das ist unzutreffend wiedergegeben. Booz arbeitet seit Jahrzehnten mit Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie weiteren öffentlichen Institutionen und ist mit den Nuancen sehr wohl vertraut.

Wie lernfähig sind Behörden nach Ihrer Erfahrung?

Auch Behörden sind selbstverständlich lernende Organisationen, obwohl sich ihre Aufträge und Prozesse von denen privater Organisationen unterscheiden. Das Amt einer Stadt hat nicht die Möglichkeit, unrentable oder unbeliebte Aufgaben schlichtweg einzustellen. Die Lernfähigkeit bemisst sich dabei an der einzelnen Organisation und ihren Mitarbeitern selbst. So variiert zum Beispiel die Qualität des Angebots von Bürgerservices in vielen Städten erheblich.

Erkennen öffentliche Einrichtungen ihre IT-Chancen schlechter?

Wolfgang Zink, Geschäftsführer Booz & Co., München.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass viele Behörden die Potenziale von infrastrukturellen Neuerungen erkennen. Eine davon ist zum Beispiel die Einführung einer Service-orientierten Architektur (SOA). Auch die zunehmende Verbreitung des ITIL-Framework ist ein Hebel für eine stärkere Serviceausrichtung. Und schließlich: Gerade bei den häufig eher belächelten Web-2.0-Instrumenten zeigt sich die Innovationsbereitschaft vieler Behörden. Die Einbindung eines Wiki für ein ämterübergreifendes Wissens-Management hat zum Beispiel das Potenzial, herkömmliche hierarchisch geprägte Verfahrenswege erheblich zu verflachen.

Wie steht es um das allerorten diskutierte Thema Cloud Computing?

Das ist auch bei der öffentlichen Hand ein Thema. Fakt ist jedoch, dass Behörden nicht so locker mit den Diensten etwa von Google umgehen können wie private Firmen. In vielen Bereichen muss klar sein, wer wann Zugriff auf welche Daten hat beziehungsweise hatte. So ausgeprägte Schutzmechanismen und Nachweise fallen den gängigen Cloud-Dienstleistern aber schwer. Realistischer erscheint mir das Konzept einer Private Cloud im öffentlichen Bereich.

Lässt sich dadurch der Konsolidierungsdruck abfedern?

Eine Bündelung der Kapazitäten kann Linderung schaffen, auch wenn ihre Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit im Einzelfall zu prüfen sind. So existiert zum Beispiel im kommunalen Bereich eine bunte Vielfalt von Applikationen und Lösungen für weitgehend ähnliche Aufgaben. So manches Rechenzentrum betreut für Nachbargemeinden unterschiedliche Anwendungen. Auch PPPs und gezieltes Outsourcing können in manchen Fällen einen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Wichtig ist mir dabei, dass über eine reine Konsolidierung hinaus auch die Beziehungen für Angebot und Nachfrage der IT-Services systematisiert werden. Service-Level-Vereinbarungen sind noch längst nicht Standard. Viele Fachämter wissen gar nicht, welche Verfügbarkeit ihrer Systeme sie erwarten dürfen, und schimpfen daher auf die IT. Für die Bemessung der IT-Kapazitäten ist das Austarieren von Angebot und Nachfrage allerdings sehr hilfreich.

Checkliste für Public IT

Die Münchener Unternehmensberatung Booz & Co. hat eine Checkliste erstellt, die für eine IT-Modernisierungsstrategie der öffentlichen Hand entscheidend ist. Sie umfasst folgende sieben Punkte:

1. Definition spezifischer Ziele: Formulierung und Priorisierung von messbaren Zielen,

2. Festlegen der langfristigen Perspektive: Nutzung der Potenziale moderner Informationstechnologie in Abstimmung mit der Organisationsentwicklung der Behörde,

3. Auswahl der Strategien zur Kostenreduzierung: Definition und anschließende Umsetzung der Optionen zur geplanten Effizienzsteigerung unter Berücksichtigung der politischen Rahmenvorgaben,

4. Definition der Wertschöpfungs- und Leistungstiefe: Auswahl der geeigneten Form der Leistungserbringung unter Berücksichtigung von neuen Modellen für die IT im öffentlichen Sektor,

5. Strategie mit Blick für das Ganze: Holistische Betrachtung der vier Kerndimensionen: IT-Landschaft und Verfahren, Infrastruktur und Technologie, Organisation und Personal sowie Steuerung und Prozesse,

6. Realistische Wirtschaftlichkeitsbetrachtung: Messung des Erfolgs der IT-Strategie aus einzelwirtschaftlicher Sicht unter Berücksichtigung von Anforderungen und Vorgaben an Behörden und Organisationen und

7. Konsistente Planung und Management: Erarbeitung eines Projektfahrplans, der die Exploration, Konzeption, Strategieentwicklung und Umsetzung sowie die Projektkoordination abdeckt.

cio.de - Kontroverse im CIO-Magazin

Wolfgang Zink bezieht sich auf den Text von Jürgen Renfer im Juni-Heft "Wo Booz & Co. schiefliegt". Renfer kommentiert darin die Booz-Thesen, die auf cio.de zu finden sind unter "Woran IT-Projekte in Behörden scheitern".