Analysten-Kolumne

BPM-Plattformen im Umbruch

11.01.2006 von Joachim Quantz
Business Process Management (BPM) verspricht, den gesamten Lebenszyklus von Geschäftsprozessen zu unterstützen – sowohl auf fachlicher als auch auf technischer Ebene. Waren BPM-Suiten in der Vergangenheit noch sehr stark technisch ausgerichtet, tritt nun zunehmend die fachlich-inhaltliche Ebene in den Vordergrund.

Viele Anbieter haben ihr Portfolio inzwischen in Richtung BPM plus Content erweitert, indem sie zusätzlich zur technischen BPM-Plattform auch vordefinierte Lösungen für ausgewählte Prozesse und Anwendungsbereiche anbieten. SAP und andere Hersteller positionieren diese integrierten Lösungen als Business Process Platforms (BPP).

Der vordefinierte Content besteht zumeist aus einem groben Prozess-Template, das die wesentlichen Aspekte und Einzelschritte eines Geschäftsprozesses (z.B. Urlaubsantrag, Bestellung, Pro-dukteinführung, Sarbanes-Oxley Compliance, Schadensmeldung, Kreditantrag) umfasst.

Diese vorkonfigurierten Lösungen bieten eine ganze Reihe von Vorteilen: Zunächst einmal veranschaulichen sie den fachlichen Nutzen einer BPM-Lösung bereits in der Projektvorbereitungsphase. Für die Anbieter bedeutet dies, dass sie ihre Produkte nicht mehr nur auf technischer Ebene, also an den CIO, verkaufen, sondern auch den CEO direkt ansprechen können. Und statt den Nutzen von BPM abstrakt erklären zu müssen, können sie potenziellen Kunden anschaulich demonstrieren, wie ihre Geschäftsprozesse effizient unterstützt werden können. Aus Anwenderperspektive hat das den Vorteil, dass die Fachabteilungen frühzeitig in die Produktauswahl und die Projektplanung mit einbezogen werden können.

Bei der Projektdurchführung können vordefinierte Prozesse den Entwicklungsaufwand maßgeblich reduzieren. Insbesondere können typische Startschwierigkeiten vermieden werden, weil die Entwickler nicht bei Null anfangen müssen, sondern sich an den vordefinierten Prozesskomponenten orientieren können. Dadurch verringert sich auch das Risiko von Fehlentwicklungen. Insgesamt können Projekte durch die Verwendung vordefinierter Prozesse als Ausgangsbasis schneller und kostengünstiger durchgeführt werden.

Anpassungsaufwand für BPM-Lösungen

Wie groß dieser Nutzen in der Praxis tatsächlich ist, hängt aber vom Anpassungsbedarf im konkreten Einzelfall ab, wie der Berlecon-Report "BPM in der Praxis“ zeigt. Idealerweise können die vordefinierten Prozess-Templates unverändert übernommen werden, in der Realität sind aber häufig Anpassungen an die unternehmensspezifischen Besonderheiten notwendig.

Mehrere Faktoren bestimmen diesen Anpassungsaufwand. Zum einen gibt es Prozesse, die sich sehr leicht standardisieren lassen, während bei anderen Prozessen sehr unterschiedliche Realisierungsvarianten möglich und sinnvoll sind. Gerade bei diesen spielen Know-how und Erfahrungshintergrund des BPM-Anbieters eine wesentliche Rolle. Anbieter, deren Lösung bereits bei sehr vielen Kunden einer Branche im Einsatz ist, können diese Erfahrungen in ihren Prozess-Templates natürlich entsprechend berücksichtigen.

Anbieter müssen allerdings umdenken, wenn sie sich bisher als generische Technologieanbieter positioniert haben, denn die Kombination von BPM-Plattform und Inhalten verlangt detailliertes Prozess- und Branchen-Know-how. Das kann durch Vertikalisierung und Spezialisierung auf bestimmte Branchen erreicht werden, für große, etablierte Anbieter ist aber oftmals der Aufbau eines Partnernetzwerks sinnvoller. Dienstleistungspartner bringen in diesem Modell das bran-chenspezifische Know-how ein und entwickeln aufsetzend auf der Business Process Platform (BPP) kundenspezifische Lösungen.

Die Grundlage für vordefinierte Prozesse liefern serviceorientierte Architekturen (SOA). Basisfunktionalität wird in Form von unabhängigen und wiederverwendbaren Diensten bereitgestellt. Diese Dienste können dann zur Realisierung einzelner Prozessschritte verwendet und flexibel zu komplexen Prozessen kombiniert werden. Deshalb setzen alle Anbieter von Enterprise-Lösungen für ihre neuen Architekturen auf SOA.

Unterschätzte SOA-Aufwände

Allerdings sollten die organisatorischen Herausforderungen, die mit der Einführung und Umsetzung einer SOA einhergehen, nicht unterschätzt werden. Dienste unabhängig und wiederverwendbar zu implementieren, ist nicht trivial. Außerdem erfordert es meist einen zusätzlichen Aufwand, der sich nur rechnet, wenn diese Dienste auch tatsächlich wiederverwendet werden. Auch müssen die Interessen der einzelnen Fachabteilungen berücksichtigt und mit den unterneh-mensweiten SOA-Vorgaben in Einklang gebracht werden.

Die nächsten Jahre werden daher zeigen, ob das Konzept "BPM plus Content“ die hohen Erwartungen auch in der Praxis erfüllen kann. Die technischen Voraussetzungen hierfür sind dank SOA gegeben. Aber nur wenn auch die organisatorischen Herausforderungen bewältigt werden, können Geschäftsprozesse in Zukunft tatsächlich sehr schnell und flexibel entwickelt, angepasst und optimiert werden.

Dr. Joachim Quantz ist Associated Senior Analyst bei der Berlecon Research GmbH.