Deutsche Bahn

CIO Bernd Rattey ordnet die Bahn-IT neu

28.03.2023 von Jens Dose
IT-Chef Rattey will weg von schwerfälligen Governance-Prozessen und Silodenken. Er setzt auf Doppelspitzen, vom Business getriebene Projekte und weniger zentrale Vorgaben.
"Eine klassische IT-Strategie habe ich nicht," sagt Rattey, Group CIO der Deutschen Bahn.
Foto: Oliver Lang, Deutsche Bahn AG

Bernd Rattey ist seit 2021 Group CIO und CDO der Deutschen Bahn. Davor leitete er unter anderem die IT der DB Fernverkehr AG. "Ich komme also von der anderen Seite des Teiches und hatte fünf Jahre Gelegenheit, die Bahn aus einem der Geschäftsfelder heraus kennenzulernen," sagt der Manager. Der Konzern funktioniert in seinen Augen wie ein föderales System. Die Gruppe setze sich aus Geschäftseinheiten mit eigenem Gestaltungsanspruch zusammen.

Zentralisierung ist keine Lösung

"Bei der Bahn arbeiten schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen, die ihre Arbeitszeit mit digitalen Themen verbringen," so Rattey. Dazu zählen etwa Softwareentwicklung und Demand-IT, aber auch Mitarbeitende in den Fachbereichen, die sich überlegen, wie Prozesse aussehen und welche Produkte digital angeboten werden sollen. "Dort wächst die Business-IT, die man auch gerne Schatten-IT nennt, immer weiter," beobachtet der CIO.

Auf der Demand-IT-Seite gibt es laut Rattey drei Ebenen. Oben ist die Corporate-IT angesiedelt, für die Rattey verantwortlich zeichnet. Darunter liegen die Geschäftsfelder, die wiederum eigene Business-Units für IT unterhalten.

"Diese dritte Ebene wird wachsen, also kann die organisatorische Lösung bei der Bahn nicht sein, alle digitalen Vorhaben zu zentralisieren," urteilt der IT-Chef. Da die Geschäftsprozesse eng mit IT verzahnt seien, sei die Wirksamkeit der digitalen Lösungen in den Business-Bereichen höher.

Die AG gibt den Rahmen vor

In der Vergangenheit hat die Group-IT über Richtlinien und Weisungen den Geschäftsbereichen vorgegeben, was sie tun sollen. Das wollte er ändern. "Ich habe aber in meiner Zeit bei DB Fernverkehr selbst gesehen, dass das nicht immer wirksam war. Diese Sicht habe ich in meiner neuen Rolle nicht abgelegt," so Rattey.

"Die CIOs der Geschäftsfelder haben die Verantwortung für die IT in ihrem Business, die AG gibt den Rahmen vor," gibt er die neue Marschrichtung vor. In der Group-IT werden künftig nur die Themen bearbeitet, die bereichsübergreifend besser funktionieren als in Einzelprojekten der Geschäftsfelder.

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Durch das föderale System schaffte die Bahn in der Vergangenheit viele dezentrale IT-Inseln. So gibt es etwa verschiedene Systeme für Personalplanung in den Geschäftsbereichen. Rattey: "Ich glaube nicht, dass wir auf eine zentrale Lösung wechseln werden, weil die Geschäftsmodelle, Anforderungen und auch die Kultur zu unterschiedlich sind."

Was der CIO jedoch vor die Klammer ziehen will, sind unter anderem technische Plattformen. Die Bahn habe etwa beim Thema Data Lake schon vor einigen Jahren gehandelt und entwickle auf dieser Basis IoT- und KI-Anwendungen.

Bahnstrategie ist IT-Strategie

"Eine klassische IT-Strategie habe ich nicht," sagt Rattey. Das bedeute jedoch nicht, dass die IT-Kolleginnen und -Kollegen arbeiten, wie sie wollen. Maßgeblich für die IT der Bahn sei die "Starke-Schiene"-Strategie, die auch über den Tellerrand der Bahn hinaus auf den gesamten Sektor Eisenbahn in Deutschland blickt.

Ziel dieser Strategie ist, das Verkehrsmittel attraktiver zu machen und Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Dazu zählt etwa, Strecken auszubauen, mehr Güter auf der Schiene zu transportieren oder den Fernverkehr zwischen Metropolen enger zu takten.

"Nichts davon ist ohne IT umzusetzen. IT spielt also eine signifikante Rolle, um das übergeordnete Ziel zu erreichen. Deshalb ist genau das unsere IT-Strategie", argumentiert Rattey. Die "Starke Schiene" definiere die Aufgaben und das Portfolio der gesamten Bahn-IT.

"Das IT-Portfolio für die nächsten Jahre und die IT-Architektur haben für mich den Platz eingenommen, den früher die IT-Strategie hatte." Diese Sicht positioniere die IT nicht außerhalb der Organisation, sondern gebe ihr eine zentrale Bedeutung im Unternehmen.

IT als fünfte Ressource

Laut Rattey galt es bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), darunter Regio, Cargo oder Fernverkehr, vier Ressourcen zu steuern: Die Züge, die befahrenen Trassen, das Personal in den Zügen und die Werke für die Instandhaltung: "Diesen Produktionskreislauf muss ein EVU steuern und gestalten."

Mit der IT sei nun eine fünfte Ressource hinzugekommen, denn der Kreislauf funktioniere nicht mehr ohne sie. In der IT geht es für ihn nicht mehr um klassische Verwaltungsaufgaben; sie sei vielmehr Teil des Produktionssystems und sorge dafür, dass die Züge fahren.

Im föderalen System der Bahn-IT können jetzt die einzelnen Geschäftsfelder bestimmte Aspekte selbst gestalten. "Es ist nicht meine Aufgabe als Konzern-CIO, ihnen dies in allen Details vorzugeben. Dennoch gibt es Themen, die wir nur übergreifend machen können," so der CIO. So werden beispielsweise die Trassen von der DB Netz verantwortet, die Fahrzeuge von den Transporteuren.

Die Top-CIOs der Transportbranche
Bernd Rattey
Als Nachfolger von Christa Koenen übernahm Bernd Rattey Mitte November 2021 die Position des Konzern-CIO der Deutschen Bahn.
Christa Koenen
Seit 1. September 2021 ist die ehemalige Bahn-CIO Christa Koenen Digitalvorständin von DB Schenker. Sie ist Nachfolgerin von CIDO Markus Sontheimer.
Thomas Rückert
Seit Anfang 2021 ist Thomas Rückert für die IT Lufthansa Group verantwortlich. Er soll unter anderem die Airlines des Konzerns dabei unterstützen, kundenzentriert zu werden.
Dominik Fürste
Dominik Fürste (35) ist seit August 2017 CIO beim Europäischen Eisenbahnlogistikunternehmen TX Logistik AG. Als Mitglied der Vorstandssitzung verantwortet er die Transformation der TX zu einer digitalen Güterbahn. Dabei setzt er auf die gleichzeitige Betrachtung von Geschäftsprozessen und modernen IT Lösungen. Für die ganzheitliche Umsetzung der Transformation hat er ein agiles Portfolio- und Deliverymanagement auf Basis des Scaled Agile Framework etabliert. Fürste kam von der DB Cargo AG, wo er unter anderem die Sanierung der französischen Tochtergesellschaft begleitete und ein IT-Projekt des DB Konzerns zur Einführung eines Kapazitätsmanagementsystems für das Transportnetzwerk verantwortete.
Sabina Kusmin-Tyburski
Zum 1. Februar 2024 übernimmt Sabina Kusmin-Tyburski den CIO-Posten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).
Markus Sandbrink
Ende 2022 hat Markus Sandbrink, seit 2020 Leiter der Corporate IT der Rhenus-Gruppe, zusätzlich den CIO-Posten und damit die gruppenweite IT-Leitung des Logistikkonzerns übernommen.
Ralf Morawietz
Das Logistikspezialist Dachser hat mit Ralf Morawietz seit dem 1. Januar 2023 einen neuen IT-Leiter an Bord. Er folgt auf Stefan Selbach, der in Altersteilzeit ging.
Wolfgang Standhaft
Wolfgang Standhaft ist seit Januar 2019 CIO beim Flughafenbetreiber Fraport in Frankfurt/Main. Von 2006 bis Ende 2017 hat er für den Baustoffkonzern HeidelbergCement AG als CIO und Group Director Information Technology gearbeitet. Von 1998 bis 2005 war Standhaft Leiter Betriebswirtschaftliche Systeme Europa der Rewe KGaA, von 1995 bis 1998 arbeitete er als Berater bei der SAP AG.
Jasmin Kaiser
Seit Anfang Mai 2023 leitet Jasmin Kaiser die IT der Lufthansa Cargo. Sie kommt von der Lufthansa Group.
Isabelle Droll
Isabelle Droll ist CIO der TUI Airline. Seit Oktober 2021 ist sie zudem Group IT Director TUI Musement, Corporate und Sustainability.
Hugo Pluess
Hugo Pluess ist seit August 2019 CIO der Spedition Imperial Logistics International. Pluess ist damit für die gesamte IT-Landschaft aller Aktivitäten von Imperial Logistics International verantwortlich. Er war zuletzt Executive Vice President Global IT Infrastructure bei CEVA Logistics in der Schweiz.
Werner Toennessen
Als Geschäftsbereichsleiter IT ist Werner Toennessen der Chef über die Systemwelten der DER Touristik. Toennessen verantwortete als Bereichsleiter bereits seit 2010 die IT der DER Touristik Köln mit ihren Pauschalreiseveranstaltern ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg. Er gilt als profunder Kenner der IT der touristischen Unternehmen des zweitgrößten deutschen Reiseveranstalters. Toennessen startete seine IT-Laufbahn 1987 in der EDV bei Meier’s Weltreisen.
Ralf Gernhold
Seit Oktober 2018 ist der Ex-Miles & More-CIO Ralf Gernhold technischer Programmleiter Vendo bei der DB Vertrieb GmbH. Vendo beschäftigt sich mit der Digitalisierung des Vertriebs und gehört zu den strategischen Projekten des Personenverkehrs der Deutschen Bahn.
Donya-Florence Amer
Donya-Florence Amer ist CIO und CHRO und die erste Frau im Vorstand von Hapag-Lloyd. Sie übernahm den Posten zum 1. Februar 2022. Amer folgte auf Martin Gnass.
Dirk Tietz
Die DER Touristik hat ihr Führungsteam um die neue Funktion des Chief Transformation Officer (CTO) erweitert. Dirk Tietz (40) ist seit Juli 2015 auch Mitglied des Executive Boards. Er trägt damit die Gesamtverantwortung für die Digitalisierung und für die Verzahnung der Einzelunternehmen.
Petra Clemens
Seit Februar 2022 ist Petra Clemens für die IT-Transformation beim Eisenbahn-Logistiker VTG zuständig. Sie bringt fundierte Expertise auch in Sachen Change Management mit.
Oliver Wittmaier
Oliver Wittmaier folgt auf Claudia Plattner, die bei der EZB eingestiegen ist. Er konzentriert sich auf skalierende Plattformen und Datenverfügbarkeit.
Arlene Bühler
DB Cargo hat mit Arlene Bühler eine neue Digitalisierungschefin. Anfang November 2021 übernahm Bühler die Funktion mit dem Titel IT and Digitalization, CIO/CDO. Der Logistik-Konzern hat diese Position neu geschaffen, um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.
Dorothea Brons
Seit Januar 2022 leitet Dorothea Brons als CIO die IT-Geschicke am Hamburg Airport. Sie ist zugleich Geschäftsführerin der IT-Tochter AIRSYS.
Frank Winkenwerder
Frank Winkenwerder ist seit Mitte Dezember 2014 Leiter des Zentralbereichs Informationssysteme der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Er war davor Leiter der Containerinformationssysteme bei HHCT, verantwortlich für die strategische Gestaltung der IT-Landschaft für das Segment Container. Von 1987 bis 2006 arbeitete Winkenwerder bei einem System- und Softwarehaus, seit 1999 als verantwortlicher Projektbereichsleiter für die Logistikbranche.
Michael Lütjann
Die Nagel-Group ernannte zum 1. Oktober 2019 Michael Lütjann zum Chief Information Officer (CIO). Er berichtet an den CEO der Nagel-Group Carsten Taucke. Zuletzt war Lütjann vier Jahre lang CIO bei Imperial Logistics International. Davor hat der 50-jährige fünf Jahre als Senior Vice President IT Management Logistics bei Schenker die globale IT Organisation verantwortet. Im Lauf seiner Karriere hat er zudem mehr als zwölf Jahre lang die IT der Fiege Gruppe in diversen Verantwortungsbereichen geprägt, zuletzt als CIO.
Bernhard Götze
Bernhard Götze ist seit Februar 2022 Vice President IT beim Kreuzfahrtanbieter AIDA Cruises in Rostock, der deutschen Niederlassung von Costa Crociere S.p.A.
Martin Kolbe
Martin Kolbe übernahm im November 2005 die CIO-Position beim Schweizer Logistikkonzern Kühne + Nagel. Zuvor arbeitete Kolbe bei der Deutschen Post World Net, wo er Bereichsvorstand und CIO der DHL Express Deutschland war.
Pieter Jordaan
Nach dem Ausscheiden von IT-Vorstand Frank Rosenberger hat der Touristikkonzern TUI die CIO-Position zum 1. Januar 2023 mit Pieter Jordaan besetzt.
Hans Fabian
Hans Fabian ist seit Januar 2017 als CIO für das Hotelvergleichsportal HRS in Köln tätig. Zuvor war Fabian CIO bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa Holding AG in Wiesbaden. Über zehn Jahre hat Fabian davor im Bereich IT-Management bei Deutsche Post DHL in Bonn gearbeitet, zuletzt als Vice President.
Hanna Huber
Hanna Huber hat die Branche gewechselt. Die Ex-CIDO des Modehändlers Calida stieg im April 2024 beim Reiseunternehmen Flix ein.
Björn Richter
Björn Richter ist CIO von DPD Deutschland. Er kam vom Paketdienst GLS. Sein Vorgänger Dirk Tiemann bleibt als Director IT bei DPD.
Hanno Boekhoff
Hanno Boekhoff ist seit Oktober 2017 neuer IT-Leiter bei der Reederei Hamburg Süd. Sein genauer Titel: Global Head of Information Technology & Services (ITS). Vor seiner Tätigkeit für die Hamburg Süd war Boekhoff in verschiedenen Bereichen der IT als Berater und als Manager tätig.
Ralf Morawietz
CIO beim Logistikdienstleister Panalpina mit Sitz in Basel ist ab Juli 2015 Ralf Morawietz. Er startete seine Karriere als IT-Experte 1998. Im Jahr 2002 kam Morawietz zu Deutschen Post, wo er verschiedende Management-Aufgaben wahrnahm. Im Januar 2010 wechselte Morawietz als Mitglied des nationalen IT Managementeams des Logistikers Kühne + Nagel. Zuletzt war er dort Senior Vice President Global IT Products.
Carsten Bernhard
Carsten Bernhard ist seit September 2016 Group CIO/CTO beim E-Commerce-Anbieter eDreams Odigeo mit Sitz in Barcelona. Er kommt von der TUI Deutschland, wo er seit August 2013 IT-Chef war. Zu eDreams Odigeo gehören die Marken eDreams, Opodo, Travellink, Go Voyages und Liligo.
Bernd Gemein
Seit 1. September 2018 ist Bernd Gemein neuer CIO für den Unternehmensbereich Post, E-Commerce, Parcel (PeP) bei der Deutschen Post DHL. In seiner neuen Funktion ist Gemein Mitglied des Executive Committee PeP. Er berichtet an PeP-COO Tobias Meyer. Gemein hatte seit 2003 bei der Deutsche Post DHL diverse Funktionen in den Bereichen IT Development und IT Customer Integration inne. Seit 2013 war er Geschäftsbereichsleiter IT Service Management PeP.
Alexander Brandmeier
Seit Juni 2019 ist Alexander Brandmeier neuer Leiter Informationstechnologie/CIO bei der DB Energie GmbH, dem Energieversorger der Deutschen Bahn AG in Frankfurt am Main. Zuvor war Brandmeier Leiter Architekturmanagement und Unternehmensarchitekt im Unternehmensbereich der Deutsche Bahn Fernverkehr AG.
Andreas Hamprecht
Seit August 2018 ist Andreas Hamprecht Leiter IT und CIO bei DB Regio und in Personalunion weiter Leiter Geschäftsentwicklung Schiene. Hamprecht ist seit März 2017 Leiter Geschäftsentwicklung Schiene bei der DB Regio AG, von 2010 bis 2017 war er Leiter Geschäftsentwicklung bei der DB Station & Service AG. Im DB-Konzern ist er bereits seit 2001 beschäftigt, mit bisherigen Funktionen in der Konzernstrategie, im internationalen Fernverkehr sowie beim Bahnhofsbetreiber DB Station & Service.
Falko Hagebölling
Falko Hagebölling ist seit Januar 2019 Senior Director Product Development & IT bei der Lufthansa-Tochter Miles & More GmbH in Frankfurt am Main. Der promovierte Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik war bei Miles & More zuletzt seit Mai 2016 als Director Product Delivery für Projekt-, Portfolio- und Prozessmanagement verantwortlich. Im Juli 2018 übernahm er zusätzlich interimsweise die Funktion als Director IT.
Sami Awad-Hartmann
Sami Awad-Hartmann hat im März 2019 die Position des CIOs bei der Spedition Hellmann übernommen. Er war bereits von 2008 bis 2016 in verschiedenen führenden Positionen in der IT bei Hellmann tätig. Zuletzt war er stellvertretender Leiter IT global. Im Oktober 2016 hatte Awad-Hartmann die Spedition verlassen und war in das familiäre Geschäft im Fleischhandel bei Global Meat in Münster mit eingestiegen.
Horst Ulrich Mooshandl
Horst Ulrich Mooshandl ist seit April 2019 neuer CIO der Österreichischen Post. Sein genauer Titel lautet: Leitung Konzern-IT & Konzern-Einkauf. Zuvor schon hatte Mooshandl die Konzern-Einkauf geleitet sowie den Konzern-Fuhrpark gemanagt.

Weil viele Betriebsprozesse aber über mehrere Unternehmen hinweg laufen, muss auch die IT übergreifend funktionieren. Rattey: "Es ist unsere Aufgabe, diese Dinge vor die Klammer auf die Gruppenebene zu ziehen. Damit stellen wir sicher, dass solche Verbundprozesse übergreifend funktionieren."

Die Bahn-IT nutzt etwa ein großes SAP R/3-System in der Instandhaltung. Diese Lösung wird übergreifend gesteuert, inklusive der Logistik, um die Teile zu besorgen. "Nur über die Gesamtbetrachtung können wir hier einen Nutzen erzeugen," urteilt der IT-Chef.

Herausforderung Pünktlichkeit

Ein weiteres Beispiel für übergreifende IT dreht sich um das leidige Thema Pünktlichkeit. "Ein großer Treiber für Pünktlichkeit sind Bauarbeiten," sagt Rattey. Baustellen etwa werden von der DB Netz gesteuert. Deren Auswirkungen erlebt der Fahrgast aber mit Transportunternehmen wie DB Regio dem Fernverkehr oder einem externen EVU. "Um Verspätungen zu vermeiden, müssen hier Daten übergreifend fließen," betont der CIO.

Einen Einsatzplan zu erstellen, dauert Wochen. Wird nun eine Baustelle zu kurzfristig angekündigt, greifen die Prozesse nicht mehr. Dann muss ein Ersatzfahrplan erstellt werden, das Risiko für Unpünktlichkeit steigt.

Darum misst die Bahn Pünktlichkeit an vielen verschiedenen Stellen. Messpunkte sind etwa die Ankunft am Bahnsteig, das Verlassen des Werks oder die Fahrtdauer bis zum Einsatz. Diese Daten betreffen mehrere Geschäftsfelder.

Das Team um Rattey hat dazu ein intelligentes System zum Datenaustausch entwickelt: Den "Verbund-Ereignisbroker". Alle Beteiligten können über Mobilgeräte auf die Informationen zugreifen und sehen, was sie tun können, um den Prozess zu beeinflussen.

Das Management nutzt die Daten, um strukturelle Schwachstellen ausfindig zu machen. Das können etwa zu wenig Gleise oder ein ungünstig aufgebauter Fahrplan sein.

Im "Systemverbund Bahn" sind alle Akteure gebündelt, die notwendig sind, um diesen Produktionskreislauf zu bedienen. Das schließt verschiedene Geschäftsbereiche und auch Transporteure ein, die nicht zur Deutschen Bahn gehören.

Vier Hebel für effizientere IT

"Vor einigen Jahren war die oberste Ebene der Bahn-IT eigentlich eine Governance-Organisation, die versucht hat, mit Anweisungen und Richtlinien Dinge zu beschreiben" berichtet Rattey. "Wenn diese zu kleinteilig sind und überhandnehmen, halten sich nicht alle daran."

Um dem entgegenzuwirken, nutzt Rattey vier Hebel. Der erste ist die Geschäftsstrategie, wie oben beschrieben.

Der zweite Hebel ist die Governance, die der CIO schlanker gestaltet: "Wir setzten auf wenige Regeln, die wir gemeinsam leben und konsequent durchsetzen." Das zeigte sich, als im Dezember 2021 die Log4j-Schwachstelle bekannt wurde. "Da bei nur einer Lücke der gesamte Verbund gefährdet wäre, war es meine Aufgabe, sicherzustellen, dass alle Geschäftsbereiche schnell handeln," erinnert sich Rattey.

Also gab er die Order heraus: wer nicht innerhalb von 48 Stunden alle "internetzugewandten" Systeme patcht, muss offline gehen. "Das haben wir mit den CIOs und CISOs der Geschäftsfelder professionell durchgesteuert und es hat auch keinen Widerspruch von einem Konzernvorstand gegeben. Alle haben mitgezogen, da bin ich schon etwas stolz drauf," so der IT-Chef.

SAP S/4HANA - Prozesse statt Technik

Der dritte Hebel liegt in der Gestaltung und Umsetzung. Die IT soll gemeinsam mit dem Business Dinge verändern. Dazu zählt der erwähnte Verbund Ereignisbroker oder die AI Factory. (Lesen Sie dazu auch "Die Deutsche Bahn löst Probleme mit KI")

Das größte Thema ist für Rattey jedoch der Wechsel zu SAP S4/HANA: "Am Anfang wurde das Projekt eher technisch gesehen, aber für mich ist das Business-Transformation." Es ging für ihn nicht nur um einen Release-Wechsel, sondern darum, Prozesse zu verändern und konzernübergreifend zu gestalten.

Dieses Vorhaben stemmte das IT-Team in drei Blöcken: Der erste umfasst Finanzen, Beschaffung und Controlling. Der zweite ist die Fahrzeuginstandhaltung. Der dritte Block zielt darauf, technische Anlagen wie Weichen und Stellwerke zu verwalten. Um diese Prozesse zu verändern, muss die Bahn in allen Geschäftsfeldern analysieren, welche Abläufe sich standardisieren lassen und wie sich dies mit einem SAP-Produkt lösen lässt.

11 Tipps für besseres Change Management
Klar definieren, wer jetzt was zu tun hat
Mit dem Change geraten Zuständigkeiten und Rollen ins Fließen. Von Tag Eins an muss jeder Mitarbeiter wissen, was er jetzt im Moment zu tun hat. Bis sich das ändert und eine neue Ansage kommt.
Die Aufgaben nur skizzieren
Wer seine Mitarbeiter mitgestalten lässt, erreicht mehr. Deshalb ist es ratsam, eine grobe Skizze des Veränderungsprojektes zu zeichnen und das Team Vorschläge zur Ausarbeitung machen zu lassen, als einen schon komplett ausgereiften Plan zu präsentieren.
Die Team-Perspektive einnehmen
Wie betrifft der Change die Team-Mitglieder, was bedeutet die Initiative aus ihrer Sicht – wer diese Perspektive einnimmt, hat die Mitarbeiter auf seiner Seite.
Erfahrungen teilen
Erfahrungen teilen: Soweit möglich, sollten Mitarbeiter an konkreten Aktivitäten wie etwa Besuchen beim Kunden teilnehmen. Je näher sie den Change miterleben, umso besser.
Fragen zulassen
Fragen, die aus dem Team kommen, dürfen nie als Widerstand gelten. Ganz im Gegenteil. Ein Chef, der Fragen zulässt und sie beantwortet, kann schneller Teilverantwortungen an die Mitarbeiter übertragen.
Die Wirtschaftlichkeit darstellen
Neben viel Kommunikation mit dem Team geht es auch darum, Metriken und Kennzahlen für das Veränderungsprojekt zu entwickeln und diese deutlich zu machen.
Wissen, wo der Fokus ist
Innerhalb eines Changes ist viel Kleinteiliges zu klären und zu organisieren. Der Fokus darf darüber nicht vergessen werden. Regelmäßige Treffen müssen sich immer wieder auf diesen Fokus beziehen, eindeutige Metriken müssen deutlich machen, wo das Team gerade steht.
Teilziele updaten
Nicht jeder Meilenstein wird so zu erreichen sein wie ursprünglich geplant. Es ist daher wichtig, gemeinsam mit dem Team Teilziele regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen.
Sich abstimmen
Gemeinsame Kalender für das Veränderungsprojekt und gemeinsam entwickelte Guidelines, die die Prioritäten festlegen: Das sind gute Wege, um die Arbeit der einzelnen Team-Mitglieder immer wieder aufeinander abzustimmen.
Commitment organisieren
Wer übernimmt die Verantwortung wofür und wie regelt das Team, dass diese Verantwortlichkeiten auch konkret ausgeführt werden? Solche Fragen sind gemeinsam zu klären. Die einzelnen Mitarbeiter müssen wissen, welchen Teil sie übernehmen, und sie müssen konkret formulieren können, was sie dafür von ihrem Chef brauchen.
Den Change in seine Geschichte einbinden
Das Team muss wissen, an welche früheren Punkte im Unternehmen der jetzige Change anknüpft und welche zukünftige Richtung sich damit abzeichnet.

Darum haben solche Projekte bei der Bahn stets eine Doppelspitze. Zum einen gibt es eine Person mit IT-Hintergrund für die technische Projektleitung. Zum anderen ist ein Mitarbeiter für die fachliche Projektleitung als Business Owner gesetzt, der die Sprache des Business spricht. Diese Person soll verstehen, wie Geschäftsprozesse funktionieren und darüber hinaus Durchsetzungskraft mitbringen.

"Es geht darum, gemeinsam etwas zu gestalten, statt gegeneinander zu arbeiten," kommentiert der CIO das SAP-Projekt. Entweder müsse der Prozess an das IT-System angepasst werden oder andersherum. "Man muss immer beides betrachten und um die beste Lösung ringen. Das bilden wir mit der Doppelspitze ab," so Rattey.

Pitchen um Budget

Um übergreifende Projekte zu finanzieren, hat der IT-Chef auch die Verteilung von Finanzmitteln verändert. "In der frühen Phase der Budgetgestaltung hat die Vorstandsebene im letzten Jahr entschieden, einen Geldbetrag zentral zu reservieren, statt top-down je Sparte Ressourcen zu allokieren," berichtet Rattey.

Für diesen dreistelligen Millionenbetrag wurde ein Pitch-Prozess ins Leben gerufen. Dabei kann sich jedes Geschäftsfeld mit Projekten bewerben, die auf mehr Pünktlichkeit für den Systemverbund Bahn einzahlen. Die vielversprechendsten Vorschläge werden in das Portfolio aufgenommen.

IT als "Go-To-Organisation"

Der vierte Hebel beschäftigt sich mit IT-Services. Darunter fallen etwa die Bürokommunikation mittels Microsoft 365 oder das Cyberabwehrzentrum. Rattey: "Diese Dienste können wir zentral besser und professioneller bereitstellen. Zudem ist es bezüglich der Kosten und benötigten Ressourcen effizienter."

Die Geschäftsbereiche sind laut dem CIO jedoch nicht verpflichtet diese übergreifenden Services zu nutzen - mit Ausnahme der Cybersecurity und der oben beschriebenen Lösungen für den Verbund. Dieser Freiraum steigere die Akzeptanz. "Es ist meine Aufgabe etwas anzubieten, das die Sparten gerne nutzen, anstatt etwas aufzuzwingen" so Rattey.

"Wir wollen, dass die Geschäftseinheiten von sich aus zur Konzern-IT kommen, weil sie glauben, dass wir etwas können, was sie alleine mit ihren Kapazitäten so nicht schaffen," so der CIO. Dieses Ziel wurde unter anderem durch die schlankere Governance erreicht. Die IT sei kein Verhinderer mehr, der zahllose Richtlinien vorgibt, sagt Rattey. Stattdessen werde sie als Enabler wahrgenommen. Zudem helfe der Pitch-Prozess um IT-Budgets dabei, Vertrauen in den Geschäftsfeldern aufzubauen, dass IT tatsächlich Business-Probleme löst.

Im CIO- und CDO-Board will Rattey ebenfalls Abläufe verändern. Er ordnet die Mitglieder des Gremiums nach Themenblöcken wie Architektur, Portfolio oder Security. Jeder Block ist mit einer Doppelspitze aus dem Geschäftsbereichs-CIO und jemandem aus Ratteys zentralem Team besetzt. "Ich erwarte, dass die beiden als Team agieren, sodass IT und Business an einem Strang ziehen, statt gegenseitig Bedenken zu äußern," sagt der IT-Chef.

Am Ende geschehe Digitalisierung aber in der Fläche, resümiert der CIO: "Wir müssen als IT im Grunde Strukturen aufbauen, die unser Personal und unsere Kunden unterstützen. Und wir müssen ihnen eine Stimme geben, um zu erfahren, ob wir dabei Erfolg haben."