Agentur für Arbeit

CIO Markus Schmitz fordert mehr IT-Eigenleistung

30.08.2022 von Horst Ellermann
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will mehr IT-Aufgaben selbst erledigen. Wollte sie 2012 schon mal. CIO Markus Schmitz erklärt, warum die alte Idee nicht funktioniert hat. Und warum es diesmal klappen muss.
Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit, will insgesamt 600 zusätzliche Stellen in fünf Tranchen genehmigen lassen.
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Im Jahr 2012 stand die Zahl erstmals im Raum: 80 Prozent der IT-Aufgaben sollten inhouse erbracht werden, postulierte der damalige CIO Klaus Vitt. Dann kam die Flüchtlingskrise - und mit ihr jede Menge neue Arbeit, auf die in Nürnberg niemand vorbereitet war. Die BA-Spitze musste eingestehen, dass das eigene Team die neuen Aufgaben unmöglich allein lösen konnte. Fazit: Die "Eigenerbringungsquote", wie es im schönsten Nürnberger Arbeitsamt-Sprech heißt, stieg nie. Im Gegenteil: Sie sank auf 52 Prozent - zuletzt 2019 gemessen. Vitts Nachfolger Markus Schmitz sieht zwei Gründe.

Zum einen seien die Anforderungen an die BA stetig gewachsen: 113.200 Mitarbeitende generieren an 1.600 Standorten 2.400 fachliche Änderungen pro Jahr. Dazu kommen 10.000 technische Änderungen, die sich etwa aus den gestiegenen Sicherheitsanforderungen ergeben. Eine der größten IT-Landschaften im öffentlichen Raum Europas wird also ständig umgemodelt - und wächst: Neben den eigenen Mitarbeitenden greifen auch Kolleginnen aus kommunaler Verwaltung und von Bildungsstätten auf die IT der BA zurück. "Wir betreuen 175.000 PCs", sagt Schmitz, "nebst Netzen und drei Rechenzentren."

Bottom-up statt top-down

Zum anderen sei aber auch der Ansatz von 2012 heute neu zu denken, meint Schmitz: "Die 80-zu-20-Prozent-Ansage von 2012 war top-down", sagt der CIO. Sie hätte über alle Systeme gelten sollen. "Das geht aber gar nicht", sagt Schmitz. Die Systeme seien viel zu unterschiedlich. Im ersten Halbjahr 2021 hat der neue CIO deshalb den Bottom-up-Ansatz gewählt und bei einer Vollerhebung im Systemhaus der BA gefragt: "Wo sind wir überhaupt eigenleistungsfähig?" Und: "Wo ist Eigenleistung erstrebenswert?"

Die IT-Chefs der Bundesländer
Markus Richter, Bundes-CIO
BAMF-Vizepräsident Markus Richter ist Bundes-CIO. Er löste Klaus Vitt ab, der Ende April 2020 in den Ruhestand ging.
Christian Pfromm, CDO von Hamburg
Christian Pfromm ist seit Januar 2018 neuer CDO der Stadt Hamburg Sein genauer Titel lautet: "Chief Digital Officer / Leiter des Amtes für IT und Digitalisierung". Der CDO berichtet an den 1. Bürgermeister der Stadt Hamburg und an den Chef der Senatskanzlei. Zuvor war Pfromm von Juni 2011 bis Dezember 2017 Group CIO der BHF-Bank AG. CIO Jörn Riedel berichtet an ihn.
Andreas Meyer-Falcke, Beauftragter der Landesregierung NRW für Informationstechnik (CIO)
Der langjährige nordrhein-westfälische Landes-CIO Hartmut Beuß verabschiedet sich zum 31. August 2020 in den Ruhestand. Seine Nachfolge im Wirtschafts- und Digitalministerium als Beauftragter für Informationstechnik tritt Andreas Meyer-Falcke an. Meyer-Falcke kommt von der Landeshauptstadt Düsseldorf, wo er seit August 2012 als Beigeordneter für die Bereiche Personal, Organisation, IT, Gesundheit und Bürgerservice tätig ist. In der Rolle trägt er unter anderem die Verantwortung für die Digitalisierung der Kommunalverwaltung.
Bernd Schlömer, Landes-CIO von Sachsen-Anhalt
Bernd Schlömer ist seit Oktober 2021 CIO des Landes Sachsen-Anhalt. Er folgte auf Rüdiger Malter, der das Amt seit April 2020 innehatte.
Fedor Ruhose, Landes-CIO von Rheinland-Pfalz
Staatssekretär Fedor Ruhose (SPD) verantwortet als CIO und CDO die IT und digitale Transformation des Landes Rheinland-Pfalz.
Hartmut Schubert, CIO in Thüringen
Hartmut Schubert ist seit Dezember 2014 Staatssekretär im Thüringer Finanzministerium. Der Titel CIO kommt in der „Richtlinie für die Organisation des E-Government und des IT-Einsatzes in der Landesverwaltung des Freistaats Thüringen“ nicht vor. Dennoch erfüllt Schubert, der Beauftragte des Freistaats Thüringen für E-Government und IT, genau die Aufgaben und die Funktion des CIO. Mit dem Kabinettbeschluss der Richtlinie vom 7. Juli 2015 erhält Thüringen deshalb als letztes Bundesland einen Landes-CIO.
Thomas Popp, Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung als Mitglied der Sächsischen Staatsregierung (CIO)
Im Januar 2020 ernannte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) CIO Thomas Popp zum Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung als Mitglied der Staatsregierung (CIO). Popp war bisher Landes-CIO in Sachsen.
Ina-Maria Ulbrich, Staatsekretärin, Mecklenburg-Vorpommern
Ina-Maria Ulbrich ist seit November 2016 Staatsekretärin im neu geschaffenen Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern. Aus "Landesentwicklung" wurde nun "Digitalisierung". Die Juristin wurde 2002 Regierungsrätin und Referentin im Umweltministerium, beim Landkreis Ostvorpommern und im Wirtschaftsministerium. Von 2006 bis 2008 leitete sie das Büros des Ministers für Verkehr, Bau und Landesentwicklung, von 2008 bis 2011 war Ulbrich Leiterin des Büros des Ministerpräsidenten. Ulbrich vertritt das Land auch im IT-Planungsrat.
Ralf Stettner, CIO in Hessen
Ralf Stettner ist Chief Information Officer und Bevollmächtigter der Hessischen Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie (CIO) und folgt damit Patrick Burghardt, der im Januar 2024 das Amt des Oberbürgermeisters von Rüsselsheim übernahm. Stettner hatte von Ende 2018 bis Anfang 2024 die Position des Chief Information Security Officers (CISO) in der hessischen Landesverwaltung inne und war Leiter der Abteilung Cyber- und IT-Sicherheit und Verwaltungsdigitalisierung im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport.
Stefan Krebs, CIO in Baden-Württemberg
Seit dem 1. Juli 2015 leitet Stefan Krebs die IT-Geschicke des Landes Baden-Württemberg als Beauftragter der Landesregierung für Informationstechnologie (CIO/CDO). Der Diplom-Verwaltungswirt kennt sich mit Banken und IT-Sicherheit aus. Zu seinen ersten Aufgaben gehörte die Feinplanung für die schrittweise Bündelung der bisher dezentralen IT-Einheiten der Landesverwaltung.
Sven Thomsen, CIO von Schleswig-Holstein
Seit Mitte Juli 2013 lenkt Sven Thomsen als CIO des Landes Schleswig-Holstein die Geschicke des Zentralen IT-Management Schleswig-Holstein (ZIT-SH). Im ZIT-SH sind die Aufgaben der ressortübergreifenden IT- und Finanzensteuerung für alle Fragen der Informations- und Kommunikationstechnologie zentralisiert. Wie auch in Hamburg ist Sven Thomsen nicht Staatssekretär und gehört nicht dem IT-Planungsrat an. Im IT-Planungsrat wird Schleswig-Holstein durch Knud Büchmann, Beauftragter der Landesregierung Schleswig-Holstein für Zentrale IT-, Organisations- und Personalentwicklung vertreten. Seit Mitte 2017 ist Thomsen an das neue Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) angedockt.
Elena Yorgova-Ramanauskas, CIO im Saarland
Elena Yorgova-Ramanauskas, ist seit Juni 2022 Chief Digital Officer (CIO) im Saarland. Seit 2022 ist sie Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie.
Judith Gerlach, Staatsministerin für Digitales in Bayern
Die Landtagsabgeordnete und Rechtsanwältin Judith Gerlach (CSU) ist seit November 2018 Staatsministerin für Digitales in Bayern. Das Ministerium wurde neu geschaffen. Das neue Staatsministerium übernimmt die Grundsatzangelegenheiten und die Koordinierung der Digitalisierung Bayerns, die bisher bei der Staatskanzlei angesiedelt waren. Das Ministerium soll sich außerdem um die strategischen Fragen der digitalen Verwaltung kümmern.
Jörn Riedel, CIO von Hamburg
Seit 2008 hat Hamburg einen CIO. Den Posten hat seitdem Jörn Riedel inne. Angesiedelt ist er bei der Finanzbehörde der Hansestadt. Beim dortigen Amt für Organisation und Zentrale Dienste ist Riedel Abteilungsleiter für E-Government und IT-Steuerung. Anders als in anderen Bundesländern ist CIO Riedel nicht Staatssekretär - und gehört nicht dem IT-Planungsrat an. Hamburg vertritt in dem Bund-Länder-Gremium der Staatsrat der Finanzbehörde, Jens Lattmann. CIO Jörn Riedel verantwortet derzeit gleich mehrere übergreifende IT-Projekte in Hamburg.
Cornelius Everding, CPIO von Brandenburg
In Brandenburg fließen die Fäden in IT-Angelegenheiten nicht bei einem CIO zusammen sondern beim CPIO - dem Chief Process Innovation Officer. Mit dieser Bezeichnung soll die Orientierung an Prozessen betont werden, sagte gegenüber CIO.de Cornelius Everding, der das Amt seit seiner Schaffung im August 2008 innehat. Everding sieht sich nicht als alleine für IT zuständig an, sondern setzt auf einen Dreiklang: Mit dem CPIO kümmern sich um IT-Themen der zentrale IT-Dienstleister von Brandenburg und der sogenannte RIO-Ausschuss, die Runde der Ressort Information Officers. Aktuelles Thema ist das Forschungsprojekt "Stein-Hardenberg 2.0". Der Bund, Hamburg und Berlin, der öffentlich-rechtliche IT-Dienstleister Dataport und das Potsdamer Institut für E-Government bearbeiten die Frage, wie sich das Gemeinwesen mit modernen Werkzeugen organisieren lässt. Den CPIO hat Brandenburg beim Innenministerium angesiedelt. Amtsinhaber Everding ist nicht Staatssekretär, weshalb er - wie Kollegen aus anderen Ländern - nicht im IT-Planungsrat sitzt. Dort spricht Innenstaatssekretär Rudolf Zeeb für das Bundesland.
Hans-Henning Lühr, Staatsrat im Bremer Finanzressort
In Bremen ist die CIO-Funktion beim Staatsrat des Finanzressorts angesiedelt, Hans-Henning Lühr. Ihm direkt zugeordnet ist die Stabsstelle "Zentrales IT-Management und E-Government", die von Martin Hagen geleitet wird. Ein aktuelles Projekt der Bremer IT ist der einheitliche "Verwaltungs-PC": Ziel ist eine Standardisierung und die Professionalisierung des IT-Supports über alle Dienststellen hinweg. Im IT-Planungsrat vertritt Lühr Bremen.
Horst Baier, CIO von Niedersachsen
Das Land Niedersachsen hat am 20. März 2020 Horst Baier zum IT-Bevollmächtigten ernannt. Formal agiert der 57-Jährige als IT-Bevollmächtigter und leitet die Stabsstelle "Informationstechnik der Landesverwaltung".
Stefan Latuski, CIO der Bundesagentur für Arbeit
Stefan Latuski leitet ab 1. August 2023 als CIO die IT-Geschicke der Bundesagentur für Arbeit - zunächst kommissarisch.

Rund 20 bis 25 Prozent der Mitarbeitenden steuern derzeit die IT-Anbieter, schätzt Schmitz. Und Hans-Jürgen Klement, Bereichsleiter für die Steuerung der IT, ergänzt: "Wir wollen einen Vendor-Lock-in auf jeden Fall vermeiden." Von den drei Rechenzentren soll deshalb auch keins von Dienstleistern gesteuert werden. Das kleinste davon dient als Entwicklungsplattform in Nürnberg. Die beiden anderen sind gespiegelte Data Center, in denen auch die "klassischen Leistungsverfahren" laufen. "Von der Kritikalität stehen die ganz oben", sagt Schmitz: "Wenn da etwas schiefläuft, also Zahlungen ausbleiben, stehen nach wenigen Stunden die Kunden bei Olaf Scholz auf der Matte."

Komplexe IT: Die Bundesagentur für Arbeit betreibt drei Rechenzentren und rund 175.000 PCs.
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Bei den 9.000 Servern in den eigenen Rechenzentren ist, entgegen dem Trend, aktuell also kein Outsourcing angedacht. Selbst, wenn Schmitz und Klement wollten, sie könnten auch gar nicht ohne Weiteres auslagern. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sprechen mit, was wirklich raus kann. Und das ist nach dem Schrems-II-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. Juli 2020 nicht viel. Schmitz glaubt auch nicht, dass sich am Datenexport in Drittländer noch viel ändert: "Wir gehen nicht davon aus, dass es noch ein Abkommen zwischen den USA und der EU gibt."

Ohne IT kein Kindergeld

Hinter "klassischen Leistungsverfahren" verbergen sich so Dinge wie der "Kinderzuschlag", bei der die BA errechnet, wieviel Zuschlag zum Kindergeld den Arbeitslosen zusteht. "Das ist von der Komplexität kaum zu toppen", sagt Schmitz. Und natürlich hat kein klassischer Softwareanbieter Interesse, ein "Kinderzuschlag-Modul" ins Portfolio aufzunehmen. Der Markt ist ausgesprochen übersichtlich: Gibt es außer Dänemark, Schweden und Norwegen noch einen Sozialstaat in der Welt, der an einer derartigen Lösung interessiert sein könnte?

Die Kindergeldsoftware haben die Mitarbeitenden der BA folglich selbst programmiert - mit Hilfe von Accenture und Capgemini. Accenture wirbt sogar damit, die weltweit einzigartige Lösung geschaffen zu haben. Schmitz und Klement sagen, dass im Bereich Leistungssoftware für Hartz 4 die meisten Mitarbeitenden noch selbst programmieren können - ganz anders als am anderen Ende des IT-Service-Katalogs: Den User Helpdesk lässt die BA von 60 Mitarbeitenden eines extern Dienstleisters erledigen. "Da gibt es Zeiten mit vielen Anrufen, Zeiten mit wenigen, das kann ein Dienstleister immer besser", sagt Schmitz.

Vorstand und Verwaltungsrat, also der Aufsichtsrat der BA, haben einen weiteren Ausbau der Eigenleistung bereits im Mai beschlossen. Schmitz hatte erklärt, dass Eigenleistung zwingend nötig sei, um die IT schneller und sicherer zu machen: "Da ticken wir nicht anders als Daimler oder Volkswagen." 100 zusätzliche Stellen für die "kritikalen" Anwendungen sind genehmigt. Die Rekrutierung läuft bundesweit, nicht bloß in Nürnberg. "Die klassische Stallhaltung hat sich überlebt", sagt Schmitz: "80 Prozent unserer Entwickler arbeiten jetzt zeitweise remote - manchmal ist es aber schon noch sinnvoll, die Leute zusammenzurotten."

Insgesamt wollen Schmitz und Klement 600 zusätzliche Stellen in fünf Tranchen genehmigen lassen. Rund 40 Millionen Euro jährliche Einsparungen im Sachhaushalt haben sie dem Aufsichtsrat dafür in Aussicht gestellt. Nächster Milestone: Im November 2022 beschließt der Bundestag den neuen Haushalt. Dann zeigt sich, ob die Abgeordneten der BA das Selbermachen auch zutrauen.

Die Bundesanstalt für Arbeit - Eckdaten