Hohe Fluktuation auf dem Posten des IT-Chefs

CIOs auf dem Schleudersitz

27.08.2008 von Nicolas Zeitler
Die Zahl der CIOs, die ihren Stuhl räumen müssen, scheint zu steigen. Zumindest beobachtet CIO.com das für die USA. Eine der Ursachen für das rege Stühlerücken sieht die Fachwelt darin, dass die Geschäftsführungen neue Anforderungen an die IT haben, denen womöglich eine neue Generation von CIOs besser gerecht wird.

Ganz neu ist die Beobachtung nicht: Schon seit es CIOs gibt, wird immer wieder behauptet, dass die IT-Chefs häufiger gefeuert werden als ihre Kollegen mit einem "C" im Titel - etwa CFO oder COO. Das schreibt in ihrem Blog Abbie Lundberg, die Chefredakteurin unserer amerikanischen Schwesterpublikation CIO.com. Sie sieht nun Anzeichen dafür, dass die Fluktuation auf der Stelle des CIOs in der letzten Zeit tatsächlich zunimmt.

Bösartig wurde die Abkürzung CIO in den frühen 90ern oft mit "Career Is Over" - die Karriere ist vorbei, erklärt, wie Lundberg in ihrem Blog schreibt. Lange Zeit geisterte in der Branche das Gerücht umher, die durchschnittliche Amtszeit eines CIO betrage nur zweieinhalb Jahre. CIO.com und das Magazin HR Executive gingen dieser Zahl 1996 in einer großen Studie nach und fanden heraus, dass IT-Manager mit durchschnittlich 4,9 Jahren nur wenig kürzer im Amt sind als andere Führungskräfte. Außerdem zeigte die Umfrage, dass die meisten nicht gefeuert wurden sondern ihren Posten von sich aus räumten, um eine andere Stelle anzutreten.

Dieser Tage scheinen sich die Verhältnisse allerdings zu ändern. Lundbergs für Personalmeldungen zuständige Kollegin registriert eine steigende Zahl von Auswechslungen auf den Führungsebenen. Ein Gespräch mit dem IT-Berater Bruce Rogow habe ihre Beobachtung bestätigt, so die Chefredakteurin. Rogow arbeitet seit 40 Jahren in der Beratung und besucht nach Angaben von Lundberg jedes Jahr mehrere hundert CIOs.

Vor kurzem schien es, als breche sein Netzwerk regelrecht zusammen. 60 Prozent von Rogows Kontakten arbeiteten plötzlich nicht mehr auf ihrer bisherigen Stelle. In den Vorjahren registrierte der Berater hingegen stets Fluktuationsraten zwischen fünf und zehn Prozent. Zu einem Teil konnte Rogow den massenhaften CIO-Austausch mit der Altersstruktur seiner Bekannten erklären: Einige gingen in Rente. Allerdings längst nicht genug, um die hohe Rate zu erklären.

Was war geschehen? Lundberg konfrontierte Personalberater mit der Beobachtung. Auch sie hatten einen Aufwärtstrend festgestellt. Zwar keinen so starken wie Rogow, doch erklärten die Headhunter das damit, dass viele Stellen intern nachbesetzt würden und deshalb in der Statistik von Personalberatungen gar nicht auftauchten. Als Berater Rogow CIOs nach den Gründen für ihr Ausscheiden fragte, bekam er nicht selten zu hören, die Geschäftsleitung habe gewechselt und stelle nun völlig neue Anforderungen an die IT.

IT muss zum Wachstum beitragen

Die CEOs sehen die Informationstechnologie Rogows Gesprächspartner zufolge offenbar immer öfter als die Quelle, aus der sie das Wachstum des Unternehmens speisen können. Was das für den IT-Betrieb bedeutet, wissen die meisten indes nicht wirklich. Sie wollen schnellere IT-Services bei gleichzeitig rapide sinkenden Kosten. Sie fordern Umstrukturierungen, erwarten Sicherheit, Flexibilität und Zuverlässigkeit.

Vielen CIOs gehe es vor diesem Hintergrund so, als ob sie am Ufer stünden und einen Tsunami auf sich zurollen sähen, erklärte Rogow Lundberg. Wie die IT-Chefs darauf reagierten sei ganz unterschiedlich. Die einen versuchten, wie bisher weiterzuarbeiten und neue Anforderungen einzeln wie Fliegen totzuklatschen. Solche CIOs sitzen Rogow zufolge auf einem wackligen Stuhl.

Veränderung um jeden Preis

Eine zweite Gruppe von IT-Führungskräften versuche, einen möglichst objektiven Blick auf die Dinge zu gewinnen und arbeite hart daran, sich auf neue Herausforderungen einzurichten. Der dritten Gruppe schließlich gehe um Veränderung um jeden Preis. Diese Manager wüssten, dass sie eingestellt wurden, um anders zu arbeiten als ihr Vorgänger. Vor diesem Hintergrund schössen allerdings viele über das Ziel hinaus und träfen Entscheidungen, deren Folgen sie nicht wirklich einschätzen könnten.

Leser von CIO.com reagieren gemischt auf die Beobachtungen und Hinweise von Lundberg und Rogow. So verweist etwa ein Kommentator in seiner Antwort auf Lundbergs Blog-Eintrag auf die allgemeine Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten. Dass so viele CIOs ihren Posten räumen müssen, muss ja gar kein IT-spezifisches Phänomen sein, sondern könne auch mit dem Abschwung zu tun haben.

Auch Lundberg sieht darin eine von mehreren möglichen Ursachen. Erst kürzlich habe sie von einem CIO gehört, in dessen Unternehmen die Zahl der Manager auf der C-Ebene aus Effizienzgründen von elf auf fünf reduziert wurde. Ein anderer Leser merkt an, die IT sei schon immer einer der Bereiche gewesen, in denen Unternehmen am stärksten versuchten, Kosten zu senken.

Generationswechsel gefordert

Zum Jammern keinen Anlass sieht indes Jim Anderson von Blue Elephant Consulting in seinem Kommentar. "Vielleicht sollten wir uns eher über das Anbrechen eines neuen Zeitalters freuen", meint der Berater. Heutzutage sei die IT-Abteilung in den meisten Firmen noch eine Insel, die kaum mit dem Rest des Unternehmens verbunden sei. CIOs, die ihre Jahresziele nur anhand von Phrasen wie "Cloud Computing" oder "Virtuelle Welten" aufstellten, hätten auf ihrem Posten nun einmal keine Existenzberechtigung. Sei erst einmal eine neue Generation von CIOs angekommen, die verstanden hätten, dass sie nicht auf einer Insel lebten, werde die Fluktuation merklich sinken, ist Anderson überzeugt.

Auch der langjährige CIO und Autor Mark Cummuta heißt einen Generationswechsel willkommen, auch wenn er sich diesen weniger radikal wünscht als von Jim Anderson vorgeschlagen. Die ältere Garde von IT-Managern tue jedoch gut daran, sich Richtung Mentoring zu bewegen, um dem Nachwuchs beim Weg auf das verminte CIO-Terrain zu helfen. Die IT müsse das Geschäft künftig noch deutlich besser verstehen als es heutige CIOs oft könnten.

Der CIO muss Visionär sein

Auch ein alter Haudegen sei indes noch lernfähig, meint Cummuta. Wer derzeit eine Führungsrolle bekleide, könne manches vom Nachwuchs lernen und diesem gleichzeitig andere Dinge vermitteln.

Einige Leser fordern von CIOs auch eine stärker vorausschauende Haltung. Der CIO solle "Führungsperson und Visionär" sein, meint einer. Jim White, der nach eigenen Angaben seit 50 Jahren im Geschäft ist, kritisiert, CIOs würden zu oft nur Ansichten annehmen, die andere geäußert hätten. Ihre Ideen bezögen die meisten IT-Leiter aus dem Pool dessen, was die Anbieter gerade auf dem Markt feilbieten.

"Aber jemand, der nur Ideen anderer übernimmt, ist immer austauschbar", sagt White. Als ganz so unkreativ wie er wollen andere Nutzer und auch Lundberg das Gros der CIOs allerdings nicht dargestellt wissen. Für frühere Jahre habe das vielleicht zugetroffen, doch heute gebe es viele ideenreiche IT-Chefs, die es nicht selten später auch auf den Posten des CEO schafften.