KRANKENHÄUSER

CIOs ohne Lobby

28.01.2002 von Andreas Schmitz
Zwar läuft ein Drittel aller Prozesse im Krankenhaus über die IT, doch die Verantwortlichen suchen oft vergeblich Anschluss an den Klinikvorstand.

„WAS HABEN SIE MIT MEDIZIN AM HUT?“ Das war die erste Frage, die dem Informatiker Ulrich Dahmann bei seinem Vorstellungsgespräch vor knapp vier Jahren vom Klinikvorstand der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) gestellt wurde – und zugleich Dahmanns wunder Punkt, denn er verfügte über keinerlei Erfahrung in der Medizininformatik. Damals hatte der IT-Manager für Siemens mehrere Großprojekte in der Industrie zu betreuen. Der Klinikvorstand suchte einen neuen IT-Leiter, der die veralteten Systeme im Haus modernisieren, einen Strategen, der Management-Lösungen für den Informationsbereich entwickeln sollte.

An den staatlichen Krankenhäusern hierzulande fließen derzeit nur ein bis zwei Prozent des Umsatzes in die IT-Systeme. Dabei könnte eine größere Effizienz an diesem Punkt die laufenden Kosten um mindestens zehn Prozent drücken. Speziell durch elektronische Beschaffung, so Erkenntnisse aus dem Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU) in Berlin, haben Krankenhäuser bereits bis zu dreißig Prozent weniger Kosten. Von den rund 6,1 Milliarden Euro, die 2200 Kliniken in ganz Deutschland in diesem Bereich ausgeben, könnten so durch E-Procurement etwa 1,2 Milliarden Euro eingespart werden.

Heute ist Dahmann, trotz fehlender Medizinvorbildung, Leiter Organisations- und Informationstechnik am Universitätsklinikum. Die Ulrich Dahmann Unternehmensberatung schloss vor vier Jahren einen Manager-Vertrag mit der Münchner Klinik. Der 44-Jährige hat mittlerweile ein Storage Area Network aufgebaut, über ein Intranet die betriebswirtschaftlichen mit den medizinischen Daten verknüpft, dem Medizinvorstand erklärt, was unter TCO im IT-Bereich zu verstehen ist, die Server auf Linie gebracht und ein User-Helpdesk installiert. Gegen sein Defizit in Sachen Medizin kämpft er dagegen schon lange nicht mehr. Sein Rezept: „Offen sein und auch in die Operationssäle gehen, wenn IT-Prozesse das erfordern. Medizinische Vorkenntnisse sind nicht.“

Manfred Haase, seit zwanzig Jahren auf Krankenhäuser spezialisierter Health Care Partner bei Pricewaterhouse-Coopers(PWC), sieht das ganz ähnlich: „Wichtig ist die Persönlichkeit. Es ist egal, ob sich ein Techniker oder Mediziner auf eine CIO-Stelle bewirbt.“ Flankierende Hilfe bietet PWC dann allerdings in Sachen Management– etwa beim Coaching von IT-Leitern. Für Haase haben Branchenfremde sogar einen Vorteil: „die befreiende Helikopter-Sicht“, wie er es nennt.

Verzweifelt gesucht sind indes oft CIOs, die auch vom Krankenhausvorstand verstanden werden. „Gerade im Senior Management gibt es kaum jemanden, der etwas von IT-Management versteht“, so die Erfahrung von Otto Rienhoff. Der Direktor für Medizininformatik an der Göttinger Uni-Klinik war einer der ersten in Deutschland, der sich für Krankenhaus-CIOs einsetzte. „Dabei gehört das IT-Management zu den Kernkompetenzen einer Klinik. Schließlich haben 30 bis 35 Prozent aller Arbeitsprozesse damit zu tun, Informationen hin und herzu schaufeln.“

Belächelte Berufsbezeichnung

Rienhoff schätzt, dass derzeit nicht mehr als 25 IT-Fachleute im Krankenhaus in Richtung eines CIOs gehen, der einen Platz im Vorstand hat. Er selbst berichtet als IT-Verantwortlicher der Uni-Klinik Göttingen an den Vorstand. „Erst wenn CIOs im Vorstand sitzen, hat die IT den ihr angemessenen Stellenwert“, so seine Überzeugung. Bislang hat das jedoch noch kein IT-Verantwortlicher geschafft; zu dominant ist der medizinische Bereich.

Schon die Berufsbezeichnung CIO ist oft ein Problem.„Wenn ich mich CIO nennen würde, würden meine Kollegen schmunzeln“, sagt etwa Volker Lowitsch, offiziell Direktor des Zentralbereichs für Informationstechnik am Universitätsklinikum Aachen. Lowitsch arbeitete 14 Jahrelang als stellvertretender IT-Leiter beim Karstadt-Konzern, wechselte dann zur Metro-Gruppe in die Schweiz, ehe er als IT-Leiter für den Eisenbahn- und Lichttechnikkonzern Vossloh-Gruppe ein weltweites Kommunikations- und Vertriebsnetz aufbaute – „ein Job mit klassischen CIO-Funktionen“. Doch Lowitsch sitzt nicht im Klinikvorstand. Das ist für den Mathematiker, Physiker und Betriebswirtschaftler kein Problem: „In der Krankenhausbranche gibtes einen starken Bedarf nach IT-Lösungen; der Stellenwert der IT-Fachleute wird steigen.“

„Auch eine Hierarchiestufe tiefer“, so Bernhard Wieser von den Schön-Kliniken, „lässt sich einiges bewegen.“ Seit Anfang letzten Jahres ist der frühere SAP-Manager Leiter des neu geschaffenen Zentralbereichs Informatikund Prozessgestaltung an den privatwirtschaftlichen Kliniken in Prien am Chiemsee. „In drei bis fünf Jahren“,bekundet Wieser, „ist geplant, den CIO in den Vorstand zu berufen.“

Vorbild Privatklinik

Wieser hat Vorteile gegenüber den Kollegen in den staatlichen Häusern: „Wir haben eine Tantiemenregelung in unseren Arbeitsverträgen. Leistung wird belohnt.“ Wenn ein Projekt in einer kritischen Phase ist oder besonders erfolgreich abgeschlossen wurde, versucht Wieser, seine Mitarbeiter zu belohnen – etwa durch außerplanmäßige Abendessen oder Skitouren. „Durch dieses Anreizsystem wickeln wir Projekte erheblich schneller ab, und die Qualität steigt.“

Zudem beträgt sein IT-Budget rund vier Prozent vom Umsatz und ist damit doppelt so hoch wie im staatlichen Sektor. Doch das ist für den 39-Jährigen nicht der entscheidende Grund, in einer Privatklinik zu arbeiten. Die Struktur der Schön-Kliniken ist an die eines Industrieunternehmens angelehnt: Drei Geschäftsführer – ein CFO, ein CTO und ein COO – sitzen im Vorstand. Darunter kümmern sich drei Regional-Manager um den klinischen Bereich, und Wieser ist hier für die Informatik und die Prozesse zuständig. „Wir bilden die OP-Planung wie ein Fertigungsunternehmen in einem Produktionsplanungssystem ab“, erklärt er. „Das ist ein wichtiger Schritt hin zu optimalen Fallkosten.“ De facto kann Wieser einen Patienten als „Einzelfertigung“ behandeln – so makaber das auch klingen mag.

Genau solche Systeme werden mit der Einführung von Diagnosis Related Groups (DRG), der fallbezogenen Abrechnung, die im Oktober letzten Jahres vom Bundestag beschlossen wurde, zwingend. Für die Behandlung eines Beinbruchs, die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks oder eine Dialysebehandlung erhält das Krankenhaus dann einen zuvor fixierten Betrag. Je effizienter also die Strukturen sind, desto größer auch der Umsatz.

Dennoch gibt es keine Patentlösung, mit der Krankenhäuser zu Profit-Centern werden. Nur eines ist klar: Das DRG-Modell erhöht den Bedarf an IT-Technologien und -Personal. Die Universitätsklinik Tübingen beispielsweise setzt auf ein Outsourcing-Modell. Ronald Fröhlich, angestellt bei Siemens Health Services, war zwei Jahrelang CIO des Krankenhauses. Der 33-jährige Physiker, der zuvor beim Medizintechnik-Unternehmen Biotronic an klinischen Studien mitgewirkt hat, berichtete in der Uni-Klinik direkt an den Vorstand.

Kollege Rienhoff aus Göttingen begegnet solchen Outsourcing-Modellen allerdings mit gemischten Gefühlen:„Informationstechnik ist keine outsourcebare Kompetenz.Häuser, die von außen Personen eingekauft und so IT-Positionen besetzt haben, gehen jetzt gerade im Krebsgang zurück und wickeln das wieder ab.“

Fröhlich hat Ende vergangenen Jahres das Klinikum in Tübingen wieder verlassen. Zwar hat er in seinen zwe Jahren verschiedene Projekte angestoßen; doch immer wieder kam es vor, dass er vom Vorstand nur nebenbei über wichtige Projekte informiert wurde, zumal er keine Teilnahmeberechtigung für Vorstandssitzungen hatte. Auch Dahmann kehrt seinem Arbeitsplatz, den Münchner Kliniken in der Innenstadt und in Großhadern, im März den Rücken. Der Manager wechselt zu einer privaten Krankenhauskette, deren Namen er noch nicht verrät.

Allein Lowitsch, in Aachen mit einem unbefristeten außertariflichen Vertrag ausgestattet, baut auf eine langfristige Zusammenarbeit: „Für die McKinseys und Diebolds haben Krankenhäuser in der Vergangenheit genug Geld hinausgeworfen.“