Die SOA-Strategie der Schweizer Bank

Credit Suisse setzt 2.200 Web-Services ein

16.10.2008 von Johannes Klostermeier
Seit 1998 setzt der Schweizer Finanzdienstleister Credit Suisse auf SOA. Jetzt entwickeln die Eidgenossen für ihre Bankprozesse wiederverwendbare Web Services - auf Basis einer Java Application Platform.

Die Schweizer lieben es aufgeräumt. Das ist auch bei der Credit Suisse so, die ihren Hauptsitz in Zürich hat. Dort ist Service-orientierte Architektur (SOA) schon lange ein Thema. Das Unternehmen gilt international als Pionier auf diesem Gebiet. Roger Süess aus dem Bereich Technology Infrastructure Services, der den Titel "Global Head Web Enterprise Platforms" trägt, plant gerade den Aufbau einer Web-Services-Infrastruktur auf der Basis von Web-Services.

Roger Süess, Leiter Web und J2EE-Technologien.

"One Bank" heißt die Strategie und ist zugleich der aktuelle Slogan der Credit Suisse. Dieses Ziel der integrierten und international tätigen Großbank mit Investment Banking, Private Banking und Asset Management kommt der IT sehr entgegen. Denn Standardisierung, Konsolidierung und Harmonisierung als Voraussetzung einer SOA-Architektur stecken da eigentlich schon mit drin. Die früher eher als singuläre Einheiten auftretenden, verschiedenen Bankbereiche sollen jetzt als eine Einheit fungieren.

Eine Infrastruktur für alle

Viele Aktivitäten, die früher vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz vorangetrieben wurden, seien jetzt direkt mit der Geschäftsstrategie verzahnt, so Süess. Nach außen gibt es eine definierte Servicepalette und ein Logo für alle. Nach innen soll es nur noch eine gemeinsame Infrastruktur geben. Enterprise-Plattformen, wie sie die Credit Suisse verwendet, unterstützen die IT dabei, Anwendungen für das gesamte Unternehmen liefern zu können. Zwar sei es auch heute noch so, dass eine einzelne Business-Einheit an einem Service besonders interessiert sei und dann als eine Art Sponsor auftritt. "Aber", sagt Süess, "unsere Infrastruktur ist darauf ausgerichtet, dass sie über sämtliche Einheiten genutzt werden kann und damit eine optimale Wiederverwendung ermöglicht."

Auch sehr heterogene Back-End-Landschaften können ohne großen Aufwand für Applikationen genutzt werden. Das ECM-System sowie Java- und .Net-Applikations- Plattformen mit verschiedenen Komponenten lassen sich nun über Anschlüsse mit der notwendigen Middleware verbinden, was letztlich den Kunden zugute kommt. Denn für das Business interessiert sich bei der Credit Suisse am Schluss nur der End-to End Service.

Der SOA-Ansatz der Credit Suisse.
Foto: Credit Suisse

Seit Ende der 90er-Jahre beruht die traditionelle SOA bei der Credit Suisse auf Corba (Common Object Request Broker Architecture, einer Spezifikation für objektorientierte Middleware). "Diese Infrastruktur ist ein Show-Case bis in die Literatur der Universitäten hinein", sagt Süess, "wir haben damit eine extrem hohe Skalierbarkeit erreicht." Momentan laufen darauf rund 200 Applikationen. Es gibt 2200 Services und im Schnitt jährlich etwa vier Milliarden Aufrufe, das sind rund 100 pro Sekunde. "Wir wollen diesen konzeptionellen Vorsprung natürlich auch im Bereich Web Services erhalten und ausbauen."

Die Corba-Architektur, der objektorientierte Weg zu den verteilten Systemen, markierte damals einen Paradigmenwechsel in der Informatik. Doch der Standard wurde nach und nach von immer weniger Herstellern unterstützt. "Heute finden Sie weder die Adaptoren noch das Know-how. Die heutigen Entwickler kennen Corba nur noch am Rande", stellt Süess fest.

Lange aber sah man keinen Grund, sich Alternativen zu Corba anzusehen. Andere Technologien, so fand die IT, waren - in punkto Standardisierung und Automatisierung - noch nicht so weit. Erst seit knapp zwei Jahren werden Web Services aktiv eingesetzt und speziell für den Anschluss an Filial-Backends oder im ERP-Bereich genutzt. "Jetzt können wir die Benefits realisieren, die schon vor Jahren versprochen wurden", stellt Süess fest. Für die SOA-Infrastruktur ist bei der Bank eine eigene Abteilung für "Service Integration" zuständig. Im Projekt "neue SOA" arbeiten rund 15 Mitarbeiter am Aufbau des neuen Angebots. Sie kümmern sich um das Erstellen einer "Runtime-Infrastruktur" für Web Services, um die Unterstützung der Applikationsplattformen und die Entwicklungen für die Service-Schnittstellen der Applikationen.

"Wir wollen damit eine Enterprise Plattform für SOA zur Verfügung stellen, die von der gesamten Bank genutzt werden kann", sagt Christian Schäfer, Chef der "Service Integration". Die Vorteile: Durch SOA lassen sich eine sehr gute Wiederverwendbarkeit von Applikationen und ein klar definiertes Management der Schnittstellen erreichen. "Das ist für uns nicht nur von der technischen, sondern auch von der Governance-Seite sehr wichtig", meint Schäfer. Daten sollen sich möglichst unkompliziert zwischen verschiedenen Systemen austauschen lassen, auch hin zu Legacy-Anwendungen, Mainframes oder zu Nischenprodukten in einzelnen Bereichen bis hin zu den Applikationen auf der Java-Applikationsplattform (JAP).

Vorsprung vor der Konkurrenz

Weiter als die Konkurrenz wähnt Roger Süess die Credit Suisse bei Fragen der SOA-Governance, bei den Fragen also, wie Services wiederverwendet werden können, wie ihre Qualität garantiert wird und wie gesichert werden kann, dass sie nicht dupliziert werden. Diese Probleme seien gelöst, so Süess: "Jetzt bringen wir kleine Anpassungen auf die Web-Services-Infrastruktur." Nun gehe es um den Aufbau eines Repositories, darum, wie das Portfolio bewirtschaftet werde, und um die Frage, wie dynamisch Services angebunden und genutzt werden sollen.

Im vergangenen Jahr gab es bei der Großbank den Architectual Release 1 (AR1), um Erfahrungen mit dem Einsatz von Punkt-zu-Punkt-Anbindungen von Applikationen zu machen. In diesem Jahr werden mit dem Architectual Release 2 (AR2) eine globale Infrastruktur und die Unterstützung der vorhandenen Plattformen wie JAP aufgebaut. Schwerpunkte der Schweizer sind dabei die Regionen Asien-Pazifik, EMEA sowie Nord und Südamerika. Herzstück der Java Application Platform ist der Oracle Service Bus von Oracle, der auf dem Aqualogic Services Bus von BEA fußt.

Einmal entwickelt - überall eingesetzt

Christian Schäfer, Chef der Service Intergration bei der Credite Suisse.

Das weltweite Roll-out steht unter dem Motto "implement once, deploy everywhere". Dass es funktioniert, zeigt die Umsetzung in Singapur: In vier Monaten konnte die IT dort eine JAP-Plattform aufbauen. Der nächste Schritt dauerte sechs Monate. Zunächst laufen sechs Projekte und Anwendungen darauf, acht weitere sind geplant. Dabei machen der IT nicht so sehr technische Schwierigkeiten zu schaffen; es sind vielmehr die organisatorischen Probleme, die das Management der globalen Umgebung ebenso betreffen wie die darunterliegenden Prozesse.

Deswegen arbeiten bei der Credit Suisse der "Technologie- Stream", der etwa für die Runtime-Infrastruktur, die Interoperabilität und Produktauswahl zuständig ist, und die Governance-Seite künftig Hand in Hand. Die Governance-Seite regelt die Entwicklungs- und Lifecycle-Prozesse der Service-Interfaces, also etwa das Review von Services, deren Versionierung oder Standardisierung. Nur wenn das Pärchen Technologie und Governance optimal zusammenwirkt, so ist man bei der Credit Suisse überzeugt, kann der Einsatz einer SOA erfolgreich sein.

Mit einem Versionierungs-Konzept und "aktiver Bewirtschaftung" will die IT ihre Applikationen ständig weiterentwickeln. So können die Fachabteilungen flexibel aus dem Portfolio die für sie richtige Serviceversion auswählen. Gleichzeitig wird so sichergestellt, dass alte Services nicht weiter genutzt und Applikationen auf neue Versionen umgestellt werden. Damit erhalten die Business- und Frontbereiche stets aktuelle Arbeitsmittel an die Hand - unabhängig von den dahinterliegenden Datensystemen.

Orientierung im Service-Dickicht

Bestes Beispiel dafür ist das "Backplane", eine Art "Enterprise Service Bus Light". Damit will Schäfer das Auffinden von Services in einer sich ständig verändernden Applikationslandschaft ermöglichen. "Die Applikation fragt dann nicht mehr nach einer bestimmten Hausnummer, unter der ein Service zu finden ist, sondern nur noch nach dem Namen des Services. Das Backplane schaut dann, wie in einem Telefonbuch, nach der geeigneten Adresse", erklärt Schäfer. Außerdem könne die IT durch das Backplane auch leicht erkennen, welche Services viel, wenig oder gar nicht mehr verwendet werden.

Credit Suisse verwendet dazu den Aqualogic Service Bus von Bea. Herstellerunabhängigkeit und Best-of- Breed waren den IT-Verantwortlichen beim Entwurf der SOA-Infrastruktur sehr wichtig. Ein weiteres wichtiges Thema sind zudem die Skalierbarkeit und Performance. Wenn nämlich bei der Credit Suisse die Corba-Infrastruktur ausfällt, dauert es keine drei Sekunden, bis in der Bank-IT sämtliche roten Lichter angehen, weil fast alle Services stillstehen: vom Geldautomaten bis zum Bankschalter und der Applikation an der Börse. Und das kann sich keine Bank der Welt leisten-egal, ob eine SOA im Einsatz ist oder nicht und wie aufgeräumt die Services auch immer sind.