Meinungen zum EuGH-Urteil

Das sagen Redakteure zum Aus von Safe Harbor

07.10.2015 von Jürgen Hill, Jan-Bernd Meyer und Simon Hülsbömer
Die digitale Welt scheint derzeit Kopf zu stehen. Wie ein Tsunami hat der EuGH mit seinem Urteil zum Aus für das rund 15 Jahre alte Safe-Harbor-Abkommen die IT-Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Was bedeutet die Entscheidung für Cloud, Online-Handel, Google und Facebook etc. Unsere Redakteure kommentieren das Urteil.
Jürgen Hill

Jürgen Hill, Team-Leiter Technologie
Ach, wie wäre es schön, wenn ich den Worten Edward Snowdens glauben könnte, dass der Österreicher Max Schrems mit seinem vor dem EuGH erkämpften Urteil zum Aus für Safe Harbor wirklich die Welt ein bisschen zum Besseren geändert hätte. Allein mir fehlt der Glaube. Soll eine EU, die bislang in Sachen Datenschutz und anderen drängenden europäischen Fragen nichts zustande gebracht hat, nun hier auf einmal zum Löwen gegenüber den großen Internet-Giganten aus den USA aufsteigen? Mir fehlt der Glaube.

Oder wird die EU nun zum sicheren Hafen für alle Cloud-Server, bei denen wirklich Wert auf den Datenschutz gelegt wird? Mir fehlt der Glaube. Warum sollte Irlands oberster Datenschützer nach dem EuGH-Urteil plötzlich zum Messias des EU-Datenschutzes aufsteigen statt weithin die Füße auf den Tisch zu legen und nichts zu tun, nachdem sein Land in der Vergangenheit prächtig mit den Server-Farmen der US-Konzerne und ihren Daten-Pipelines in die USA Geld verdient hat? Mir fehlt der Glaube.

Leider nur ein Sturm im Wasserglas

Und die EU als sicherer Hort für die Daten ihrer Bürger und Unternehmen? Auch hier fehlt mir der Glaube angesichts von Vorratendatenspeicherung und Co. Strenggenommen ist die EU in diesem Punkt kaum besser als die USA, sieht man einmal von dem Punkt ab, dass es keine Superüberwachungsbehörde wie die NSA gibt - ansonsten bespitzeln die Mitgliedsstaaten, hier sei nur an die britische GCHQ erinnert, Bürger und Unternehmen ebenfalls in bester NSA-Manier unter dem Deckmäntelchen der Terrorbekämpfung.

Das Alles soll sich jetzt mit dem EuGH-Urteil zum Aus für Safe Harbor ändern? Lachhaft. Genauso lachhaft, wie das Beifallklatschen aus dem politischen Berlin! Wer hat denn Bitteschön in den letzten Jahren ein Safe Harbor 2.0 nicht auf die Reihe bekommen? Verhandelt wird schließlich schon seit 2013.

Und der digitalen Wirtschaft, allen voran Google, Facebook und Co. droht nun der GAU und EU-Firmen haben nun die Chance im Digital Business erfolgreich mitzumischen? Wer daran glaubt, glaubt auch, dass der Storch die Kinder bringt. Hat doch die EU schon längst selbst die Grundlagen dafür geschaffen, dass Safe Harbor heute eigentlich nicht mehr gebraucht wird - etwa in Form der von der EU-Kommission frei gegebenen Standardvertragsklauseln und den so genannten Corporate Binding Rules. Oder der Möglichkeit, dass die Daten im Sinne einer Vertragserfüllung wie beim Online-Shopping sowieso übermittelt werden müssen.

Last but not least müssen sich zudem Millionen von Bürgern die Frage gefallen lassen, warum jetzt in Sachen Datenschutz auf Grundlage eines Gerichtsurteils alles besser werden soll? Schließlich haben sie jahrelang ohne Hirn und Verstand freiwillig einen Daten-Striptease hingelegt - Hauptsache der Service oder die App war kostenlos. Dass dabei mit der Währung "Persönliche Daten" bezahlt wurde, hat dabei meist niemand gestört.

Deshalb ist das öffentliche Gehabe in Sachen EuGH-Urteil nur scheinheilig. Ja, das Aus für Safe Harbor ist eine gewonnene Schlacht, den Krieg um das Öl der Zukunft, die persönlichen Daten, wird es nicht entscheiden.

Simon Hülsbömer

Simon Hülsbömer, Team-Leiter Management
Der EuGH hat gesprochen: Safe Harbor ist tot. Endlich. Schon seit Jahren raunten datenschutzbewusste Anwender vor sich hin und hofften auf dieses Signal. Nun heißt es vielerortens: War eh klar, dass "die" damit nicht auf Dauer durchkommen. Nun ja, immerhin sind "die" stolze 15 Jahre damit durchgekommen. "Die" sind US-Unternehmen wie die namhaften Facebook, Google, Microsoft, weitere große, hier ungenannte und natürlich unzählige kleine Cloud-Krauter, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen im Verkaufen von persönlichen Daten besteht oder deren Geschäftsidee zumindest in Teilen auf der Verarbeitung solcher Daten fußt - sie aber gleichzeitig nicht für die absolute Sicherheit und Vertraulichkeit dieser Daten garantieren konnten.

Ergo: Die EU-Richter haben nur das endlich mal schriftlich niedergelegt, was wir alle eh schon immer wussten - dafür brauchte es aber eben erst einmal einen engagierten Privatmenschen namens Max Schrems, der seine Privatsphäre, seine Datensouveränität durch Facebook verletzt sah und der das Durchhaltevermögen aufbrachte, damit auch mal vor Gericht zu ziehen.

Safe Harbor ist endlich tot

Wird jetzt endlich alles gut an der Datenschutzfront? Mitnichten, wettert der Kollege Hill und verweist auf die Macht der Wirtschaftskonzerne und die Schwäche der lobby- und klientelpolitikverseuchten Politiker in Berlin und anderswo. Hat er damit Recht? Ich meine: Mal sehen. Einerseits ist es sicher nicht so, dass Facebook jetzt gleich seine Seite offline schaltet, weil der EuGH gesprochen hat - zudem wurde schon gestern eifrig mit dem Schlupflöcher-Suchen begonnen (ich sehe schon Management-Seminare vor mir: "So schaffen sie Ihre Daten trotzdem über den Atlantik").

Andererseits ist es gut, dass sich nun endlich einmal jemand der Sache annehmen MUSS - denn dieses ewige "Wir sind eh schon seit Jahren dran, den Datenschutz zu überarbeiten" oder "Wir wissen ja, dass es so nicht weitergeht, aber es dauert halt seine Zeit, die beste Lösung für alle Seiten zu finden" geht mir persönlich ganz schnell auf die Nerven.

Und wenn das EuGH-Urteil nur ein Signal sein sollte, dass die Europäische Union den Cloud-Datenschutz wirklich ernstnehmen muss und sich nicht jedes Geschäftsmodell im Netz sofort lohnt, sobald man eifrig Daten sammelt, eine Selbstverpflichtung a la Safe Harbor gegenzeichnet und dann lustig im eigenen Geldspeicher tauchen kann wie Mark Zuckerberg: Besser als nichts ist es allemal.

Vielleicht stehen wir auch wirklich am Wendepunkt zu einer neuen, digitalen Zeit, die sich bislang nur ankündigte und in der jeder machen konnte, was er wollte - die aber jetzt endlich auf tragfähiger Grundlage in der Gesellschaft ankommt.

Wie auch immer: Ich danke dem EuGH für dieses Urteil und hoffe, dass die EU-Staaten, die EU-Unternehmen, die US-Unternehmen und auch jeder einzelne Bürger das Beste draus machen. Zumindest für die in der Masse stark Facebook-geschädigten Bürger ist meine Hoffnung zwar nur winzig, aber zumindest größer als 0. Ich danke Max Schrems für seine Courage, gegen Facebook in den Krieg zu ziehen, um es etwas martialisch auszudrücken. Und ich danke Edward Snowden, der den ganz großen Stein überhaupt erst ins Rollen brachte und uns allen klar vor Augen führte, was Privatsphäre oder eben Nicht-Privatsphäre im Web überhaupt heißt.

Mein Appell an alle: Gebt auf eure Daten acht - oder verkauft sie zumindest zu einem so hohen Preis, dass Ihr auch länger etwas davon habt!

Jan Bernd Meyer
Foto: Joachim Wendler

Jan Bernd Meyer, Leitender Redakteur
Es ist interessant, wie sich die Reaktionen zum EuGH-Urteil in zwei Lager teilen lassen:

Hier diejenigen, die die Datensammelleidenschaft von Behörden, Geheimdiensten und Nationen mit viel Skepsis und Argwohn verfolgt haben - eine bunte Mischung aus Datenschützern, Non-Profit-Organisationen, ehemaligen Bundesjustizministerinnen etc. Dort diejenigen, die im transnationalen Datenfluss die nicht verhandelbare Voraussetzung für weltweiten Handel sehen und entsprechend das im Jahr 2000 geschlossene Safe-Harbor-Abkommen als Sesam öffne Dich für Wachstum, Wohlstand und mehr Arbeitsplätze. Nicht überraschend finden sich hier etwa der Bitkom als Vertreter mittelständischer IT-Unternehmen oder auch der BDI.

An den Reaktionen zum EuGH-Urteil zeigt sich - wie übrigens auch an der Flüchtlings- oder der umstrittenen TTIP/CETA-Thematik - etwas Spannendes: Gesellschaften überall auf der Welt stehen vor Entscheidungen, die gravierendere Auswirkungen haben auf die Art und Weise, wie Nationen mit- und untereinander agieren - letztlich somit auch, wie sie in Zukunft leben wollen unter einem bestimmten Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Die Entscheidungen, die heute weltweit verhandelt werden, dürften die Lebensverhältnisse überall auf der Welt gravierender verändern, als die allermeisten Ausrichtungen der Vergangenheit.

Vordergründig ging es bei dem EuGH-Urteil um die juristische Frage, ob im internationalen Datenfluss das Safe-Harbor-Abkommen auf beiden Seiten des Atlantik ein "angemessenes Schutzniveau" für die ausgetauschten Daten bietet. Die Richter haben diese Frage mit Blick auf die behördlichen Usancen in den USA und besonders unter Verweis auf die NSA-Praktiken mit überwältigender Mehrheit (lediglich eine Gegenstimme) verneint. Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs steht dabei in einer Reihe bemerkenswerter Urteile in dessen jüngerer Vergangenheit: Neben dem Schiedsspruch vom Dienstag müssen hier die justiziabel gewordenen Entscheidungen zu Google (Recht auf Vergessenwerden) und zur Vorratsdatenrichtlinie genannt werden.

Urteil mit Signalwirkung

Jedes Mal haben die Richter eine Stellung bezogen, die der der politischen Ebene zuwiderlief. Ein ähnliches Phänomen kann man auch in der Bundesrepublik beobachten, wo das Bundesverfassungsgericht die Berliner Politik immer mal wieder in die Schranken weisen. Nun aber betrifft es nicht nationales Recht, sondern die EuGH-Richter nehmen Einfluss auf die Art und Weise, wie die internationale Wirtschaft funktioniert - und wie eben nicht. Das hier ein fundamentales Urteil gefällt wurde, zeigt auch die Aussage des Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar, der mit den Worten zitiert wird, nach diesem Urteil werde es ganz schwer, den Datenfluss in die USA über andere Instrumente aufrechtzuerhalten.

Hintergründig stellen die EuGH-Richter damit also auch die Frage, wie Nationen und Gesellschaften in Zukunft miteinander verkehren wollen. Und sie fragen indirekt, welches Primat welcher Gesellschaftsform künftig vorherrschend sein soll.

Hier ist das EUGH-Urteil eine starke Stimme. Deshalb verbreitete sich der Richterspruch aus Brüssel wie Donnerhall in der gesamten westlichen Welt. Die EuGH-Entscheidung könnte Signalwirkung haben für andere transnationale Verhandlungen. Welche Auswirkungen sie hat, ist dabei noch völlig unklar.