21. Finance Forum

Das unterschätzte Risiko IT-Gläubigkeit

17.11.2011 von Ursula Pelzl
Banker verrechnen sich, Ratingagenturen produzieren "technische Pannen". Haben die Finanzmarktakteure die IT nicht mehr im Griff?

Vier Grundrechenarten, das kleine Einmaleins und die Plausibilitätsprüfung durch eine Überschlagsrechnung - so haben es Banker und Finanzmarktakteure früher ganz sicher zu Schulzeiten gelernt. Doch an die Stelle der Banker, die ihre Zahlen im Kopf und im Griff hatten, scheint heute eine Generation mit grenzenloser IT-Gläubigkeit getreten zu sein. Was der Computer schwarz auf weiß auswirft, wird ungeprüft für bare Münze genommen.

Prof. Dr. Wolfgang Gerke auf dem Finance Forum in Zürich: "Banker haben ihre Zahlen nicht mehr im Griff."
Foto: Finance Forum

Wie sehr dieses blinde Vertrauen in die moderne IT trügen kann, zeigen seit Monaten immer neue Fälle in der Branche. Spektakulär zuletzt sicher der Fall der Hypo Real Estate, die bei der Verbuchung von 55,5 Milliarden Euro schlicht und ergreifend Plus und Minus verwechselte.

Ungelöste Schnittstellenprobleme

"Das wäre einem Banker früher nicht passiert", zeigte sich Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Gerke im Pressegespräch am 21. Finance Forum in Zürich überzeugt. "Banker haben in ihrer IT-Glückseligkeit ihre Zahlen nicht mehr im Griff." Mehr Aufsicht und Kontrolle seien notwendig. Die IT-Revolution im Bankgewerbe sei sehr weit fortgeschritten. Das habe die Prozesse verändert. Doch offenbar sei das Schnittstellen-Management nicht gelöst.

Peter Gubler, Bankenbeirat des Finance Forum und ehemals Leiter Operations bei der Bank Vontobel sagte, die Risiken stiegen mit der Entkopplung von Front- und Backoffice. Kreditinstitute seien heute in der Lage, sehr schnell Produktinnovation auf den Markt zu bringen. Doch die Prozess- und Managementkultur könnten mit diesem Tempo nicht mehr mithalten. Die Folge sind Fehler.

Auch Beat Wittmann, Banker, Vermögensverwalter, Gründer und Partner Dynapartners, ließ kein gutes Haar an seiner Branche. "Die jetzt bekannt gewordenen Unfälle sind die Spitze des Eisberges. Es hat sich eine kollektive Verantwortungslosigkeit breit gemacht", sagte Wittmann. Es brauche eine neue Managementkultur in Banken.

Die Diskussionen am Finance Forum waren noch nicht ganz verhallt, da verwirrte die US-Ratingagentur Standard & Poor die Märkte mit der Herabstufung der Bonität Frankreichs. Verluste bei französischen Anleihen und nachgebende Aktien waren die Folge. Bis schließlich die Höchstnote "AAA" doch wieder bestätigt und ein "technischer Fehler" verantwortlich gemacht wurde. Ein weiterer Fall, der den Eindruck vieler Bankkunden bestätigt, dass Banken nicht mehr zu trauen ist und sich die IT bereits verselbständigt hat - so wie es aus den Diskussionen deutscher und Schweizer Banker und Experten zu hören war.

Verantwortungsvolle Partnerschaft von IT und Mensch notwendig

Buchungen, die heute im Nano-Sekunden-Bereich erfolgen, lassen sich in ihrer Quantität und Komplexität nicht ohne IT bearbeiten. Auch Prozessketten sind nicht ohne technologische Unterstützung abzubilden. Doch zwischen IT und Mensch scheint eine neue verantwortungsvolle Partnerschaft notwendig zu sein, so der Tenor quer durch die Expertentracks in Zürich. Insbesondere gelte dies für die Schnittstellen zwischen Front- und Backoffice sowie bei ausgelagerten Prozessen. "IT und Banken müssen enger zusammenarbeiten", betonte Dr. Heiner Eichenberger, Head Client Management bei Swisscom IT Service Finance AG.

Neben IT und Business Process Outsourcing standen die Themen Wealth Management, Business Process Outsourcing, Finanzplatz Infrastruktur, ICT & Sourcing, Risk & Regulation sowie Vertrieb & CRM auf dem Programm. Engagiert diskutiert wurde, welche innovativen und zukunftsfähigen Geschäftsmodelle in Zukunft Wachstum für die Branche generieren sollen.

Gefragt wurde auch, inwieweit die Politik Einfluss nehmen darf, inwieweit Banken- und Länderschulden mit Geld zu günstigen Konditionen aufgefangen werden sollten oder nicht. Prof. Gerke plädierte in diesem Zusammenhang für eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien: "Wir haben Marktprozesse außer Kraft gesetzt und wundern uns nun über die Ergebnisse."

Abgeltungssteuerabkommen erfordert neue IT-Lösungen

Für die Umsetzung der Abgeltungssteuer zwischen Deutschland und der Schweiz erhoffen sich die Schweizer Banker noch etwas Zeit. Die Ratifizierung des Abkommens steht noch aus. Die operativen und technologischen Herausforderungen für die in der praktischen Anwendung erforderliche Transparenz und den Informationsaustausch stellen Banken und ihre IT-Anbieter vor große Herausforderungen, so die Expertenrunde zum Thema "Abgeltungssteuer - Fluch oder Segen?" Hier gelte es die gewonnene Zeit aktiv zu nutzen.