Öffentliche IT-Projekte

De-Mail, E-Perso und schlechte Prozesse

14.05.2012 von Johannes Klostermeier
Schlecht organisierte Prozesse kommen den Bürger teuer zu stehen. IT kann da helfen. Alexander Schmid von Bearingpoint sagt im Interview mit unserer Schwesterpublikation CIO wie.

Ineffiziente Verwaltungsprozesse bescheren den EU-Staaten und der Wirtschaft enorme Kosten. Ein aktueller Bericht der Anti-Bürokratie-Einheit der EU-Kommission besagt, dass europäische Unternehmen 40 Milliarden Euro jährlich einsparen könnten, würden die Länder allein bestehendes Recht effizienter umsetzten. Alexander Schmid, Partner bei der Management- und Technologieberatung Bearingpoint, sagt, wie Prozesse mittels IT beschleunigt werden können. Stichworte sind De-Mail, der neue Personalausweis und der Prozessdatenbeschleuniger P23R.

CIO.de: Ist die Summe von 40 Milliarden Euro Einsparmöglichkeiten nur symbolisch gemeint, oder können Sie das aus Ihrer Arbeit bestätigen?

Alexander Schmid, Partner bei Bearingpoint, ist Experte für das Thema Public Government.

Alexander Schmid: Die Ermittlung dieser Werte tat not, um die Dimensionen zu veranschaulichen. Wir haben selbst einmal das Nutzenpotenzial der E-Government-Initiative „Bund Online" ermittelt. Das hatte auch erhebliche Einspareffekte auf die Bürokratie. Die Nutzung von Hochrechnungen halte ich für sinnvoll.

Die Methode hat aber zwei Achillesfersen: Erstens sind es Hochrechnungen, die auf Annahmen beruhen. Diese versucht man zwar möglichst valide zu machen, wenn Sie aber in den Einzelfall hineingehen, mag die Belastung dort durch Bürokratie konkret anders aussehen. Zweitens sind das natürlich Potenziale.

CIO.de: Braucht man da externe Unternehmen, Berater wie Sie, um diese Potenziale auch nutzen zu können?

Schmid: Nein, das müssen Sie nicht. Das hätte ich zwar gerne, grundsätzlich ist das aber eine unternehmerische Entscheidung zum besten Weg. Ein Unternehmen kann seine Prozesse für die Anforderungen der Bürokratie eigenständig optimieren. Es kann es aber auch mit externer Hilfe tun. Aus meiner Sicht können Berater diesen Prozess durch ihre Erfahrungs- und Vergleichswerte aus anderen Projekten unterstützen. Dadurch können sich auch die Kosten reduzieren. Wir beobachten, dass Unternehmen oftmals schlichtweg die Zeit für eine ausführliche Analyse fehlt.

CIO.de: Hilft der Blick von außen?

Schmid: Der Blick von außen durch einen Berater kann sicherlich hilfreich sein, gerade bei tiefgreifenden Veränderungen: Außerdem geben auch die Branchenverbände Hilfestellungen, indem sie auf Entlastungsmöglichkeiten hinweisen.

Die Schwierigkeiten in einer vernetzten Welt liegen aber gerade darin, die verschiedenen Abhängigkeiten in den Blick zu bekommen. Beispiel Personalausweis und Melderecht: Da muss der Meldeschein im Hotel weiterhin unterschrieben werde, die Meldung kann nicht durch den neuen Ausweis elektronisch erfolgen. Das Strukturieren der Anregungen, das Sortieren und das Niederkämpfen der Restriktionen, das ist die Herausforderung.

"Abhängigkeiten muss man sauber durchdeklinieren"

CIO.de: Mancher Bürokratieabbau-Versuch ist schon grandios gescheitert, etwa Elena.

Schmid: Das ist ein Musterbeispiel für ein unter die Räder gekommenes Vorhaben. Hier hat man durchaus den Versuch gemacht, ein Problem zu lösen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man dann aber immer größere Hürden aufgebaut, bis sie so groß waren, dass es sich das Projekt ad absurdum geführt hat. Um die eine Pflichtaufgabe zu erleichtern, können wir nicht sechs andere Kostentreiber in Gang setzen.

Noch kann man mit dem neuen Personalausweis nicht viel anfangen. Doch er hat großes Potenzial, sagt Schmid.
Foto: Bundesministerium des Innern (BMI)

Bei größeren Vorhaben gilt es, die Abhängigkeiten am Anfang richtig sauber durchzudeklinieren. Angesichts der Komplexität der Vorhaben und der Heterogenität der Beteiligten ist das aber nicht so einfach. Man muss für diese Vorhaben geeignete Strukturen schaffen, um Fehlentwicklungen frühzeitig einen Riegel vorschieben zu können. Für derartige Vorhaben benötigt man eine neue Qualität des Programmmanagements.

CIO.de: Was auch noch nicht richtig läuft: De-Mail und der neue Ausweis.

Schmid: Beide Infrastrukturkomponenten haben das Potenzial, Prozesse zu verschlanken, jeweils an unterschiedlichen Hebeln. Der Ausweis dient der Registrierung und der Identifikation. Er bietet sich für alle Prozesse an, bei denen der Vorgang mit einer eindeutigen Identifikation elektronisch ablaufen soll.

Mein Lieblingsbeispiel für den neuen Personalausweis ist der Customer Self Service. Wir haben hier eine sichere und von der Gesellschaft akzeptierte Identifikationsmöglichkeit. Bei De-Mail ist es genauso, auch damit kann man zusätzliche Kosten abbauen. Dadurch ist die sichere Übermittlung von elektronischer Post möglich. Wenn man heute mit anderen Mitteln das gleiche Sicherheitsniveau einkaufen müsste, dann wären die Kosten deutlich höher.

Anfangen und nicht ins Bockshorn jagen lassen

CIO.de: Gibt das E-Government-Gesetz dem noch einen Schub?

Schmid: Für die Behörden auf Bundesebene erwarte ich mir eine Vereinfachung größeren Umfangs. Ich hoffe, dass das weit genug geht. Man muss ja das Gesetz auch nicht im ersten Aufschlag so zimmern, dass es alle Eventualitäten mit abdeckt. Die Instrumente, um eine Folgeabschätzung für eine solche Technologie über alle Beteiligten hinzubekommen, gibt es meines Erachtens noch nicht. Der zweitbeste Weg ist sicherlich: Anzufangen und sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.

CIO.de: Was soll der Prozessdatenbeschleuniger P23R machen?

Schmid: Er soll dazu beitragen, dass Unternehmen und Behörden Software zur Verfügung steht, die Government-to-Business- und Business-to-Government-Datenaustausche regelbasiert automatisiert. Ohne jeglichen manuellen Eingriff, aber auch beliebig manuell abgestuft. Das ist eine weitergedachte Form des Angebots des Statistischen Bundesamts „E-Statistik-Core“. Das Prinzip wird jetzt auf beliebig viele Branchen und Geschäftsprozesse übertragbar gemacht

CIO.de: Welche neuen Dinge werden gerade erprobt, woran arbeiten Sie?

Schmid: Wir haben die reifen Themen, wie den neuen Personalausweis und De-Mail, die jetzt in die Umsetzung gehen. Dann haben wir die Themen, die sich noch in der Konzeptionsphase befinden, wie der Prozessdatenbeschleuniger P23R. Und Themen, die noch in der Entwicklung sind, weil die Mitstreiter in der IT-Welt und die Behörden sich dem Schritt für Schritt nähern. Da geht es etwa um den mobilen Verwaltungsarbeitsplatz. Damit meinen wir den Telearbeitsplatz, aber auch eine neue mobile Ausstattung der Außendienstmitarbeiter, mit der die Verwaltungsmitarbeiter zum Bürger und zu Unternehmen gehen können. Was in der Privatwirtschaft schon mit der Flexibilisierung der Bürowelten existiert, das steht der Verwaltung erst noch bevor.

CIO.de: Was halten Sie von einem App-Store für Behörden-Software?

Schmid: Das ist eine gute Idee und entwickelt das Konzept von Bund Online „einer für alle“ weiter. Der Bürger fragt sich ja: Warum soll meine Kommune etwas neu anschaffen, wenn es in der Nachbarkommune schon da ist. Auf Landesebene wird das Konzept auch noch funktionieren. Auf Bundesebene gibt es das Verfahren eigentlich schon. Die Fragen, die gelöst werden müssen, haben mit dem Vergaberecht zu tun. Diese Diskussion muss noch geführt werden.

CIO.de. Ist das Bürokratie, die den Bürokratieabbau verhindert?

Schmid: Die Kollegen von mir arbeiten mit Vergabejuristen und den Behörden an den Strukturen, dass solche Vergaben möglich werden. Viele Vorhaben scheitern aber oft daran, dass das nötige Verständnis der Anforderungen rund um die Vergabeprozesse fehlt.

Die IT-Rahmenbedingungen in Deutschland sind gut

CIO.de: Was machen andere Länder, von denen wir noch lernen können? Hinken wir denen nicht hinterher?

Deutschland ist gut aufgestellt mit De-Mail, neuem Ausweis, und Prozessdatenbeschleuniger.
Foto: Telekom

Schmid: Die IT-Rahmenbedingungen in Deutschland sind schon ganz gut. Anfang Mai wird das neue EU-Government-Ranking abgestimmt. Ich sehe durchaus die Sinnhaftigkeit solcher Rankings auf politischer Ebene, mich als Bürger oder in Deutschland aber interessiert doch nur, ob es hier bei mir funktioniert. Und wir Deutschen, wir haben den neuen Ausweis, De-Mail und den Prozessdatenbeschleuniger.

Bei der Bürgerkarte in Österreich sind die Nutzerzahlen deutlich unter den Erwartungen. Das polnische Personalausweiskonzept wurde um ein Jahr nach hinten verschoben, die gesamte Projektorganisation wurde entlassen. In Frankreich und Großbritannien ist ein derartiges Projekt gar nicht erkennbar. Hier bei uns ist zwar nicht alles Gold, die Infrastruktur ist aber verfügbar und kann genutzt werden.

CIO.de: Wie geht es weiter?

Schmid: Die Unternehmen und Behörden werden jetzt die neue Infrastruktur Schritt für Schritt in ihre IT integrieren. Es gibt derzeit eine bedachte Erweiterung der Angebote und keine Posaunenfanfaren.

Beispiel: Das Angebot einer Internetbank, die eine Internetkontoeröffnung mit dem neuen Ausweis anbietet, wirbt gar nicht so groß damit. Das Problem der Banken war bisher: Potenzielle Kunden, die sich registrieren, gehen danach oft nicht zur Post zur Identitätsprüfung. Der Ausweis bringt den Banken also keine Neukunden, er sichert aber die Interessenten, die sonst verloren gegangen wären.

Insgesamt sind wir hier bei den Unternehmen noch in einer Testphase: Wie ist die Akzeptanz, wie müssen die internen Prozesse optimiert werden? Auch das Thema Sicherheit ist wichtig, da wollen die Firmen noch Erfahrungen sammeln. Aber De-Mail und der neue Ausweis sind bei den gesamten IT-Fragen, die eine Bank, eine Versicherung oder Behörde zu lösen hat, doch relativ kleine Projekte. Also: Es machen zwar schon viele, sie hauen aber nicht auf die Pauke.

"Mit dem neuen Ausweis noch in einer Testphase"

Das Innenministerium informiert die Bürger stärker darüber, dass sie die Online-Ausweisfunktion eingeschaltet lassen sollen. Und immer mehr behördliche Prozesse, die ausweistauglich sind, werden mit der neuen Funktion ausgestattet. Unsere Expertise des Kompetenzzentrums „Neuer Personalausweis" können wir den Behörden weiterhin zu Verfügung stellen. Darüber freue ich mich.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.