Sourcing

Den Kurs korrigieren

03.11.2005 von Andreas Schmitz
Auslagern von IT macht Unternehmen nicht automatisch zufriedener. Nach Jahren des euphorischen Auslagerns finden sich inzwischen immer öfter IT-Chefs, die lieber von Sourcen als vom Outsourcen sprechen. Und auch Insourcing erwägen. Nicht ohne Grund.

Hermann Kaineder hat eine Mission. Der neue CIO des österreichischen Aluminiumherstellers Austria Metall Aktiengesellschaft (Amag) ist geholt worden, um die IT-Strategie neu im Unternehmen zu verankern. Die ist dem Amag-Vorstand in den letzten Jahren nach und nach abhanden gekommen. Und das kam so: 1999 einigte sich die Amag auf ein Joint Venture mit Siemens Business Services. Die IT-Dienstleistungs-Tochter des Münchener Siemens-Konzerns übernahm sämtliche „IT-Mitarbeiter und die operative IT“. Nur „eine strategische Komponente“ sollte im Unternehmen verbleiben. Das Konzept: „Transitional Outsourcing“ – gewissermaßen die nächste „Evolutionsstufe“ des klassischen Auslagerns. So weit die Theorie.

Interne IT-Strategie spart 30 Prozent Kosten

Von anfänglich 25 Prozent hielt die Amag zuletzt noch 12,5 Prozent Anteile an der IT-Tochter – der Unit-IT: „SBS hat andere Zukäufe in das Unternehmen integriert, und die Amag hat bei diesen Erweiterungen nicht mitgezogen, weil IT nicht das Kerngeschäft der Amag ist“, erläutert der Amag-CIO. Von ehemals 43 Mitarbeitern in der IT arbeiteten nun noch fünf „IT-Koordinatoren“ bei der Amag – IT-Regionalchefs der fünf Gesellschaften. „Die Abstimmung untereinander war lose“, beschreibt Kaineder. „Hat jemand einen neuen Standard nicht mitgemacht, dann war das eben so.“ Man sei zwar nicht unkoordiniert vorgegangen, doch habe man nicht den Gesamtnutzen im Auge gehabt.

Die Fäden hatte Siemens Business Services (SBS) in der Hand, der Outsourcer. Ein Beobachter: „Es gab keinen CIO, kein Demand-Management – man hat nur bestätigt, was Siemens auf den Tisch gelegt hat.“ Mit Kaineder baut nun seit einem halben Jahr ein Ex-Geschäftsführer der General Electric Capital IT-Solutions den Demand-Bereich im Unternehmen neu auf. Und damit auch ein neues – zentrales – Selbstbewusstsein für die IT. Die Unit-IT ist nun nur noch einer unter fünf Sourcing-Partnern. Die IT-Strategie hat Kaineder wieder fest in der Amag verankert. „Wir erarbeiten mit unseren Gesellschaften, was die Amag braucht, und versuchen das auf Standardsysteme abzubilden“, erläutert der 42-jährige Informatiker. „Nur Standards helfen Kosten sparen. Und diese werden, wo es sinnvoll ist, in der gesamten Amag eingesetzt.“ Kaineder rechnet durch diese Kurskorrektur mit mindestens 30 Prozent Einsparung durch diesen Eingriff: „Eine IT für 150 Mitarbeiter kann nicht so effizient sein wie eine IT für 1500 Mitarbeiter.“ Andere verankern weit mehr IT als „nur“ die Strategie wieder im Unternehmen.

Insourcing ist unter CIOs wieder hoffähig geworden. Da ist Paul Schwefer vom Autozulieferer Continental, der in einem seiner drei Geschäftsbereiche IBM geschasst hat und die IT nun wieder selbst betreut. Da sind Günter König vom Stahlunternehmen Salzgitter AG und Lothar Kreil von der Deutschen Verkehrsbank, die ihre Rechenzentren wieder selbst betreiben. Dass Insourcing wieder eine ernst zu nehmende Strategie ist, bestätigt auch die Studie „IT Outsourcing 2005“ der Managementberatung PA Consulting Group mit dem Titel „Zufriedenheit ohne Grundlage”. Fast jede fünfte Gesellschaft unter den befragten Großunternehmen ist demnach weltweit auf dem Rückzug und erwägt nach Vertragsende eine „vollständige oder teilweise Rückführung der Services“.

Offensichtlich haben sich viele Unternehmen den Outsourcing-Deal einfacher vorgestellt. Während die große Mehrheit der Befragten die Sourcing-Strategie schnell aufgestellt, den Business Case schnell geschrieben und geeignete Provider leicht gefunden hatten, ging es bei anderen Themen an die Substanz: Vertragsverhandlungen erwiesen sich als als recht zäh und die Umgestaltung der IT-Organisation als komplex. Die mit Providern vereinbarten Ergebnisse tatsächlich zu bekommen halten mehr als die Hälfte der Befragten für schwer oder sehr schwer. Ähnlich schwer fällt es ihnen, die Mitarbeiter auf dem Weg ins Outsourcing mitzunehmen.

Das sind einige Gründe, die Gerd Nicklisch, Autor des Buches „Outsourcing – Der (Irr)weg“ (siehe Seite 54) zu der ketzerischen Frage treibt: „Wie viel günstiger muss die Informationstechnologie beim Outsourcer sein, damit ich gleich teuer bin?“ Das Management des Outsourcers, so seine These, werde im Aufwand oft unterschätzt. „Erwartungen stimmen mit den Leistungen oft nicht überein”, so Nicklisch. „Es wird etwa übersehen, dass Investitionen in die Schnittstelle zum Outsourcer nötig sind, die die Kompetenz für die Bewertung von Leistungen hat.”

Unzufriedenheit+neue Strategie=Insourcing

Diese Erkenntnis gewann Nicklisch aus mehr als 80 Unternehmen, die er über Jahre beobachtet hat. Wichtiger Grund für Insourcing demnach: Services können zu besseren Bedingungen selbst erledigt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Dienstleister und neue strategische Zielsetzungen spielen für die meisten Unternehmen weitere Hauptrollen. Jeder dritte Befragte nennt abfließendes Wissen als Problem, das nur mit Insourcing wieder in den Griff zu bekommen sei - die Ressource Mensch also.

„Üblicherweise taucht ein unvermuteter Mehraufwand für Kommunikation und Change-Management auf“, meint PA-Consulting-Mann Ulfert Gartz. Im unbeholfenen Umgang mit den Mitarbeitern schon vor dem Auslagern sieht auch Udo Müller vom Beratungshaus Five Consult eine wichtige Ursache für das Scheitern von Outsourcing-Projekten: „Erst ist Sourcing ein strategisches Thema, doch meist wird es emotional und sozial nicht sauber aufgesetzt und durchgeführt“, sagt der ehemalige Manager eines SAP-Systemhauses. „Oft wird Outsourcing einfach verordnet.“ Sein Vorschlag: aufpassen, dass man mit dem Outsourcing nicht gleich die Schnittstelle zum Service-Provider oder künftige Kernkompetenzen mit „absourct“. „Darin stecken die künftigen Kernkompetenzen – fachlich, sozial und emotional“, behauptet Müller, der deshalb eine Weiterbildung zum Sourcing-Manager anbietet.

Sourcing-Verantwortlicher schafft Ordnung

Dieser Manager würde den Provider nicht zu selbstständig laufen lassen und griffige Service Levels regelmäßig überprüfen. Und: Er zwingt Verantwortliche schon in der strategischen Phase dazu, das Vorhaben im Management zu „vergemeinschaften“ und darüber nachzudenken, wie und wann das den Mitarbeitern verständlich gemacht werden soll. „Manchmal werden nicht mal Rechnungen kontrolliert“, sagt Peter Müller von der IT-Beratung Deloitte. „Ein Sourcing-Verantwortlicher, der etwa das Anforderungsmanagement macht, wäre hier hilfreich.“

Diese Schnittstelle fehlte beim Schuhfabrikanten Salamander, als Ende der 90er-Jahre das Tochterunternehmen eines großen TK-Hauses die IT der Kornwestheimer komplett übernahm. Als Eberhard Groetschel im Mai 2000 zum Lurchi-Hersteller stieß, fand er einen 836 Seiten starken Zehn-Jahres-Vertrag vor, eine Anpassung an wirtschaftliche Rahmenbedingungen (neue Kapazitäten, Mindestmengen, neue Auslastung) war nicht vorgesehen, und „nur unter der Voraussetzung, eine strategische Allianz zu bilden oder gekauft zu werden, konnten wir aus dem Vertrag rauskommen“, konstatiert der ehemalige CIO. Nach seinen Erfahrungen schenkten sich die Outsourcing-Anbieter damals in ihren Kalkulationswerten nichts.

Clearing-Stelle nach bitterer Erfahrung

Gerade bei Anwendungen, für die Spezialwissen nötig ist, ist ein Outsourcer so gefordert wie die eigene IT. „Daraus ergibt sich kein Vorteil”, so Groetschel, „man sollte keine karierten Maiglöckchen outsourcen“ – wie das SAP-Modul AFS, das damals nur 25 Unternehmen weltweit einsetzten. Doch auch das gehörte zum Outsourcing-Deal dazu. Es gab für den IT-Chef nur einen Weg: eine strenge „Clearing-Stelle“ für den Outsourcing-Partner aufzubauen, die Probleme registriert, Termine kontrolliert und die Kosten im Griff behält.

Groetschel drückte das IT-Budget von 1999 bis 2003 von 13,8 Millionen Euro um 57 Prozent – bis zum Einstieg des Düsseldorfer Schuhhändlers Garant. Diese enorme Einsparsumme zeigt, wie sich der IT-Dienstleister verselbstständigt hatte. Das letzte Jahr mit vollem Geschäftsbetrieb im Salamander-Schuhbereich, vor der Insolvenz von Garant und dem Einstieg des deutsch-chinesischen Luxusgüter-Unternehmens Egana-Goldpfeil, wurde mit IT-Kosten von nur 2,8 Millionen Euro abgeschlossen. „Der Funktionsumfang hatte sich nicht geändert“, so Groetschel, der aus dem Outsourcing-Gehedder von Salamander einen wichtigen Schluss zieht: „Geben Sie niemals die Zügel völlig aus der Hand, halten Sie eine Schnittstelle im Unternehmen.“ Der „Lohn“ für Groetschel: Seit Ende 2004 ist die IT saniert, doch arbeitet der promovierte Wirtschaftsingenieur nun nicht mehr im Unternehmen, sondern als Berater. Die IT-Geschicke leitet nun der ehemalige IT-Chef von Garant Norbert Breuer.

Oft unterschätzen IT-Manager den erheblichen Steuerungsaufwand dieser Projekte. PA-Consulting-Mann Gartz: „Der strategische Aufwand gegenüber dem Provider steigt, ehemalige Einkäufer sind daher in der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Outsourcer manchmal besser aufgehoben als Systemmanager.“

Das Auslagern von IT stand bei Gerald Hübsch nicht auf dem Konzept, als er vor sieben Jahren zur Energie AG kam. Der Leiter der Information Services beim Linzer Energieunternehmen konsolidierte und standardisierte, was möglich war. Es gab drei IT-Abteilungen und eine verzweigte IT-Landschaft. Aus 55 Netzwerken machte er eins, aus 100 Windows-Servern einen Cluster, zudem konsolidierte er die SAP-Infrastruktur. Und doch war kein Outsourcer in der Lage, „die komplette, auch technische IT-Applikationslandschaft wirtschaftlich mit abzudecken“. Im Rahmen der Liberalisierung des Strommarktes hätte man in vier Wochen Gesetzesnovellen umsetzen müssen. Eine eigene Task Force sei da schneller unterwegs als Partner, mit denen zunächst über Konditionen verhandelt hätte werden müssen. Hübsch glaubt an die individuelle Sourcing-Strategie - nicht an das Patentrezept.

Und doch ist der Trend zum Insourcing für den Energie-CIO kein Wunder: „Nach drei bis vier Jahren schlägt das Pendel oft wieder zurück“, so Hübsch, „wenn Schlüssel-Know-how abgewandert ist, die Steuerung des Outsourcers immer schwieriger wird und der enge Kontakt zwischen den Fachbereichen und der IT ins Hintertreffen gerät.“ Dann zeigt sich, dass Wissen nur spärlich zurückfließt und kaum noch jemand über echte Innovationen Bescheid weiß.