Die Auswirkungen von Industrie 4.0

Der IT-Arbeitsmarkt 2025

07.12.2015 von Werner Kurzlechner
Boston Consulting zufolge entstehen bis 2025 Netto etwa 350.000 zusätzliche Jobs, darunter Roboterkoordinatoren und industrielle Data Scientists.
  • Prognose erfreulicher als bei vergangenen Automatisierungsschüben
  • Wahrscheinlich gehen 600.000 Produktionsjobs verloren
  • IT-Kenntnisse künftig auch bei Technikern vonnöten
  • Appell an Politik: Ausbildungslücke schließen
Ob Industrie 4.0 Jobs schafft oder welche kostet, hängt laut BCG vom zusätzlichen Umsatzwachstum und von der Adaptionsrate ab. Nur zwei von neun Szenarien sind negativ.
Foto: BCG

Müssen sich IT-Leute von ihren Kollegen im Unternehmen als Jobkiller beäugen lassen? Der Gedanke liegt ja durchaus nahe, gerade in Deutschland mit seinem traditionell starken industriellen Sektor und angesichts des Aufbruchs in Richtung Industrie 4.0. Mit IT-Know-how werden beispielsweise die Roboter der jüngsten Generation ertüftelt, die selbstverständlich Rationalisierungszielen dienen. Auch Jobs innerhalb der IT stehen dabei auf der Kippe.

Die Boston Consulting Group (BCG) analysiert die zu erwartende Entwicklung in einem Artikel von BCG Perspectives. Wie wird die Technologie die industrielle Belegschaft bis 2025 verändern, lautet die Leitfrage des Autorenquintetts Markus Lorenz, Michael Rüßmann, Rainer Strack, Knud Lasse Lueth und Moritz Bolle.

Stellen im Support fallen weg

Auf der allgemeinen Ebene ist das Problem bereits thematisiert worden. "Der neue Jobkiller in der IT-Branche?", fragte beispielsweise vor einigen Monaten die Computerwoche in einem Artikel über Robotic Process Automation (RPA). "Ich gehe davon aus, dass in den kommenden drei Jahren die meisten Jobs im Support der IT-Infrastruktur wegfallen werden", prognostiziert darin Frank Casale, Outsourcing-Experte und Gründer des Institute for Robotic Process Automation (IRPA). "Ich habe bereits Fälle gesehen, in denen 60 Prozent des Supports von RPA übernommen wurden." Dafür winkten neue Arbeitsplätze etwa in der Implementierung und Verwaltung von RPA-Tools.

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10 Use Cases, 23 Branchen

BCG nimmt das Thema nun umfassender und zugleich fokussierter unter die Lupe. Betrachtet wird - die deutschsprachigen Autorennamen legen es nahe - speziell die Lage im Industrieland Bundesrepublik, und zwar jene in 23 industriellen Branchen. Und es geht um die Auswirkungen von zehn konkret definierten Anwendungsfällen, die mit dem Begriff Industrie 4.0 verbunden sind: von Big Data getriebene Qualitätskontrolle; von Robotern assistierte Produktion; selbstfahrende Logistikfahrzeuge; Produktionsliniensimulation; Smart Supply-Netzwerke; vorausschauende Wartung; Machines as a Service; selbstorganisierte Produktion; additive Fertigung komplexer Teile; Augmented Work, Maintenance & Service.

Dass dieses Bündel an sich entwickelnden Use Cases Jobs kosten wird, ist evident. Wenn Gabelstapler von selber fahren können, sitzt eben nicht immer einer drin. Interessant ist jedoch, wie viele neue Jobs in dieser neuen Arbeitswelt entstehen. BCG geht davon aus, dass es mehr sein werden als verloren gehen.

Industrie 4.0 soll mehr neue Jobs schaffen

"Die Anpassung an Industrie 4.0 wird Herstellern die Schaffung neuer Jobs erlauben, um der aus dem Wachstum bestehender Märkte und der Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen resultierenden größeren Nachfrage gerecht zu werden", heißt es in der Analyse. "Dieses erfreuliche Szenario kontrastiert mit vergangenen Epochen technologischen Fortschritts, in denen die Zahl an industriellen Arbeitsplätzen trotz einer Steigerung des Produktionsausstoßes gesunken ist." In den deutschen Belegschaften hätten beispielsweise Automatisierung und Offshoring alleine zwischen 1997 und 2013 18 Prozent der Jobs gekostet.

In naher Zukunft soll sich die Lage nun positiver entwickeln. BCG hat auch ausgerechnet wie. Da es aber um Zahlen der Zukunft geht, basieren solche Rechnungen per se auf Annahmen. Die Analysten haben neun Szenarien durchgespielt. Im schlimmsten Fall, nämlich bei sehr rasanter Umsetzung von Industrie 4.0 und flauem zusätzlichen Umsatzwachstum von 0,5 Prozent im jährlichen Durchschnitt, gehen netto doch Jobs verloren - exakt 180.000. Das ist eines von lediglich zwei negativen Szenarien; im Optimalfall könnten satte 950.000 neue Jobs entstehen.

Ein Nettoplus von 350.000 Arbeitsplätzen

Am wahrscheinlichsten erscheint den Autoren aber ein in der Mitte liegendes Szenario: Mithilfe von Industrie 4.0 generieren die Unternehmen künftig 1 Prozent an zusätzlichem Umsatzwachstum im Jahr, die Adaptionsrate der genannten zehn Anwendungsfälle liegt bei 50 Prozent. Trifft das so ein, gibt es laut BCG ein Nettoplus an rund 350.000 Arbeitsplätzen. Das wäre ein Zuwachs von 5 Prozent, denn momentan beschäftigten die untersuchten 23 Branchen insgesamt 7 Millionen Menschen.

Der wachsende Einsatz von Robotics und Computerisierung sorgt in diesem Szenario demnach für den Verlust von rund 610.000 Jobs in Produktion und Montage. Überkompensiert wird dieser Effekt durch 960.000 neue Jobs. 760.000 dieser hinzukommenden Stellen sind dem zu Grunde gelegten Umsatzwachstum zu verdanken, der Rest entfällt auf hochqualifizierte Aufgaben in IT, Forschung & Entwicklung und Analyse.

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Stellenverdopplung für die IT

Im Bereich IT und Datenintegration ist nach BCG-Einschätzung in etwa mit einer Verdopplung der bisherigen Stellenzahl zu rechnen. Konkret sei das größte Wachstum bei industriellen Data Scientists mit voraussichtlich 70.000 neuen Stellen zu erwarten. Zunehmen werde auch der Bedarf an IT Solution-Architekten und User Interface-Designern. Je mehr Roboter eingesetzt werden, desto größer werde auch die Nachfrage nach einer gänzlich neuen Rolle: Roboter-Koordinatoren. Schätzungsweise 40.000 davon werden laut Analyse in Bälde gebraucht.

Jenseits der genannten Spezialkräfte erwartet Boston Consulting 70.000 neue Jobs in der Wachstumsbranche intelligenter Maschinenbau. Zu begrenzen seien demgegenüber die Hoffnungen auf zusätzliche Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und in der Metallbranche.

Neben dieser quantitativen Prognosen beschreiben die Analysten auch einen qualitativen Wandel: die zu erwartende Veränderung des Charakters von Arbeit im Zeitalter der Industrie 4.0. BCG macht das an drei konkreten Beispielen fest:

1. Fließbandarbeiter

Fließbandarbeiter in der Automobilindustrie zum Beispiel werden künftig von schweren Hubarbeiten entlastet, weil Roboter ihnen diese Lasten abnehmen

2. Maschinenführer

Maschinenführer überwachen demnächst vor allem Monitor-Displays - Performance- und Qualitätskontrollen, die von automatisierten Systemen bereitgestellt werden. Anders als bisher werden diese Mitarbeiter versiert im Umgang mit digitalen Geräten und mit Software sein müssen.

3. Mobile Service-Techniker

Besonders signifikant erscheinen die Veränderungen der Tätigkeit von mobilen Service-Technikern. Bislang werden sie gerufen, wenn es etwas zu reparieren gibt - mit der Nebenwirkung, dass ein guter Teil ihres Arbeitstages auf der Straße stattfindet, auf dem Weg von einem Termin zum nächsten. "Industrie 4.0 wird durch Technologie unterstützte, vorausschauende Wartung erlauben", heißt es in der BCG-Analyse. Die Techniker werden demnach schon bald Echtzeitdaten überwachen, um Defekte proaktiv zu identifizieren. Möglich wird so die passgenaue Bereitstellung von Ersatzteilen, mit denen es dann zum Einsatz vor Ort geht - Bündelung der Aktivitäten inklusive. Bei den Reparaturarbeiten gibt es Unterstützung durch Augmented Reality-Technologie, die Dokumentation der Arbeit erfolgt automatisch.

Mitarbeiter müssen offen für Veränderungen sein

Um den prognostizierten Wandel zu bewältigen, sind nach Ansicht der Autoren Veränderungen in den Unternehmen ebenso nötig wie im Bildungssystem und in der Politik. Industriefirmen benötigen demnach eine strategische Belegschaftsplanung. Sie sollten ihre Mitarbeiter für Industrie 4.0 schulen und auch gezielt in dieser Richtung rekrutieren.

Eine Folge des angeführten Beispiels: Bei der Einstellung von Mechanikern ist es womöglich weniger wichtig, dass diese Erfahrung in der Reparatur bestimmter Maschinen haben. Entscheidender ist vielleicht, dass der Techniker offen für Veränderungen ist, mit IT-Schnittstellen umgehen kann und während der laufenden Produktion eingreifen kann.

Neue Arbeits- und Organisationsmodelle

BCG empfiehlt den Firmen auch neue Arbeits- und Organisationsmodelle. Konkret gemeint sind damit zum einen Klassiker wie flachere Hierarchien und flexiblere Strukturen. Im Artikel heißt es aber auch: "Industrie 4.0 wird auch eine engere Verzahnung von IT-Abteilung und Fachbereichen erfordern, damit die Software-Entwickler gänzlich verstehen, wie ihre Lösungen in der Produktion angewendet werden, und damit im Betrieb ebenso umfänglich verstanden wird, wie ihre Produktionslinien von diesen Lösungen betroffen sind."

Die dringendste Aufforderung an die Politik ist die Schließung der Lücke an IT-Fachkräften. Bis 2025 werden laut BCG in der deutschen Industrie annähernd 120.000 Informatik-Hochschulabsolventen fehlen. "Akademische Führungskräfte sollten gemeinsam mit Arbeitsvermittlungsbehörden den Studenten aufzeigen, dass IT-Fertigkeiten künftig in allen möglichen Arbeitsbereichen benötigt werden, nicht nur für Industrie 4.0-Jobs im engeren Sinne", heißt es in der Analyse. "Und sie sollten mit dem Missverständnis aufräumen, dass diese Skills nur für Spezialisten relevant seien."

Warum Analytics nicht in die IT-Abteilung gehören
Fünf gute Gründe ...
... warum Analytics nicht in die IT-Abteilung, sondern in die Fachbereiche gehören und warum jeder Fachbereichsleiter einen Data Scientist in seinem Team haben sollte.
Analytics können helfen, Unternehmensziele zu erreichen
Analytics dient keinem Selbstzweck. Der Wert von analytischen Services oder Datenprodukten entsteht erst durch die Einbindung in Geschäftsprozesse. Erst durch die Realisierung eines effektiven Nutzens in Form von Effizienzsteigerungen und damit verbundenen Kostensenkungen, der Generierung von Neugeschäft oder eine gesteigerten Kundenloyalität werden tatsächliche Effekte im Geschäftsergebnis messbar.<br /><br /> Fachbereiche sind in ihrer Funktion für die Steigerung von einzelnen Erfolgsfaktoren verantwortlich und haben daher ein Interesse zu verstehen, an welcher Stelle ihnen Analytics helfen kann. Zudem sollten die Mitarbeiter im Fachbereich auch zu einem Stück weit verstehen, wie die Analysen funktionieren, um mit dem Wissen zu ihren Geschäftsproblemen beispielsweise das Transferdenken zu leisten, wie man Daten anreichern sollte oder welche zusätzlichen Analysen durchgeführt werden sollten. Außerhalb des Fachbereichs hat für gewöhnlich niemand das entsprechende Interesse die Unternehmenskennzahlen in dem speziellen Bereich positiv zu beeinflussen und kein anderer kann es besser.
Anwendungsfälle ergeben sich aus den Erfahrungen, die Mitarbeiter im täglichen Betrieb sammeln
Gesunder Menschenverstand, Erfahrungswerte für Abwägungen zwischen Machbarem und Sinnvollem und ein Gespür für die echten Probleme in einem Unternehmensbereich sind relativ seltene Fähigkeiten, schwer zu erlangen und wenn dann über einen längeren Zeitraum im täglichen Geschäft entstanden. Das unverzichtbare Wissen, die sogenannte "Magic Sauce" für eine erfolgreiche Anwendung von analytischen Fähigkeiten ist und bleibt in den Fachbereichen.
Data Scientists brauchen das Know-how des Fachbereichs, um Modelle praxisrelevant zu entwickeln
Ein guter Data Scientist zeichnet sich durch ein breites Wissen von analytischen Methoden, Anwenderkenntnis von analytischen Technologien, Fähigkeiten zur Datenaufbereitung und Kreativität aus. Aber die Arbeit eines Risikoanalysten bei einer Bank und eines Marketinganalysten bei einem Online-Händler unterscheiden sich.<br /><br />Der Grund, warum sie ihre Jobs nicht ohne weiteres tauschen können, ist das Verständnis über ihren Fachbereich und das Wissen was funktioniert und was nicht. So wertvoll Datenprodukte für einzelne Fachbereiche sein können, häufig ist es ein Ansatz aus Testen und Lernen, der aus einem analytisch einwandfreien Modell ein für den praktischen Einsatz wertvolles und nachhaltiges Datenprodukt generiert.
Ergebnisse müssen interpretiert und Maßnahmen abgeleitet werden
Auch wenn der Data Scientist nicht im Fachbereiche angesiedelt ist: Eine enge Zusammenarbeit ist unerlässlich. Spätestens wenn es an das Verstehen von Ergebnissen und Ableiten von Maßnahmen oder die Integration in Geschäftsprozessen geht, nehmen Fachbereiche die Führungsrolle ein. Je enger die Einbindung während der gesamten Entwicklung des analytischen Anwendungsfalls, desto wahrscheinlicher ist die Akzeptanz und Relevanz für die Anwendung in den Fachbereichen.
Ein Data Scientists im eigenen Team schafft Agilität und Vorsprung
Sobald dem Fachbereich bewusst ist, welchen Mehrwert Analytics und die richtige Datenauswertung bietet, können sich Data Scientists häufig nicht mehr vor kurzfristigen Anfragen retten und müssen ihre Kapazität zwischen Fachbereichen balancieren. Arbeitet Data Scientist jedoch im eigenen Team, ist er schneller erreichbar. Analyseprojekte können dauerhaft weiterentwickelt werden und auf die immer schneller wechselnden Prioritäten vieler Fachbereiche kann reagiert werden. Der Data Scientist kann sich mit der Zeit Fachbereichswissen aneignen, entlastet somit andere Fachmitarbeiter und kann sie zugleich in ihren analytischen Fähigkeiten weiterentwickeln – als Hilfe zur Selbsthilfe für die Kollegen im Fachbereich.