Interview mit Bahn-CIO Kurz

Die Digitalisierungsstrategie der Deutschen Bahn

28.12.2016 von Johannes Klostermeier
Bei der Deutschen Bahn sollen künftig die Weichen melden, wenn es Reparaturbedarf gibt. Ähnlich innovativ ist das geplante "Live-Ticket". CIO.de hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit Konzern-CIO Eberhard Kurz.
  • Sensoren in Loks, Weichen und Rolltreppen die Predictive Maintenance befeuern sollen
  • Das "Live-Ticket" soll Vertriebssystem aus Fahrgastsicht radikal erneuern
  • Im virtuellen Big-Data-Kompetenzcenter führt die Bahn aktuell 70 bis 80 verschiedene Big-Data-Projekte zusammen
  • Die größte Herausforderung für den alten Großkonzern liegt für die IT in der Geschwindigkeit der Transformation
Eberhard Kurz treibt als Konzern-CIO die Digitalisierung der Bahn voran.
Foto: Deutsche Bahn AG

CIO: Die Bahn muss sich wandeln, weil es starke Konkurrenz durch Flixbus und bald durch autonome Autos gibt. Wie wollen Sie das schaffen?

Eberhard Kurz, CIO Deutsche Bahn: Die Bedeutung der IT ist bei uns wegen der Digitalisierung extrem hoch. Für uns ist die Transformation keine Frage des Alters eines Unternehmens, sondern eine Frage der Vorstellungskraft für die notwendigen Veränderungen. Wir möchten für alle unsere Kunden, intern wie extern, alles tun, um die innovativen Möglichkeiten der IT für die Digitalisierung zu nutzen.

Big Data und Predictive Maintenance

Wie genau soll das gehen?

Eberhard Kurz: Wir wollen in der Logistik und im Per­sonenver­kehr neue Geschäfts­mo­­delle ausprobieren, weitere, qualitativ hochwertige Transport- und Logistik-Dienstleistungen und gute Kun­den­informatio­nen anbieten. Wir haben drei große Ziele: Zum einen wollen wir immer mit den Fachbereichen, dem Geschäft, zusammenarbeiten und mit dessen Kunden direkt verzahnt sein. Zweitens erschließen wir uns neue Geschäfts­modelle durch innovative IT mittels Big Data, Predictive Maintenance und neue Apps. Und drittens le­gen wir großen Wert auf Exzellenz unserer IT-Landschaft.

Stichwort Digitalisierung, was haben Sie vor?

CEO Rüdiger Grube ist ebenfalls ein Treiber des Wandels.
Foto: Deutsche Bahn AG

Eberhard Kurz: Hier haben wir unser Kompetenzzentrum Digitalisierung aufgebaut. Das Thema ist im Konzern so dynamisch, weil unser CEO es selbst massiv vorantreibt. Rüdiger Grube spricht in vielen Interviews über die Themen Innovation und neue Geschäftsmodelle. Dieser Ansatz, Treiber zu sein und nicht Getriebener, ist ein Leitbild für uns alle. Deshalb haben wir im Kompetenzzentrum alle Geschäftsfelder, Personenverkehr, Logistik und Infrastruktur, gebündelt, aber auch übergreifende Themen wie Arbeitswelten 4.0, Produktion 4.0 und IT 4.0.

Können Sie Beispiele nennen?

Eberhard Kurz: Beim Thema Pünktlichkeit auf der Strecke ist zum Beispiel auch die Instandhaltung von Schienen wichtig. Eine Weiche hat eine bestimmte Lebensdauer, danach muss sie insgesamt oder in Teilen ausgetauscht werden. Eine Komponente dabei sind die Elektromotoren, die die Weichenzunge antreiben. Unsere Analysen haben ergeben, dass man Ausfälle dieser Motoren präventiv diagnostizieren kann.

Weiche an Bahn: "Mir geht es schlecht"

Wie geht das?

Bis Ende 2016 will die Bahn Sensoren in 3000 Weichen einbauen. Bis 2020 sollen es 30.000 werden.
Foto: Deutsche Bahn AG

Eberhard Kurz: Neuerdings werden Sensoren eingebaut, die an die Zentrale senden: "Achtung, mir geht es jetzt schlecht." Dann ersetzen die Kollegen der Servicetechnik den Weichenmotor rechtzeitig, bevor er ausfällt, und zu einem Zeitpunkt, an dem nicht viel Verkehr ist. Bis Ende des Jahres wollen wir im Projekt "DIANA" Sensoren in 3000 Weichen einbauen. Bis Ende der Dekade soll es sie in 30.000 von insgesamt 70.000 Weichen geben.

Könnten Sie die Daten auch an die Hersteller verkaufen?

Eberhard Kurz: Genau, das sind dann die neuen Geschäftsmodelle. Wir denken darüber nach, aber momentan ist es noch zu früh.

Deutsche Bahn: Mobile Serviceteams helfen

Was wollen Sie noch vorhersagen?

Eberhard Kurz: Ein weiteres Beispiel aus der Instandhaltung sind die Lokomotiven: Bevor eine Lok ausfällt, fährt sie in die Werkstatt, oder wir schicken mobile Teams zur Instandhaltung raus. Heute können schon mit einem LKW die Drehgestelle der Güterwagen vor Ort im Hamburger Hafen ausgetauscht werden.

Die Top-CIOs der Transportbranche
Bernd Rattey
Als Nachfolger von Christa Koenen übernahm Bernd Rattey Mitte November 2021 die Position des Konzern-CIO der Deutschen Bahn.
Christa Koenen
Seit 1. September 2021 ist die ehemalige Bahn-CIO Christa Koenen Digitalvorständin von DB Schenker. Sie ist Nachfolgerin von CIDO Markus Sontheimer.
Thomas Rückert
Seit Anfang 2021 ist Thomas Rückert für die IT Lufthansa Group verantwortlich. Er soll unter anderem die Airlines des Konzerns dabei unterstützen, kundenzentriert zu werden.
Dominik Fürste
Dominik Fürste (35) ist seit August 2017 CIO beim Europäischen Eisenbahnlogistikunternehmen TX Logistik AG. Als Mitglied der Vorstandssitzung verantwortet er die Transformation der TX zu einer digitalen Güterbahn. Dabei setzt er auf die gleichzeitige Betrachtung von Geschäftsprozessen und modernen IT Lösungen. Für die ganzheitliche Umsetzung der Transformation hat er ein agiles Portfolio- und Deliverymanagement auf Basis des Scaled Agile Framework etabliert. Fürste kam von der DB Cargo AG, wo er unter anderem die Sanierung der französischen Tochtergesellschaft begleitete und ein IT-Projekt des DB Konzerns zur Einführung eines Kapazitätsmanagementsystems für das Transportnetzwerk verantwortete.
Sabina Kusmin-Tyburski
Zum 1. Februar 2024 übernimmt Sabina Kusmin-Tyburski den CIO-Posten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).
Markus Sandbrink
Ende 2022 hat Markus Sandbrink, seit 2020 Leiter der Corporate IT der Rhenus-Gruppe, zusätzlich den CIO-Posten und damit die gruppenweite IT-Leitung des Logistikkonzerns übernommen.
Ralf Morawietz
Das Logistikspezialist Dachser hat mit Ralf Morawietz seit dem 1. Januar 2023 einen neuen IT-Leiter an Bord. Er folgt auf Stefan Selbach, der in Altersteilzeit ging.
Wolfgang Standhaft
Wolfgang Standhaft ist seit Januar 2019 CIO beim Flughafenbetreiber Fraport in Frankfurt/Main. Von 2006 bis Ende 2017 hat er für den Baustoffkonzern HeidelbergCement AG als CIO und Group Director Information Technology gearbeitet. Von 1998 bis 2005 war Standhaft Leiter Betriebswirtschaftliche Systeme Europa der Rewe KGaA, von 1995 bis 1998 arbeitete er als Berater bei der SAP AG.
Jasmin Kaiser
Seit Anfang Mai 2023 leitet Jasmin Kaiser die IT der Lufthansa Cargo. Sie kommt von der Lufthansa Group.
Isabelle Droll
Isabelle Droll ist CIO der TUI Airline. Seit Oktober 2021 ist sie zudem Group IT Director TUI Musement, Corporate und Sustainability.
Hugo Pluess
Hugo Pluess ist seit August 2019 CIO der Spedition Imperial Logistics International. Pluess ist damit für die gesamte IT-Landschaft aller Aktivitäten von Imperial Logistics International verantwortlich. Er war zuletzt Executive Vice President Global IT Infrastructure bei CEVA Logistics in der Schweiz.
Werner Toennessen
Als Geschäftsbereichsleiter IT ist Werner Toennessen der Chef über die Systemwelten der DER Touristik. Toennessen verantwortete als Bereichsleiter bereits seit 2010 die IT der DER Touristik Köln mit ihren Pauschalreiseveranstaltern ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg. Er gilt als profunder Kenner der IT der touristischen Unternehmen des zweitgrößten deutschen Reiseveranstalters. Toennessen startete seine IT-Laufbahn 1987 in der EDV bei Meier’s Weltreisen.
Ralf Gernhold
Seit Oktober 2018 ist der Ex-Miles & More-CIO Ralf Gernhold technischer Programmleiter Vendo bei der DB Vertrieb GmbH. Vendo beschäftigt sich mit der Digitalisierung des Vertriebs und gehört zu den strategischen Projekten des Personenverkehrs der Deutschen Bahn.
Donya-Florence Amer
Donya-Florence Amer ist CIO und CHRO und die erste Frau im Vorstand von Hapag-Lloyd. Sie übernahm den Posten zum 1. Februar 2022. Amer folgte auf Martin Gnass.
Dirk Tietz
Die DER Touristik hat ihr Führungsteam um die neue Funktion des Chief Transformation Officer (CTO) erweitert. Dirk Tietz (40) ist seit Juli 2015 auch Mitglied des Executive Boards. Er trägt damit die Gesamtverantwortung für die Digitalisierung und für die Verzahnung der Einzelunternehmen.
Petra Clemens
Seit Februar 2022 ist Petra Clemens für die IT-Transformation beim Eisenbahn-Logistiker VTG zuständig. Sie bringt fundierte Expertise auch in Sachen Change Management mit.
Oliver Wittmaier
Oliver Wittmaier folgt auf Claudia Plattner, die bei der EZB eingestiegen ist. Er konzentriert sich auf skalierende Plattformen und Datenverfügbarkeit.
Arlene Bühler
DB Cargo hat mit Arlene Bühler eine neue Digitalisierungschefin. Anfang November 2021 übernahm Bühler die Funktion mit dem Titel IT and Digitalization, CIO/CDO. Der Logistik-Konzern hat diese Position neu geschaffen, um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.
Dorothea Brons
Seit Januar 2022 leitet Dorothea Brons als CIO die IT-Geschicke am Hamburg Airport. Sie ist zugleich Geschäftsführerin der IT-Tochter AIRSYS.
Frank Winkenwerder
Frank Winkenwerder ist seit Mitte Dezember 2014 Leiter des Zentralbereichs Informationssysteme der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Er war davor Leiter der Containerinformationssysteme bei HHCT, verantwortlich für die strategische Gestaltung der IT-Landschaft für das Segment Container. Von 1987 bis 2006 arbeitete Winkenwerder bei einem System- und Softwarehaus, seit 1999 als verantwortlicher Projektbereichsleiter für die Logistikbranche.
Michael Lütjann
Die Nagel-Group ernannte zum 1. Oktober 2019 Michael Lütjann zum Chief Information Officer (CIO). Er berichtet an den CEO der Nagel-Group Carsten Taucke. Zuletzt war Lütjann vier Jahre lang CIO bei Imperial Logistics International. Davor hat der 50-jährige fünf Jahre als Senior Vice President IT Management Logistics bei Schenker die globale IT Organisation verantwortet. Im Lauf seiner Karriere hat er zudem mehr als zwölf Jahre lang die IT der Fiege Gruppe in diversen Verantwortungsbereichen geprägt, zuletzt als CIO.
Bernhard Götze
Bernhard Götze ist seit Februar 2022 Vice President IT beim Kreuzfahrtanbieter AIDA Cruises in Rostock, der deutschen Niederlassung von Costa Crociere S.p.A.
Martin Kolbe
Martin Kolbe übernahm im November 2005 die CIO-Position beim Schweizer Logistikkonzern Kühne + Nagel. Zuvor arbeitete Kolbe bei der Deutschen Post World Net, wo er Bereichsvorstand und CIO der DHL Express Deutschland war.
Pieter Jordaan
Nach dem Ausscheiden von IT-Vorstand Frank Rosenberger hat der Touristikkonzern TUI die CIO-Position zum 1. Januar 2023 mit Pieter Jordaan besetzt.
Hans Fabian
Hans Fabian ist seit Januar 2017 als CIO für das Hotelvergleichsportal HRS in Köln tätig. Zuvor war Fabian CIO bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa Holding AG in Wiesbaden. Über zehn Jahre hat Fabian davor im Bereich IT-Management bei Deutsche Post DHL in Bonn gearbeitet, zuletzt als Vice President.
Hanna Huber
Hanna Huber hat die Branche gewechselt. Die Ex-CIDO des Modehändlers Calida stieg im April 2024 beim Reiseunternehmen Flix ein.
Björn Richter
Björn Richter ist CIO von DPD Deutschland. Er kam vom Paketdienst GLS. Sein Vorgänger Dirk Tiemann bleibt als Director IT bei DPD.
Hanno Boekhoff
Hanno Boekhoff ist seit Oktober 2017 neuer IT-Leiter bei der Reederei Hamburg Süd. Sein genauer Titel: Global Head of Information Technology & Services (ITS). Vor seiner Tätigkeit für die Hamburg Süd war Boekhoff in verschiedenen Bereichen der IT als Berater und als Manager tätig.
Ralf Morawietz
CIO beim Logistikdienstleister Panalpina mit Sitz in Basel ist ab Juli 2015 Ralf Morawietz. Er startete seine Karriere als IT-Experte 1998. Im Jahr 2002 kam Morawietz zu Deutschen Post, wo er verschiedende Management-Aufgaben wahrnahm. Im Januar 2010 wechselte Morawietz als Mitglied des nationalen IT Managementeams des Logistikers Kühne + Nagel. Zuletzt war er dort Senior Vice President Global IT Products.
Carsten Bernhard
Carsten Bernhard ist seit September 2016 Group CIO/CTO beim E-Commerce-Anbieter eDreams Odigeo mit Sitz in Barcelona. Er kommt von der TUI Deutschland, wo er seit August 2013 IT-Chef war. Zu eDreams Odigeo gehören die Marken eDreams, Opodo, Travellink, Go Voyages und Liligo.
Bernd Gemein
Seit 1. September 2018 ist Bernd Gemein neuer CIO für den Unternehmensbereich Post, E-Commerce, Parcel (PeP) bei der Deutschen Post DHL. In seiner neuen Funktion ist Gemein Mitglied des Executive Committee PeP. Er berichtet an PeP-COO Tobias Meyer. Gemein hatte seit 2003 bei der Deutsche Post DHL diverse Funktionen in den Bereichen IT Development und IT Customer Integration inne. Seit 2013 war er Geschäftsbereichsleiter IT Service Management PeP.
Alexander Brandmeier
Seit Juni 2019 ist Alexander Brandmeier neuer Leiter Informationstechnologie/CIO bei der DB Energie GmbH, dem Energieversorger der Deutschen Bahn AG in Frankfurt am Main. Zuvor war Brandmeier Leiter Architekturmanagement und Unternehmensarchitekt im Unternehmensbereich der Deutsche Bahn Fernverkehr AG.
Andreas Hamprecht
Seit August 2018 ist Andreas Hamprecht Leiter IT und CIO bei DB Regio und in Personalunion weiter Leiter Geschäftsentwicklung Schiene. Hamprecht ist seit März 2017 Leiter Geschäftsentwicklung Schiene bei der DB Regio AG, von 2010 bis 2017 war er Leiter Geschäftsentwicklung bei der DB Station & Service AG. Im DB-Konzern ist er bereits seit 2001 beschäftigt, mit bisherigen Funktionen in der Konzernstrategie, im internationalen Fernverkehr sowie beim Bahnhofsbetreiber DB Station & Service.
Falko Hagebölling
Falko Hagebölling ist seit Januar 2019 Senior Director Product Development & IT bei der Lufthansa-Tochter Miles & More GmbH in Frankfurt am Main. Der promovierte Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik war bei Miles & More zuletzt seit Mai 2016 als Director Product Delivery für Projekt-, Portfolio- und Prozessmanagement verantwortlich. Im Juli 2018 übernahm er zusätzlich interimsweise die Funktion als Director IT.
Sami Awad-Hartmann
Sami Awad-Hartmann hat im März 2019 die Position des CIOs bei der Spedition Hellmann übernommen. Er war bereits von 2008 bis 2016 in verschiedenen führenden Positionen in der IT bei Hellmann tätig. Zuletzt war er stellvertretender Leiter IT global. Im Oktober 2016 hatte Awad-Hartmann die Spedition verlassen und war in das familiäre Geschäft im Fleischhandel bei Global Meat in Münster mit eingestiegen.
Horst Ulrich Mooshandl
Horst Ulrich Mooshandl ist seit April 2019 neuer CIO der Österreichischen Post. Sein genauer Titel lautet: Leitung Konzern-IT & Konzern-Einkauf. Zuvor schon hatte Mooshandl die Konzern-Einkauf geleitet sowie den Konzern-Fuhrpark gemanagt.

Projekt "Zukunft Bahn"

Drittes Beispiel sind Aufzüge und Rolltreppen. Wir wollen bis Ende 2016 kaum noch Ausfälle haben. Unser Ziel ist, dass bei 20 Reisen in der Reisekette nur noch maximal einmal etwas nicht funktioniert. Also 95 Prozent in der Verfügbarkeit. Wenn es bei 20 Ereignissen einmal nicht funktioniert, dann hat der Kunde subjektiv das Gefühl, es funktioniert eigentlich fast immer. Dazu rüsten wir im Rahmen von "Zukunft Bahn" unsere Fahrtreppen und Aufzüge mit Sensoren aus, die sich per Mobilfunk in der Zentrale melden.

Was hält die Zukunft der Bahn noch bereit?

Das "Live-Ticket" kommt

Eberhard Kurz: Wir sind dabei, unser Vertriebssystem aus Fahrgastsicht radikal zu erneuern. Wenn Sie mit dem Zug ­fahren, müssen Sie ein Ticket dabeihaben. In wenigen Jahren soll es so sein: Der Fahrgast betritt den Zug. Vorher hat er alle wichtigen Informationen bekommen. Dann checken Sie sich mit einem Barcode an ihrem Sitzplatz ein. Der Zugbegleiter weiß so, dass Sie im Fahrzeug sind. Wenn sich Veränderungen in der End-to-End-Reisekette ergeben, wenn man den Anschlusszug verpasst, oder der Zug verspätet ist, bekommen ­Sie automatisch eine entsprechende Nachricht auf Ihr Smartphone.

Wie heißt dieses Angebot?

Eberhard Kurz: Wir nennen das "Live-Ticket". Wir wollen damit auch Call-a-Bike und Carsharing anbieten. Das erfordert aber eine grundsätzliche Änderung der Vertriebssystemlandschaft. Die Dinge, die es jetzt schon gibt, drehen sich um den DB Navigator. Der wird laufend erweitert. Sie können jetzt damit Sitzplätze reservieren. Wir werden Ende des Jahres auch die aktuelle Wagenreihung anzeigen. Daran arbeiten wir gerade.

Das DB Zugportal bringt Internet und On-Board-Entertainment zum Kunden.
Foto: Db

Wie ist Big Data bei der Bahn organisiert?

Eberhard Kurz: Wir haben aktuell zwischen 70 und 80 verschiedene Projekte. Wir führen diese in einem virtuellen Big-Data-Kompetenzcenter über alle Geschäftsfelder zusammen. Dort treffen sich über eine Plattform immer 30 bis 40 Kollegen zum Austausch. Bei DB Systel bauen wir vom Hadoop-Cluster bis zur Visualisierung Technologien auf, so dass man sofort mit den Daten arbeiten kann: den Bahnhofsdaten, Pünktlichkeitsdaten und Fahrplandaten.

Ist Self-BI auch ein Thema in den Fachbereichen?

Eberhard Kurz: Den Trend kann ich bestätigen. Mit cloudbasierten Lösungen mit sehr einfachen Benutzeroberflächen können die Fachbereiche immer mehr selbst machen. Wir als IT sind dann stärker Ratgeber und haben Governance-Aufgaben. Es ist einfach eine andere Form der Zusammenarbeit. Man muss das in die bestehenden Systemlandschaften mit SAP R/3 aber auch integrieren und die nötigen Schnittstellen dafür schaffen.

Die Zukunft der Deutschen Bahn in einem Bild.
Foto: DB

Mindbox und D-Lab für Innovationen

Wie bringt die Bahn Innovationen ins Unternehmen?

Eberhard Kurz: Die Mindbox-Infrastruktur in Berlin ist ein Accelerator, der sich um Innovationen rund um Bahnhof, Strecke und Infrastruktur kümmert - wie etwa Sensorik an Schie­nen und Bahnhöfen, den Verleih von eMio-Elek­tro­rollern in Berlin, neue Anzeigesysteme oder neue Energie- und neue Wegekonzepte am Bahnhof, zum Beispiel mit Leuchtstreifen am Boden. Das D-Lab in Frankfurt kümmert sich um den Personenverkehr.

Start-ups gesucht

Mit welchen Firmen kooperiert die Bahn noch?

Eberhard Kurz: Wir arbeiten mit innovativen Startups zusammen und kaufen deren Know-how ein. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Die Firma Konux bietet etwa ein Diagnostiksystem für Schienen an: Wenn ein Baum auf eine Schiene fällt, kann das entstehende Geräusch an die Zentrale gemeldet werden, die dann ankommende Züge warnt. Wir bieten Konux eine Plattform an, damit die Firma diese Sensorik bei uns einsetzen kann. Da lernen wir von Quartal zu Quartal.

Eberhard Kurz: "Wir lernen von Quartal zu Quartal."
Foto: DB

Funktioniert das Miteinander?

Eberhard Kurz: Als Bahn sind wir daran gewöhnt, im Verbund zu arbeiten. Wir brauchen für den Personenverkehr nicht nur einen Zug, sondern auch die Infrastruktur und den Bahnhof. Auch bei der Digitalisierung arbeiten wir zusammen. Die sechs Pakete des Kompetenzzentrums arbeiten - unter der Gesamtsteuerung der Corporate Strategy - eng zusammen. Wir treffen uns einmal im Monat unter Leitung von Herrn Grube. Es gibt Absprachen, wer sich worum kümmert.

Föderales Steuerungsprinzip

Sind die lokalen CIOs unabhängig? Sind Sie der Chef dieser CIOs?

Eberhard Kurz: Wir haben ein föderales Steuerungsprinzip. Meine Rolle ist die Gesamtsteuerung und unternehmensübergreifende Optimierung der IT-Einheiten der lokalen CIOs und des Dienstleisters DB Systel. Dazu gehören alle Themen, die geschäftsfeldübergreifend sind. Was die Geschäftsfelder direkt betrifft, machen diese allein. Wir kümmern uns strategisch um die Synergien und das Management bis hin zur Umsetzung.

Sind Sie mit der bisherigen Geschwindigkeit der Umsetzung zufrieden?

Eberhard Kurz: "Ich bin natürlich nie zufrieden..."
Foto: DB

Eberhard Kurz: Ich bin natürlich damit nie zufrieden, weil ich ambitioniert bin. Wir wollen immer noch schneller werden. Wir haben massive Fortschritte erzielt. Wir haben mehrere Projekte erfolgreich in agiler Methode implementiert. Wir schauen immer, wie andere Unternehmen bei der Time-to-Market vorankommen. Früher gab es diese Drei-bis Fünf-Jahres-IT-Projekte. Das ist heute passé. Bei der Reiseinformation wollen wir alle drei Monate ein sichtbares Ergebnis für den Endkunden haben. Damit der Kunde etwas merkt.

Deutsche Bahn: Keine Nachwuchsprobleme

Finden Sie denn gute Leute für die IT der Bahn?

Eberhard Kurz: Wir haben hier sehr gute Erfolge und keine grundsätzlichen Nachwuchsprobleme, weil wir mit Mobilität und Logistik ein spannendes Umfeld bieten. Wir müssen die jungen Menschen nur von unseren tollen Aufgaben überzeugen. Im Moment suchen wir zum Beispiel bei DB Schenker Data Scientists.

Sie waren zuvor bei SAP, danach bei Thomas Cook, jetzt sind Sie wieder zurück zur Deutschen Bahn gekommen. Warum?

"Es ist einfach ein Traumjob"

Die Digitalisierung bei der Deutschen Bahn.
Foto: DB

Eberhard Kurz: Die Gestaltungsmöglichkeiten als CIO bei der Bahn sind riesig. Es ist einfach ein Traumjob. Mithilfe der IT die digitale Transformation nach vorne zu bringen, damit wir der beste Mobilität- und Logistikdienstleister werden, ist toll und spannend. Ich musste keine Sekunde darüber nachdenken.

Was war die größte Herausforderung bisher?

Eberhard Kurz: Die nötige Geschwindigkeit zu erreichen. Und dass man als Großkonzern die optimale Verbindung findet zwischen klassischen Prozessen und dem Ausprobieren von Neuem. Bei uns steht Sicherheit vor allem anderen. Wir müssen Standardprozesse einhalten. Wie bekommt man das zusammen mit der Silicon-Valley-Mentalität?

"Wir sind bezüglich der IT Top of the Pops"

Ist die Größe der Bahn ein Hemmnis?

Eberhard Kurz: „Wir müssen Standardprozesse einhalten. Wie bekommt man das zusammen mit der Silicon-Valley- Mentalität?“
Foto: DB

Eberhard Kurz: Sie macht es zumindest nicht leichter. Wenn Google eine Innovation einführt, können die das über Nacht machen. Wir sind ein Flächenunternehmen. Wenn wir einen Zug oder Bahnhof mit etwas Neuem ausrüsten, dann sind noch sehr viele weitere übrig. Dieses Roll-out-Problem ist eine große Herausforderung.

Wie kann man die IT der Bahn zusammenfassen?

Die IT der Deutschen Bahn kompakt.
Foto: Deutsche Bahn AG

Eberhard Kurz: Wir sind bezüglich der IT Top of the Pops. Wir haben tolle Themen und attraktive digitale Projekte. Ich möchte dafür sorgen, dass die Com­munity merkt, was die Bahn alles kann. Im Fernverkehr verkaufen wir über die Hälfte der Tickets im Internet oder mobil. Kein anderes Unternehmen hat hier einen höheren Anteil.