Unternehmen denken um

Die Integration wird flexibler

04.10.2004 von Klaus Manhart
Der Markt für die Integration von IT-Anwendungen ist im Umbruch. Die traditionellen Integrationsspezialisten werden von Allroundern bedrängt. Offene Standards wie Web-Services und serviceorientierte Architekturen sorgen für zusätzliche Unruhe.

Der alte Integrationsmarkt ist tot, offene Standards und serviceorientierte Lösungen gewinnen die Oberhand. Das sind die Trends, die das gegenwärtige Integrationsgeschäft bestimmen. Die unternehmensinterne Integration von Geschäftsprozessen, die Enterprise Application Integration (EAI), unterliegt damit einer gravierenden Neubestimmung. "Eigentlich spricht man heute nicht mehr von EAI", sagt Andreas Bitterer, Vice President des Enterprise Analytics Strategies Service der Meta Group. "Die propriertären Plattformen halten sich nicht mehr lange, der Markt hat sich gewandelt in Richtung offene Standards. Serviceorientierte Architekturen wie Web-Services spielen heute eine wesentlich größere Rolle als das, was man vor ein, zwei Jahren noch als EAI bezeichnet hat."

Ein kurzer Rückblick: In den 90er-Jahren entwickelten Softwareanbieter das EAI-Konzept, das die stetig steigende Zahl von Anwendungen und daraus resultierende Spaghetti-Verbindungen in den Griff bekommen sollte. Wollte etwa ein Hersteller von Autoreifen mit all seinen Groß- und Zwischenhändlern im Rahmen einer Supply Chain elektronisch kommunizieren, so konnten bei dieser relativ einfachen Aufgabenstellung schon 40 bis 50 Systeme zusammenkommen, die integriert werden sollten. Ohne die Unterstützung eines EAI-Tools konnte die Supply Chain mit ihren ständigen Veränderungen auf Dauer nicht betrieben werden.

Statt wie bisher einen großen Teil der Programmierungen auf die teure Entwicklung von Schnittstellen und Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zu verschwenden, sollte mittels EAI alles transparent und kostengünstig im Unternehmen ablaufen. EAI-Spezialisten wie Tibco oder Webmethods lieferten die notwendige Infrastruktur, mit der alle Funktionen und Anwendungen unternehmensweit integriert werden konnten. Kern dieser Infrastruktur war eine Integrations-Middleware als Basiskomponente, über die jede Anwendung mit jeder anderen kommuniziert.

Doch inzwischen ist der Markt für die traditionellen EAI-Anbieter äußerst schwierig geworden. Marktanalysten sind sich weitgehend einig, dass sämtliche EAI-Spezialisten wie Webmethods, Vitria, Tibco, Informatica oder Seebeyond zu einer gefährdeten Spezies gehören, die von größeren Anbietern sogar geschluckt werden könnten.

Bedroht werden sie von den Stars der IT-Evolution, Infrastruktur-Generalisten und Tool-Giganten wie IBM, Bea Systems und Microsoft, aber auch Sun oder Oracle. Der Vorteil der Generalisten: Diese Firmen haben schon jetzt eine enorme Marktmacht und verfügen über Applikations-Server, die mit Integrations-Servern verschmelzen werden. Zugleich fördert das jetzige Investitionsklima ein Hauen und Stechen unter den EAI-Anbietern, das nur wenige, gut positionierte Hersteller überleben können - so die einhellige Meinung von Marktforschern der Meta Group, der Gartner Group und der Giga Information Group.

SAP wird immer wichtiger

Am deutschen Markt haben derzeit vor allem IBM, Bea, und Microsoft die besten Aussichten. Sun und Oracle bleiben noch eher im Hintergrund. Zu den Top-Anbietern in Deutschland gehören aber auch Anbieter wie Seeburger und SAP. Vor allem die Walldorfer SAP wird nach Analystenmeinung den deutschen Integrationsmarkt entscheidend mitprägen. "SAP als neuer Player im Integrationsmarkt ändert sich gerade sehr stark vom Applikationsanbieter zum Infrastrukturanbieter", ist sich Bitterer von der Meta Group sicher. "SAP wird sich sicher allein schon durch seine Marktmacht etablieren." Experten schätzen, dass der Softwarekonzern mit seinem Integrationsangebot etwa 20 bis 30 Prozent Marktanteil erringen könnte.

Letztendlich, so eine PAC-Studie, werden Big Player wie IBM, SAP, Sun, Microsoft, Bea und Oracle "zunehmend die innovativen Spezialisten schlucken und den Integrationsmarkt unter sich aufteilen". Deren Trümpfe sind der längere Atem, der die wirtschaftliche Flaute überdauern wird, die ihnen von Anwendern zugetraute Existenzfähigkeit und die Möglichkeit, sich nicht vorhandene Kompetenzen über Partnerschaften und Akquisitionen aneignen zu können.

Unterstützung im Kampf um die Kunden versprechen sich die klassischen EAI-Anbieter nun von den Web-Services. Sie sollen den Austausch von Daten standardisieren und vereinfachen sowie proprietäre Lösungen umgehen. Dabei kommt der Druck, Web-Services einzusetzen, weniger von den Anbietern als von den Kunden. "Die Kunden wollen mit proprietären Plattformen nichts mehr zu tun haben", sagt Meta-Group-Analyst Bitterer. "Wenn ein EAI-Anbieter heute noch eine proprietäre Plattform anbietet und weiter beibehält, wird er verschwinden."

Der Vorteil an Web-Services ist, dass es mit den Anwendungen möglich ist, einen Teil ihrer Funktionalität auf einfache Weise anderen Anwendungen zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht auf der Basis von XML-Standards, die Kommunikation erfolgt über das Internet oder Intranet. Inzwischen haben sich die Basisstandards für Web-Services SOAP, WSDL und UDDI in der Praxis etabliert.

In der Praxis bieten Web-Services vor allem den Vorteil, dass mit ihrer Hilfe auch bestehende Altanwendungen Internet-tauglich gemacht werden können. Gerade in Zeiten knapper Budgets und begrenzter Experimentierfreude in den IT-Abteilungen kann dies eine sinnvolle Strategie sein, um Schritt für Schritt die vorhandenen Lösungen besser zu integrieren.

EAI-Anbieter unterstützen Web-Services

Web-Services haben sich als Integrationstechnologie inzwischen etabliert. "Die Tendenz bei neuen Integrationsprojekten ist, dass Web-Services tatsächlich eingesetzt werden. Sie werden zudem von EAI-Anbietern durchgängig unterstützt", sagt Berlecon-Analyst Joachim Quantz. Sowohl die EAI-Spezialisten wie Tibco, Webmethods, Vitria oder Seebeyond als auch Generalisten wie BEA Systems, IBM oder Sun setzen auf die Web-Services-Standards. In Deutschland hat SAP den Markt mit Netweaver durcheinander gewirbelt. Mit Netweaver lassen sich SAP-Programme grundsätzlich als Web-Services publizieren, und umgekehrt können von der SAP-Welt aus externe Web-Services aufgerufen werden. Derzeit bastelt SAP in dem Projekt Vienna daran, seine gesamte Plattform auf Web-Services-Architekturen umzustellen.

Während Web-Services in EAI-Lösungen weitgehend umgesetzt sind, folgen nun service-orientierte Architekturen (SOA). SOA sieht plattformunabhängige Infrastrukturen für Anwendungen vor, die als Dienste bereitgestellt werden und sich zudem beliebig verteilen und dynamisch zu Geschäftsprozessen verknüpfen lassen. Diese Dienste "verstehen" einander, wobei die Kommunikation im einfachsten Fall aus einem einfachen Datenaustausch besteht, aber auch eine komplexe Choreographie von Interaktionen sein kann.

SOAs lassen sich mit Web-Services besonders leicht und wirkungsvoll umsetzen, der Ansatz ist aber erheblich umfassender. "Bei SOA geht es um Konzepte, die über Web-Services hinausgehen", erläutert Berlecon-Experte Quantz. "Während Web-Services eine Integrationstechnologie sind, ist SOA eine Methodologie. Der Servicegedanke ist hier viel wichtiger als die Technologie. Der Grundgedanke von SOA ist: Die Architekturen müssen diensteorientiert aufgebaut, wiederverwendbar und sehr flexibel sein."

Experten trauen dem Konzept der Service-Orientierung zu, Anwendungen über heterogene IT-Landschaften hinweg zu verbinden. Die Meta Group erwartet, dass Global-2000-Unternehmen ihre Infrastruktur bis 2005 an SOA orientieren werden. Das US-amerikanische Marktforschungsunternehmen Zap Think geht davon aus, dass bis 2010 mit 69 Prozent die Mehrheit der Spezialisten von Unternehmenssoftware service-orientierte Angebote machen werden. Auch Gartner ist davon überzeugt, dass serviceorientierte Ansätze stark an Bedeutung gewinnen. Unklar sei noch, wie und mit welchen Produkten das Konzept technisch umgesetzt werden kann.

Zeit ist noch nicht reif für SOA

Viele der Komponenten, die in einer SOA gebraucht werden, kommen von Applikationsherstellern wie Siebel, Oracle oder SAP. Diese Hersteller bauen gerade ihre Plattformen zu einer SOA-Architektur um. Kleinere Anbieter wie das amerikanische Softwareunternehmen WRQ Verastream bieten SOA-Schnittstellen zu Host-Systemen und anderen Anwendungen an.

Meta-Group-Mann Bitterer ist noch skeptisch: "SOA ist eine gute Idee, aber ein ganz anderer Punkt ist, diese Idee zu implementieren. Bis eine Firma ihre Anwendungslandschaft auf SOA umgestellt hat, wird es noch einige Zeit dauern." Für Richard Nußdorfer, EAI-Experte bei der Münchner CSA Consulting, ist SOA bislang nur ein Schlagwort ohne viel Inhalt. "SOA ist eine heile Welt, die verspricht, Anwendungen jederzeit sauber integrieren zu können. Aber diese Anwendungen müssen erst geschaffen werden. Wenn man sich einige ERP-Produkte ansieht oder die Legacy-Anwendungen ohne Schnittstellen - da müssen wir noch lange Zeit warten", so Nußdorfer.

Und serviceorientierte Architekturen haben das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Mit Business Process Management (BPM) kündigt sich die nächste Entwicklung an, die den EAI-Markt verändern könnte. "Der wichtigste Trend, den wir sehen, ist, dass EAI in BPM aufgeht", sagt Berlecon-Analyst Quantz.

BPM verspricht eine größere Flexibilität und geringere Kosten bei der Abbildung von Unternehmensprozessen in der IT und schnelleren Zugriff für das Management auf aktuelle Unternehmensinformationen. Während man sich bei EAI oft auf einer sehr technischen Ebene bewegt, steht bei BPM sehr viel stärker die Prozesssicht im Mittelpunkt. Der Grundgedanke bei BPM-Lösungen: Sie verknüpfen prozessrelevante IT-Komponenten über die Grenzen einzelner ERP-, Kundenbeziehungsmanagement- oder sonstiger Anwendungen hinweg. Ein wesentliches Merkmal ist dabei die integrierte Unterstützung des gesamten Lebenszyklus von Business-Prozessen. Dieser Zyklus reicht von der Analyse und Modellierung eines Prozesses über die Implementierung und Ausführung bis hin zur Überwachung und Auswertung.

Auf Konferenzen wird das Thema inzwischen eingehend diskutiert. Allerdings ist BPM in Reinkultur momentan in der Praxis noch Mangelware.