Oracle baut Beratung aus

Die Retail-Strategien von IBM, SAP & Co.

05.02.2013 von Hartmut  Wiehr
Multi- oder Omnichannel, Social Communities oder Mobile Payment: Auf der weltweit größten Retail-IT-Messe NRF Big Show diskutierte die Branche Auswege aus der Krise.

Wie jedes Jahr traf sich auch diesen Januar in New York die internationale Retail-IT-Branche zur "NRF Big Show" (National Retail Federation), um neue Produkte und Trends kennenzulernen. Mit über 27.000 Fachbesuchern wurde abermals der Vorjahreswert übertroffen. Grund zur Zufriedenheit gab es dennoch keinen: Denn die nicht enden wollende Krise in den USA und der EU beschert dem Handel nach wie vor verstärkte Konkurrenz und Umsatzrückgänge.

Amazon-Boss Jeff Bezos erhält den NRF-Preis für seine Leistungen beim Aufbau seines Online-Shops.
Foto: NRF

Besonders klassische Retailer, die sich nicht genügend um das Online-Geschäft als eigenständigen Channel gekümmert haben, geraten in die Bredouille. So musste gerade erst die bekannte englische Musik- und Videokette HMV ("His Master’s Voice") Konkurs anmelden. Kaum ein Land ist von Pleiten verschont geblieben.

Die verbliebenen Retailer versuchen, durch Akquisitionen, Preiskämpfe oder eine drastische Ausweitung des Sortiments ihre Marktanteile zu halten oder in Einzelfällen auch zu vergrößern. Und über allen schwebt das Paradebeispiel des neuen Retail-Monopolisten Amazon, in dessen riesigem Online-Warenhaus es fast alles zu kaufen gibt. Die gesamte Branche starrt wie besessen auf den mit Abstand größten Online-Shop auf dem Globus.

Amazon omnipräsent

Auf der NRF Big Show in New York war Amazon gleich mehrfach präsent – virtuell als Gesprächsthema und als permanenter Vergleichsmaßstab und ganz real in der Gestalt von Jeff Bezos, der als "NRF Gold Medal Winner" gekürt wurde. Laut NRF sei es ihm zweifellos gelungen, "die Retail-Industrie durch neue Methoden beim Verkauf, der Logistik und beim Marketing zu revolutionieren". Und damit seien die Anforderungen für eine ganze Branche auf ein bisher nicht gekanntes Niveau gehoben worden.

Auch bei IBM spricht man von "Revolution": In New York berichtete das Unternehmen, das sich erst 2012 von seiner kompletten Hardware-Division für Retail (Kassensysteme, POS etc.) getrennt hatte, von einer "bahnbrechenden" Anwendung von "Big Data" für die Retail-Branche. Der so genannte "Social Sentiment Index" sei in der Lage, durch die Durchforstung unzähliger Konsumentenbestellungen und Meinungsäußerungen auf Webseiten und Online-Shops zukünftige Modetrends vorherzusagen.

IBM sagt den Modetrend 2014 vorher

Auf der NRF Big Show in New York, der größten Retail-IT-Veranstaltung der Welt, waren die meisten Vorträge sehr gut besucht.
Foto: NRF

IBM wagt die Prognose, dass die großen Marken, Anbieter von Modeartikeln und Schmuckproduzenten 2014 mit einem "Victorian Style" auf den Markt kommen würden, der sich an Vorbildern aus dem 19. Jahrhundert orientiere. Hersteller und Retailer könnten sich schon jetzt auf diesen "nächsten Trend" vorbereiten und zum Beispiel entsprechende Marketing-Kampagnen entwerfen. Es sei - so IBM - erwiesen, dass sich von 2009 bis 2012 der Umfang von "Victorian Chatter" im Internet um den Faktor Elf erhöht habe. Seit 2010 seien bereits mehr als zwei Dutzend amerikanische Warenhäuser auf diesen Trend aufgesprungen. Bis 2014 werde dies zu einer Massenproduktion für solche Produkte führen.

HP und Dell zeigten sich in New York weniger risikobereit. Denn was passiert, wenn sich IBMs Retail-Prognose als Flop erweist? Sie setzten mehr auf ihre traditionellen Angebote in Sachen Hardware und Services. Während Dell eine eigene auf Retail-Bedürfnisse ausgerichtete Geschäftseinheit geschaffen hat, die vor allem auf Beratung und Service setzt, propagiert HP eine "Omnichannel-Strategie": Egal, was es auch sei an Retail-Ausrichtungen der Kunden, als Anbieter mit einem "breiten Portfolio" sei man in der Lage, für einen "bruchlosen Übergang" zwischen allen Verkaufskanälen zu sorgen.

SAP kümmert sich um Alternativen für Bonusprogramme

SAP stellte wie schon auf der Sapphire 2012 in Madrid eine Transportlösung vor, die mit Retail nur indirekt zu tun hat. Bei der Transportgesellschaft der Stadt Montreal in Canada startet jetzt ein Pilotprojekt, um die Kundenloyalität zu messen und zu erhöhen. Dazu werden mit Unterstützung von SAP-Applikationen Alternativen zu bisherigen, äußerst langfristigen Programmen mit Bonuspunkten getestet und in die Praxis umgesetzt. Ziel ist es, die Kunden zu einem unmittelbareren Bezug zu "ihrer" Transportgesellschaft zu bringen, eine Art von Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Außerdem will man Abwanderung von Kunden vermeiden.

Bei SAP betont man im Gespräch mit CIO Retail-IT, dass die Erfahrungen aus diesem Projekt später relativ einfach auf den Handel zu übertragen seien, zumal man in Montreal die gleichen, zum Teil auf HANA basierenden Anwendungen einsetze, wie sie auch im Retail-Umfeld üblich seien.

Der große Konkurrent Oracle hat nach der Übernahme von ATG Commerce ebenfalls sein Retail-Engagement verstärkt. Für den europäischen Raum wurde eine Consulting-Unit mit etwa 200 Mitarbeitern aufgebaut, die fast alle über langjährige Erfahrung im Handel verfügen, wie Sarah Taylor, Senior Director Oracle Retail, in New York ausführte.

Oracle vergrößert Consulting-Mannschaft

Sarah Taylor, Director Retail bei Oracle, setzt auf eine eigene Consulting-Mannschaft für die Händler.
Foto: Oracle

Die Retail-Consultants betreuen die gesamte Oracle-Produktpalette, soweit sie bei den Kunden eingeführt ist. Damit wird ein einheitlicher Gesprächspartner für die Händler garantiert. Außerdem arbeitet man mit spezialisierten externen Beratungs-Unternehmen zusammen. Für den osteuropäischen Raum ist das zum Beispiel Weigandt Consulting.

Forester: Online-Shops brauchen neueste Technologie

Wie die Forrester-Analystin Sucharita Mulpuru bei einem Vortrag auf der NRF Big Show in New York ausführte, legen viele Retailer inzwischen Wert auf eine gründliche Überholung ihrer Web-Angebote. Zu den Top-Prioritäten für 2013 gehörten ein Re-Design des Online-Auftritts und eine Verbesserung der Performance.

Zeitliche Verzögerungen oder gar ein vorübergehender Totalausfall des Online-Shops können für einen Retailer tödlich sein, inklusive der Rückwirkungen auf das Ladengeschäft und das Branding. Problematisch für Kunden seien in vielen Fällen auch die negativen Erfahrungen mit dem Checkout-Prozess, den Liefer- und Rückgabefristen.