Innovation in Zeiten der Umstellung

Die Strategie der Deutschen Bank

18.06.2014 von Karin Quack
Ende 2015 will die Deutsche Bank alle Altanwendungen für Sparen, Baufinanzierung, Inlands- und EU-Zahlungsverkehr auf Standardsoftware umgestellt haben. Das Mammutvorhaben "Magellan" vereinnahmt einen Großteil des IT-Budgets im Unternehmensbereich Privat- und Geschäftskunden. Wie geht der CIO damit um?

Zwei Releases pro Jahr hat sich das Projektteam verordnet: "Das ist das richtige Maß, um die Motivation der Mitarbeiter hoch zu halten und dem Business zu beweisen, dass wir in der Lage sind, Meilensteine zu erreichen", sagt Wolfgang Gaertner, CIO für den Retail-Bereich. Um einen regelmäßigen Leistungsnachweis komme ein derart lang laufendes Projekt auf keinen Fall herum.

Wolfgang Gaertner, Deutsche Bank: "Man kann sich dadurch differenzieren, dass man die Regulatorik nicht nur erleidet."
Foto: Deutsche Bank

Der Schlüssel für ein gutes Verhältnis zu den Fachbereichen sei zudem die von allen geteilte Einsicht, dass es sich bei Magellan eben nicht um ein IT-Projekt handle, so Gaertner. Sondern? Um ein zentrales strategisches Element, das auf oberster Management-Ebene verankert ist: "Die neue Architektur ist die Grundlage dafür, dass unser Geschäft flexibler und innovativer werden kann." Das Business sei bereit, um dieses Ziels willen auch schon mal auf andere Anforderungen zu verzichten.

Besagte Grundlage wird seit 2011 peu à peu aufgebaut. Im Herbst 2012 feierte das Projektteam den "Abschied von unserem ersten Fossil", wie Gaertner sagt. Dabei handelte es sich um eine aus den 70er-Jahren stammende Anwendung zur Verwaltung von Sparguthaben. Rund fünf Millionen Konten waren im Zuge des Projekts auf "SAP Retail Banking 8.0" übertragen worden.

SEPA gleich in SAP umgesetzt

Im Lauf des Jahres 2013 folgte die Umstellung der nicht ganz so betagten Applikation für die Baufinanzierung. Sie wurde zu Beginn der 80er-Jahre entwickelt - in Cobol und mit "Flat Files", wie es damals üblich war. Auch sie ist jetzt Geschichte.

Quasi mit demselben Release wurden die Inlandszahlungen auf die SAP-Software transferiert und gleichzeitig SEPA-fähig gemacht. "Die alte Applikation haben wir unter dem SEPA-Vorzeichen gar nicht mehr angefasst", erläutert Gaertner. Stattdessen wurden Teile des Zahlungsverkehrs direkt in die SAP-Lösung migriert - zum Februar 2014, also innerhalb der ursprünglichen Fristsetzung. Die Verschiebung der SEPA-Umstellung bis zum August erfolgte nicht auf Antrag der Banken, sondern vielmehr mit Rücksicht auf deren Geschäftspartner, betont Gaertner.

Günstig für die Deutsche Bank: Die Postbank hatte frühzeitig begonnen, eine Lösung für die SEPA-Migration zu entwickeln. "Die haben wir in der Deutschen Bank wiederverwendet", sagt Gaertner. Überhaupt erfolge die Umstellung der beiden Marken auf SAP nahezu parallel. Zur Synchronisation gehöre vor allem die Vereinheitlichung am Frontend, führt der CIO aus. Im Hintergrund müssten die Postbank-Systeme von Version 7 der SAP-Software auf Version 8 umgestellt werden. Das geschehe sukzessive mit jedem Release: "Dieselben Programme und dieselbe Codebasis" - so laute die Vorgabe.

Regulationszwang als Katalysator für Neues

Bei der SEPA-Migration machte die Deutsche Bank eine überraschende Erfahrung: "Allgemein heißt es immer, Regulatorik behindere die Innovation", sagt Gaertner, "aber in diesem Fall hat der Zwang, SEPA-konform zu sein, die Entwicklung sogar beschleunigt." Das habe ihn wieder einmal gelehrt: "Man kann sich gegenüber dem Wettbewerb differenzieren, wenn man die Dinge nicht nur erleidet, sondern sie sich zunutze macht." Sich mit den regulatorischen Bestimmungen abzufinden und sie mit innovativen Themen zu verbinden - das sei ein durchaus sinnvolles Ziel für eine Banken-IT.

2014 steht im Zeichen der Infrastruktur

Innovation muss aber auch auf der Kundenseite stattfinden, will man am Ende des ehrgeizigen und ressourcenfressenden Architekturprojekts nicht den Anschluss an den Markt verloren haben. Noch stehe das laufende Jahr vor allem im Zeichen von Infrastrukturanpassungen, räumt Gaertner ein. Von den beiden geplanten Releases widme sich eines komplett, das andere zu einem großen Teil dem Systembereich, den der Kunde nicht wahrnimmt.

Eines der Ziele für 2014 ist die Umstellung der Hardwarelandschaft auf eine virtualisierte Umgebung. "Bis Ostern 2015 wollen wir SAP komplett auf x86 haben", so der IT-Verantwortliche für den gesamten Retail-Bereich. Diese Sensation für die Bankenwelt wird dem größten Teil der Klientel vermutlich nur ein Schulterzucken abgewinnen.

Basis für kundennahe Innovationen

Deshalb investiert der Privat- und Geschäftskundenbereich das Budget, das nach Magellan und Regulatorik übrig bleibt, vor allem dort, wo man neue Marktchancen erkennt. Dazu zählen unter anderem neue User Interfaces sowie Online- und Mobile Banking. "Wir wollen auch Dinge tun, die von den Kunden wahrgenommen werden", bestätigt Gaertner - allerdings nicht, ohne noch einmal zu betonen, dass sich auch die kundennahen Innovationen auf einem "modernen, nicht komplexen Backend" künftig viel schneller und flexibler werden umsetzen lassen.

Technische Innovationen wie In-Memory-Computing müssen zunächst einmal zurückstehen. "Wir halten den Scope von Magellan bewusst stabil", erläutert Gaertner, "um den Fokus und den Lieferdruck zu erhalten." Allerdings zeigt sich der CIO von den Möglichkeiten der neuen Speichertechnik beeindruckt: "Damit kann man Probleme lösen, die wir bislang nicht für lösbar hielten." Deshalb werde sich diese Technik wohl durchsetzen und auch bei der Deutschen Bank ein Thema sein - mit Nachdruck aber erst, wenn Magellan abgeschlossen ist. Das soll nach wie vor im Dezember 2015 der Fall sein - mit der Migration von Kontoführung und -verwaltung auf die Standardsoftware und die virtualisierte IT-Architektur.

Bis dahin sollte die Retail-IT dann auch ihre Einsparungsziele erreicht haben. Die summieren sich mittlerweile auf 280 Millionen Euro pro Jahr. Dass die ursprünglich kalkulierten Kostensenkungen noch einmal - um 30 Millionen Euro jährlich - erhöht wurden, liegt an weiteren Einsparmöglichkeiten, die sich erst während der Umsetzung offenbarten, so Gaertner. Man mag das als zusätzlichen Druck werten, aber sicher auch als Zeichen für das Vertrauen der Konzernspitze in das Projekt.