ERP im Konzernumfeld

Die zweite Wahl

07.06.2006 von Riem Sarsam
Im Mittelstand wolle man wachsen, gab Vorstandschef Henning Kagermann auf der jüngsten Hauptversammlung von SAP wieder einmal zu Protokoll. Die seit Jahren gebetsmühlenartig gepredigte Maxime erweckt den Eindruck, dass der Kampf um die Großkunden bereits entschieden sei und der Wettbewerb sich jetzt auf mittelständische Kunden verlagert habe. Hier hoffen die Anbieter auf weiteres Wachstum. IDC schätzt, dass sich der deutsche ERP-Markt von 1,8 Milliarden im Jahr 2004 auf rund zwei Milliarden Dollar im Jahr 2007 vergrößern wird.

„Konzerne, die nicht mit SAP arbeiten, darf man in Deutschland fast schon als Exoten bezeichnen“, bestätigt Karsten Sontow, Vorstand der Trovarit AG. Was gerne unter den Tisch fällt: Konzerne, die nur mit SAP arbeiten, sind ebenso exotisch. Genaue Zahlen darüber gibt es nicht. Eine entsprechende Erhebung wäre aufwändig, nicht zuletzt wissen die wenigsten CIOs genau, welche und wie viele verschiedene ERP-Anwendungen innerhalb ihres Unternehmensverbunds eingesetzt werden.

400 Unternehmen mit 80 Systemen

Eine Stichprobe unter den Teilnehmern der jährlichen ERP-Zufriedenheitsstudie von Trovarit bestätigt die These von der Vielfalt im Konzernumfeld. Sontow analysierte rund 400 Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und mindestens zwei Niederlassungen. Insgesamt fand er ERP-Systeme von 80 verschiedenen Anbietern. Typisch für Deutschland: Nicht der SAPKonkurrent Oracle macht das Rennen, sondern die große Zahl von Herstellern, die ihre Produkte für eine mittelständisch geprägte Klientel entwickeln.

Vor allem in der zweiten Reihe, also in Niederlassungen oder in Tochtergesellschaften, setzen IT-Verantwortliche auf Alternativen zu SAP. Ein Modell, das unter anderem Microsoft favorisiert.Die Redmonder bezeichnen es als „hub&spoke-Architektur“ („Nabe&Speiche“). Microsoft geht mit seinen für den Mittelstand konzipierten Lösungen Navision und Axapta (jetzt „Dynamics“) gezielt die Konzerne an. Dahinter steht die Idee von einem Miteinander statt eines Gegeneinander der Anwendungen. Konzerne, die in der Zentrale („hub“) zwar SAP einsetzen, sollen für ihre Niederlassungen, einzelne Unternehmensbereiche oder Tochtergesellschaften („spokes“) andere Optionen erwägen. Das gleiche Ziel verfolgt auch SAP mit Business-One.

Allerdings gehören SAP und Microsoft zu den wenigen Anbietern, die ihren Vertrieb auch gezielt an großen Kunden ausrichten. Für das Gros der in Deutschland arbeitenden Softwareschmieden wäre diese Taktik nicht verfolgbar. „Für die Verhandlungen mit Konzernen braucht man viel mehr Aufwand, entsprechende Kontakte und ganz andere Vertriebsmitarbeiter als für den Verkauf in den Mittelstand“, ist Christian Glas, Analyst beim Beratungshaus PAC, überzeugt. Er rät mittelständischen Anbietern davon ab, sich auf das Konzerngeschäft zu fokussieren. Dennoch können diese auch im Konzernumfeld Geld verdienen. Oft macht es durchaus Sinn, nicht auf einem weltweit einheitlichen Standard zu bestehen, beispielsweise wenn regelmäßig Unternehmensbereiche ge- oder verkauft werden.„Hier muss der CIO Aufwand und Nutzen einer einheitlichen ERP-Infrastruktur abwägen“, meint Sontow. Es lohnt kaum, einem übernommenen Unternehmen den SAP-Hut aufzusetzen, wenn absehbar ist, dass die Firma nach einigen Jahren ohnehin wieder abgestoßen wird.

Wenig hilfreich ist auch eine von oben dirigierte Strategie, wenn ein Konzern dezentral geführt wird. Haben die Töchter ein Mitspracherecht oder arbeiten gar als Profit Center, so liegt es nahe, dass sie sich für einen eigenen Weg entscheiden. Hier wiegen Argumente wie Branchenexpertise, Prozess-Know-how oder Anwenderfreundlichkeit schwerer als ein kategorisches Muss von Seiten der Konzernspitze.

Manchmal geht es ums Prinzip

„Man kann prinzipiell jede Lösung einsetzen, es ist nur eine Frage des Aufwands“, sagt Norbert Voll, IT-Chef von Krauss-Maffei Wegmann. So traut er auch der SAP-Lösung zu, die Prozesse des Wehrtechnikspezialisten zu beherrschen. Doch sein Unternehmen entschied sich gegen die Walldorfer Lösung, obwohl sie im zentralen Finanzbereich und im Controlling läuft. Alle anderen Abläufe unterstützt der Hersteller mit PSIPenta – von der Auftragsabwicklung über die komplexe Fertigungssteuerung bis zur Auslieferung an den Kunden. An der damaligen Entscheidung war Voll zwar nicht beteiligt, doch er weiß: „Ein wesentliches Argument gegen SAP war, dass der Anpassungsaufwand viel zu groß gewesen wäre.“

Die Befürchtung, bei verschiedenen Systemen mit teuren Schnittstellen arbeiten zu müssen, hat sich für Voll nicht bewahrheitet. „Das schmerzt überhaupt nicht“, ist seine Erfahrung. Man habe die Schnittstelle zwischen dem ERP- und dem Finanzsystem selbst geschrieben, und sie funktioniere reibungslos. Gleichzeitig kann er sich auf ein System verlassen, das auf den Bedarf seines Unternehmens zugeschnitten ist. Es lässt sich flexibel für die in Kleinserien gefertigten Fahrzeuge einsetzen, die in vielen Varianten ausgeliefert werden.

Manchmal geht es bei der Wahl eines ERP-Systems einfach ums Prinzip. Sontow beobachtet, dass gerade Fachverantwortliche gerne Informationen einholen, um sich gezielt mit Argumenten gegen SAP zu wappnen. Auch reizt die monopolartige Position so manchen CIO, erst recht nach Alternativen zu suchen. Vernünftig ist dies ohnehin. „Ein Produkt zu wählen, nur weil alle es haben, macht den CIO auch angreifbar“, warnt Sontow. Der Blick in den breit gefächerten Markt lohnt sich durchaus. Und wenn Tochtergesellschaften oder Niederlassungen schon gegen den Konzernstandard votieren, tut der Verantwortliche gut daran, sich bei der Auswahl einzumischen. Sei es durch die Vorgabe eines sinnvollen Lösungsportfolios oder ein klares Evaluationsverfahren. „So kann der Betreffende zumindest sicher sein, dass sich die Unternehmensbereiche für eine vernünftige Lösung entscheiden.“