IT-Manager wetten

Digitalisierung rettet die Energiewende

15.05.2018 von Ralf Werner
Ralf Werner wettet, dass in fünf Jahren mit Hilfe von Dezentrali­sie­rung, Mobilisierung und Flexibilisierung der Energieströme, erzeugt durch digitale Sektorenkopplung und ­Blockchain-Technik, die vereinbarten Klimaziele erreicht werden.
Autor Ralf Werner ist Head of IT Management bei Open Grid Europe.
Foto: Open Grid Europe

Wagen wir einfach mal einen Zeitsprung in das Jahr 2023 und schauen von dort zurück, was sich seit 2018 in der Energiewelt getan hat.

Seit Donald Trump für die USA aus dem Pariser Klima-Abkommen ausgestiegen war, hatten sich die globale Klimasituation und der Diskurs über ihre Ursachen noch einmal verschärft. Zahlreiche Länder stellten ihre Pariser Klimaziele zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Opportunitäten zurück, obwohl viele Studien einen direkten Zusammenhang zwischen erhöhtem CO2-Ausstoß und Klima-Effekten nachgewiesen hatten.

Innerhalb der EU hatte vor einigen Jahren ein Umdenken stattgefunden, das dazu führte, die Dekarbonisierung, das heißt eine CO2-freie Energiewelt mit grünen Energieträgern, als wesentliches Teilziel des Klima-Abkommens schneller, nachhaltiger und verbindlicher umzusetzen.

Diese politische Willenserklärung hatte in den Jahren ab 2018 zu einschneidenden und teils disruptiven Veränderungen in der Energiewelt geführt, mit denen sich nicht nur die etablierten Marktteilnehmer, sondern auch der gewachsene Regulierungsrahmen konfrontiert sahen.

Als Ergebnis dieser fundamentalen prozessua­len und regulativen Transformation befindet sich Europa im Jahr 2023 in einer völlig neu organisierten Energiewelt, in der Energiesektoren unabhängig von Energie-Arten (Strom, Gas, Wärme) zusammenwachsen, Geschäftsprozesse weit­ge­hend selbstreguliert, digital und hochautomatisiert ablaufen und dezentrale Markteilnehmer entstanden sind, die bestehende Wettbewerber mit neuen Geschäftsmodellen verdrängen. Rückblickend ergeben sich zwei Kernfragen:

• Was ist zwischen 2018 und 2023 passiert, damit eine derartige Transformation gelingen konnte?

• Welche Einflussfaktoren trieben diese Transformation?

Diese Fragen können auf unterschiedlichen Ebenen beantwortet werden. Sicherlich bildeten politischer und regulativer Rahmen das Fundament eines derartigen Veränderungsprozesses. Ohne eine Anpassung des 2018 bestehenden Regu­lierungsrahmens und eine neue Regelsetzung für alle Marktteilnehmer konnte eine derartige Transformation nicht gelingen.

Aber der Fokus soll im Folgenden weniger auf den politischen, sondern mehr auf den technologischen und prozessualen Veränderungen liegen. Die Erfolgsfaktoren der Transformation in den Jahren 2018 bis 2023 waren:

1. Dezentralisierung und Mobilisierung der Ener­gie-Angebote durch Digitalisierung.

2. Digitale Sektorkopplung als Lösung für nachhaltige Energiespeicherung.

3. Einführung eines selbstregulierten Energiesystems 2023 auf Basis der Blockchain-Technologie.

Dezentralisierung und Mobilisierung der Energie-Angebote durch Digitalisierung (2018 bis 2019)

Der erste Schritt in eine neue Energiewelt hat die Rolle des Kunden im Fokus, der zum Prosumer (Produzent und Consumer) wird, indem er Solar- und Windstrom sowie Biogas dezentral erzeugt, verbraucht oder ins Gesamtsystem einspeist. Der Prosumer nutzt digitale Prozesse und mobile Devices, mit denen er Erzeugung, Verbrauch und Einspeisung der Energie vollautomatisiert über Sensoren kostenoptimiert steuert und sie zum Teil zwischenspeichert.

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Über mobile Devices ist er überall und jederzeit in der Lage, sein "virtuelles Energiesystem" zu monitoren. Daten dafür (beispielsweise Prognosen über Wetter, Preise, Verfüg­barkeiten, Verbräuche und Netzengpässe) er­hält er über eine zentrale, allen zugängliche Datenplatt­form, die von allen relevanten Marktteilnehmern mit Informationen gespeist wird.

Aus Endkundensicht ist weiterhin die Weiterentwicklung des Themas Elektro- und Gasmobilität durch CO2-freies autonomes Fahren mit Elektro- und Gasfahrzeugen auf Basis einer digitalen Infrastruktur relevant. Straßen sind mit Induktionsschleifen ausgestattet, die es erlauben, Elektrofahrzeuge während der Fahrt zu laden.

Gasfahrzeuge und hier insbesondere der Schwer­lastverkehr werden mit grünem Gas, das aus Power-to-Gas-(P2G-) oder Biogasanlagen kommt, über eine flächendeckende Ladeinfrastruktur betrieben. P2G sorgt dafür, dass Strom über Elektrolyse und anschließende Methanisierung als CO2-freies, grünes Gas in das Gassystem eingespeist werden kann und umgekehrt.

Eine flächendeckende und permanente Datenversorgung für autonomes Fahren wird über Mini-Data-Center entlang den Straßen sichergestellt. Diese "Small-but-high-end"-Rechenzen­tren fungieren als dezentrale Hubs und Datendrehscheibe für die Marktteilnehmer und werden über 5G-Funkmasten in Verbindung mit einem dahinterliegenden Backbone aus Glasfaser mit Bandbreite versorgt. Ein Großteil des Backbones verläuft entlang der bestehenden Energie-Infrastruktur parallel zu Strom- und Gastrassen.

Digitale Sektorenkopplung als Lösung für nachhaltige Energiespeicherung (2019 bis 2021)

Als Folge der Dezentralisierung und zunehmenden Energie-Autarkie (Rolle: Prosumer) geraten zentrale Energie-Player und deren Assets (zum Beispiel Kraftwerke, Übertragungs- und Hochdrucknetze) sukzessive unter Druck. Trotz dieser Ausgangslage spielen gerade die etablierten Netzbetreiber eine entscheidende Rolle in der Transformation. Denn die entstandene dezen­trale Energie-Architektur benötigt mehr denn je verbindende Elemente - ein Energie-Backbone, das alles miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung kann ökonomisch sinnvoll nur über die bestehende Infrastruktur der Ferngas- und Übertragungsnetzbetreiber betrieben werden.

Allerdings besteht die signifikante Weiterentwicklung in der "digitalen Kopplung" dieser Netzinfrastrukturen der Energiesektoren (insbesondere Strom und Gas), die es vorher nicht gegeben hat. Das Prinzip der Kopplung ist, dass alle Energieformen (Strom, Gas, Wasser, Wärme) miteinander verbunden werden können und dadurch austauschbar werden.

Eine virtuelle Batterie entsteht

So konnektieren sich zunächst Strom- und Gasnetze mit Hilfe von Power-to-Gas-Technologie. Dadurch ist sektorübergreifend sicher­gestellt, dass Energiemengen dort, wo sie benötigt werden, auch bereitgestellt werden beziehungsweise bedarfsorientiert transportiert, aus-/eingespeist oder umgewandelt werden können. Analoges gilt für andere Energiearten. Damit fungiert die Backbone-Infrastruk­tur als große virtuelle Batterie, die um Dimen­sionen mehr und länger Energie speichern kann als in dieser Zeit entwickelte Batteriesysteme.

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Ein nicht zu vernachlässigender Zusatzeffekt bei diesem Ansatz besteht darin, dass sich große Investitionen in neue Backbone-Strom-Infrastruktur (wie Stromtrassen etc.) dadurch größtenteils vermeiden lassen. Damit ergibt sich erst die Möglichkeit, sehr zeitnah eine grüne Energieversorgung flächendeckend abzubilden, da andernfalls Jahrzehnte für Planung, Genehmigung und Bau der neuen Trassen ins Land gingen.

Offene Plattformen

Das digitale Element bei dieser Sektorenkopplung besteht darin, dass für eine zentrale Steuerung dieses Energiekreislaufs eine offene Prozess- und Datenplattform etabliert wurde. Mit dieser offenen Plattform lassen sich neben der Steuerung der operativen Geschäftsprozesse (Energie­daten-, Regelenergie- und Speicher-Management) auch Analysen, Prognosen, Netzzustände und Verbrauchsverhalten basierend auf dezentral eingebauter Sensorik und öffentlich zugänglichen Marktinformationen erstellen.

Die Offenheit der Plattform ermöglicht, dass sie von allen Prosumern und weiteren Marktteilnehmern (Stadtwerke, Energieversorgungsunternehmen, Industriekunden) genutzt und weiterentwickelt werden kann.

Energiesystem 2023 auf Basis der Blockchain-Technologie (2022 bis 2023 ff.)

Dezentralisierung und digitale Sektorenkopplung schaffen also die Voraussetzungen für ein sich selbst steuerndes Energiesystem, das nahezu ohne regulatorische Prozesse und Vorgaben auskommt. Dieses Energiesystem lässt sich über Blockchain-Technologie diskriminierungsfrei bauen und betreiben.

Zentrale Steuerungseinheit in diesem Energie­system ist der "Energy-Coin", der die Währung des Systems auf der "Energy-Blockchain" darstellt. Über ihn sind die Erzeugung, der Handel und der Verbrauch von Energie vollständig abbildbar.

Unabhängig von der Energie-Art (Strom, Gas etc.) erhält der Energie-Einspeiser (Kraftwerk, Solarpanel, Windpark; Produzent/Prosumer) Energy-Coins über einen Smart Meter gutgeschrieben. Der Besitz eines Energy-Coins hat das Recht, eine definierte Energiemenge (zum Beispiel eine Kilowattstunde) in einer Energie-Art der Wahl zu entnehmen.

Bei der Entnahme werden die zuvor generierten Energy-Coins wieder verbraucht. Der Einspeiser von Energie kann seine Energy-Coins entweder als Prosumer selbst wieder verbrauchen (beispielsweise durch autonomes Fahren, Kühlschrank oder Fernseher) oder sie an andere Marktteilnehmer weiterverkaufen, welche sie anschließend verbrauchen. Dieser Handel von Energy-Coins erfolgt vollständig auf der Energy-Blockchain. Eine Messung der Erzeugung/Einspeisung und des Verbrauchs/derAusspeisung erfolgt über Smart Meter.

Anreizmechanismen

Als Anreizmechanismus zur Stabilisierung der Netze fallen bei jeder Erzeugung beziehungsweise Vernichtung von Energy-Coins (geringe) Netznutzungsgebühren an. Wenn zum Beispiel in einer dezentralen Region ein Energie-Engpass auf­tritt, so wird die Gebühr für die Energie-Einspeisung vom Netzbetreiber reduziert (auch ins Negative) und für die Ausspeisung erhöht.

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Für Prosumer/Produzenten wird es also attraktiver, Energie in das Gesamtsystem einzuspeisen, für Verbraucher greift der umgekehrte Mechanismus. Wenn hingegen ein Energie-Überschuss auftritt, wird die Netznutzungsgebühr für die Einspeisung von Energie erhöht (teilweise bis auf Höhe des Energiepreises), wodurch die Einspeisung immer unattraktiver wird. Auf der Verbraucherseite gilt Entsprechendes umgekehrt. Dadurch werden - je nach Lastsituation - dezentrale Anreize für die Stabilisierung des Gesamtsystems gesetzt.

Dessen Funktionsweise wird vollständig über die Energy-Blockchain digital abgebildet und ist für alle Marktteilnehmer frei zugänglich.

Die Steuerung des Systems erfolgt autark und immanent. Der Wert eines Energy-Coins wird vom Markt bestimmt, Angebot und Nachfrage kommen vollständig auf Basis der Blockchain zusammen. Netznutzungsgebühren sind im Regelfall sehr niedrig, nur im Engpassfall justiert sie der Netzbetreiber so, dass die Netze stabil bleiben.

Fazit

Im Jahr 2023 existiert ein dezentral angelegtes, digital gekoppeltes, sich nahezu selbst regulierendes Ener­giesystem, an dem alle Markteilnehmer parti­zipieren können. Dafür wurden in mehreren ­Entwicklungsstufen vollautomatisierte, digitale Prozesse auf Basis der Blockchain-Technologie sowie eine zentrale Prozess- und Datenplattform etabliert. Diese werden von Netzbetreibern, die das Infrastruktur-Backbone betreiben, gesteuert und mit Daten aus dezentraler Sensorik sowie Smart Metern gespeist.

Über diesen Dreisprung wurden bis 2023 die gesteckten Klimaziele erreicht, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass Kunden und Erzeuger von Energie in einem offenen, transparenten und effizienten Energiesystem agieren.

Topp, die Wette gilt!

Ich freue mich auf Ihr Feedback!

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