Großes ERP-Projekt abgeschlossen

Dürr räumt sein SAP auf

27.07.2010 von Riem Sarsam
Zu hoher - oft noch manueller - Einsatz war nur eines der grundsätzlichen Probleme bei der Dürr AG. Das Top-Management des Maschinen- und Anlagenbauers zog die Reißleine und stieß die Harmonisierung auf ein weltweit einheitliches SAP-System an.
Nur eines von vielen Spezialprodukten: Eine Abluftreinigungsanlage von Dürr.

Die Probleme traten 2005 zutage: Ein damals angestoßenes Reorganisationsprojekt stieß auf eine Reihe von grundsätzlichen, strukturellen Problemen innerhalb der Dürr-Gruppe - in den Prozessen allgemein und in der IT im Besonderen. Der Konzern besteht aus zwei Unternehmensbereichen mit sechs Geschäftsfeldern, die in insgesamt 21 Ländern aktiv sind. Die Dürr AG mit Sitz in Bietigheim-Bissingen nimmt als Holding zentrale Aufgaben wie Finanzen, Kommunikation oder Recht wahr.

Der dezentral organisierte Konzern plant, produziert und liefert seine Produkte rund um den Globus aus und stolperte dabei zunehmend über uneinheitliche Systeme und Prozesse. Das Top-Management stieß daher eine umfassende Reorganisation der Strukturen, Prozesse und Systeme. Künftig sollten die Abläufe harmonisiert und in einem durchgängigen IT-System abgebildet werden.

Hinter dem Projekt mit Namen "OneSAP" stand die Vision des Dürr-Vorstands: Es soll egal sein, aus welcher Landesgesellschaft heraus ein Mitarbeiter Anlagen in Europa, Amerika oder Asien kalkuliert, anbietet, baut oder wartet. Er soll jederzeit und überall die gleichen Abläufe, Werkzeuge und Systeme vorfinden und ohne Informations- oder Reibungsverluste effizient arbeits- und einsatzfähig sein.

Noch war die Realität eine andere: Die Mitarbeiter arbeiteten beim Bau einer Lackieranlage, an der unterschiedliche Landesgesellschaften beteiligt waren, mit verschiedenen Terminplänen, Beschaffungssystemen und Abläufen. Eine Zusammenführung der Informationen im Sinne des Gesamtprojektes war nur manuell und mit hohem Zeit- und Ressourceneinsatz möglich.

Auch die Vergleiche von Kalkulationen gestalteten sich schwierig, da jede Landesgesellschaft dafür ein anderes Vorgehen und unterschiedliche Inhalte wählte. Mit dem Resultat, dass Mitarbeiter, die auf weltweite Projekte entsandt wurden, sich immer wieder in neue Strukturen, Abläufe und Systeme einzuarbeiten hatten.

Für Dürr ging es auch darum, sein Geschäftsmodell zu reorganisieren und über die Definition der Prozesse und Daten bis in die IT-Systeme eine neue Welt für das Unternehmen und seine Mitarbeiter zu schaffen. Erfahrungen mit SAP hatte man bereits. Dürr nutzte das System an verschiedenen Standorten in Deutschland. Nun galt es, eine konsolidierte, globale SAP-Konzernlösung als Arbeitsplattform zu etablieren, durchgängig auf ein und demselben Mandanten. Darauf sollten alle Dürr-Mitarbeiter weltweit ihre Tätigkeit auf die gleiche Art und Weise verrichten können und dabei stets die gleichen Arbeitsbedingungen vorfinden.

"Brown-Field" oder "Grüne Wiese"

Für den Template-Aufbau standen grundsätzlich zwei Alternativen zur Verfügung: Entweder ein komplett neues Template zu konstruieren oder die bereits bestehenden Plattformen zu optimieren. Die zwei großen Geschäftsbereiche von Dürr arbeiten in unterschiedlichen Prozessen und wurden in der Vergangenheit auf verschiedenen SAP-Systemen betrieben. Eines war auf den weltweiten Anlagenbau ausgelegt, das andere umfasste die Kleinserienproduktion.

Ein Zustand, der mit dem Ziel einer global einheitlichen Lösung nicht vereinbar war. Eine Abwägung im Lenkungsausschuss führte zum sogenannten "Brown-Field Ansatz", was nichts anderes ist als der Gegensatz zur "grünen Wiese": Das bestehende SAP-System für den Anlagenbau würde als Ausgangsbasis für den Aufbau des Templates dienen.

Das bedeutete aber auch, die SAP-Systeme in Deutschland parallel zur Template-Erstellung miteinander zu verschmelzen. Dabei mussten die Prozessabläufe der beiden Geschäftsbereiche harmonisiert und in das SAP-System integriert werden. Genauso mussten Prozesse und Stammdaten in den relevanten Querschnittsbereichen wie Rechnungswesen, Einkauf und Vertrieb harmonisiert werden.

Eine spezielle Anforderung war die Übernahme historischer Daten. An einem Wochenende im Mai 2007, knapp ein Jahr nach dem Start des IT-Projektes, wurde die gesamte Anwendung in das neue Template-System überführt. Am Montagmorgen konnte die Produktion ohne Unterbrechung wieder anlaufen.

Neben der Verschmelzung der Systeme und dem Erstellen des Templates war die Dürr-IT außerdem damit beschäftigt, das bisher an den deutschen Gegebenheiten ausgerichtete Rechnungs- und Berichtswesen am internationalen Standard IFRS auszurichten. Zusätzlich zur Umstellung aller operativen Rechnungswesen-Strukturen und -Prozesse etablierte das Team ein neues Planungs- und Reportingsystem auf Basis von SAP BI. Zudem wurde die Integration diverser CAD-Systeme verbessert sowie das Servicegeschäft im Template abgebildet.

Modular aufgebautes Template

Beim Template selbst entschied man sich für den flexiblen Aufbau der verschiedenen Bestandteile. Der gemeinsame Kern wird für jede Landesgesellschaft einheitlich eingesetzt; je nach Größenordnung und Ausrichtung der Landesgesellschaft lassen sich weitere Bausteine hinzufügen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf nutzen. Auf diese Art und Weise ließen sich die Rollouts bereits im Vorfeld strukturieren und standardisieren. Bis auf wenige Ausnahmen konnte sich die IT voll auf die Migration sowie die Einführung und Schulung vor Ort konzentrieren.

Ursula Ziwey, Vice President Global IT und Projektleiterin bei Dürr.
Foto: Dürr

Unterstützung holte sich die IT von cbs Consulting, einem Spezialisten für SAP-Transformationen. Dieser arbeitet mit einer Standardsoftware, dem SHC Framework (SHC steht für Standardization, Harmonization, Consolidation). "Damit wurden einige für uns unlösbare Probleme technisch lösbar und wirtschaftlich darstellbar", berichtet Ursula Ziwey, Vice President Global IT und Projektleiterin bei Dürr. Datenumsetzungen und Migrationen prozessweise und geschäftsobjektorientiert durchführen zu können, habe gerade bei den komplexen Anforderungen einen klaren Mehrwert ergeben.

In der zweiten Phase - von 2007 bis heute - begann der Rollout des Systems, wobei der Schwerpunkt auf der Einführung und Schulung in den Landesgesellschaften lag. Zwei Faktoren sind hier erfolgsentscheidend: Die intensive Vorarbeit durch die Erarbeitung des Templates sowie die Vorbereitung und der Einsatz der Key-User vor Ort. Diese konnten sich in Schulungen, kulturellen Trainings und Train-the-Trainer-Seminaren auf ihre Aufgabe vorbereiten, die Akzeptanz unter den Kollegen herzustellen und so den Rollout auf menschlicher wie fachlicher Ebene voranzutreiben.

In den USA, Mexiko, China, Polen, Korea, Indien, Brasilien, Spanien, England, Italien und Frankreich fanden sich sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Sei es bei der Geschäftsabwicklung in Tabellenkalkulationsprogrammen, acht verschiedenen Non-SAP-ERP-Systemen oder in der Abwicklung innerhalb des bestehenden SAP-Systems. Entsprechend unterschiedlich gestalteten sich die Migrationspfade. Vor allem zu Beginn begleiteten die Berater von CBS die Rollouts intensiv. Dank eines systematischen Know-how-Transfers kann das Dürr-Team dies heute selbst erledigen.

Payback in zwei Jahren

Das vor fünf Jahren ausgerufene Ziel hat Dürr erreicht: Das Wissen im Hause kann jetzt überall abgerufen werden. Strukturen, Werkzeuge und Arbeitsweisen sind vergleichbar und der Einsatz von Mitarbeitern an jedem Standort der Welt ist unkomplizierter und effizienter geworden. Die Kommunikation und Verständigung basiert auf einer durchgängigen Nomenklatur, da die Stammdaten und Werkzeuge weltweit standardisiert sind.

Projekte, denen verschiedene Niederlassungen zuarbeiten, können nun übergreifend und umfassend gesteuert und berichtet werden - die ehemals manuellen Übernahmen entfallen komplett. Für ein Kundenprojekt kann heute zum Beispiel in China eingekauft, das Engineering in den USA erarbeitet und in Indien ausgeführt und die Fertigung in Mexiko einbezogen werden.

Auch der Aufwand für die Buchhaltung und das Controlling sowie für die Jahresabschlussprüfung hat sich verringert. Ein Vergleich von Fertigungsvolumen in verschiedenen Zeiträumen vor und nach dem Projekt zeigt, dass bei gleichem und weniger Personal höhere Volumina verarbeitet werden können. Das Projektteam hatr eine Payback-Periode von gut zwei Jahren ermittelt.

Nicht zuletzt hat Dürr im Rahmen des Projekts eine ständige Organisationseinheit geschaffen, die sich um die kontinuierliche Weiterentwicklung der Prozesse kümmert. Sie stellt die richtige Anwendung des Templates sicher und fordert und fördert die Landesgesellschaften bei der Anwendung der Lösung, um die Nutzenpotenziale ausschöpfen zu können.

Zum Unternehmen: Der Maschinen- und Anlagenbaukonzern Dürr erwirtschaftet rund 80 Prozent seines Umsatzes im Geschäft mit der Automobilindustrie. Darüber hinaus beliefert Dürr die Flugzeugindustrie, den Maschinenbau sowie die Chemie- und Pharmaindustrie mit seiner Produktions- und Umwelttechnik. Der Unternehmensbereich "Paint and Assembly Systems" bietet Produktions- und Lackiertechnik, vor allem für Automobilkarosserien. Maschinen und Systeme des zweiten Bereichs "Measuring and Process Systems" kommen unter anderem im Motoren- und Getriebebau und in der Fahrzeugendmontage zum Einsatz. Weltweit verfügt Dürr über 47 Standorte in 21 Ländern. Im Geschäftsjahr 2009 erzielte der Konzern mit rund 5.700 Mitarbeitern einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro.

Dürr / SAP-Harmonisierung

Branche

Industrie

Zeitrahmen

2005 bis 2010

Produkte

SAP ERP, SAP BI

Dienstleister

cbs Consulting

Umfang

weltweit

Internet

www.durr.com